Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 9. Sitzung des 15. Landtags von Ba den-Württemberg und bitte Sie, Platz zu nehmen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Gäste auf der Zuhö rertribüne! Heute vor 67 Jahren wollten Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Mitverschwörer durch ein Atten tat auf Hitler die Nazibarbarei beenden und – so ihre Worte in einer vorbereiteten Erklärung – „die vollkommene Majestät des Rechts wiederherstellen“. Der 20. Juli 1944 war der tra gische Höhepunkt im Aufbäumen gegen die nationalsozialis tische Verbrechensherrschaft. Das Datum ist deshalb zum In begriff des deutschen Widerstands geworden.
Gerade wir als Parlament sollten heute unser Tagwerk nicht routinemäßig beginnen, sondern bewusst innehalten und aller gedenken, die der braunen Flut aus Propaganda, fehlgeleite ter Begeisterung und missbrauchten Tugenden trotzten und sich nicht der Allgegenwart despotischer Unterdrückung und opportunistischen Gehorsams beugten, die vielmehr dank ei ner außergewöhnlichen persönlichen Stärke ihr individuelles Empfinden für Recht und Gerechtigkeit, für Anstand und Hu manität aufrechterhielten oder zu ihm zurückfanden und die dann auch noch die Kraft hatten, ihrem Gewissen tatsächlich zu folgen – ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit, die ei gene Freiheit, das eigene Leben.
Durch ihr Urteilsvermögen, ihre Zivilcourage und ihre Bereit schaft zur letzten Konsequenz legten diese Frauen und Män ner des Widerstands ein Kernstück des ideellen und morali schen Fundaments, auf dem unsere Demokratie nach dem Kriegsende standsicher wiedererrichtet werden konnte und von dem aus Deutschland schaffte, was der amerikanische Au ßenminister Byrnes schon 1946 in seiner legendären Stuttgar ter „Rede der Hoffnung“ skizziert hatte, nämlich schnell auf einen „ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt“ zurückzufinden.
Das Erinnern an den 20. Juli will integrieren. Es hat ein über greifendes Selbstverständnis. Wir gedenken also heute nicht allein jener, die den Umsturzversuch vor 67 Jahren geplant und gewagt hatten: Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Lud wig Beck, Dietrich Bonhoeffer, Pater Alfred Delp, Carl Fried rich Goerdeler, Julius Leber, Jakob Kaiser, Wilhelm Leusch ner, Eugen Bolz – um nur wenige Namen stellvertretend für mehr als 5 000 Verhaftete und über 200 Hingerichtete nach dem 20. Juli 1944 zu nennen. Wir verneigen uns heute eben so dezidiert vor den Mitgliedern des „Kreisauer Kreises“ um Helmuth James Graf von Moltke, der „Weißen Rose“ um die Geschwister Scholl, der „Roten Kapelle“ oder des „Freibur ger Kreises“. Und wir denken an den einsamen, aber weitbli
Sie alle haben in der schlimmsten Phase unserer Geschichte durch ihren persönlichen Charakter ethische Maßstäbe gesetzt. Ihre Schicksale sind ein Vermächtnis, das uns permanent mahnt: Stärkt den Rechtsstaat! Unterbindet alle Versuche, rechtsfreie Räume zu schaffen! Sorgt dafür, dass das Wider standsrecht stets im Lichte der Geschichte gesehen und im Sinne des Grundgesetzes begriffen wird! Zeigt im Großen wie im Kleinen, dass der Staat um des Menschen willen da ist und nicht der Mensch um des Staates willen!
Es gilt, immer wieder zu erhärten: Keine Idee steht über der Würde und der Unverletzlichkeit des Einzelnen. Niemand darf totalitär nach den Menschen greifen und die Herrschaft des Rechts an sich reißen wollen. Diese Prinzipien sind Teil un serer Staatsräson. Unsere Aufgabe ist, das im politischen All tag immer wieder deutlich zu machen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, nun kommen wir zur Tagesordnung unserer 9. Sit zung des 15. Landtags.
Dienstlich verhindert sind Frau Staatsrätin Erler und ab 15:30 Uhr Frau Ministerin Öney. Dienstlich verhindert ist außerdem ab 14:00 Uhr Herr Minister Bonde. Am Samstag hat sein drit ter Sohn das Erdenlicht erblickt. Wir gratulieren dazu ganz herzlich.
Aber um den Ausgleich zwischen Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen zu schaffen: In dieser Nacht kam Ame lie zur Welt, die Tochter von Stefan Teufel. Er kann deswegen heute nur bedingt und befristet hier sein. Wenn er schon hier sein sollte, dann Gratulation!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der SPD für eine Nachbesetzung im Petitionsausschuss (Anlage). – Ich stelle fest, dass Sie die ser Nachbesetzung zustimmen.
Ein Zweites vor Eintritt in die Tagesordnung: Unter Punkt 3 unserer Tagesordnung sind die Zweite und Dritte Beratung ei nes Gesetzentwurfs zur Änderung der Landesverfassung vor gesehen. Sie sind gemäß § 50 unserer Geschäftsordnung mit dieser Fristverkürzung zwischen Zweiter und Dritter Beratung einverstanden. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Aktuelle Debatte – Gutes Klima für Forschung und Leh re an unseren Hochschulen – beantragt von der Fraktion GRÜNE
Für die Aktuelle Debatte gilt eine Gesamtredezeit von 40 Mi nuten. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht ange rechnet. Für die einleitenden Erklärungen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Mi nuten.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, sehr geehr te Damen und Herren! Die Hochschulen in Baden-Württem berg sind Orte der Lehre und der Forschung. Beides gehört zum Wissenschaftsbetrieb im Land. Praktiziert wird diese Wissenschaft an den Universitäten, an den Hochschulen für angewandte Wissenschaft, an den künstlerischen Hochschu len, an den vielen Standorten der Dualen Hochschule und, nicht zu vergessen, an den konfessionellen und den privaten Hochschulen. Das ist ein breites Spektrum, in dem Wissen ge lehrt, aber auch geforscht wird.
In Baden-Württemberg stehen die Hochschulen für Bildung und für Fortschritt, für die Ausbildung von hoch qualifizier ten Fachkräften, für geistigen Reichtum und Erfindergeist, für technischen Fortschritt, Know-how und zahlreiche Innovati onen.
Doch stellt sich die Frage: Herrscht an unseren Hochschulen nur eitel Sonnenschein? Wurde die bisher angepriesene Qua lität von Lehre und Forschung nicht längst auch von dunklen Wolken schlechter Rahmenbedingungen überschattet?
Mit Blick auf die Zukunft von Baden-Württemberg als Hoch schulstandort kann man sagen: Wir müssen dringend strate gisch klug und nachhaltig handeln, um den spürbaren Klima wandel an unseren Hochschulen abzuwenden. Dieses Klima hängt insbesondere von der Qualität der Lehre und der For schung ab. Dafür brauchen wir entsprechende Rahmenbedin gungen: Rahmenbedingungen, die gut sind für die Lehrenden, für die Forschenden und natürlich für die vielen Studierenden.
Die Situation für die Lehrenden an unseren Hochschulen ge staltet sich derzeit folgendermaßen: Ein großer Teil der Leh re wird vom akademischen Mittelbau geleistet. „Mittelbau“ bedeutet oftmals befristete Stellen in Abhängigkeit von Pro jektmitteln. Die Menschen, die dort arbeiten, stellen unseren wissenschaftlichen Nachwuchs dar. Mit anderen Worten: Wer promoviert oder habilitiert, der lehrt in der Regel auch – ja, er
muss das tun. Wer lehren will, ohne eine Karriere in der For schung anzustreben, für den gibt es kaum attraktive Stellen, für den gibt es keinen wirklichen Entwicklungsweg, keine gu ten Perspektiven.
Die USA und England sind in diesem Punkt schon deutlich weiter, und zwar mit sehr großem Erfolg. Ich denke z. B. an die Senior Lecturers, die es dort gibt.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Lehre genießt an unseren Hochschulen oftmals keinen so hohen Stellenwert. Unsere Studierenden werden von Dozentinnen und Dozenten ausge bildet, für die die Lehre oft eine Belastung neben den eigenen Forschungsvorhaben ist. Zudem stehen sie oft in prekären Ar beitsverhältnissen und arbeiten unter prekären Arbeitsbedin gungen.
Wir brauchen dringend einen Mentalitätswechsel für unsere Lehre. Deswegen stellt die grün-rote Regierung im Koaliti onsvertrag gute Arbeit an den Hochschulen in Aussicht. Das heißt, der Lehrberuf an den Hochschulen muss attraktiv ge staltet, aber auch gefördert werden.
Dabei will Lehren aber auch gelernt sein. Denn eine gute Leh re ist die Voraussetzung für erfolgreiche Absolventinnen und Absolventen an unseren Hochschulen.
Wie sieht es in der Forschung aus? Wer seiner Zeit einen Schritt voraus sein will, darf sein Fähnchen nicht immer nur nach dem Wind stellen. Das gilt ganz besonders für die For schung. Das heißt, Forschung darf, ja muss auch die Freiheit haben, nicht finanziell verwertbare Ziele zu verfolgen. Wir brauchen ganz dringend einen großen Freiheitsgrad in der For schung.
Doch die Qualität unserer Forschung steht immer auch in ei nem Spannungsverhältnis von materieller Abhängigkeit der Forschenden – ich sprach vorhin z. B. von den Drittmitteln – und natürlich dem Erfolgsdruck, entsprechende Ergebnisse zu liefern.
In diesem Kontext ist es für den wissenschaftlichen Nach wuchs von ganz besonderer Bedeutung, gute Vorbilder und auch klare Leitlinien für die Forschung zu haben. Die Promo tion als erste und vielleicht auch wichtigste wissenschaftliche Qualifikation muss den Standards guter wissenschaftlicher Praxis folgen. Die Betonung liegt dabei auf „Wissenschaft“. Dafür bedarf es ausreichender Betreuung während des Pro motionsvorhabens. Aber auch schon während des Studiums müssen die Ansprüche wissenschaftlichen Arbeitens vermit telt werden.
Grundlegendes Handwerkszeug wie die Zitationsregeln, die im Moment intensiv durch die Presse gehen, darf in einer Doktorarbeit natürlich nicht vernachlässigt werden. Während meiner Zeit als Doktorand an der Universität war es selbst verständlich, dass ein Diplomand, der abgeschrieben oder falsch zitiert hat, durchgefallen ist. Ich denke, das müssen wir für alle Bereiche, auch für Doktorarbeiten, als Pflicht und Grundsatz sehen.
Die Verleihung der Doktorwürde zeigt die Befähigung zum eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten. Die Doktorwür de darf nicht als Titel missbraucht werden, der den sozialen Status in irgendeiner Form erhöht. Wenn hier ein Missbrauch erfolgt, schadet dies allen, die in der Forschung tätig sind.
Wir begrüßen deshalb das konsequente Einschreiten der ba den-württembergischen Hochschulen in den aktuellen Plagi atsfällen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brauchen in der Forschung einen Mentalitätswechsel. Die Rahmenbedingun gen für die Forschenden müssen attraktiver sein und sich gleichzeitig an höchsten Qualitätsansprüchen orientieren. Nur so können wir kluge Köpfe im Land fördern und die Wettbe werbsfähigkeit von Baden-Württemberg als Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort langfristig sichern.
Nun zu den äußeren Rahmenbedingungen. Zum Klima an den Hochschulen gehört auch der Zustand der Gebäude, in denen Lehre und Forschung stattfinden. Dazu zählen Veranstaltungs räume, Bibliotheken und Labore. Viele von diesen sind heu te leider in einem schlechten, manchmal sogar in einem le bensbedrohlichen baulichen Zustand.
So weist beispielsweise die Universität Heidelberg mit Auf klebern an den Fenstern auf Unfallgefahr hin: „Beim Öffnen nicht unter dem Fenster stehen.“ Das heißt, wer das Fenster öffnet, dem kann es auf den Kopf fallen. Das halte ich für be drohlich. Das sind Bedingungen, die ich für schwerwiegend und nachteilig halte – nachdem wir hier über Exzellenz an den Hochschulen sprechen wollen. Das darf auf keinen Fall so sein.
Ich will ein zweites Beispiel nennen. Am sanierungsbedürfti gen „Pharmaziehochhaus“ in Tübingen fängt ein Sicherungs netz herabstürzende Betonteile auf. Dadurch wurde zwar vor erst die Weiternutzung des Gebäudes ermöglicht; die eigent lichen Mängel wurden aber natürlich nicht behoben. Viel schlimmer: Allein die Interimsmaßnahmen verursachen jähr lich Kosten in Höhe von 220 000 €.