Wir sind schon ein wenig verwundert, wenn wir lesen, dass Verkehrsminister Hermann in der Presse erklärt, er sei sehr zufrieden; dies sei ein revolutionäres Ergebnis; es sei zukunft weisend. Ich habe noch im Kopf, wie er sich im Hinblick auf eine Pkw- und eine Lkw-Maut auf möglichst allen Straßen ge äußert hat, woraufhin ihn der Spitzenkandidat Trittin zurück gepfiffen hat. Demgegenüber sind es doch erheblich kleinere Brötchen, die jetzt gebacken werden.
(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Ogottogott! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Wer ist denn gerade schlaff? Die FDP ist schlaff! – Abg. Siegfried Leh mann GRÜNE meldet sich.)
Sie sind Weltmeister im Fragenstellen. Lassen Sie mich zu nächst ausführen. Ich möchte Sie bitten, wenn es Sie dann noch drängt, Ihre Frage im zweiten Teil zu stellen.
Es gibt drei Pakete bzw. „Paketchen“. Wir haben als erste Hausaufgabe gleich die Handlungsanweisung an den Bund, der jetzt sofort 2,7 Milliarden € pro Jahr mehr bereitstellen soll, insgesamt 40 Milliarden € in 15 Jahren. Wir hoffen, dass man dies in der neuen Koalition etabliert. Es wäre uns allen recht, wenn dies gelänge. Der nächste Schritt wird im Jahr 2016 mit Wirkung ab 2017 anzugehen sein, indem man die Nutzerfinanzierung um 2,3 Milliarden € erhöhen will. Hierzu gibt es verschiedene Überlegungen, die nach dem jetzigen Entwurf natürlich insgesamt Lkw-lastig sind. Das dritte Pa ket ab 2018 ist noch gänzlich ohne Konkretisierung.
Es gibt weitere durchaus positive Elemente wie die Anreiz systeme, die im Zusammenhang mit der A 5 beispielhaft ge nannt werden, wobei wir hier auch auf die Mittelstandsfreund lichkeit hinweisen, auf das Prinzip „Erhalt vor Neubau“. Zu dem gibt es einen seehoferschen Vorschlag zur Sonderprüfung hinsichtlich ausländischer Pkws, es gibt die Pilotprojekte. Wir hätten uns, wie es auch Frau Kollegin Razavi sagte, ge wünscht, dass man das Thema der Pkw-Nutzerfinanzierung mit Zweckbindung mit der Vignette angegangen wäre. Wir kennen es aus Österreich und der Schweiz seit Jahren. Dies bietet hervorragende Möglichkeiten. Deswegen wundert uns, dass man dieses Thema unter den Tisch hat fallen lassen.
Ich darf an den Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag erinnern, der in diesem Jahr ein Gutach ten vorgestellt hat. In der Pressemitteilung dazu heißt es:
Am erfolgversprechendsten stellt sich laut Gutachten die Umstellung auf eine Gebührenfinanzierung auf Autobah nen und einem Teil der Bundesstraßen dar. Am schnells ten und kostengünstigsten ließe sich dies mit einer Vig nette für Pkws und kleinere Nutzfahrzeuge... erreichen.
Das sollte die Maßgabe für Baden-Württemberg sein; denn wir erbringen erhebliche Mittel für den Bund, die für die Ver kehrsinfrastruktur ausgegeben werden. Deswegen sollten wir dieses Thema aufgreifen.
(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sie wollen die Bür ger doch belasten! – Gegenruf der Abg. Nicole Ra zavi CDU: Das sagt der Richtige!)
Es besteht eine große Bereitschaft hierzu, Herr Kollege Schwarz, insbesondere in Baden-Württemberg, Bayern und in Hessen, unter der Voraussetzung, dass das wirklich auch in eine Projektstrukturgesellschaft einfließt.
Aber es bleiben Fragen an den Verkehrsminister. So ist zu fra gen, Herr Minister Hermann, wie sich diese Beschlüsse jetzt auf Baden-Württemberg auswirken. Sie haben gesagt, es sei zukunftweisend, es sei revolutionär, dass auch Baden-Würt temberg von der neuen Aufteilung – nicht von der Quotierung, sondern von den Netzzustandsberichten – profitiert. Demnach müssten ja die Mittel für die Bundesstraßen in Baden-Würt temberg deutlich erhöht werden. Mich und meine Fraktion in teressiert Ihre Einschätzung hierzu. Welche Schlussfolgerun gen ziehen Sie daraus für die Infrastruktur in Landeszustän digkeit, für den Landesstraßenbau in Baden-Württemberg? Können wir auch damit rechnen, dass wir zweckgebundene und mehrjährige Projektfinanzierungen erhalten? In diesem Zusammenhang darf ich auch an den Denkschriftbeitrag des Rechnungshofs, der die Brückensanierung betrifft, erinnern.
Werden Sie dieses Thema so aufgreifen, wie es jetzt mit den gefassten Beschlüssen getan wurde? Denn man sieht, dass wir insoweit erhebliche Defizite haben und dass die gefassten Be schlüsse sogar noch über die Empfehlungen des Rechnungs hofs hinausgehen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Ich möchte aus der Sicht der Landesregierung die Arbei ten der Daehre- und der Bodewig-Kommission nochmals er läutern, kommentieren und auch deutlich machen, was wir als Landesregierung aus ihnen ableiten, welche Konsequenzen wir ziehen. Ich möchte auch Einblick in unsere Arbeit geben. Nach dem, was ich gerade gehört habe, ist es, glaube ich, nicht schlecht, wenn Sie erfahren, wie gearbeitet wurde.
Frau Razavi, eine wichtige Grundeinsicht derer, die es vor rund zweieinhalb Jahren in die Wege geleitet haben, dass man eine Kommission ins Leben ruft, die die Defizite hinsichtlich der Infrastruktur erhebt, bestand darin, dass es nicht sinnvoll ist, wenn Verkehrsminister landauf, landab herumjammern, sich wechselseitig den Schwarzen Peter zuschieben – die ei ne Ebene der anderen und umgekehrt –, die Parteien das Glei che tun und am Ende nichts dabei herauskommt, wenn sozu sagen bei jeder Beratung die Verkehrsinfrastruktur auf der Strecke bleibt und es zu Haushaltskürzungen kommt. Das hat übrigens während nahezu aller Regierungen in den letzten 20 Jahren stattgefunden.
Die Grundeinsicht lautete also: Schluss mit dem SchwarzerPeter-Spiel, Schluss mit dem Jammern – statt dessen: Zahlen!
Die Hauptleistung der Daehre-Kommission war es, dass man mithilfe aller, die im Verkehrssektor tätig sind, eine Zahlen basis über den tatsächlichen Bedarf für Erhalt und Sanierung sowie darüber, wie viel nachholende Sanierung notwendig ist, geschaffen hat. Es ging also um die Frage: Was ist in den letz ten Jahren und Jahrzehnten versäumt worden?
Im Wege der Beantwortung haben wir uns – übrigens auch mit den Verkehrsunternehmen – auf ein gemeinsames Zahlen werk verständigt. Entscheidend war, dass wir nicht darüber gestritten haben, ob wir 7,2 Milliarden € oder 7,8 Milliarden € benötigen. Vielmehr haben wir am Ende gesagt: Wir brauchen mindestens 7,2 Milliarden €. Wir haben uns – auch wenn man che sagen, dieser Betrag werde nicht reichen –, verständigt und gesagt: Wir reden von 7,2 Milliarden €. Wir können auch genau sagen, wie dieser Betrag zustande kommt: 2,7 Milliar den € pro Jahr brauchen wir für die nachholende Sanierung über 15 Jahre. Das laufende Defizit für den Erhalt und Betrieb der Infrastruktur beträgt 4,5 Milliarden € pro Jahr.
Es war wirklich neu, dass sich alle auf dieses Zahlenwerk ver ständigt haben; an diesem kommt man jetzt nicht vorbei.
Insofern hat es sich auch für mich sehr gelohnt. Ich habe viel Zeit, viel Arbeit in beide Kommissionen gesteckt. Ich war dankbar, dass ich in beiden Kommissionen mitarbeiten konn te und wir zu dieser Einsicht hinsichtlich der genannten Zah lenbasis gekommen sind.
Weiter ist wichtig: Zum ersten Mal haben sich alle Verkehrs minister parteiübergreifend – anders, als es hier manchmal ge sagt wird – verständigt. Nun gibt es einen Konsens darüber, dass seit Jahren zu wenig Geld in Erhalt und Sanierung der Infrastruktur gesteckt wird und wir einen Bedarf an nachho lender Sanierung haben. Daraus abgeleitet muss der Schwer punkt in den kommenden Jahren genau in diesem Bereich lie gen.
In beiden Dokumenten – dem Dokument der Kommission und dem der Verkehrsministerkonferenz – steht eindeutig – es han delt sich um zwei Dokumente, auch wenn diese fast, aber nicht ganz identisch sind –: Für die kommenden Jahre heißt es: Er halt und Sanierung vor Aus- und Neubau. Das ist ein Paradig menwechsel in der Verkehrspolitik.
Nebenbei gesagt: Wir in Baden-Württemberg haben diesen Paradigmenwechsel vollzogen. Jetzt vollziehen ihn auch an dere Länder und der Bund. Das ist ein echter Fortschritt.
Auch ein anderer Punkt wird zu wenig bedacht, wenn nur über das Geld und das Defizit gesprochen wird. Wir haben auch darüber gesprochen, was in der Art und Weise, wie Projekte finanziert werden, schiefläuft. Das gilt übrigens nicht nur für Neubauprojekte, sondern auch für Projekte für den Erhalt und die Sanierung. Hierbei ist entscheidend – das ist bereits ge sagt worden –, dass wir von der Schweiz lernen. In der Schweiz hat man im Bereich der Verkehrsfinanzierung seit Jahren ein überjähriges Prinzip, und man arbeitet dort mit Fonds.
Wir sind inzwischen der Meinung: Wir brauchen hinsichtlich der Infrastruktur, weil es hier meist um mehrjährige Projekte geht – es geht nur selten um kleine Projekte; diese können im Haushaltsplan für ein Jahr dargestellt werden –, ebenfalls ein überjähriges Prinzip. Wir brauchen eher Fünfjahrespläne oder Zehnjahrespläne, wir brauchen Perspektiven. Dafür brauchen wir Fonds.
Auch dazu hat die entsprechende Kommission Vorschläge ge macht. Wenn der Bund und dann wir Länder diese umsetzen, bedeutet das eine echte Revolution in der Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur, weil die Abläufe dann ganz anders sind. Dann wird nicht nach Länderquote gearbeitet, sondern dann müssen die Länder ihren Bedarf an Mitteln über ihren Netz zustand nachweisen. Wenn diese ihren Bedarf belegen, kön nen sie diesen anmelden und Mittel abrufen. Übrigens muss auch belegt werden, wie das Geld eingesetzt wurde: Wie ist der Netzzustand? Hat man mit den Mitteln eine Verbesserung erreicht? Man muss sozusagen Erfolge belegen. Das wären z. B. entscheidende Veränderungen.
Herr Haußmann, Sie sagten: „Ich will wissen, was hierbei he rauskommt.“ Ich erinnere daran: Die Kommission hat einen Vorschlag gemacht. Die Verkehrsministerkonferenz ist die sem Vorschlag weitgehend gefolgt. Der Beschluss wurde ein
stimmig verabschiedet. Jetzt kommt es aber darauf an, dass dies in den Koalitionsvertrag auf Bundesebene aufgenommen wird und die neue Regierungskoalition auf Bundesebene die sen Beschluss in die Tat umsetzt. Das ist die entscheidende Voraussetzung, um zu wissen, wie es weitergeht.
Wir haben außerdem auch Selbstkritik geübt: Wo haben Ver kehrsverwaltungen, wo haben Verkehrsministerien zu wenig auf Wirtschaftlichkeit und Effizienz geachtet? Wir müssen selbst einen Beitrag bringen und die Effizienz durch eine bes sere Abwicklung der Projekte, durch Standardanpassungen usw. um 10 % steigern. Auch das ist wichtig.
Dieses Leitprinzip verfolgen wir in Baden-Württemberg, seit dem wir die Regierungsverantwortung übernommen haben, konsequent in allen Bereichen, ob es die Schienen-, die Fahr radinfrastruktur oder Sonstiges betrifft. Wir fragen: Wird das Geld wirklich effizient ausgegeben? Kann man es nicht auch anders ausgeben? Wie kann man Mittel einsparen, ohne dass es zu einem Leistungsverlust kommt?
Wir haben schließlich einen Stufenplan für die Finanzierung vorgeschlagen. Das war entscheidend. Übrigens habe ich mich dafür sehr eingesetzt; denn uns, den Ländern, würde es gar nichts nutzen, auf einen Schlag mehr Geld zu bekommen, wenn wir nicht allmählich unsere Verwaltung umstellen und entsprechend erweitern können. Wenn wir über Jahre hinweg mehrere Milliarden zusätzlich für den Erhalt und die Sanie rung der Infrastruktur bekommen, dann – das muss ich Ihnen offen sagen, auch wenn es vielen nicht passt – werden wir un sere Ziele mit dem jetzigen Personalstand derer, die mit der Infrastruktur befasst sind, nicht umsetzen können. Wir müs sen eine systematische Anpassung vornehmen, damit wir die Mittel, die wir dann – so hoffe ich – vom Bund bekommen, auch entsprechend einsetzen können.
Was ist noch Teil des Stufenplans? Die erste, wichtigste Her ausforderung – das ist eine klare Ansage an jede Regierungs koalition auf Bundesebene – ist: Die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Verteilung und Bemessung der Regionalisie rungsmittel müssen ganz schnell novelliert werden. Es ist doch verrückt, dass wir schon heute Ausschreibungen vorneh men, ohne genau zu wissen, wie es mit den Regionalisierungs mitteln weitergeht. Wir nehmen an, dass wir auch in Zukunft diese Mittel erhalten und dass sie steigen, aber eigentlich ha ben wir nichts Genaues in der Hand. Diese Novellierung muss dringend nachgeholt werden. Das muss die erste Beschluss fassung einer neuen Bundesregierung sein.
Zweitens – auch dies stellt einen klaren Auftrag an eine Koa lition auf Bundesebene dar – geht es um die Finanzierung der kommunalen Verkehrsinfrastruktur: Hier habe ich, lieber An dreas Schwarz, nicht wie ein Löwe gekämpft, sondern im Drei-Löwen-Takt gekämpft.
Eine Klärung hinsichtlich der Finanzierung der Verkehrsinf rastruktur und der Mittel nach dem Entflechtungsgesetz ist entscheidend für den Ausbau des kommunalen ÖPNV, für die kommunale Verkehrsinfrastruktur insgesamt. Hier ist klar: In
diesem Bereich ist die noch amtierende Bundesregierung ei niges schuldig geblieben. Diese Altlasten müssen von einer neuen Regierungskoalition auf Bundesebene sofort angegan gen werden; hier muss sie sofort zu einer Lösung kommen.
Alle Verkehrsminister sagen: Die Föderalismusreform hatte den Fehler, dass man davon ausging, irgendwie lösten sich die Probleme hinsichtlich der Verkehrsinfrastruktur auf kommu naler Ebene bis zum Jahr 2019 von selbst. Nein, das tun sie nicht. Wir sehen in diesem Bereich einen immensen Hand lungsbedarf. Es bedarf der Fortsetzung – wie auch immer ge strickt – eines Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, das diese Finanzierung im Interesse der kommunalen Ebene ab sichert.
Jetzt komme ich zur Finanzierung des Defizits und des Mehr bedarfs: In der Kommission ging es hauptsächlich um die Art und Weise, wie man zu dem Geld, das man braucht, kommen kann. Wir haben über verschiedene Modelle diskutiert und diese geprüft. Auch hierzu will ich noch einmal sagen: Wer glaubt, er könne einen Punkt machen und die anderen dadurch vorführen, indem er sagt: „Aber du hast doch für die PkwMaut gesprochen“, der muss bedenken, dass andere in der be treffenden Partei dagegen waren. Der Witz ist ja, dass es in al len Parteien Positionen dafür und Positionen dagegen gibt. Es gibt in der CDU Befürworter und Gegner der Pkw-Maut. Es gibt beide auch in der FDP. Das gibt es auch in der SPD. Üb rigens gilt dies auch für die Kommission. In allen Parteien gibt es unterschiedliche Positionen.