Protocol of the Session on October 10, 2013

Ganz allgemein könnte ein solcher Staatsvertrag den Vorteil haben, die Zusammenarbeit zwischen dem Land Baden-Würt temberg und den islamischen und alevitischen Glaubensge meinschaften zu intensivieren. Daneben sehe ich uns, die Mit glieder des Landtags, in einer wichtigen Funktion. Wir kön nen den Prozess aktiv mitgestalten und entsprechende Impul se geben.

Ich möchte an dieser Stelle jedoch auch ganz klar betonen, dass es nicht Aufgabe der Politik sein sollte, den islamischen Glaubensgemeinschaften mögliche Regelungsinhalte eines Staatsvertrags vorzugeben. Wir freuen uns auf die Vorschlä ge und Ideen vonseiten der islamischen und alevitischen Glau bensgemeinschaften und stehen einem Dialogprozess offen gegenüber.

Wir sind uns bewusst, dass es viele Hemmnisse auf diesem Weg geben wird. Diese sind ausführlich in der Stellungnah me des Ministeriums für Integration, von Frau Ministerin Öney, zum vorliegenden Antrag beschrieben worden. Hierfür vielen Dank.

Ihnen, meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Auf merksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion der FDP/ DVP darf ich Herrn Abg. Dr. Kern ans Rednerpult bitten.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Fünf Minuten Redezeit für eines der bedeutendsten Zukunftsthemen unserer Gesellschaft ist reich lich ambitioniert. Denn aus meiner Sicht ist die Frage, wie die

Integration der ca. 600 000 in Baden-Württemberg lebenden Muslime tatsächlich in der Praxis, unter gleichberechtigten Bedingungen gelingen kann, eine der zentralen Grundfragen unserer Gesellschaft. Ich möchte mich daher auf einen Aspekt des SPD-Antrags konzentrieren, der aus meiner Sicht der zur zeit mit Abstand wichtigste ist, nämlich die Frage des islami schen Religionsunterrichts.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird Sie wenig überra schen, dass ich als Religionslehrer ein großer Anhänger des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts bin. Aus meiner Sicht ist die Frage nach der Zukunft des Religionsunterrichts eine entscheidende Frage für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Der Religionsunterricht ist eben weit mehr als ein normales Schulfach. Bei ihm stehen nämlich nicht einfach Bil dungsinhalte im Mittelpunkt des Unterrichts, sondern bei ei nem kompetenten Religionsunterricht stehen die Schülerin nen und Schüler selbst mit ihren unterschiedlichen Identitä ten im Mittelpunkt.

Fragen nach der eigenen Identität, der eigenen Herkunft, ei genen Hoffnungen und Zweifeln, nach den unterschiedlichen Beziehungen zur Mitwelt und zur Umwelt und – nicht zuletzt – das Wissen um die eigene Religion wie auch das Wissen um fremde Religionen werden im modernen, bekenntnisorientier ten Religionsunterricht wissenschaftlich fundiert behandelt.

Guter Religionsunterricht macht Schüler im wahrsten Sinn des Wortes betroffen. Genau an diesem Punkt möchte ich heu te in erster Linie ansetzen: Wer einer Religion angehört, aber seine Religion nicht kennt, wird zu einem kompetenten Dia log mit anderen Religionen nicht fähig sein. Wer aber nicht dialogfähig ist, ist zur Integration bzw. zur Aufnahme frem der Kulturen unfähig.

Ich habe als Gymnasiallehrer immer wieder mit einigem Er schrecken erfahren müssen, welch enorme Wissenslücken ge rade junge Muslime hinsichtlich ihrer eigenen Religion ha ben. Hier steht die Landespolitik in der Pflicht. Wir dürfen junge Muslime mit ihren Fragen nach ihrer Herkunft, nach ih rer Identität nicht alleinlassen. Wir dürfen sie auch nicht ein fach irgendwelchen Hinterhofgelehrten überlassen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja! So ist es!)

die teilweise ihre eigenen Interessen verfolgen und die auch nicht immer auf der Höhe eines wissenschaftlich aufgeklär ten Islam stehen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU, der Grünen und der SPD)

Islamunterricht in deutscher Sprache, erteilt von in Deutsch land ausgebildeten muslimischen Religionslehrern – dieses Angebot sollten wir all denen eröffnen, die ihre positive Re ligionsfreiheit auch an den Schulen wahrnehmen wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Grün-Rot, ich spüre bei Ihnen den festen Willen, hierbei den Weg weiterzugehen, den bereits die alte Landesregierung eingeschlagen hatte. Ich ap pelliere in diesem Zusammenhang: Bitte legen Sie bei diesem Thema mehr Tempo vor als bisher. Schon in kurzer Zeit wer den die ersten Absolventen des Zentrums für Islamische Theo

logie der Universität Tübingen ihr Studium abschließen. Wenn es uns bis dahin nicht gelingt, den islamischen Religionsun terricht weit über die bisherigen Modellschulen auszuweiten, dann stehen diese jungen Religionslehrer vor der Arbeitslo sigkeit – und das, obwohl der Bedarf enorm groß ist.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

In diesem Zusammenhang appelliere ich auch an die Landes regierung: Statten Sie das Zentrum für Islamische Theologie in Tübingen mit mehr Ressourcen aus. Die Dozenten verrich ten dort eine aus meiner Sicht unverzichtbare Arbeit, und zwar häufig am Rande der Leistungsfähigkeit.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Drittens: Die Frage, ob wir in Baden-Württemberg bald isla mischen Religionsunterricht bekommen oder nicht, ist nach meinem Dafürhalten nicht in erster Linie eine juristische Fra ge, sondern sie ist eine politisch zu entscheidende Frage. Die rechtlichen Fragen können gelöst werden, wenn die Landes regierung dies denn auch tatsächlich will.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mit einem Aus spruch von Hans Küng schließen, den er als Grundlage für sein berühmtes „Projekt Weltethos“ bestimmt hat – ich zitie re –:

Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden unter den Religionen ohne Di alog zwischen den Religionen.

Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Um diesen Dialog überhaupt zu ermöglichen, müssen wir junge Menschen hier vor Ort in die Lage versetzen, dialogfähig zu sein.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Ernst Kopp SPD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr gut!)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Öney das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch ich schätze Hans Küng sehr und nehme ihn beim Wort. Deshalb haben wir den runden Tisch „Islam“ ins Leben gerufen und wollen den Dialog wei ter fortführen.

Am Montag hat der runde Tisch „Islam“ bereits zum fünften Mal getagt. Der Kultusminister und ich haben zusammen mit den muslimischen Verbänden über die Weiterentwicklung des islamischen Religionsunterrichts gesprochen. Das Treffen hat gezeigt: Der islamische Religionsunterricht ist den islami schen Verbänden weiterhin ein zentrales Anliegen.

Herr Halder hat es bereits erwähnt: DITIB und der Verband der Islamischen Kulturzentren, VIKZ, haben inzwischen An träge auf Erteilung von islamischem Religionsunterricht ge stellt. Das Kultusministerium prüft diese Anträge derzeit; da bei werden auch externe Gutachten eingeholt. Wir müssen die Entwicklung also abwarten.

Wir haben in Baden-Württemberg aber nicht nur DITIB und VIKZ, sondern es gibt eine Reihe von unterschiedlichen eth nischen und konfessionellen Verbänden. Bei der letzten Sit zung des runden Tisches „Islam“ hat sich deshalb auch her auskristallisiert, dass eine Kooperation möglichst vieler Ver bände im Hinblick auf den Religionsunterricht angezeigt, ja sogar notwendig ist. Diese Kooperation bedarf sicherlich ei nes Prozesses, der von dem Willen der Verbände getragen sein muss, aufeinander zuzugehen und eine gemeinsame Basis zu finden. Andernfalls dürfte es nämlich sehr schwer sein, einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht in der Fläche zu etablieren. Denn es müssen genügend Schülerinnen und Schüler vorhanden sein, die daran teilnehmen.

Der runde Tisch „Islam“ wird diesen Prozess weiter beglei ten. Gerade der direkte und konstruktive Dialog mit den Mus limen macht seinen Erfolg aus. Deshalb ist dieses Gremium auch beliebt. Die Landesregierung spricht in erster Linie nicht über die Muslime, sondern mit ihnen. Wir versuchen dort na türlich auch, auf konkrete Fragestellungen Antworten zu fin den. Nicht alle Wünsche und Forderungen können wir umset zen; manchmal müssen wir auch Grenzen aufzeigen.

Auch ein Staatsvertrag zwischen dem Land Baden-Württem berg und den Muslimen im Südwesten war schon Thema des runden Tisches. Dabei wurde deutlich: Die Muslime wün schen sich einen Staatsvertrag mit dem Land, und zwar ähn lich wie in Hamburg und Bremen; auch das wurde mehrfach genannt. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es bis zum Abschluss eines solchen Vertrags noch hohe Hür den zu überwinden gilt. Es gibt zahlreiche rechtliche und tat sächliche Probleme, bei denen wir noch nach Lösungen su chen müssen. Aber dabei sind alle gefragt.

Dies beginnt schon bei der Frage, welche muslimischen Ge meinschaften als Vertragspartner in Betracht kommen. Denn in Baden-Württemberg gibt es nicht d i e Muslime; es gibt nicht den einen zentralen Ansprechpartner. Bei uns gibt es vielmehr eine Vielzahl kleinerer und größerer Verbände mit unterschiedlicher Ausrichtung. Diese Verbände können nicht automatisch Verträge schließen.

Rechtlich ist es nun einmal so – da schaue ich in Richtung des Justizministers, mit dem wir hierüber auch schon gesprochen haben –, dass man einen Vertrag nur mit einer rechtsfähigen Person schließen kann, die Trägerin von Rechten und Pflich ten sein kann.

Abgesehen davon wäre es sehr wünschenswert, wenn sich zu mindest einige Gemeinschaften hier zusammenschließen könnten. In Hamburg gibt es beispielsweise die SCHURA, in der ca. 40 islamische Vereine und Gruppen vertreten sind. Die se haben teilweise unterschiedliche ethnische Schwerpunkte und Vorstellungen. Wenn man bedenkt, dass diese Gruppen all ihre Vorstellungen unter einen Hut bekommen müssen, wird schnell klar: Das wird nicht einfach, und es braucht auch seine Zeit. Ich meine, Hamburg hat etwa fünf Jahre lang ver handelt; ich bin mir nicht ganz sicher, aber Hamburg hat auf jeden Fall eine ganze Weile daran gearbeitet.

Zudem kann die Frage der Vertragspartner von den materiel len Vertragsinhalten abhängig sein. Wollte man beispielswei se Themen wie den islamischen Religionsunterricht oder die Seelsorge aufgreifen, dann müssten die Vertragspartner Reli gionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes sein.

Bereits an diesen wenigen Beispielen wird ersichtlich, wie schwierig schon die Frage nach dem Vertragspartner ist.

Meine Damen und Herren, ich weiß, dass die mit einem Staatsvertrag verbundenen Erwartungen und Hoffnungen überall, aber insbesondere auch auf muslimischer Seite sehr hoch sind. Deshalb ist es wichtig, möglichst viele Muslime, die sich innerhalb und außerhalb islamischer Verbände orga nisieren – auch solche gibt es –, von Anfang an in den Pro zess einzubeziehen.

Allerdings dürfen wir in der Diskussion gerade zu Beginn nicht die Rahmenbedingungen aus den Augen verlieren. Für die Frage, welche Regelungen in einem Staatsvertrag getrof fen werden können, sind die Verhältnisse in Baden-Württem berg und die Vorgaben durch Verfassung und Rechtsprechung entscheidend.

Das schließt natürlich nicht aus, dass wir die Entwicklung in anderen Ländern beobachten und uns davon möglicherweise auch inspirieren lassen; auch das können wir tun.

Letztlich werden die Inhalte eines Staatsvertrags aber zwi schen den Vertragsparteien vereinbart. Diese Inhalte sollten mehr sein als reine Symbolpolitik. Deshalb geht es jetzt auch darum, Ideen zu möglichen materiellen Inhalten zusammen zutragen und zu prüfen. Wir sollten uns jetzt auch nicht aus schließlich auf dieses komplexe Gebilde namens Staatsver trag fixieren. Da bin ich auch ganz bei Ihnen, Herr Lasotta. Überall dort, wo wir jetzt schon der Tatsache Rechnung tra gen können, dass die Bürgerinnen und Bürger islamischen Glaubens, die eben einen bedeutsamen Teil der Bevölkerung des Landes ausmachen, berücksichtigt werden sollen, sollten wir dies auch tun, z. B. wenn es um einen Sitz im Rundfunkrat geht – das wurde bereits vom Staatsministerium angeregt – oder wenn es um das Bestattungsrecht geht – auch dazu gibt es mittlerweile parteiübergreifend Konsens bzw. ein Eckpunk tepapier aller Fraktionen; auch die Initiative für die Novellie rung des Bestattungsrechts ging vom runden Tisch „Islam“ aus.

Meine Damen und Herren, abschließend: Bei einem Staats vertrag gilt es, einige rechtliche und sonstige Fragen zu prü fen und einer Lösung zuzuführen. Aber nicht allein das Land und nicht allein die Parteien, sondern auch die islamischen Verbände in Baden-Württemberg sind hier gefordert. Deshalb richtet sich mein Appell auch an die islamischen Verbände, auf ihrer Seite Möglichkeiten der Kooperation und des ge meinsamen Vorgehens intensiv und im Konsens auszuloten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Danke schön. – Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldun gen vor.

Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Antrags Drucksache 15/3228. Der Antrag ist ein reiner Be richtsantrag und kann für erledigt erklärt werden. – Sie stim men zu. Danke schön.

Damit ist Punkt 6 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: