Protocol of the Session on March 27, 2014

Eines gilt es dabei vor allem zu bedenken: Wir sprechen hier nicht vergangenheitszugewandt oder nur bezogen auf die Ge genwart, sondern wir sprechen hier über die zukünftige Inf rastruktur für die steigende Zahl von Menschen, die pflegebe dürftig werden und die in sehr hohem Alter oft auch eine de menzielle Erkrankung haben. Denn Demenz ist die Schlüs selerkrankung der Hochaltrigkeit und wird für unsere Gesell schaft sozial und emotional noch eine große Herausforderung werden, bis wir so weit kommen, zu akzeptieren und auch zu integrieren, dass Demenz der natürliche Teil einer älter wer denden Gesellschaft ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir gehen mit dem Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz einen Weg, den Heraus forderungen der Zukunft mit dem Mut der Veränderung zu be gegnen und mit neuen Konzepten individuelle Lösungen an zubieten.

Um in der ganzen Diskussion über die Wohngemeinschaften und deren Ausgestaltung eines nicht zu vergessen: Selbstver ständlich bleiben unsere stationären Einrichtungen das Rück grat in der Versorgung der Menschen mit Behinderungen und mit Pflegebedarf.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Auch im Bereich der Menschen mit Behinderungen kommen weitere Veränderungen in der Lebenswirklichkeit hinzu. So erfordert der Konversionsprozess, dass sich auch Träger sta tionärer Einrichtungen vermehrt kleinformatigen Wohnfor men mit überschaubaren Strukturen zuwenden. Denn Bewoh nerinnen und Bewohner wollen auch im stationären Kontext verstärkt eine häusliche Atmosphäre, sie wollen Zusammen gehörigkeit und vertraute Lebensformen.

Mir ist es ganz wichtig, an dieser Stelle auch noch einmal zu sagen, dass ambulant und stationär nicht länger zwei Gegen pole in räumlich und gesetzlich getrennten Welten bilden dür fen, sondern dass ihre Übergänge fließend sind, dass man manches nicht mehr so trennen kann, wie es in der Vergan genheit der Fall war. Ich denke, Beispiele hierfür gibt es in der Praxis bereits genug, und es sind nicht die schlechtesten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, den Blick immer wieder auf die Belange und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner zu richten ist ein besonderes Anliegen im Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz; denn für zukünftige Be wohnerinnen und Bewohner ist es immens wichtig, sich ei nen Eindruck über ihr zukünftiges Lebensumfeld zu verschaf fen und auch entsprechende Informationen zu erhalten. Des halb müssen Träger stationärer Einrichtungen ihren Prüfbe richt zukünftig auslegen und möglichen Interessenten auf An trag eine Kopie aushändigen, sodass im Sinne des Verbrau cherschutzes auch vom künftigen Bewohner oder von der Be wohnerin oder den Angehörigen entsprechend bewertet wer den kann, ob eine Einrichtung infrage kommt oder nicht.

Wichtig ist mir ebenfalls, den bürokratischen Aufwand zu ver ringern. Auch dies ist in diesem Kontext sehr wichtig, denn personelle Ressourcen sollten möglichst umfassend den Be wohnerinnen und Bewohnern zugute kommen. Deshalb wer den wir die Zusammenarbeit der Prüforgane in der Pflege, al so des Medizinischen Dienstes und der Heimaufsicht, erstmals um die Möglichkeit erweitern, ihre Prüfungen strukturiert und auch zeitlich besser aufeinander abgestimmt durchzuführen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte, dass wir in Baden-Württemberg ein tragfähiges und dynamisches Netzwerk von Wohn- und Versorgungsangebo ten schaffen, das allen Menschen im Alter und Menschen mit Behinderung individuelle Lösungen anbietet. Das Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz fördert eine Vielzahl von innova tiven Wohnformen, es stärkt das zivilgesellschaftliche Enga gement und schafft so die Voraussetzung dafür, dass Men schen so lange wie möglich in ihrer vertrauten Umgebung le ben können, damit sie dort, wo sie gelebt haben, in dem Stadt viertel, in dem Ort, auch alt werden können.

Ich darf Sie deshalb um Unterstützung für diesen Gesetzent wurf bitten. Damit bringen wir wirklich etwas auf die Bahn, was schon lange gefehlt hat und was in der Zukunft auch Be stand haben wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Aussprache hat das Präsidium eine Rede zeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Rüeck.

Herr Präsident, sehr ge ehrte Damen und Herren! Heute könnte ein guter Tag für die Pflege in unserem Land sein – ist es aber nicht.

(Zuruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Nur Lob habe die Ministerin bei der Vorstellung der ersten Fassung des Gesetzentwurfs erfahren. Aber wie sieht es wirk lich aus? In einem Sturm der Kritik wurde die erste Fassung von den Trägern, von den Betroffenen regelrecht zerpflückt. Über 1 000 Seiten Stellungnahmen sind eingegangen, und nur wenige davon waren positiv.

Jetzt liegt der Gesetzentwurf dem Landtag endgültig vor. He rausgekommen ist ein Werk, das nach wie vor in weiten Tei len an den Realitäten und vor allem an den Bedürfnissen der Menschen im Land vorbeigeht.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Jetzt aber!)

Frau Ministerin, egal, wie oft Sie es auch bestreiten mögen: Wohngemeinschaften mit nur acht Personen sind finanziell nicht tragbar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Sie haben recht: Qualität ist in der Pflege das Wichtigste; aber Qualität muss sich insbesondere in diesem Bereich auch fi nanzieren lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Eine Wohngemeinschaft nach WTPG-Prägung kostet künftig mehr als eine stationäre Einrichtung. Aber in diesen stationä ren Einrichtungen sind doch schon heute bis zu 40 % der Be wohner auf die Finanzierung ihres Heimplatzes durch die So zialhilfe angewiesen.

Was ist denn das für ein Gesetz, das einerseits neue Formen des Zusammenlebens fördern soll, aber andererseits von vorn herein weite Teile der Bevölkerung aus Kostengründen aus schließt?

Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist vor allem auch durch Misstrauen geprägt. Wie sehr Grün-Rot Lösungen in Kombination mit Gemeinden und Trägern der Pflege miss traut, wird schon an der sogenannten Bestandsschutzregelung sichtbar.

In einer Pressemitteilung des Sozialministeriums steht:

Die wenigen im Land bestehenden bürgerschaftlich aus gerichteten WGs, wie etwa in Eichstetten oder Ostfildern, haben in ihrer heutigen Konzeption in jedem Fall Be standsschutz.

Das ist für die genannten Standorte prima; denn sie funktio nieren hervorragend. Aber weshalb – das ist die entscheiden de Frage – ist das nur bei den bereits bestehenden Einrichtun gen möglich? Warum wurden diese erfolgreichen Modelle nicht als Muster genommen und im ganzen Land umgesetzt,

(Abg. Manfred Lucha GRÜNE: Sind sie doch!)

anstatt sie für die Zukunft auszuschließen? Frau Ministerin Altpeter, ich frage Sie: Was haben Sie eigentlich gegen die Modelle in Ostfildern und Eichstetten?

(Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: Nichts! – Abg. Manfred Lucha GRÜNE: Wir haben sie gesichert!)

In Ihrer Rede habe ich bisher nichts dazu gehört.

Meine Damen und Herren, eine Grundaussage des neuen Ge setzes ist, dass in dem Moment, in dem in einer Wohn- oder Seniorengemeinschaft z. B. die Kommune oder ein Träger der Altenpflege organisatorisch tätig wird, das Heimrecht gilt. Das bedeutet, dass deutlich mehr Personal vorgehalten werden muss.

(Ministerin Katrin Altpeter: Sorry, das stimmt nicht! – Abg. Manfred Lucha GRÜNE: Das stimmt doch nicht!)

Und das wiederrum bedeutet konkret ganz erhebliche Zusatz kosten für die zu Pflegenden.

Frau Ministerin, ich frage Sie: Wie sollen denn die Kosten die ser WG, die von einer kleinen Kommune oder Sozialstation betrieben wird, geschultert werden? Wie soll denn das von den wenigen Bewohnern finanziert werden? Wieso lassen Sie nicht zu, dass durch anerkannte Träger wie z. B. Kommunen oder kirchliche Sozialstationen Modelle umgesetzt werden dürfen, die schon jetzt qualitativ sehr gut sind und die für die Menschen trotzdem bezahlbar bleiben?

(Glocke des Präsidenten)

Gestatten Sie eine Zwi schenfrage des Herrn Abg. Hinderer?

Sehr gern, aber am Ende.

(Heiterkeit des Abg. Rainer Hinderer SPD)

Diese Träger werden schon jetzt vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung überwacht. Wieso bedarf es dann zusätzlich noch des Heimrechts?

Ich weiß: Gerade wird versucht, das Heimrecht und seine An wendung kleinzureden, indem man sagt: „Wir stufen die Ein griffe in der Heimaufsicht ab, je nachdem, wie selbstständig die Bewohner den Alltag und die Pflege regeln.“ Aber das ist doch gar nicht das Problem. Vielmehr stellt sich die Frage: Welche räumlichen, personellen und organisatorischen Anfor derungen sind dann bei den WGs einzuhalten? Werden das die gleichen Anforderungen sein wie in Häusern mit 50 Bewoh nern? Genau diese Anforderungen halten wir und viele ande re dann für unerfüllbar, und das halten wir vor allem für nicht bezahlbar.

Frau Ministerin, das, was Sie heute dem Landtag vorgelegt haben, haben weder die pflegebedürftigen Menschen in unse rem Land noch die etablierten und zuverlässigen Träger ver dient.

(Staatssekretär Ingo Rust: Was?)

Ihr Gesetz ist geprägt von Misstrauen gegenüber Kommunen und Trägern.

(Staatssekretär Ingo Rust: Unsinn!)

Es ist in der Umsetzung unpraktikabel. Es macht die Pflege teurer und dadurch für viele unbezahlbar.

(Staatssekretär Ingo Rust: Unsinn! – Abg. Bärbl Mie lich GRÜNE: Sagen Sie mal!)