In Tübingen demonstriert heute Abend der Philologenverband Baden-Württemberg mit der Arbeitsgemeinschaft Gymnasia ler Elternbeiräte im Regierungsbezirk Tübingen unter der Überschrift „Stoppt den Bildungsabbruch!“, und am 29. Juni fand eine Großdemonstration u. a. der Lehrerverbände im Be amtenbund statt – auch gegen die Kürzungsmaßnahmen der Landesregierung. Nach Veranstalterangaben waren es über 5 000 Beteiligte, nach Polizeiangaben über 3 000. Das ist egal; es sind ausreichend viele, um deutlich zu machen, dass es in Baden-Württemberg an Lehrerstellen fehlt und Ihre Kürzun gen Bildungsabbruch bedeuten. Deshalb halten wir auch hier im Landtag fest: Die Unterrichtsversorgung, wie sie im Land von Ihnen gewährleistet wird, ist mangelhaft.
Wir brauchen auch einen neuen Ministerialdirektor, aber vor allem brauchen wir mehr Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen, meine Damen und Herren. Sie werden auch Ihren ei genen Zielen nicht gerecht. Was haben Sie in der letzten Le gislaturperiode für Sprüche gemacht.
Im Koalitionsvertrag, den Sie, Herr Minister, im Schulaus schuss immer so hochhalten, steht sinngemäß: Ausbau Ganz tagsschulen, Aufbau Gemeinschaftsschulen, sonderpädagogi
sche Förderung in Regelschulen; wir werden es aus den Res sourcen finanzieren, die aufgrund sinkender Schülerzahlen frei werden.
Weil Sie alle frei werdenden Lehrerressourcen in den Lehrer stellenabbau stecken und für die genannten Maßnahmen die Unterrichtsversorgung herhalten muss, meine Damen und Herren, sieht es an den Schulen so schlecht aus.
Für diese Situation haben Sie selbst gesorgt. Den Stein haben Sie selbst heiß gemacht, und jetzt versuchen Sie, mit falschen Entscheidungen – mit Tropfen auf diesen Stein – zu reagie ren. Die Kürzung des allgemeinen Entlastungskontingents an allen Schularten, die Streichung der Hausaufgabenbetreuung an den Gymnasien,
die Streichung der Altersermäßigung, in der der Ministerprä sident keinen Sinn sieht, wie ihn der VBE zitiert – all das sind Maßnahmen, die Sie aufgrund Ihrer eigenen politischen Ent scheidungen vornehmen müssen.
Was findet an den Schulen über den Pflichtunterricht hinaus statt? Der Unterricht im Ergänzungsbereich ist vom Schuljahr 2010/2011 zum Schuljahr 2012/2013, in Ihrer Verantwortung, innerhalb von zwei Jahren an den Grund-, Werkreal- und Hauptschulen schon auf nur noch rund die Hälfte gesunken, an den Realschulen auf zwei Drittel. Das sind die Zahlen, Frau Boser.
Im nächsten Schuljahr gehen viele Schulen in vielen Schul amtsbezirken davon aus, dass sie im Ergänzungsbereich schlicht und einfach null haben werden, und die Initiative „Schule mit Zukunft“ spricht davon, dass einige Schulleitun gen davon ausgehen, dass der Anteil der Unterrichtsversor gung im Bereich Pflichtunterricht lediglich 95 % beträgt. Was mich daran aber am meisten bekümmert – jetzt kommen wir dazu, dass mangelhafte Unterrichtsversorgung eben mangel hafte Chancen für die Kinder in unserem Land bedeutet –: Viele von Ihnen reden so, als ob man den Ergänzungsbereich als Kür sehen könne und der Pflichtunterricht schon ausrei che, alles andere sei verzichtbar.
Was ist aber mit dem Ergänzungsbereich? Arbeitsgemein schaften, Chöre, Theater – das, was ganzheitliche Bildung aus macht, streichen Sie.
Ferner streichen Sie Stunden zur Förderung bei Lese- und Rechtschreibschwäche. Dadurch wird in Baden-Württemberg der soziale Aufstieg über Bildung gefährdet. Sie können mit allen Ihren anderen Vorstellungen von Schulstrukturen nicht mehr reparieren, was Sie mit diesen Maßnahmen kaputt ma chen,
völlig unabhängig davon, ob das taugliche Instrumente sind, die Sie für die Maßnahmen zum sozialen Aufstieg vorsehen.
Deshalb ist im Land die Enttäuschung über Ihre Bildungspo litik so groß. Herr Minister, wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich da auf die Hinterbeine stellen. Zeigen Sie den Schulen, dass Sie die Situation an den Schulen, die immer schwieriger wird, zur Kenntnis nehmen, dass Sie wissen, wie es dort aus sieht,
und dass Sie nicht aus politischen Gründen die Situation nur schönreden. Treten Sie gegenüber dem Ministerpräsidenten mit Nachdruck auf. Er wird heute in der Zeitung zitiert mit der Aussage: „An der Streichung von 11 600 Lehrerstellen wird nicht gerüttelt.“ Sagen Sie ihm: Wenn gute Bildung durch diese Entscheidung verhindert wird, muss sie auf den Prüf stand gestellt werden.
Sie bekommen heute von uns in der Bezeichnung dieser Ak tuellen Debatte am Schuljahresende zweimal die Note „man gelhaft“; das ist eine Fünf.
(Zuruf von der CDU: Jetzt kommt das Maschinenge wehr! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP zu Abg. Sandra Boser GRÜNE: Nichts verschönern! So, wie es ist, sagst du es!)
Immer. – Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Baden-Württemberg hat derzeit das beste Lehrer-Schüler-Verhältnis, das es in Deutsch land und in Baden-Württemberg jemals gab.
(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD – Abg. Peter Hauk CDU: Das ist eine der Altlasten! – Gegenrufe der Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke und Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Erb last? – Zuruf: Noch! – Zuruf von der CDU: Warum?)
(Abg. Volker Schebesta CDU: 2011! – Gegenruf der Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: Jetzt ist mal gut! – Zuruf: CDU-Regierung!)
Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Lehrerstellen um 8 % angestiegen, während die Schülerzahl um 10 % zurückging. Unsere bildungspolitischen Investitionen sind in Zeiten von Einspardiskussionen an allen Orten größer, als sie während Ihrer Regierungszeit waren, meine Damen und Herren.