Protocol of the Session on June 19, 2013

Sie haben geschrieben, dass die Landesregierung prüfen mö ge, welche Möglichkeiten Unternehmen und öffentliche Ar beitgeber haben, dafür zu sorgen, dass sich ihre Mitarbeiter Fahrzeuge teilen, dass sie sich Autos teilen. Vielleicht gibt es dazu inzwischen schon Erkenntnisse, denn die Antwort ist schon ein Jahr alt. Möglicherweise gibt es auch zu diesem Thema neue Erkenntnisse.

Die FDP/DVP-Landtagsfraktion hat das Thema Mobilität in einer eigenen Offensive aufgegriffen, in der „Mobilitätsoffen sive Baden-Württemberg 23“. Wir haben dort die Handlungs felder Verkehrsmanagement, Zukunftstechnologie, Mobili tätsdienste und Logistik. Zu einigen Handlungsfeldern fehlen uns auch Aussagen in der Antwort auf die Große Anfrage. Das Thema „Temporäre Seitenstreifenfreigaben“ wurde jetzt auf gegriffen. Wir bitten Sie, da vielleicht auch einmal nach Hes sen zu blicken, wo dies von 80 auf über 300 km erweitert wird.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Die haben auch vor zehn Jahren angefangen, als Sie noch geschlafen ha ben! Das ist doch der Hammer!)

Beim Thema Zukunftstechnologie ist es, glaube ich, ganz wichtig, das Thema „Autonome Fahrerassistenzsysteme“ auf zugreifen.

Im Bereich der Logistik sehen wir vier Punkte: Stärkung des intermodalen Transports, umweltfreundliche Antriebstechno logien, Einsatz der Telematik und Ausbildung in der Logistik. Für Baden-Württemberg als einen der wichtigsten Standorte im Bereich der Logistik erwarten wir auch hier eine Logistik initiative.

Fazit: Wir möchten eine Verkehrsverlagerung durch Attrakti vitätssteigerung und nicht durch Verbote erreichen und soll

ten die Bedeutung der Mobilität für die wirtschaftliche Ent wicklung unseres Bundeslands im Auge behalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Landesverkehrsminister Hermann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Die Große Anfrage der Grünen war auch für unser Mi nisterium und, wie Frau Razavi rasiermesserscharf erkannt hat, für die ganze Landesregierung eine große Herausforde rung.

(Heiterkeit bei den Grünen)

Denn in der Tat war eine ganze Reihe von Ministerien an der Antwort beteiligt, was daran lag, dass für das Thema Mobili tät in den letzten 20 Jahren andere zuständig waren; denn es gab kein eigenständiges Verkehrsministerium. Insofern ist ei ne solche Anfrage, die ökonomische, soziale und verkehrli che Aspekte, also alle Dimensionen der Mobilität, berücksich tigt, eine Herausforderung, weil verschiedene Zuständigkei ten zusammengeführt werden müssen.

Es ist auch keine Gesamtstrategie – nach dieser war auch nicht gefragt –,

(Abg. Nicole Razavi CDU: Doch, schon!)

sondern eine umfassende Beantwortung einer sehr weitrei chenden Fragestellung, die die grüne Fraktion aufgeworfen hat. Ich betrachte unsere Antwort als einen ersten Arbeitszwi schenbericht, nicht mehr und nicht weniger. Daran kann man allerdings sehen, dass wir einiges zu bieten haben.

(Beifall bei den Grünen)

Wir haben im Koalitionsvertrag den hohen Anspruch formu liert, dass Baden-Württemberg Pionierregion in Sachen nach haltige Mobilität sein will. Inzwischen haben sich das auch andere auf die Fahne geschrieben, und ich denke, dass das Leitbild der nachhaltigen Mobilität in weiten Kreisen unbe stritten ist. Ich gehe sogar so weit zu sagen: Kaum jemand be streitet, dass das das richtige Konzept ist. Die Frage ist viel mehr: Wie kommen wir von der heute nicht nachhaltigen Mo bilität dazu, dass sie so gestaltet wird, dass sie insgesamt nach haltig ist?

Schauen Sie sich die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesre gierung an. Ganz aktuell erschien der jüngste Indikatorenbe richt – ich weiß nicht, ob Sie diesen kennen –, der verschie dene gesellschaftliche Bereiche untersucht. Es wird sozusa gen in Jahresberichten dargestellt, wie weit wir gekommen sind und ob wir auf dem richtigen Weg sind. Man muss fest stellen, dass dieser Indikatorenbericht klipp und klar sagt, dass wir im Bereich der Mobilität eben nicht auf Nachhaltigkeits kurs sind.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Selbst der Ram sauer schreibt das jetzt über Baden-Württemberg!)

Wie gesagt, das ist nicht die Aussage der Landesregierung und auch nicht bezogen auf Baden-Württemberg, sondern auf ganz Deutschland.

Bei der Personentransportintensität – das ist ein Indikator –, der Gütertransportintensität und dem Anteil des Schienengü terverkehrs an der Güterbeförderungsleistung im Vergleich zum Anteil des Straßengüterverkehrs – das sind weitere Indi katoren – haben wir es in den letzten zehn Jahren trotz großer Anstrengungen nicht erreicht, dass es einen Trend hin zu nach haltiger Mobilität gibt. Im Gegenteil: Wir brauchen heute so zusagen mehr Verkehr, um das gleiche Maß an Wohlstand zu generieren. Das belegen diese Indikatoren, und insofern müs sen wir festhalten, dass wir noch lange nicht auf dem richti gen Weg sind.

Die Herausforderung ist groß, und das gilt nicht nur im Gro ßen, für die Bundesrepublik, sondern auch für mich und für die Landesregierung. Es gibt keinen Grund zur Selbstzufrie denheit, und wir können auch noch nicht melden, schon alles erreicht zu haben. Vielmehr nehmen wir das als Anlass, um den gegenwärtigen Trend nicht nur zu stoppen, sondern um zukehren. Das ist richtig harte Arbeit, weil man da in vielen Bereichen etwas tun muss.

Denn es dauert lange, bis man auf der einen Seite dem An spruch, den übrigens Sie alle in Ihren Reden formuliert haben – ich meine, dass wir Mobilität als Grundrecht und Transport als ökonomische Notwendigkeit möglichst effektiv realisie ren wollen –, gerecht wird und auf der anderen Seite umwelt- und klimaschonend sowie sozialverträglich Mobilität nach haltig sichert. Es ist eine gewaltige Herausforderung, diese Ansprüche unter einen Hut zu bringen. Ich werde im Laufe meiner Rede zeigen – und damit sicherlich auch auf einige Ih rer Punkte eingehen –,

(Abg. Nicole Razavi CDU unterhält sich mit Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU. – Abg. Karl Zimmermann CDU: Zuhören!)

dass man sich in diesem Spannungsfeld verschiedener An sprüche entscheiden muss und es nicht leicht ist, eine Klam mer zu finden.

Ich möchte mit der Herausforderung Klimaschutz anfangen. Nach 20 Jahren internationalem Klimaschutz hat man in vie len Bereichen große Erfolge und deutliche Verbesserungen er zielt, etwa im Bereich der Energieerzeugung, etwa im Bereich der Kleinverbraucher – Haushalte –, etwa im Bereich der in dustriellen Produktion. Im Sektor Verkehr haben wir aber kei ne Verbesserungen erzielt. Während in einigen Bereichen der CO2-Ausstoß gesunken ist, ist er im Verkehrsbereich ge stiegen.

Um eine Zahl zu nennen: Allein in der Europäischen Union sind die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor seit 1990 um 28 % gestiegen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Das Ozonloch hat sich aber verkleinert, wie wir gehört haben!)

Das hat natürlich damit zu tun, dass es in Europa insgesamt eine stark nachholende Mobilisierung gab; dies hat natürlich auch zu einem vermehrten Ausstoß an Treibhausgasen geführt.

Das gilt übrigens auch für Baden-Württemberg. Schauen Sie sich einmal die Tabelle in der Antwort auf die Große Anfrage an. Es ist doch interessant, dass wir nach 20 Jahren Effizienz steigerung im Automobilsektor beim Gesamtausstoß von Treib hausgasen genau da sind, wo wir schon vor 20 Jahren waren, obwohl das einzelne Auto sozusagen effizienter, klimafreund licher geworden ist.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wir haben eine 100-%-Zunahme bei der Zahl der Fahrzeuge! – Ge genruf der Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE)

Ihr Zwischenruf ist außerordentlich intelligent. Der Verkehr hat zugenommen. Aber es ist dem Klima doch wurst, wie vie le Fahrzeuge den Treibhausgasausstoß bewirken. Entschei dend ist doch, dass wir den Treibhausgasausstoß insgesamt reduzieren und gleichzeitig Mobilität und Transport erhalten. Das ist die Herausforderung.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Daniel Renkonen GRÜNE: So ist es!)

Es kann uns jedenfalls nicht zufriedenstellen, dass der Ver kehr mit einem Anteil von 27,6 % an den gesamten Treib hausgasemissionen in Baden-Württemberg inzwischen mit Abstand der klimaschädlichste Bereich ist. Wir müssen uns doch klarmachen, dass es nicht damit getan ist, bessere Autos zu produzieren. Vielmehr brauchen wir ein anderes Mobili täts-, ein anderes Transportsystem und auch ein anderes Trans portverhalten.

Klimaschutz ist für uns, die Landesregierung, inzwischen Pflicht. Wir haben ein Klimaschutzgesetz. Das heißt, man muss alle politischen Maßnahmen am Klimaschutzziel orien tieren. Über dieses Ziel gibt es, wie ich finde, eigentlich in der Republik, Gott sei Dank, Konsens. Es gibt da überhaupt kei nen Dissens, dass bis Mitte des Jahrhunderts – –

(Zuruf des Abg. Andreas Glück FDP/DVP)

Auch die FDP auf Bundesebene – ob auf Landesebene, weiß ich nicht –, auch die jetzige Bundesregierung akzeptiert wie ihre Vorgängerregierung, dass wir bis zur Mitte des Jahrhun derts die Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren müs sen, dass wir auf einen Wert kommen müssen, der etwa 90 % niedriger ist als der derzeitige, und dass wir im Verkehrssek tor weitgehend ohne fossile Brennstoffe auskommen müssen – und trotzdem noch mobil bleiben und trotzdem noch unse re Güter transportieren. Das müssen wir leisten. Das ist die Herausforderung. Dafür haben wir nicht einmal mehr 40 Jah re Zeit.

Ich habe den Eindruck, dass Sie das noch nicht wirklich als Herausforderung anerkennen. Sie haben in Ihrer Rede, Frau Razavi, hehre Ansprüche formuliert.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Die sind aber nicht neu!)

Aber ich möchte Sie nur an unsere Debatten im Verkehrsaus schuss erinnern: Häufig gibt es über jede einzelne Straßenbau maßnahme eine Klein-Klein-Diskussion. Das ist nicht die gro ße Orientierung an nachhaltiger Mobilität und am Klima schutz im Verkehr.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben versucht, den gegen wärtigen Trend umzukehren. Wir haben die Trendwende bei der Finanzierung auch ansatzweise vollzogen. Wir haben die nach dem Entflechtungsgesetz bereitgestellten Mittel stärker in Richtung Umweltverbund und Radverkehr gelenkt. Die FDP/DVP hat immer geschimpft, dies ginge zulasten des Stra ßenbaus. Das ist ein Witz; Frau Razavi hat recht: So viel mehr haben wir gar nicht ausgegeben.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Weniger?)

Jedenfalls reicht das Geld, das wir für Radwege aufwenden, nicht aus, um die Straßen zu sanieren. Da würde ich gern mehr machen; aber wir machen es, so gut es geht. Wir mussten üb rigens auch erst einmal die personelle und institutionelle Inf rastruktur für die Umsetzung solcher Konzepte schaffen. Das ist auch ein Problem. Es gab nicht einmal eine Verwaltung, die für Radverkehrspolitik zuständig war; diese musste erst aufgebaut werden.

Ein anderer Bereich sind die Schienenstrecken; das ist auch schon angesprochen worden. In allen Bereichen – ob Südbahn, Gäubahn, Hochrheinbahn, Rheintalbahn – dränge ich darauf, dass wir vorankommen. Aber wir, das Land, sind dabei ver dammt noch mal auf die Bahn und auf den Bund angewiesen. Ich würde mir wünschen, dass diese die Projekte anders an gehen und nicht immer nur davon reden, sodass Schwierig keiten entstehen, woraufhin noch einmal geplant werden muss, es dann noch länger dauert und es dann auch noch teu rer wird. Da müssen wir vorankommen. Ohne ein bestimm tes Maß an Ausbau im Schienenbereich wird uns die Verlage rung betreffend den Personenverkehr und den Güterverkehr nicht gelingen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Wer blockiert denn Stuttgart 21? Wir doch nicht! – Gegenruf des Abg. Georg Nelius SPD: Auch noch wach? Es geht nicht um Stuttgart 21!)

Entschuldigung: Erstens ist der Ausbau von Stuttgart 21 seit 20 Jahren Ihr Projekt, und dieses Projekt hat noch nichts ge bracht. Sie haben damit noch keine Verlagerung erzielt.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Oder täusche ich mich da?

Zweitens hat man sich zu sehr auf dieses eine Projekt konzen triert und die anderen wichtigen Projekte im ländlichen Raum, im Süden, in Baden nicht mit der Vehemenz vorangetrieben, die notwendig gewesen wäre.