Protocol of the Session on July 20, 2016

Dieses Thema wurde von der Fraktion der FDP/DVP ange meldet.

Ich erteile Herrn Abg. Dr. Goll das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! In der „Süddeutschen Zeitung“ vom 10. Juni 2016 war zu lesen, dass Ministerpräsident Kretsch mann ein Modell für ein Gesetz erarbeiten lässt, das das Kon zept der sicheren Herkunftsländer überflüssig machen soll. Es war davon die Rede, Asylanträge aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote sofort in ein beschleunigtes Verfahren ge hen zu lassen und Abschiebungen beschleunigt vorzunehmen und im umgekehrten Fall – bei steigenden Anerkennungsquo ten – praktisch wieder zum längeren Verfahren zurückzukeh ren.

Das hat sich alles ganz interessant angehört. Deshalb haben wir auch schon einmal mit einem Antrag nachgefragt, sind aber leider ohne konkrete Antwort geblieben. Daher erlauben wir uns, die Landesregierung hier an dieser Stelle zu fragen: Arbeitet die Landesregierung an einem Konzept oder gar am Entwurf eines Gesetzes, mit dem das Konzept der sicheren Herkunftsländer abgelöst werden soll? Falls das der Fall sein sollte, falls die Antwort also Ja lautet, interessiert uns: In wel chem Ministerium wird das erarbeitet? Inwieweit sind die Fraktionen von Grünen und CDU beteiligt und über die In halte informiert? Wann soll der Gesetzentwurf oder das Kon zept vorliegen?

Sollten Sie aber ein solches gar nicht haben, wenn die Frage also mit Nein zu beantworten wäre, interessiert uns, ob die Berichterstattung in der „Süddeutschen Zeitung“, die das ent sprechend behauptet hat, falsch war, ob Sie das Ganze gegen über der „Süddeutschen Zeitung“ dementiert haben und ob Sie vor diesem Hintergrund dann bereit sind, das Konzept der sicheren Herkunftsländer zu unterstützen.

Danke schön.

Für die Landesregierung er teile ich Herrn Minister Strobl das Wort.

Frau Präsidentin, Herr Abg. Professor Dr. Goll! Niemand anders als der Verfassungsgesetzgeber räumt die Möglichkeit ein, sich gegen massenhaften und ungerechtfer tigten Zuzug durch die Möglichkeit der sicheren Herkunfts staaten zu wehren. Das ist in Artikel 16 a Absatz 3 unseres Grundgesetzes direkt so beschrieben.

Das ist nach Auffassung der Landesregierung ein wichtiges Instrument, auch weil es hilft, zu vermeiden, dass bei Men schen, die aus asylfremden Gründen zu uns kommen, eine Il lusion entsteht. Da wir nicht nur die Globalisierung, sondern auch die Digitalisierung haben, spricht es sich schnell herum, wenn man dahin, woher man kommt, zurückgeführt worden ist und – lassen Sie es mich einmal so formulieren – die ge fährliche und teure Reise nach Deutschland umsonst gemacht hat.

Selbstverständlich ist die Herkunft aus sicheren Herkunfts staaten kein Persilschein, um pauschal Asylverfahren abzu lehnen, sondern es bleibt in jedem Einzelfall bei einem indi viduellen Verfahren, in dem die Asylgründe dargelegt werden können. Sie müssen im Übrigen nicht nachgewiesen werden; eine Glaubhaftmachung reicht aus. Es ist schon bisherige Ver waltungspraxis, auf individuelle Verfolgungsgründe, etwa die sexuelle Orientierung betreffend, ein Auge zu haben.

Im Augenblick gibt es zu diesem Thema eine Debatte in meh rere Richtungen. Zunächst einmal gibt es ein verabschiedetes Bundesgesetz mit drei weiteren sicheren Herkunftsstaaten: Marokko, Tunesien, Algerien. Dieses Bundesgesetz ist im Deutschen Bundestag verabschiedet. Ich will mal sagen, aus politischen Gründen ist es bisher im Bundesrat noch nicht auf gerufen worden.

Dieses Gesetz ist aus Sicht der Landesregierung ein notwen diges Gesetz. Die Zahl der Menschen aus diesen Staaten, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, ist in den letz ten Jahren stark gestiegen. 2012 waren es noch 1 500, 2015 schon knapp 5 000 Antragsteller. Das ist eine Zunahme um über 250 %. Diese Tendenz setzt sich in diesem Jahr fort. Im ersten Halbjahr haben bereits 3 800 Menschen aus diesen drei Staaten einen Asylantrag gestellt. Die ganz aktuelle Anerken nungsquote liegt zwischen 0,7 % und 2,3 %. Damit ist sie sehr niedrig, niedriger als die Anerkennungsquote bei den Balkan staaten, die wir erfolgreich zu sicheren Herkunftsstaaten er klärt haben mit der Folge, dass ab Oktober 2015 die Antrag stellungen von Menschen aus dem Balkan, die vorher unser größtes Thema waren, in einem statistisch marginalen Bereich liegen. Das ist das eine Thema.

Zum anderen gibt es im politischen Raum eine Debatte über ein Modell, das vorsieht, dass beim Unterschreiten bestimm ter Schutzquoten gewissermaßen automatisch der Status ei nes sicheren Herkunftsstaats eintritt. Diese Debatte spielt auf europäischer Ebene eine Rolle. Ein konkreter Vorschlag der Europäischen Kommission möchte den Nationalstaaten die Anwendung eines EU-weit verbindlichen Konzepts der siche ren Herkunftsstaaten vorschreiben.

Jetzt gilt es, diese europarechtlichen Entwicklungen hin zu ei nem EU-weiten System der sicheren Herkunftsstaaten kons truktiv zu begleiten. Das würde eines Tages bedeuten, dass die nationalen Listen durch europäische Herkunftsstaatenlis

ten ersetzt werden. Einen solchen Vorschlag der Europäischen Union gibt es bereits. Wenn man sich auf diese Lösung ver ständigen könnte, wäre das nach meiner persönlichen Auffas sung ein ganz entscheidender Schritt.

Wir brauchen uns, Herr Abg. Professor Goll, nicht im mate riellen Gehalt auf ein gemeinsames Asylrecht zu verständi gen. Das haben wir Gott sei Dank, weil überall der materiel le Gehalt des Asylrechts in Wahrheit auch in Deutschland nicht über Artikel 16 a des Grundgesetzes definiert wird, son dern über die Genfer Flüchtlingskonvention, die nicht nur die Staaten der Europäischen Union, sondern 150 weitere in die ser Welt unterzeichnet haben. Das ist der materielle Teil.

Wenn es uns gelänge, in den Verfahren eine europaweite Ver einheitlichung zu erreichen, möglicherweise bis hin zu ver gleichbaren sozialen Leistungen, dann würde Europa diese europäische Herausforderung sozusagen annehmen und eines Tages auch auf eine richtige Art und Weise lösen. Die siche ren Herkunftsstaaten europaweit zu definieren wäre aus mei ner Sicht ein erster wichtiger und richtiger Schritt.

Daneben gibt es von Vertretern der Partei Bündnis 90/Die Grünen aus Bund und Ländern die sogenannte Initiative „Fast and Fair – Aktionsplan Maghreb“, mit der sie das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ablösen wollen. Nach meiner Kenntnis waren die baden-württembergischen Grünen daran nicht beteiligt. Dieser Aktionsplan sieht im Wesentlichen ei ne ganz umfangreiche Altfallregelung, also eine Bleiberechts regelung für Asylantragsteller, die länger als ein Jahr im Ver fahren sind, sowie vieles andere mehr vor.

Um es Ihnen kurz und knapp zu sagen: Dieser Aktionsplan ist aus meiner Sicht strikt abzulehnen. Dieses Maßnahmenpaket ist im Grunde genommen im Kern darauf ausgerichtet, unter dem Deckmantel der Beschleunigung der Asylverfahren weit gehende Bleiberechtsregelungen hier zu generieren, mit weit gehenden Effekten in die ganze Welt hinaus. Faktisch käme dieser Plan einer Öffnung der Außengrenzen gleich, und wir hätten im Grunde genommen keinerlei Steuerungsmöglich keit mehr. Deswegen ist dieser Aktionsplan kein guter Plan.

Konkret wird an entsprechenden Gesetzgebungsverfahren in der Landesregierung und im Innenministerium nicht gearbei tet. Darüber, was eine nationale Regelung mit einem Automa tismus angeht, dass sozusagen bei Unterschreitung von be stimmten Anerkennungsquoten ein Land zu einem sicheren Herkunftsstaat wird – das wäre ein Automatismus, bei dem es, sagen wir mal so, auch bestimmte verfassungsrechtliche Hürden zu überwinden gälte –, haben wir im Innenministeri um einmal in einer ersten Runde nachgedacht. Wir sind aber weit davon entfernt, konkret gesetzgeberisch etwas vorzube reiten, weil wir vor allem sehr genau beobachten und im Grun de genommen auch konstruktiv das begleiten wollen, was auf der europäischen Ebene, insbesondere von der Europäischen Kommission, zu diesem Thema im Augenblick erarbeitet wird.

Vielen Dank. Gibt es weitere Fragen? – Herr Abg. Dr. Goll.

Abgesehen davon, dass ich mir die Vorbemerkung, dass ich mit allem, was Sie gesagt ha ben, einverstanden bin, erlauben darf, stelle ich fest: Es gibt kein Papier in der Landesregierung – auch nicht in der Schub

lade mit den Nebenabreden –, das ein solches Konzept bein haltet.

In der „Süddeutschen Zeitung“ stand, Ministerpräsident Kretschmann lasse ein Papier erarbeiten. Jetzt stelle ich also nüchtern fest: Er lässt kein Papier erarbeiten, und falls er sich mit seiner Bemerkung auf den Vorschlag der Grünen bezogen haben sollte, wäre der Innenminister des Landes dagegen.

Habe ich Sie richtig verstanden?

Nein.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich vermute einmal, Sie haben mich schon ganz richtig ver standen, aber es ist natürlich Ihr bestes Recht, das noch ein mal auf charmante Art und Weise nachzufragen.

Falls es sich um das Papier der Grünen auf Bundesebene han deln sollte, kann ich Ihnen versichern, dass das Innenminis terium dazu keine Beiträge geleistet hat und dass, jedenfalls nach meiner Kenntnis, auch die baden-württembergischen Grünen daran nicht beteiligt waren.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Ja!)

Das wird durch den allseits kundigen Abg. Sckerl soeben bestätigt.

(Heiterkeit der Abg. Sascha Binder und Martin Ri voir SPD – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das ist nicht unser Konzept!)

Gibt es weitere Fragen? – Dann bitte, Herr Abg. Dr. Merz.

Herr Minister, schönen Dank für Ihre Ausführungen. – Ich habe eine Klärungsfrage. Sie sag ten, der materielle Gehalt des Asylrechts werde nicht über Ar tikel 16 a des Grundgesetzes, sondern über die Genfer Flücht lingskonvention gesteuert. Ich verstehe das Wort „materieller Gehalt“ nicht. Könnten Sie uns das einmal erklären?

Das ist ganz einfach und sehr gern zu erklären, Herr Abgeordneter. Das ist im Grunde genommen der Inhalt, worum es beim Asylrecht geht, und das andere, das bei mei nen Ausführungen in Parenthese dazu steht, ist sozusagen das reine Verfahren.

Zur Erläuterung. Was den Inhalt der Asylgründe betrifft, wa rum wir in Deutschland Asyl gewähren: Legen Sie mich jetzt bitte nicht auf plus/minus ein paar Prozent fest, aber weit über 90 % derer, die bei uns Asyl bekommen, bekommen dieses nicht nach Artikel 16 a unseres Grundgesetzes, sondern sie bekommen es materiell, vom Inhalt her wegen der Genfer Flüchtlingskonvention.

Oder, Herr Abgeordneter, um es andersherum zu sagen: Wenn jemand auf die Idee kommen würde, das Asylproblem etwa dadurch lösen zu wollen, dass wir den Artikel 16 a in unse rem Grundgesetz abschaffen, und dieser Artikel würde – ganz theoretisch – abgeschafft werden, dann würde sich in der Bun desrepublik Deutschland bei den anerkannten Flüchtlingen nichts, aber auch gar nichts ändern – also nur ganz wenig.

Jetzt noch eine Zusatzfrage.

Ich bin juristischer Laie, aber Sie verstoßen gegen das Grundgesetz. Ist das okay?

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Was?)

Wenn Sie sagen, es werde nicht über Artikel 16 a des Grund gesetzes gesteuert, sondern über die Flüchtlingskonvention, dann verstehe ich das als juristischer Laie so, dass Sie bewusst gegen Artikel 16 a des Grundgesetzes verstoßen.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Das verstehen Sie nicht, Herr Kollege! Das widerspricht doch nicht dem Grundgesetz! – Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: Ah nungslos!)

Könnten Sie das erklären? Was hat denn Vorrang?

Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet. Insofern ist sie ein Stück weit auch ein höherrangiges Recht.

(Zuruf des Abg. Dr. Heiner Merz AfD)

Das kann man so nicht sagen, das kommt auf den konkre ten Fall an. Aber Sie können da ganz beruhigt sein. Das ist si cher alles andere als ein Verstoß gegen das Grundgesetz.

(Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Goll FDP/DVP)

Jetzt liegt mir eine Wortmel dung von Herrn Abg. Berg vor.

Herr Minister, ich möchte Sie fragen, welche Maßnahmen Sie als realistisch an sehen, damit Länder, die sich weigern, ihre Staatsbürger wie der zurückzunehmen, dies aber dann tatsächlich tun. Was könnte man da machen? Welche Maßnahmen sehen Sie als re alistisch an?

Ich will zunächst damit beginnen: Einen ähnli chen Weg sind wir ja mit der Türkei gegangen, indem wir mit der Türkei ein Abkommen getroffen haben, wonach Flücht linge, die auf eine unkontrollierte Art und Weise aus der Tür kei in Europa ankommen, in einem sehr unkomplizierten und schnellen Verfahren wieder zurückgeführt werden und Auf nahme in einer sicheren Einrichtung, also insbesondere in ei ner Einrichtung, in der keine politische Verfolgung stattfindet, in der Türkei erhalten.

Bis heute jedenfalls hat sich das als außerordentlich erfolg reich erwiesen. Die Zahlen sind in sehr starkem Maß zurück gegangen. Deshalb könnte das auch ein Modell für Nordafri ka, für die Mittelmeerregion sein. Wir wissen nicht, wie sich die Zahlen der über das Mittelmeer Flüchtenden entwickeln. Wir werden ganz sicher Menschen, die in Booten über das Mittelmeer kommen, nicht ertrinken lassen können – aus ei ner christlichen Überzeugung oder, wenn Ihnen das nicht ge fällt, weil uns das internationale Seerecht dazu verpflichtet.