Wir erfahren aus der Wirtschaft, aus den Reihen von Hand werk und Verbänden, vonseiten der Betriebe, dringende Ap pelle, uns dieser Sache nicht anzudienen und keinen solchen Zungenschlag, keine solche schrille Note hineinzubringen. Herr Hauk, Sie haben dieser Versuchung nicht widerstehen können. Ich würde mir von Ihnen in der zweiten Runde wün schen,
dass Sie von dieser Position deutlicher abrücken, als Sie dies bisher getan haben. Denn ich glaube, Sie haben sich damit keinen Gefallen getan.
Sehr geehrter Herr Präsident, wer te Kolleginnen und Kollegen! Ich darf ein paar Gedanken zum Thema des heutigen Vormittags äußern. Dieses Thema ist, wie man auch an den Redebeiträgen gemerkt hat, nicht ganz ein
fach zu fassen. Denn dabei kommen ganz unterschiedliche Aspekte hoch. Am Anfang ist man also schon gezwungen, auf das einzugehen, was dabei nun so angekommen ist.
Herr Hauk, ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Ich habe Ihre Rede als ein Hin- und Herschwanken zwischen ökono mischer Einsicht und politischen Ressentiments empfunden. Sie finden Ihre eigene Position nicht. Ich meine, die Position muss die sein, dass die gesellschaftliche Einsicht bestehen muss, dass das, was wir hier besprechen, notwendig ist. Ich sage Ihnen auch: Wir sind hier keine Gutmenschen, sondern wir sind Realisten. Das ist es, worum es hier geht.
Wir tun hier im Land die Dinge, die notwendig sind; auch das will ich sagen. Wenn Sie sagen, die Potenziale würden nicht erschlossen, und das mit einem kurzen Seitenhieb auf die Schulpolitik verbinden, frage ich Sie: Haben Sie jemals von der Fachkräfteallianz gehört, Herr Kollege Hauk? Haben Sie schon einmal davon gehört, dass es über 3 000 Ausbildungs botschafter gibt? Haben Sie gehört, dass wir die Kontaktstel len „Frau und Beruf“ stärken? Haben Sie gehört, dass wir im Ausland gezielte Werbeaktionen machen?
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das wissen wir al les! Aber es bleiben viele Fragen übrig! – Abg. Fried linde Gurr-Hirsch CDU: Das sind Sachen, die wir eingeführt haben!)
Wir tun etwas für die Förderung der Potenziale. – Es gibt noch viel mehr, Herr Röhm. Versuchen Sie doch gar nicht erst, da zwischenzureden.
Es passiert vieles – übrigens gemeinsam –, es passiert etwas. Das darf nicht in Abrede gestellt werden. Wir heben die Po tenziale hier im Land. Das ist das Wichtigste; das ist die ers te Aufgabe.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da bleiben noch welche übrig!)
Baden-Württemberg ist, meine Damen und Herren – ich fin de, das sollten wir hier einmal gemeinsam feststellen –, ein wirtschaftsstarkes Land, und Baden-Württemberg ist ein welt offenes Land. Dies beides kann nicht gegeneinander in Stel lung gebracht werden; vielmehr bedingt sich beides gegensei tig. Darauf kommt es an.
Wenn man diese Einsicht hat und dies umsetzen will, muss man die Köpfe und die Herzen der Menschen erreichen. Da darf man nicht damit anfangen, Kopf und Bauch gegeneinan der auszuspielen. Darum geht es; das will ich Ihnen an dieser Stelle auch einmal sagen.
Unser Land wird keine Rosinenpickerei machen können. Das mag ein Bergvolk versuchen; Deutschland ist die größte Öko nomie in Europa, und Baden-Württemberg ist das wirtschafts stärkste Bundesland, die wirtschaftsstärkste Region in Euro pa – jedenfalls strengen wir uns an, das zu sein. Wir können keine Rosinenpickerei machen.
Ich finde es toll, dass die FDP/DVP eine Aktuelle Debatte zu diesem Thema für die heutige Sitzung beantragt hat. Das ist mutig. Es gibt auch gute Aussagen. Aber es ist ein bisschen rührend, wenn man dann sieht, wie sozusagen das Zentralor gan, der Leuchtturm des Schweizer Freisinns, die „Neue Zür cher Zeitung“, fragt: „Warum seid ihr unseren rationalen Ar gumenten nicht gefolgt?“ So etwas kann man hören. Wenn ich Kolumnist wäre, würde ich sagen: Die Pfeffersäcke haben die Spießbürger verloren.
An den Ereignissen in der Schweiz sieht man – das ist die Er kenntnis –, dass man seine Überzeugungen nicht allein dar auf gründen kann, dass sich das ökonomisch rechnen muss. Vielmehr ist klar: Wir brauchen in unseren hiesigen europäi schen Ökonomien auch soziale Mindeststandards. Wir brau chen einen Mindestlohn, wir brauchen ein Tariftreuegesetz, wie wir es gemacht haben. Das schafft Sicherheit, um sich als Individuum in dieser offener gewordenen Welt tatsächlich gut bewegen zu können. Darum geht es.
Jetzt komme ich in wenigen Sätzen noch einmal auf die Fak ten zu sprechen, damit wir das Thema vielleicht auch einmal eingrenzen können. Der Fachkräftemangel in Baden-Würt temberg ist im Vergleich mit dem im gesamten Bundesgebiet überdurchschnittlich groß. Was wir vor allem brauchen, sind dual ausgebildete technische Facharbeiter. Deswegen noch einmal das Lob der dualen Ausbildung. Auf diese kommt es an, auch mit Blick auf die Werbung im Ausland. Potenzial aus dem Ausland steht als zweite Säule neben dem einheimischen Potenzial zur Debatte. Wir brauchen Ingenieure, Informatiker, Pflegekräfte sowie Erzieherinnen und Erzieher.
Deswegen freue ich mich über diese Debatte. Ich freue mich auch darüber, dass der Ausschuss für Europa und Internatio nales morgen als gemeinsame Initiative über die Mobilität und Mobilisierung von Fachkräften in Europa reden wird. Ich freue mich, dass der Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft in der vorvergangenen Woche in Spanien war und sich diese Themen vorgenommen hat.
Das, was wir derzeit an Fachkräftemangel spüren, mag eine Folge der starken, der guten Konjunktur sein. Aber es scheint schon auf, dass wir uns irgendwann, etwa ab 2020 – Stichwort Demografie –, natürlich mit der strukturellen Frage beschäf tigen müssen: Wie können wir es schaffen, einen attraktiven Standort für Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kom men, zu bieten?
Deswegen ist alles, was wir heute tun, nicht nur ein reines Be dienen von Arbeitspotenzialen. Vielmehr ist es eine wichtige Weichenstellung, welches Signal das weltoffene Baden-Würt temberg nach außen sendet, wie wir selbst sind, damit wir für andere attraktiv sind. Glaubt denn jemand, alle sitzen auf ge packten Koffern, um nach Baden-Württemberg zu kommen? Das ist nicht unbedingt der Fall. Die Frage ist, wie attraktiv Baden-Württemberg ist. Darum geht es im Landtag von Ba den-Württemberg.
Zwischen 2000 und 2009 hatten wir einen Rückgang der Zahl der Beschäftigten, die zugewandert sind, zu verzeichnen. Zwi
schen 2010 und 2013 hatten wir einen Zuwachs von 30 000 Menschen im Jahr. Es sind vor allem Polen, Ungarn und Ru mänen. Die meisten dieser Zuwanderer sind qualifiziert. Ein Zuwachs, Herr Hauk und alle anderen, liegt auch darin, dass unter denen, die im Jahr 2000 zu uns gekommen sind, erst 60 % Fachkräfte waren, während es im Jahr 2013 fast 80 % Fachkräfte sind, Personen, die einen Bildungsabschluss ha ben, der sich in diese Richtung deuten lässt.
Deswegen: Es gibt keine nennenswerte Zuwanderung in die Sozialsysteme. Es gibt eine attraktive Anziehungskraft hier bei uns in Deutschland und in Baden-Württemberg für Fach kräfte, die etwas können. Wir wollen auch, dass sie bei uns sind; denn wir sind auf einen Austausch angewiesen.
Für Baden-Württemberg gilt zudem, dass die Arbeitslosen quote bei den hier lebenden Migrantinnen und Migranten von 8,2 % im Jahr 2010 auf 5,5 % im Jahr 2012 zurückgegangen ist.
Das sind die nackten Zahlen, mit denen wir umgehen müssen. Diese Zahlen taugen nicht dazu, dass jemand – weil in Bay ern bald Kommunalwahlen stattfinden – einfach sagen kann: „Wer betrügt, der fliegt.“ Es ist besser, wenn wir hier in Ba den-Württemberg sagen: Wir wollen alle Menschen bei uns haben, die sich selbst mit ihrer Arbeit verwirklichen wollen – übrigens nicht „rosinengepickt“ nach Berufen; denn ich glau be, dass wir auf Dauer für relativ viele Berufe Personen an ziehen müssen. Das darf man auch nicht vergessen.
Deswegen will ich Ihnen einfach nur sagen, was auf dem Weg ist, was man tun kann. Wir haben, denke ich, auf der Gesetz gebungsseite keine Defizite mehr. Das Zuwanderungsrecht für Fachkräfte von außerhalb der EU ist in Deutschland geregelt. Die Anerkennungsverfahren für im Ausland erworbene Be rufsabschlüsse wurden im Bund im Jahr 2012 geregelt. Bezo gen auf die landesrechtlich zu regelnden Berufe wurde dies, Frau Ministerin, Ende 2013 hier im Landtag vollzogen. Wir haben hier die Hausaufgaben gemacht.
Das Nächste, was zu tun ist, betrifft die Willkommenskultur. Ich freue mich, dass der Innenminister einen Leitfaden für ei ne Willkommenskultur im Verwaltungsalltag herausgegeben hat. Das ist das, was viele der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die zu uns kommen, sozusagen als erste Sta tion sehen.
Ich freue mich, dass sich der dritte Sektor – z. B. alles, was zu Wohlfahrtsverbänden gehört – tatsächlich anstrengt, etwa die Beratungsstellen, wenn es um die Berufsqualifizierung geht.
Die Landesregierung und die sie tragende Koalition machen Pilotprojekte. Wir versuchen, ausländische Studierende in Ba den-Württemberg zu halten; derzeit verlassen 60 % dieser Stu dierenden das Land nach ihrem Studium wieder. Wir versu chen, qualifizierte Menschen, die das Land bereits kennen, die die Sprache kennen, hier zu halten. Wir führen Rekrutierungs maßnahmen im Ausland durch, etwa für Ingenieure oder Fach arbeiter, durch die regionalen Fachkräfteallianzen. Es ist wich tig, dass man dabei so früh wie möglich die Sprache, aber auch die kulturelle Annäherung einbezieht.
Wir haben jetzt die große Initiative in Bezug auf die Welcome Center, die es in ganz Baden-Württemberg geben wird. Wir sind ja gemeinsam der Meinung, dass dies eine gute Sache ist. Die Welcome Center verfolgen sozusagen einen ganzheitli chen Ansatz: Von der Wohnung über die Arbeit bis hin auch zur Schule wird alles gemeinsam betrachtet. Die Welcome Center sind eine wichtige Sache.
Ich sage an dieser Stelle, meine Damen und Herren: Für uns ist wichtig, dass wir das gesamte Bündel von Maßnahmen, das sich auch noch weiterentwickeln wird, in einem Klima der Weltoffenheit in Baden-Württemberg vorantreiben. Die Zu kunft Baden-Württembergs wird nicht allein, Kolleginnen und Kollegen, die sein, dass Menschen in aller Welt sagen: „Na ja, das ist die Exportnation, die die Autos verkauft“, und sie gelegentlich zu uns kommen – Monteure, Personen, die auf Montage sind oder etwas verkaufen wollen. Die Zukunft Ba den-Württembergs ist nicht das Exportland.
Die Zukunft Baden-Württembergs ist das Land der internati onalen Wirtschaft. Hier bei uns wird vieles passieren, was sich auf Export und Import bezieht. Wir sind auf dem Weltmarkt unterwegs und haben Anziehungskraft für Menschen unter schiedlicher Kulturen, an den Hochschulen oder auch in den Berufsstätten, die es in Baden-Württemberg gibt. Baden-Würt temberg wird weltweit eine der stärksten Regionen für den in ternationalen Austausch sein.
Es gibt einen alten Witz von Erwin Teufel: Ein schwäbischer oder badischer Unternehmer, der in Australien Geschäfte macht und am Freitag nicht mehr zurückfliegen kann, sitzt im Hotel in Sydney und jammert: „Jetzt hocke ich hier in Sydney; ich müsste zu Hause eigentlich Bäume schneiden.“
Dieser Witz kommt immer wieder gut an. Aber er entspricht leider nicht mehr der Realität für die Zukunft. Die Realität ist eine ganz andere, nämlich die, dass wir weltoffen sind, dass wir Menschen sind, die sich auch in anderen Teilen der Welt gern bewegen. Dieses Signal auszusenden ist wahnsinnig wichtig. Es ist aber auch wichtig, dies im Selbstverständnis zu haben. Wir werben dafür, Herr Hauk und alle anderen, dass wir nicht das, was unsere ureigenste Führungsaufgabe ist, ver säumen, sondern dass wir die Menschen tatsächlich mitneh men.
Das ist unsere Aufgabe. – Das Mitnehmen heißt: Wir ma chen konkrete Projekte, die Mut machen, die anstecken. Wir haben eine klare politische Haltung, was Toleranz und Welt offenheit in diesem Land angeht. Das ist die wichtigste Vor aussetzung dafür, ein wirtschaftsstarkes Land zu sein. Meine Damen und Herren, ich glaube, das sollte unsere gemeinsame Überzeugung sein.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind uns offenbar darin einig, dass wir Zuwanderung brauchen. Das ist gut; denn dann kön nen wir unsere Energie darauf verwenden, Zuwanderer in Ba den-Württemberg willkommen zu heißen, zu integrieren und uns auch darum zu kümmern, dass das Zusammenleben in die ser vielfältigen Gesellschaft funktioniert, Herr Hauk.
Hoch qualifizierte Fachkräfte sind weltweit begehrt und ge sucht – auch hier; das ist klar. Deshalb muss Baden-Württem berg für diese Menschen ein attraktiver Standort sein. Das macht sich nicht nur am Verdienst fest; denn da gibt es offen bar auch attraktivere Standorte wie z. B. die Schweiz.