Protocol of the Session on July 20, 2016

Sie zeigen immer nur eine Seite der Medaille. Integration ist aber beides. Auf der einen Seite ist es die Bereitschaft, sich in eine offene Gesellschaft zu integrieren. Auf der anderen Sei te müssen dafür die Angebote stimmen. Das werden wir mit diesem Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg umsetzen.

(Beifall bei der CDU und den Grünen)

Vor allem ist entscheidend, was für ein Menschenbild man hat. Das Menschenbild, das Sie haben, kommt in Ihren De battenbeiträgen immer durch. Wir haben ein positives Men schenbild, weil wir wissen, welche Integrationsleistungen Ba den-Württemberg nach dem Zweiten Weltkrieg vollbracht hat: die Eingliederung der Flüchtlinge und derjenigen, die aus Ar beitsgründen oder im Zuge der deutschen Wiedervereinigung zu uns gekommen sind, der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ju goslawien, der EU-Zuwanderer im Rahmen der Arbeitneh merfreizügigkeit und die Aufnahme vieler Flüchtlinge. Diese fliehen genau aus diesen Gründen – sie werden unterdrückt und sind Terror ausgesetzt –, um hier Frieden und Freiheit zu finden.

(Zuruf des Abg. Anton Baron [fraktionslos])

Wir haben das geschafft, weil wir eine klare Werteordnung haben.

(Beifall bei der CDU und den Grünen – Abg. Stefan Räpple AfD: Fahren Sie einmal nach Pforzheim!)

Bei uns gelten das Grundgesetz und die Landesverfassung. Das ist der Maßstab dafür, dass Menschen in dieser Gesell schaft leben können. Von all denjenigen, die sich nicht an die sen Maßstab halten, werden wir das konsequent einfordern. Das ist ganz entscheidend.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Daniel Rottmann [fraktionslos])

Ich glaube, dass der Bund mit dem neuen Integrationsgesetz, das wir hier in Baden-Württemberg umsetzen werden, eine gute Grundlage gegeben hat. Fordern und Fördern sind die beiden Seiten der Medaille. Damit kann Integration gelingen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

27 % der Menschen in Baden-Württemberg haben internati onale Wurzeln. Viele Muslime bei uns leben völlig staatstreu, normal in diesem Land. Deswegen muss man in der Diskus sion aufpassen und darf nicht alle in einen Topf werfen.

Trotzdem kann man Punkte identifizieren, bei denen es auch Probleme gibt. Aber Sie müssen auch die positiven Punkte be nennen, die unsere Gesellschaft weitergebracht haben, die un sere Gesellschaft zu dem gemacht haben, was sie ist: offen, pluralistisch, trotzdem heimatverbunden, geerdet und gleich zeitig international ausgerichtet. Das macht doch den Charme unserer Gesellschaft aus. Diese Gesellschaft auch zukünftig offen zu halten ist entscheidend für unsere Kinder und für die zukünftigen Generationen. Ich habe immer ein bisschen Zwei fel daran, ob Sie das als Rechtspopulisten im Grunde genom men überhaupt haben wollen.

(Abg. Stefan Räpple AfD: Was für ein Schwachsinn! – Zuruf des Abg. Dr. Heiner Merz AfD)

Das ist ja eine europäische Bewegung, der Sie letzten Endes angehören.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen – Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

Eine Verantwortungsgemeinschaft gelingt nur, wenn man sich an diese Werte hält. Deswegen liegt der klare Fokus für uns in der baden-württembergischen Landespolitik auf diesen Werten.

Ich wäre froh, wenn Sie in der zweiten Runde konkrete Vor schläge bringen würden. Ich glaube, wir haben schon viele der Punkte abgearbeitet, die Sie an angeblichen Versäumnis sen aufgedeckt zu haben glauben. Ich bin gespannt, was da von Ihnen noch kommt.

(Beifall bei der CDU und den Grünen)

Für die Fraktion der SPD er teile ich Herrn Abg. Hinderer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Dem Dank meiner Vorredner schließe ich mich an. Frau Prä sidentin, Sie haben mit Ihren Worten die Aktuelle Debatte heu te Vormittag auf die richtige Spur gebracht.

Wenn Menschen auf dieser Welt durch Gewalt, Terror, Krieg oder anderes verletzt werden und ihr Leben verlieren, ist un sere erste Reaktion Mitgefühl. Mitgefühl ist auch unsere ers te Reaktion auf den brutalen Amoklauf in Würzburg, auf den schrecklichen Gewaltakt in Nizza, auf den Putschversuch in der Türkei und auf andere Gewalttaten in dieser Welt.

Wir sind entsetzt über die vielen Berichte von Exzessen der Gewalt, die uns in den letzten Wochen über die Medien und die sozialen Netzwerke fast täglich erreichen.

Wir denken an die Opfer – Kinder, Frauen und Männer –, die ihr Leben verloren haben oder die verletzt wurden. Wir den ken an die Angehörigen, an Familien, die zerrissen wurden, an Eltern, die ihre Kinder, und Kinder, die ihre Eltern verlo ren haben.

Wir denken aber nicht zuerst daran, wie aus diesen Akten des Terrors und der Gewalt politisches Kapital geschlagen wer den kann. Der Verdacht liegt nahe, wenn man den Titel der heutigen Aktuellen Debatte anschaut, dass erneut versucht wird, Zusammenhänge zu konstruieren, die es nicht gibt.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Was hat der Terrorakt eines offensichtlich psychisch kranken Täters in Nizza mit der Integration der Flüchtlinge bei uns in Baden-Württemberg zu tun?

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der FDP/DVP – Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Sehr richtig!)

Was haben ein Militärputsch in der Türkei und die zugegebe nermaßen völlig unverhältnismäßige Reaktion der ErdoganRegierung damit zu tun, dass Deutschland seit Langem ein Zuwanderungsland ist, dass fremde, ausländische Menschen, die hier bei uns leben, gut integriert sind und dass dann, wenn sie noch nicht integriert sind, kluge Antworten auf diese He rausforderungen gefunden werden müssen?

Ich sagen Ihnen: Auf den ersten Blick hat das überhaupt nichts miteinander zu tun. Und auf den zweiten Blick muss die Ant wort, wenn man einen Zusammenhang herstellen möchte, lau ten: Wir brauchen nicht weniger, sondern wir brauchen mehr Integration. Wir brauchen größere Anstrengungen.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Wenn ich den Titel der Aktuellen Debatte lese und mir an schaue, wann der Antrag gestellt wurde, diese Debatte auf die heutige Tagesordnung zu setzen – nämlich vorgestern –, dann muss ich sagen: Während die Welt noch rätselt, was die Mo tive des Täters in Nizza waren – die Zeitungsüberschriften wa ren da noch ganz indifferent –, scheint bei Ihnen die Antwort bereits festzustehen, weil sie in Ihre vorgefertigten Schablo nen passt.

Der Islam – Herr Dr. Merz, das haben Sie gesagt – ist radikal und – das füge ich hinzu – aus Ihrer Sicht wahrscheinlich auch böse, Zuwanderung und Flucht seien die Ursachen allen Übels. Sie rücken sich die Ereignisse so zurecht, wie sie in Ihr Konzept passen, um weiter gegen Fremde zu propagieren.

Ja, in der Tat: Die Gewalt hat eine neue Qualität. Die blitz schnelle Radikalisierung junger Menschen – egal, ob in Niz za oder bei dem Täter in Würzburg – bereitet uns Sorgen.

Heute Morgen hat im „Morgenmagazin“ der Chef des Verfas sungsschutzes, Maaßen, genau diese Einzeltäterstrategie des IS dahin gehend interpretiert, dass sie das Ziel hat, Angst und Schrecken zu verbreiten. Wir müssen die Sorgen der Men schen ernst nehmen; das ist richtig. Wir müssen aber nach Lö

sungen suchen und dürfen diese Ängste und Sorgen nicht noch zusätzlich schüren.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Denn wenn wir Schrecken und Angst noch schüren, dann ma chen wir uns diese kranke Ideologie der IS-Terrormiliz zu ei gen, und das darf nicht passieren.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Zu unseren Lösungen gehört natürlich, durch eine gute per sonelle und sächliche Ausstattung der Polizei, des Verfas sungsschutzes und anderer Verfassungs- und Sicherheitsorga ne für die größtmögliche Sicherheit der Menschen in unserem Land zu sorgen. Die innere Sicherheit war schon immer ein Kernanliegen von uns Sozialdemokraten.

Dazu gehört auch – das ist richtig –, dass der Bundestag noch vor der parlamentarischen Sommerpause das Antiterrorgesetz verabschiedet hat, um den Gefahren des internationalen Ter rorismus besser begegnen zu können. Dazu gehören auch ei ne Nulltoleranzstrategie und die Repression, was den Terro rismus betrifft.

Dazu gehört aber auch die Prävention. Dazu gehört, dass wir für eine gelingende Integration sorgen, anstatt sie infrage zu stellen, dass wir die Menschen, die zu uns kommen, mit Wohnraum versorgen, dass wir für Spracherwerb, für Bildung und Ausbildung sorgen und dass wir berufliche Perspektiven fördern. So gelingt Integration.

Insbesondere mit Blick auf den Täter, der in Würzburg dieses Unheil angerichtet hat, gehört auch dazu, dass wir den Blick auf die jungen, unbegleiteten Ausländer richten und auch er kennen, mit welch schwerem seelischen Gepäck diese oft Minderjährigen bei uns anlanden.

8 367 unbegleitete Kinder und Jugendliche sind im letzten Jahr nach Baden-Württemberg gekommen. Oft sind sie selbst Opfer von Krieg, Terror, Vertreibung und Armut. Die Flucht erfahrungen wirken oft lange nach und belasten diese Kinder und Jugendlichen.

Es liegt mir fern, Täter zu Opfern zu machen. Aber bei dem jungen Mann, der bei Würzburg in einem Zug diese schreck liche Gewalttat verübt und dabei Menschen schwer verletzt hat, handelt es sich um einen psychisch kranken Jugendlichen, der auf die Propaganda des IS und die schnelle Radikalisie rung hereingefallen ist. Deshalb brauchen diese jungen Men schen auch ganz konkrete Hilfen. Sie brauchen Beratung, Seelsorge, psychologische Beratung und Therapie.

(Zuruf von der AfD: So einfach kann man das nicht machen! – Zuruf des Abg. Stefan Räpple AfD)

Dies zu erkennen ist wichtig, und darum müssen wir uns be mühen. Die einzige Lösung ist, statt einem Scheitern der In tegration Vorschub zu leisten und wirre Zusammenhänge her zustellen: Wir sollten uns nach Kräften bemühen, dass die In tegration gelingt. Das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Keck. Er hält seine erste Rede. Ich bitte Sie daher, von Zwischenrufen und Zwischenfragen möglichst abzusehen. Dies war bisher die Regel und ein gu ter Brauch.

(Oh-Rufe – Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Und wenn es ein lieber, ein unterstützender Zwischenruf ist? – Weitere Zurufe)

Sehr verehrte Frau Präsiden tin! Vielen herzlichen Dank für die Unterstützung zu meiner jungfräulichen, ersten Rede.

Vielen Dank für Ihre einfühlsamen und einführenden Worte zu den tragischen Anschlägen der letzten Tage. Auch wir möchten uns dafür bei Ihnen bedanken. Herzlichen Dank.