Frau Präsidentin, sehr geehrte Kol leginnen und Kollegen! Im Jahr 2050 werden in Baden-Würt temberg etwa dreimal so viele über 85-Jährige leben wie heu te.
Deren Zahl wird von derzeit 130 000 auf dann 390 000 Men schen ansteigen. Das führt natürlich automatisch auch zu ei ner Steigerung im Bereich der Suchterkrankung, wobei die Datenlage – das muss man berücksichtigen – sehr ungenau ist, weil das ganze Thema sehr schambesetzt ist und von ei ner hohen Dunkelziffer auszugehen ist.
Bekannt ist, dass Männer eher zur Alkoholkrankheit neigen und Frauen eher medikamentenabhängig werden. Die Stel lungnahme des Ministeriums macht deutlich, wie wichtig die Enttabuisierung von Sucht, besonders im Alter, ist. Das Spre chen darüber ist bereits der Beginn einer Prävention der Ab hängigkeit. Außerdem wird in der Stellungnahme klar, dass zielgruppenspezifische und vernetzte Prävention eine hohe Wirksamkeit haben und Einzelmaßnahmen oft verpuffen.
Altenhilfe, Medizin und Suchthilfe müssen zusammenarbei ten und sich auch im Hinblick auf Suchterkrankungen weiter bilden. Wenn nur 15 % der Heimbewohner, die psychoaktive Medikamente einnehmen, von Neurologen betreut werden, dann sollte uns das alarmieren. Ärzte müssen als zentrale Case-Manager bei älteren Menschen viel mehr in die Pflicht genommen werden und diese Patienten auch zu Fachärzten, Fachberatern oder speziellen Behandlungen überweisen. Me dikamente wie die erwähnten Benzodiazepine, die ein hohes Suchtpotenzial haben und bei denen allein der körperliche Ent zug mehrere Wochen dauert, dürfen nicht unbegleitet über Jahre hinweg verschrieben werden, nur weil es nicht ausrei chend Therapeuten gibt.
Verantwortlich für die Qualitätssicherung bei den Ärzten sind einerseits die Ärztinnen und Ärzte selbst, andererseits aber auch die Kassenärztlichen Vereinigungen; auch sie tragen Ver antwortung für Best Practice in ihren Tätigkeitsbereichen. Die Kassenärztlichen Vereinigungen müssen viel mehr Zulassun gen für Psychotherapeuten erteilen. Diese leisten einen we sentlichen Beitrag zur Volksgesundheit, auch bei alten Men schen. Wenn z. B. in der Stadt Freiburg siebenmal mehr Psy chotherapeuten arbeiten als im Landkreis Lörrach, erkennt man, dass bei den Kassenärztlichen Vereinigungen dringen
Die Krankenkassen halten sich in ihrer Leistungspflicht bei Rehamaßnahmen oft vornehm zurück. Dabei gibt es gute Hei lungschancen, auch bei Alkoholismus oder Medikamentenab hängigkeit im Alter, wenn fachlich fundiert und vernetzt vor gegangen wird.
Übergänge von einer Lebensphase in eine andere sind immer krisengefährdet, sei dies von der Adoleszenz ins Erwachse nenalter oder vom Erwachsenenalter ins Rentenalter. Deshalb muss Suchtprävention sowohl in jungen Jahren, aber auch in der Abschlussphase des Berufslebens systematisch verankert werden. Es müssen entsprechende Angebote, jeweils zielgrup penspezifisch und an die Situation angepasst, vorhanden sein. Diese Angebote sollen auch den alten Menschen so lange wie möglich eine gesellschaftliche Teilhabe gewährleisten.
Die Landesstiftung Baden-Württemberg hat sich der Thema tik „Sucht im Alter“ dankenswerterweise angenommen und wird nun eine zweite Sequenz zu diesem Thema einläuten. Ich rege an, dass die Ministerin im Sozialausschuss über die Er kenntnisse der Stiftung und die weiteren Maßnahmen zu die sem Themenfeld berichtet.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sucht im Alter und Sucht allgemein sind Ta bus in unserer Gesellschaft. Aufgrund des demografischen Wandels stehen wir natürlich auch hinsichtlich der Fälle, die uns bevorstehen oder die heute schon stattfinden, vor einer ganz anderen Situation. Ich denke, auch in der Öffentlichkeit wird dieses Thema viel zu wenig beleuchtet. Umso besser ist es, dass dieser Antrag gestellt worden ist und wir heute darü ber reden können. Denn normalerweise erlebt man die Schlag zeile „Sucht im Alter“ eigentlich nur, wenn Helmut Schmidt wieder einmal illegalerweise irgendwo auf einer Veranstal tung geraucht hat.
Das ist eigentlich auch kein Thema, über das man lachen soll te, weil wir gerade dabei mit Menschen zu tun haben, die na türlich nicht mehr so stark in soziale Strukturen eingebunden sind, wie es Menschen sind, die im Erwerbsleben stehen, bei denen eventuell noch die Familie zu Hause ist und die Kinder nicht woanders wohnen, oder Menschen, die nicht verwitwet sind. Bei Menschen, bei denen es bedingt durch den Übergang in die Rentenphase zu großen Umwälzungen kommt, ist das oftmals auch mit einem Verlust von sozialen Kontakten ver bunden.
Das hat natürlich zur Folge, dass die soziale Kontrolle und auch die Solidarität des Umfelds, mit dem man täglich zu tun
hat, einfach abnehmen, wodurch jemand, der in eine Sucht problematik kommt und sich zurückzieht, nicht so schnell auf fällt. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir gerade auf die se Bevölkerungsgruppe einen ganz sensiblen und intensiven Blick haben. Deswegen ist – das wurde von den Vorrednern schon angesprochen – auch das vernetzte Vorgehen in diesem Bereich von ganz großer Bedeutung.
Daher ist es wichtig, dass die Hausärzte sensibilisiert sind. Denn zum Arzt geht man auch, wenn man sich zurückzieht. Gerade ältere Menschen gehen aufgrund ihrer körperlichen Gebrechen regelmäßig zum Arzt. So können gerade die Ärz te, wenn sie so etwas wie Alkoholismus oder Medikamenten missbrauch feststellen, am schnellsten wirken, indem sie die Betroffenen ansprechen und Hilfemöglichkeiten aufzeigen. Auch die Pflegestützpunkte – auch dies ist schon angespro chen worden – haben eine ganz wichtige Aufgabe.
Man muss auch dazusagen: Es sind natürlich auch ganz klar die Kassen zuständig. Auch diese haben an dieser Stelle ihre Aufgabe zu erfüllen und sich auf gesellschaftliche Rahmen bedingungen einzulassen.
Das Sozialministerium und die Landesregierung haben sich durch die eingesetzte Arbeitsgruppe Suchtprävention dieser Thematik ganz aktuell gewidmet, wie man auch aus der Stel lungnahme zum Antrag ersehen kann. Es wurden schon Mo dellprojekte auf den Weg gebracht – auf Landesebene und auch auf Bundesebene –, deren Ergebnisse derzeit evaluiert werden. Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns diesem Thema regelmäßig stellen.
Es geht nicht darum, der 95-jährigen Dame ihr abendliches Glas Rotwein zu verbieten oder da irgendwie präventiv wir ken zu wollen. Vielmehr geht es darum, gesellschaftliche und soziale Isolation zu bekämpfen und auch auf diese Schatten bereiche Licht zu werfen. Das haben wir auch mit der heuti gen Debatte getan. Deswegen bedanke ich mich recht herz lich dafür.
Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank an die CDU-Fraktion für den Antrag, weil er ein Thema in den Fokus nimmt, das im gesellschaftlichen Leben oft tabuisiert wird.
Die Einschätzung, dass eine steigende Zahl älterer Menschen ein süchtiges Verhalten aufweisen, wobei jedoch nur ein ge ringer Teil überhaupt wahrgenommen wird, können wir, glau be ich, festhalten.
Es gibt zwei vorherrschende Grundhaltungen beim Thema „Sucht im Alter“. Zum einen besteht sowohl im professionel len Umfeld als auch bei den Angehörigen eine große Scheu, über abhängiges Verhalten mit den Betroffenen zu sprechen, und zum anderen hält sich beharrlich die Fehleinschätzung, dass Veränderungen der Lebensgewohnheiten im Alter nicht mehr möglich seien. Das hängt zum einen vom sozialen Um feld ab, und zum anderen gibt es natürlich eine Vielzahl neu
er Lebensgewohnheiten, auf die schon hingewiesen wurde, beginnend mit dem Ruhestand bis hin zur gesundheitlichen Beeinträchtigung und der Trauerarbeit beim Tod von Partnern, Freunden und Verwandten. Insbesondere bei älteren Frauen gibt es die Gefahr der Einsamkeit.
Wir dürfen nicht vergessen, dass bei diesem Thema in der Fol ge natürlich durch die Solidargemeinschaft eine erhebliche Kostenlawine zu tragen ist. Vom Kollegen Frey wurde darauf hingewiesen, dass bei Männern tendenziell eher das Thema Alkoholabhängigkeit und bei Frauen tendenziell eher das The ma Medikamentenabhängigkeit eine Rolle spielt. Es ist nicht zu unterschätzen, dass in der Praxis der Altenpflege gerade das Thema Suchterkrankungen eine ganz wichtige und we sentliche Rolle spielt. Nur 15 % der Pflegekräfte sagen jedoch, dass sie wissen, wie man damit umzugehen hat. Das zeigt, wie groß die Herausforderung ist. Ich glaube, das ist auch ein The ma, das wir in der Enquetekommission zu beleuchten haben, weil wir durch die demografische Entwicklung einen deutli chen Zuwachs in diesem Bereich verzeichnen.
Wir brauchen eine verstärkte Prävention und eine engere Zu sammenarbeit aller Beteiligten im Bereich der Gesundheits berufe. Ich darf Herrn Hansjörg Böhringer, den Vorsitzenden der Landesstelle für Suchtfragen, zitieren, der am 1. Oktober des vergangenen Jahres, am Tag der älteren Menschen, gesagt hat – ich zitiere –:
Gerade ältere Menschen haben eine sehr gute Chance, die Sucht zu überwinden. Dafür müssen wir sie erreichen, und das geht nur, wenn Medizin, Altenhilfe und Suchthil fe an einem Strang ziehen.
Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass es nichts mehr bringen wür de, der Sucht im Alter zu begegnen. Wir befinden uns ja jetzt in der Fastenzeit. Da ist es doch eine Motivation, wenn man weiß, dass sich, wenn man mit dem Rauchen aufgehört hat, das Herzinfarktrisiko bereits 24 Stunden später reduziert und sich bereits nach fünf Jahren das Lungenkrebsrisiko halbiert hat. Das ist doch ein Argument, um jetzt in der Fastenzeit al le hier zu motivieren, die sich vielleicht mit dem Gedanken tragen, mit dem Rauchen aufzuhören. Schon nach 24 Stunden stellen sich positive Effekte ein.
Wenn das dazu beiträgt, den einen oder anderen hier im Ple num zu motivieren, freut es mich schon, dass Sie mir Ihre Auf merksamkeit geschenkt haben.
Wir wollen die Gesundheitskompetenz der älteren Menschen stärken. Es gibt zahlreiche Modellprojekte, auf die in der Stel lungnahme zum Antrag hingewiesen wurde. Das macht Mut. Auch wir von der FDP/DVP-Landtagsfraktion können die Landesregierung nur bestärken, den Fokus auf das Thema „Sucht im Alter“ zu lenken.
Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank an alle Sprecherinnen und Sprecher der Frak tionen. Ich denke, wir haben uns zu dieser späten Stunde mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit eines ernsten Themas an genommen. Ich kann nicht erkennen, dass wir ein Thema wie „Sucht im Alter“ einem parteipolitischen Dissens unterstellen würden, sondern ich sehe, dass wir hier alle gemeinsam an ei nem Strang ziehen.
Insgesamt gilt: Wenn Menschen älter werden, gibt es viele neue Herausforderungen – manch einer hier in diesem Raum wird sie auch kennen –, auf die sich der oder die Einzelne ein stellen muss, sei es der Eintritt in den Ruhestand mit weniger Einkommen und neuem Tagesablauf, sei es das Nachlassen der eigenen Kräfte und Gesundheit oder sei es der Verlust des Partners oder der Partnerin.
Insgesamt denke ich, dass man schon sagen kann: Das Älter werden an sich stellt eine große Umbruchsituation dar, wie andere Umbruchphasen im Leben auch, die den Menschen je weils ganz besondere Anpassungsleistungen abverlangen. Dies kann natürlich auch Auswirkungen auf den Umgang mit Suchtmitteln haben.
Während bei jüngeren Menschen Sucht häufig sichtbar wird – denken wir an Bilder und Fernsehsendungen, die zeigen, wie jüngere Menschen nach hohem Alkoholkonsum in die Schockräume gebracht werden oder Ähnliches –, entwickelt sich Sucht im Alter langsam und oft auch im Geheimen. Wir müssen auch sagen: Sucht entwickelt sich bei Frauen und Männern unterschiedlich und – auch das kommt hinzu – im Alter potenziert. Während bekannt ist, dass Männer gern in der Öffentlichkeit Alkohol trinken, machen es die Frauen zu Hause, in der einen Hand das Bügeleisen und in der anderen das Gläschen.
Ich denke, wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass Sucht im Alter die Menschen vor andere Herausforderungen stellt. Der Körper reagiert anders. Der Stoffwechsel ist langsam. Dinge, die man früher vielleicht gut vertragen hat, sind im Al ter vielleicht nicht mehr so gut verträglich.
Dazu trägt sicherlich noch folgender Umstand bei: Wenn der ältere Mensch keine geregelte Tagesstruktur bzw. keinen ge regelten Ablauf mehr hat, der die entsprechende Pflicht erfor dert, dann greift er sicherlich insbesondere dann, wenn er ein sam ist, leichter zu dem Tablettchen oder auch zu dem ent scheidenden Viertele zu viel.
Deswegen ist es wichtig, sich des Themas „Sucht im Alter“ anzunehmen. Insofern bin ich Ihnen dankbar, dass Sie bereits die vielfältigen Maßnahmen zur Prävention und zur Therapie von Suchtverhalten im Alter dargestellt haben und auch aner kennen, wie das Sozialministerium tätig ist. Denn das Thema „Sucht im Alter“ ist aktuell ein Schwerpunkt der vom Sozial ministerium im Jahr 2010 eingesetzten Arbeitsgruppe Sucht