Protocol of the Session on November 27, 2013

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Auch vor dem Personal!)

Damit wird eine bestimmte Richtung erkennbar. Diese halten wir für falsch. Wir kommen hierbei zu dem Schluss: Auch hier stimmt etwas im Land Baden-Württemberg nicht mehr.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion spricht Kol lege Dr. Löffler.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Der persische Großkönig Xerxes I. ließ das Meer zur Strafe auspeitschen, als seine Flotte bei der Seeschlacht von Salamis von den Griechen versenkt wurde.

(Abg. Sascha Binder SPD: Salami!)

Die Vorschläge zur Ausweitung des Unternehmensstrafrechts, die auf Initiative des der SPD angehörenden Justizministers von Nordrhein-Westfalen in den Bundesrat eingebracht wer den sollen, gehen in die gleiche Richtung, nur auf einem noch abstrakteren Niveau.

Rechtskonstrukte wie eine GmbH, eine Aktiengesellschaft oder ein Verein sollen dadurch strafrechtlich genauso zur Ver antwortung gezogen werden können wie natürliche Personen. Bisher war Schuld als sozialethischer Maßstab nur Menschen vorbehalten. Jetzt heißt es umlernen in den juristischen Semi

naren, denn so etwas ist unserer Rechtsordnung bislang fremd. Der nordrhein-westfälische Justizminister will im deutschen Wirtschaftsstrafrecht eine Strafbarkeitslücke entdeckt haben. Der Kampf gegen Strukturen organisierter Kriminalität wie Korruption, Steuerhinterziehung oder Produktpiraterie, so der Minister, zwinge dazu.

Die Unternehmensstrukturen seien so komplex, so sein Argu ment, dass es kaum mehr möglich sei, Straftaten einem Indi vidualtäter zuzuordnen. Das Gesetz zur Bekämpfung der Wirt schaftskriminalität hätte sich bei Verfehlungen natürlicher Per sonen als stumpfe Waffe gezeigt. Wenn das stimmt, dann wä re das ein Armutszeugnis für die Strafverfolgungsbehörden im Land.

Was nutzt ein Unternehmensstrafrecht? Juristische Personen haben keine Körperlichkeit. Man kann ihnen keine Handschel len anlegen und kann sie nicht in Stammheim einsitzen las sen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Aber Geld haben sie in der Kasse!)

Der angedachte Strafrahmen für Unternehmen umfasst Geld strafe und den Entzug öffentlicher Aufträge. Aber damit nicht genug: Das betreffende Urteil soll in einem Unternehmens strafregister, das für jedermann einsehbar ist, veröffentlicht werden.

Seit der peinlichen Halsgerichtsordnung von Karl V. aus dem Jahr 1532, der sogenannten Carolina, wissen wir, dass Diebe und Gotteslästerer an einen Schandpfahl, einen Pranger ge stellt werden. Der Pranger heute ist das Internet. Von einer solchen „Imagewerbung“ würden sich die wenigsten Unter nehmen erholen.

(Zuruf des Abg. Dr. Dietrich Birk CDU)

Noch eine Anleihe aus der Carolina: Bei schweren Verfehlun gen soll nun für juristische Personen die „Todesstrafe“ einge führt werden. Der Tod einer juristischen Person ist ihre Auf lösung. Ein Unternehmen zu liquidieren bekommt damit ei nen völlig neuen, einen martialisch-semantischen Zungen schlag.

Die Gründungsurkunde eines Unternehmens würde zwar nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt, sondern still und leise wür de in der Amtsstube des Registergerichts der Eintrag gelöscht. Aber im Morgengrauen stehen dann die Genossen vor den Werktoren und erklären den Arbeitern: „Eure Firma wurde li quidiert. Geht nach Hause. Geht stempeln. Die SPD wünscht eine schöne Adventszeit.“

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und Abgeordne ten der FDP/DVP)

Der Verlust des Arbeitsplatzes stellt bei der Unternehmensli quidation einen Kollateralschaden dar.

Die großen Industrienationen halten nichts von einem Unter nehmensstrafrecht. Es mag sein, dass in anonymen Konzer nen – z. B. Siemens oder Ferrostaal – unternehmensbezoge ne Delikte schwer zuzuordnen sind. Aber das ist die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, und dass diese sich Mühe gibt, zeigt die Anklage gegen den Altbundespräsidenten Wulff.

Die Wirtschaft in Baden-Württemberg – Herr Goll, Sie haben das ausgeführt – ist von mittelständischen Unternehmen ge prägt. Über 90 % der Unternehmen in Baden-Württemberg sind Familienunternehmen. Die Inhaber sind Gesellschafter und Geschäftsführer. Diese würden doppelt bestraft, und zwar als Unternehmer und als Privatpersonen. Diese Doppelbestra fung ist unabwendbar, da das Legalitätsprinzip die Staatsan waltschaft zum Ermitteln zwingt. Verfassungsrechtlich ist ei ne Doppelbestrafung sehr problematisch.

Zudem würde ein Unternehmensstrafrecht die Aufklärung von Straftaten erschweren. Kein Straftäter muss bei der Aufklä rung der Tat mitwirken, sich belasten oder überhaupt aussa gen. Alle strafprozessualen Verteidigungsrechte stehen auch juristischen Personen zu. Wenn sich ein Unternehmen in der Krise befindet oder ein Insolvenzverfahren läuft, müsste auf Kosten des Staates ein Pflichtverteidiger bestellt werden. Nicht nur die Staatsanwaltschaft, sondern auch die Verteidi gung darf teure Gutachten in Auftrag geben. Die strafrechtli che Sachverhaltsermittlung wird für die Strafverfolgungs behörden deutlich schwieriger. Schauen Sie sich z. B. die EURIBOR- und LIBOR-Manipulationen an. Hier sollen auch deutsche Banken involviert sein. Wenn ein Unternehmen nicht kooperativ ist bzw. nicht kooperieren muss, werden sich eini ge Verfehlungen nie aufklären lassen.

Die EU verlangt – jedenfalls bisher – nicht, dass ein Unter nehmensstrafrecht eingeführt wird. Die OECD fordert die Ver schärfung des derzeitigen Ordnungswidrigkeitenrechts; es sol le abschreckend sein. Man kann darüber reden, ob der jetzige Rahmen ausreicht oder nicht.

Wichtig ist mir jedoch, dass wir in den Unternehmen das Be wusstsein für präventive Compliance-Strukturen schärfen müssen. Die öffentliche Hand könnte hier mit gutem Beispiel vorangehen. Hier sehe ich noch Nachholbedarf.

Ein Unternehmensstrafrecht, das zusätzlich zum bisherigen Recht eingeführt würde, ist nicht nötig und würde die Unter nehmen in Baden-Württemberg als potenzielle Wirtschafts kriminelle unter Generalverdacht stellen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das wäre ein schlechtes Zeichen. Die bisherigen Sanktions möglichkeiten reichen völlig aus, zumal auch unberechtigte Gewinne abgeschöpft werden können.

Wir müssen das Meer nicht auspeitschen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Kol lege Filius.

Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Damen und Herren! Der Titel der von der Fraktion der FDP/DVP beantragten Aktuellen Debatte „Weder direkt noch auf Umwegen – keine Ausweitungen des Unternehmensstraf rechts“ ist grobschlächtig und geht im Kern an der Sache vor bei.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ziel ist es – dahin gehen die bisherigen und möglicherweise auch weitere Überlegungen –, Wettbewerbsnachteile von red lichen Unternehmerinnen und Unternehmern gegenüber schwar zen Schafen einzudämmen bzw. hier klar zu bekennen: Für dolose Handlungen dürfen wir keine Vorteile gewähren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD)

Ich nenne die Fakten: Das Justizministerium hat festgestellt, dass das Instrumentarium der Unternehmensgeldbuße in Ba den-Württemberg bislang nur sehr selten angewandt wurde. Das ist ein Fakt. Das Instrumentarium lag im Dornröschen schlaf, und darauf hat man hier entsprechend reagiert.

§ 30 des Ordnungswidrigkeitengesetzes ermöglicht die Sank tionierung von juristischen Personen und Personenvereinigun gen, von deren handelnden Organen eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit begangen wird. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten aus diesem Paragrafen zitieren:

Hat jemand... als vertretungsberechtigtes Organ einer ju ristischen Person... eine Straftat oder Ordnungswidrig keit begangen, durch die Pflichten, welche die juristische Person oder die Personenvereinigung treffen, verletzt worden sind oder die juristische Person oder die Perso nenvereinigung bereichert worden ist oder werden sollte, so kann gegen diese eine Geldbuße festgesetzt werden.

Diese Geldbuße kann bei Fahrlässigkeit bis zu 5 Millionen € und bei Vorsatz bis zu 10 Millionen € betragen. Gleiches gilt bei einer Aufsichtspflichtverletzung von Leitungspersonen ei nes Unternehmens, durch die eine Straftat im Unternehmen begünstigt wurde.

Das war und ist bislang geltendes Recht. Diese Regelung der Ordnungswidrigkeiten ist nicht neu, sondern geltendes Bun desrecht und wurde in der Zeit der noch amtierenden FDPJustizministerin zum 30. Juni 2013 novelliert.

Wenn Sie, Herr Rülke, in einer Pressemitteilung davon ge sprochen haben, dass Sippenhaft für Unternehmen im Gan zen geplant werde, so ist dies ebenfalls nicht richtig.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das habe ich nicht gesagt! Ich habe gesagt: Die Zeiten sind vor bei!)

Die Zeiten der Sippenhaft, okay. – Das ist aber auch nicht der Grundgedanke, sondern hier geht es darum, ob gegebe nenfalls ein strukturelles Vergehen vorliegt, bei dem die Ver antwortlichkeit der handelnden Personen im Unternehmen liegt. Das ist die Regelung, die wir bislang mit den §§ 30 und 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes haben. Auf nicht mehr, aber auch nicht auf weniger hat das Justizministerium hinge wiesen.

Das Anwendungsdefizit liegt vor. Flankierende notwendige Maßnahmen in der justizinternen Fortbildung sind angezeigt, weil diese Regelungen sehr komplex und schwierig sind. Aus drücklich begrüßen wir deshalb die Handlungsanleitung an die 17 Staatsanwaltschaften zur Anwendung der benannten Normen.

Bestraft werden sollte stets der, der die Straftat verantwortet. Das kann in dieser Situation auch das Unternehmen selbst sein. Am Verursacherprinzip wird festgehalten.

Nochmals zum Verständnis: Gemeint sind nicht Fälle, in de nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus eigenem Antrieb strafbare Handlungen im Betrieb begehen – Diebstahl, Unter schlagung, Urkundenfälschung –, sondern im Fokus stehen in der bisherigen Regelung Fälle, in denen im vermeintlichen In teresse des Unternehmens und unter Duldung ihres Fehlver haltens dem Unternehmen rechtswidrig Vorteile verschafft worden sind.

Probleme – darauf hat die Justizministerkonferenz den Fokus gelegt – gibt es dann, wenn die Zuständigkeiten innerhalb ei nes Geflechts nicht mehr genau zuzuordnen sind. Deswegen wurde von der Justizministerkonferenz der Vorschlag von NRW geprüft und als erster Aufschlag zu einer Diskussion insgesamt begrüßt. Aber letztendlich ist hier noch nichts wei ter entschieden.

Die Bedenken der Wirtschaft, dass möglicherweise weitere Regelungen zu Fehlentwicklungen und kontraproduktiven Wirkungen führen könnten, nehmen wir sehr ernst. Ziel der bisherigen und möglicher weiterer Regelungen ist es jedoch, gerade Unternehmen, die sich an Recht und Gesetz halten, vor Wettbewerbsnachteilen zu schützen. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Eine wirksame Sanktionierung von Verstößen unredlicher Mitbewerber stärkt gerade den Wirtschaftsstandort BadenWürttemberg mit seinen renommierten und integren Unter nehmen. Basis einer funktionierenden Gesellschaft ist immer eine effektive Bestrafung, ob im alltäglichen Leben oder im Wirtschaftsverkehr. Ein Staat muss letztendlich die Möglich keiten haben, hier einzugreifen und Entscheidungen zu tref fen. Dies ist gerecht im Sinne der Wirtschaft, für die Wirt schaft und kein Grund für eine Skandalisierung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)