Protocol of the Session on January 30, 2014

Man muss dazu wissen, dass wir in der Bundesrepublik einen öffentlichen Sektor haben, der, vor allem im kommunalen Be reich, wesentlich dezentraler und kleinteiliger ist als in ande ren Mitgliedsstaaten. Die Gemeinden haben eine sehr weitge hende Budgethoheit. Das ist auch ein wesentliches Merkmal unseres föderalen Systems, das auch bei den öffentlichen Fi nanzen auf Selbstverwaltung und Eigenverantwortung setzt. Das heißt, wir brauchen ein Rechnungswesen, das diese Selbst verwaltung und Eigenverantwortung tatsächlich abbildet und stärkt.

Jetzt wissen wir natürlich, dass die herkömmliche Kameralis tik, die es in den Kommunen noch gibt, nicht der Weisheit letzter Schluss ist, weil sie eben nur die Einnahme- und Aus gabenrechnung und keine Ertrags- und Aufwandsrechnung aufweist. Daher sind wir in Baden-Württemberg in einem Pro

zess der Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik. Das trägt insgesamt dazu bei, dass das Ganze vollständiger und operationaler wird und man besser vergleichen kann.

Die Kommunen haben für die Umstellung eine Übergangs frist bis zum 1. Januar 2020. In diesen Prozess sind schon vie le Ressourcen hineingesteckt worden; viele Kommunen haben schon umgestellt. Wir sollten diesen Prozess weiterführen und nicht in einen von der EU übergestülpten Prozess eintreten, der vor allem in die Richtung des angloamerikanischen Sys tems geht.

Kollege Herrmann hat einen kleinen Grundsatz aufgegriffen. Ich will gar nicht in die Tiefe gehen. Aber wichtig ist, dass die von der EU beabsichtigte Umstellung nicht nur immense Zu satzkosten verursacht, sondern auch vom Grundsatz her eine Abkehr vom Vorsichtsprinzip nach dem HGB darstellt. Da nach muss man alle vorhersehbaren Risiken und Verluste aus weisen, auch die, die nach dem Abschlussstichtag, nämlich bei der Aufstellung der Bilanz, bekannt sind; die Gewinne sind erst dann auszuweisen, wenn sie tatsächlich realisiert worden sind. Das ist ein ganz wichtiger Grundsatz. Es geht nicht nur um Kosten, sondern es ist ganz wichtig, dass wir inhaltlich an unserem Prinzip festhalten.

Das heißt, wenn wir Europa stärken wollen – das wollen wir in diesem Haus fraktionsübergreifend –, sollten wir den Ein druck vermeiden, den es manchmal in der Öffentlichkeit gibt, dass es ein Europa sei, das Einheit mit Einheitlichkeit ver wechsle. Dass diese formale Einheitlichkeit auch noch mit im mensen Kosten verbunden ist, sollten wir auf jeden Fall ver meiden.

Entscheidend ist, dass beide Ausschüsse – wie gesagt: frakti onsübergreifend – einstimmig beschlossen haben, die Bun desratsinitiative der Landesregierung zu unterstützen, die zum Ziel hat, die Haushaltsautonomie der Länder zu bewahren. Das ist wichtig – selbst wenn es jetzt spät ist und nur wenige Leute hier sind –, denn es geht um die Haushaltsautonomie der Länder.

Einen Punkt aus dieser Bundesratsinitiative will ich noch ein mal hervorheben, nämlich die Forderung gegenüber der Bun desregierung, die Länder fortlaufend zu informieren. Das ist ganz wichtig. Dazu gehört auch, dass wir seitens der Landes regierung informiert werden. Erfreulicherweise haben wir so gar den Landesrechnungshof auf unserer Seite. Es ist schön, dass wir hier fraktionsübergreifend mit dem Landesrechnungs hof einig sind.

Wir können die Landesregierung nur darin bestärken, mit die ser Bundesratsinitiative die Bundesregierung aufzufordern, dass sie unsere Belange, nämlich die Haushaltsautonomie der Länder, in Brüssel vorbringt und dafür eintritt, nicht unnöti ge Systeme einzuführen, die keinen Nutzen haben, sondern nur Mehrkosten verursachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Für die SPD-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Heiler das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr ver ehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Damen, meine Her ren! Es ist schön, dass hier nach zwei langen Plenartagen bei diesem Tagesordnungspunkt eine solche Harmonie besteht. Das ist auch richtig so.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Spielen Sie mit! – Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Man kann natürlich nachvollziehen, dass das, was die EUKommission beabsichtigt, nämlich harmonisierte Rechnungs führungsgrundsätze für den öffentlichen Sektor in den Mit gliedsstaaten einzuführen, zunächst einmal durchaus sympa thisch erscheint. Denn Harmonie wohnt üblicherweise eine tiefe Übereinstimmung inne – im Gleichklang eine Einheit ei ner Vielfalt. Deshalb klingt das angenehm und ästhetisch schön.

Doch bei genauer Betrachtung – meine beiden Vorredner ha ben es erwähnt – sieht man: In dieser Angelegenheit verbirgt sich sehr viel Brisanz. Es ist richtig, dass die Beschlussemp fehlung des Europaausschusses und damit der dort einge brachte Entschließungsantrag nachher einvernehmlich verab schiedet wird. Wir tragen die Beschlussempfehlung natürlich mit.

Ich darf Folgendes jetzt nicht nur als Abgeordneter, sondern auch als Oberbürgermeister der jüngsten Großen Kreisstadt in Baden-Württemberg sagen.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Das muss man auch einmal erwähnen, Herr Röhm, oder? Das ist zu dieser späten Stunde erlaubt.

Wir sind z. B. in Waghäusel dabei, von der Kameralistik auf die Doppik umzustellen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

obwohl ich hier im Landtag lange dagegen gekämpft habe. Aber gut, die Einsicht hat sicherlich gesiegt.

Doch was will ich damit sagen? Wenn wir jetzt zusätzlich noch auf die Rechnungsführung auf der Basis von EPSAS um stellen müssen, weiß ich nicht, wo man dann noch die Man power herholen soll. Das funktioniert überhaupt nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das hat einen ganz prak tischen Grund: Wir bekommen das in den Kommunen nicht geregelt, und wir wollen es auch nicht geregelt bekommen, denn wir finden, dass diese Umstellung vollkommen unnötig ist.

Kollege Herrmann hat angesprochen, dass die kommunalen Landesverbände von Baden-Württemberg aktiv werden sol len. Ich will darauf hinweisen, dass die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände in Deutschland bereits 2012 im Rahmen einer öffentlichen Befragung der EU-Kommissi on bzw. von Eurostat große Skepsis geäußert hat, ob die Ein führung der geplanten EPSAS-Standards notwendig bzw. die neue Rechnungsführungssystematik auf öffentliche Haushal te überhaupt anwendbar sei.

Ich darf zitieren:

Die Zielorientierung zweier unterschiedlicher Wirt schaftssysteme ist und bleibt unabhängig vom Buchungs stil nebeneinander bestehen, nämlich im privatwirtschaft lichen Bereich die Gewinnmaximierung und im öffentlichrechtlichen Sektor die Aufgabenerfüllung und eine Da seinsvorsorge für die Bürgerinnen und Bürger. Ob kon gruente Standards für beide Systeme zielführend und er strebenswert sind, kann durchaus differenziert und kont rär beurteilt werden.

Ich will damit sagen: Der Staat hat eine ganz andere Aufga be, eine ganz andere Funktion – das fängt unten bei den Kom munen an – als die Wirtschaft – das ist auch gut so –, aber des halb sind die beiden Systeme der Rechnungsführung nicht un bedingt identisch und dürfen es auch nicht sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Die kommunalen Spitzenverbände haben weiter ausgeführt:

Es ist vielmehr zwingend notwendig, die Ursachen für die Defizite in der haushaltspolitischen Überwachung aus den einzelnen europäischen Staaten exakt zu eruieren und diese zu eliminieren.

Es wird bezweifelt, dass allein die Einführung der EPSAS die Finanzberichterstattung an Eurostat valider macht.

Die Bilanzskandale

jetzt kommen wir zu einem entscheidenden Punkt –

der letzten 15 Jahre in der Privatwirtschaft haben gezeigt, dass bei zum Teil vorsätzlicher Falschbewertung von Ver mögens- und Schuldenpositionen auch gemeinsame inter nationale Rechnungslegungsvorschriften Finanzkrisen nicht verhindern. Bilanzierungsregeln können umgangen und auch Bilanzausweise können manipuliert werden.

So der Spitzenverband.

Diese Skepsis, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nachvoll ziehbar. Sie wird nicht kleiner, wenn man bedenkt, dass wir hier in Deutschland auf Länderebene mit der staatlichen Dop pik bereits ein vollständig ausgearbeitetes Regelwerk zur Ver fügung haben. Es wurde bereits mehrfach erwähnt, dass in Ba den-Württemberg bis 2020 in den Kommunen die Doppik ein geführt werden soll.

Wenn man dann die Kosten vergleicht – auch das wurde be reits erwähnt; ich will es nur nochmals unterstreichen –, er kennt man, dass allein in Baden-Württemberg mit Kosten von bis zu 390 Millionen € zu rechnen ist. Da muss man sich fra gen: Wo, bitte schön, ist bei diesen enormen Kosten eigent lich der Nutzen?

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Ich glaube, auch wenn man nur sehr einfach darüberschaut, erkennt man, dass es für diese Kosten keinen angemessenen Nutzen geben wird.

Letztlich darf ich noch darauf hinweisen, dass das Ganze auch verfassungsrechtlich durchaus interessant ist. Die gemeinsa me Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg, Niedersach sen und Rheinland-Pfalz weist zu Recht darauf hin, dass die Bud gethoheit der Länder im föderalistisch aufgebauten Deutsch land ein fundamentales und in unserer Verfassung veranker tes Recht ist.

Wir werden deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Entschließungsantrag zustimmen.

Die Botschaft nach Berlin bzw. nach Brüssel ist klar: Die Haushaltsautonomie der Länder – insbesondere auch die des Landes Baden-Württemberg – ist unantastbar. Die Länder po chen auf das ihnen zustehende Recht auf frühestmögliche und umfassende Beteiligung und Information.

Ich wünsche mir, dass es uns auch bei diesem finanziell und verfassungsmäßig heiklen Thema gelingt, eine Lösung zu fin den, die die Rechte unseres Landes, unserer Kommunen und andererseits auch den europäischen Gedanken stützt und vo ranbringt.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU und der Grünen – Abg. Georg Nelius SPD: Sehr gut, Walter!)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich das Wort Herrn Abg. Grimm.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle vier Fraktionen haben in der Sitzung des Europaausschusses, die in der letzten Woche statt gefunden hat, einen gemeinsamen Antrag eingebracht, der in wohlfeilen Worten eigentlich nur eines bedeutet: Der Land tag will, dass die von der EU beabsichtigte Maßnahme nicht umgesetzt wird.

Ich denke, meine Vorredner haben bereits geschildert, worum es geht. Über die Kosten – bis zu 390 Millionen € – haben wir auch schon gesprochen.

Meine Damen und Herren, in Baden-Württemberg gibt es be reits Regelungen für die kaufmännische Rechnungsführung. Kommunen wenden bereits die Doppik an, und das Land er arbeitet eine weitere Vermögensrechnung. Es stimmt: Ande re Länder – z. B. Hamburg – sind weiter. Als erstes Flächen land ist Hessen dabei. Es hat die Doppik bereits eingeführt. Diese Länder haben aber auch viele Erfahrungen gemacht, von denen andere jetzt profitieren können.

Die von der Kommission angestrebten einheitlichen Rech nungsführungsstandards setzen eine auf allen staatlichen Ebe nen der Mitgliedsstaaten praktizierte kaufmännische Buch führung voraus. Die Einführung würde dort, wo bisher ledig lich kameralistisch gebucht wird, sehr viel Zeit beanspruchen und erhebliche Kosten verursachen. Deutschland wäre in be sonderem Maß von der Pflicht betroffen – die entsprechenden Summen haben wir auch schon gehört –, auf die kaufmänni sche Buchführung umzustellen, weil der Bund und die meis ten Bundesländer eben bisher an der kameralistischen Buch

führung festgehalten haben. Dies allein, meine Damen und Herren, wäre schon ein Grund, das Verlangen der EU-Kom mission abzulehnen.

Der wesentliche Unterschied zwischen dem geplanten EUSystem und der in Deutschland praktizierten Rechnungsle gung ist, dass sich die Vermögensbewertung auf der Grund lage des EU-Vorschlags nicht am deutschen Handelsgesetz buch, sondern am angloamerikanischen System orientieren würde; auch das wurde schon angesprochen. Dieses System stellt bei der Vermögensbewertung auf den Zeitwert ab. Eine Vermögensbewertung nach dem Vorsichtsprinzip des Handels gesetzbuchs ist zurückhaltender und damit krisenresistenter.