Protocol of the Session on June 30, 2011

Ich wollte nicht drängeln. – Vielen Dank.

In der weiteren Aussprache darf ich der Vertreterin der Frak tion GRÜNE, Frau Abg. Schneidewind-Hartnagel, das Wort erteilen.

Sehr ge ehrter Herr Präsident, sehr geehrte 24 Kolleginnen und 113 Kollegen! Ich freue mich sehr, dass meine erste Rede in die sem Landtag einem Thema gewidmet ist, bei dem Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen gefordert sind, die überfällige Weichenstellung zur Umsetzung von Chancen

gleichheit und Geschlechtergerechtigkeit vorzunehmen. Mit der grün-roten Koalition ist die Landesregierung deutlich weiblicher geworden und zeigt, dass qualifizierte und moti vierte Frauen den neuen Politikstil in Baden-Württemberg mitgestalten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Mit fünf Ministerinnen, einer Staatssekretärin und einer Staatsrätin sind immerhin 40 % der Regierungsmitglieder mit Kabinettsrang Frauen.

Selbstbewusste, gut ausgebildete und hoch motivierte Frauen sind in unserem Land in allen Berufen und in allen Bereichen zu finden. Wir wollen sie in Zukunft stärker fördern und ih nen den Zugang zu allen Ebenen öffnen. Denn ein Blick in die Führungs- und Entscheidungspositionen der Unternehmen zeigt, dass diese fest in Männerhand sind. Trotz zahlreicher, gut gemeinter Aufrufe, freiwilliger Selbstverpflichtungen und Absichtserklärungen bei der Gleichstellung von Frauen und Männern in der Wirtschaft hat sich seit Jahren so gut wie nichts getan. Baden-Württemberg hat hier einen enormen Nachholbedarf. Obwohl Frauen bestens ausgebildet sind, er reichen sie nur in wenigen Fällen die Führungsetagen der Un ternehmen im Land.

Die Gründe für den geringen Frauenanteil in Führungspositi onen sind vielfältig, und es gibt unterschiedliche Faktoren, die die Aufstiegschancen und Karrierechancen von Frauen be schränken. Bei der Umsetzung von Demokratie und Gleich stellung in der Wirtschaft ist Deutschland im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern nach wie vor rückständig, und Baden-Württemberg schneidet im Ländervergleich in allen Bereichen der Geschlechtergerechtigkeit besonders schlecht ab. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, liegt nicht an den Frauen in Baden-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Es liegt nicht an den Frauen, sondern an den althergebrach ten, männerdominierten Strukturen und tradierten Rollenzu weisungen, die der Lebensrealität in Baden-Württemberg schon lange nicht mehr gerecht werden. Es liegt nicht an ei ner mangelnden Qualifikation von Frauen in Baden-Württem berg, dass nur 16 % aller Führungspositionen mit Frauen be setzt sind, dass Frauen in Baden-Württemberg im Schnitt 28 % weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, dass Frauen – mit einem Bevölkerungsanteil von 51 % – in allen Kommunalparlamenten und im Landtag unterrepräsentiert sind, dass 48 % aller Studierenden in Baden-Württemberg, die ein Hochschulstudium abschließen, weiblich sind, aber nur 16 % der Professuren von Frauen besetzt sind. Selbst bei lan deseigenen Unternehmen – trotz eines bestehenden Chancen gleichheitsgesetzes, das zur Parität auffordert – liegt die Frau enquote bei 20 %.

Doch auch angesichts solcher Zahlen fällt vielen nichts ande res ein, als auf das immer gleiche und erwiesenermaßen er folglose Mantra der Selbstverpflichtung und auf Stufenmo delle auf freiwilliger Basis zu setzen.

Bundeskanzlerin Merkel und ihre Familienministerin setzen auf Symbolpolitik und verhindern wider besseres Wissen ei ne Quote für die Wirtschaft. Verbale Aufgeschlossenheit bei

gleichzeitiger Verhaltensstarre beschreibt die Situation wohl recht gut.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Viele Studien zeigen, dass die Männerdominanz in Füh rungsteams zu schlechteren Ergebnissen führt und Innovatio nen verhindert. Geschlechtergemischten Teams stehen dage gen vielseitige Perspektiven zur Verfügung. Ihre Entscheidun gen werden dadurch nachhaltiger und erfolgreicher. Gerade Aufsichtsräte würden durch diesen Kompetenzgewinn in ih rer Kontrolltätigkeit für die Unternehmen, zu der sie verpflich tet sind, bereichert. Auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunk ten ist es in höchstem Maß unsinnig, gut ausgebildete Men schen nur deshalb nicht ihrer Qualifikation entsprechend zu beschäftigen, weil sie Frauen sind.

Der viel beklagte Fachkräftemangel ist nicht nur eine Folge der demografischen Entwicklung. Teilweise ist er hausge macht, weil viele Unternehmen noch immer glauben, auf das Potenzial von Frauen verzichten zu können. Doch das ist ein großer Irrtum. So stellte die Sachverständigenkommission zum ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung gera de fest: Die Kosten des derzeitigen Nichtstuns übersteigen die Kosten einer aktiven und zukunftweisenden Gleichstellungs politik für die Wirtschaft bei Weitem.

Eine Quote kann da wesentlich mehr erreichen, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn es geht um viel mehr, als eine höhere Zahl von Frauen in Aufsichtsratsposten zu brin gen. Es geht um eine tief greifende andere Gestaltung unse rer Arbeitswelt.

Eine Quote bedeutet auch nicht Frauenförderung im klassi schen Sinn. Es geht darum, Institutionen und Führungsgremi en wirklich zukunftsfähig zu gestalten. Nur mit ausreichen den Angeboten an gut qualifizierte Frauen können diese lang fristig an die Unternehmen gebunden werden.

Unternehmen und Verwaltungen sind also gefordert, Diskri minierungen abzubauen sowie neue Arbeitszeitmodelle und Strukturen einzuführen, die sowohl Frauen als auch Männern mehr Flexibilität bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine andere Lebensqualität ermöglichen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die Politik ist gefordert, die notwendigen Rahmenbedingun gen dazu zu schaffen.

Doch es geht nicht nur darum, mehr Frauen in Führungsposi tionen zu bekommen. In keinem anderen Bundesland sind die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern so groß wie in Baden-Württemberg. Für alle gilt: Je höher die Gehaltsstufe, desto größer der Unterschied. Das heißt konkret: Für Frauen in Baden-Württemberg müsste das Arbeitsjahr im Schnitt fast drei Monate länger dauern, damit sie das gleiche Jahreseinkommen wie ihre männlichen Kollegen erreichen.

Gemeinsam müssen wir Wege finden, um diese Lohndiskri minierung zu beseitigen und zu einer geschlechterunabhängi gen Bewertung von Arbeitsplätzen zu kommen. Eine Grund lage dafür ist eine ausreichende geschlechterspezifische Da tenerfassung. Eine gerechte Entlohnung für Berufe im sozia len, im pädagogischen und im Dienstleistungsbereich zu er

reichen muss dringend angegangen werden. Warum wird die Betreuung von Menschen so viel schlechter bezahlt als die Betreuung von Hedgefonds?

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Abg. Arnulf Freiherr von Eyb CDU)

Innerhalb der Landespolitik wollen wir Gender-Mainstrea ming und Gender-Budgeting erfolgreich durchsetzen und wei terentwickeln.

Beim Anteil der Frauen in den gewählten Vertretungen der Kommunen und im Landtag nahm Baden-Württemberg im Bundesländervergleich bereits in der letzten Legislaturperio de den letzten Platz ein. Nach der Landtagswahl ist der Anteil der Frauen noch einmal gesunken und beträgt jetzt nur noch 18 %. Um dies in Zukunft zu ändern, wollen wir sowohl das Kommunalwahlrecht als auch das Landtagswahlrecht dahin gehend überprüfen, wie wir es geschlechtergerechter ausge stalten können.

(Abg. Peter Hauk CDU: Bürgerferner!)

Für die Bürgerinnen und Bürger.

(Abg. Peter Hauk CDU: Nein, das wäre bürgerferner! – Gegenruf des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Quatsch!)

Im öffentlichen Dienst des Landes wollen wir die Chancen gleichheit von Frauen und Männern durchsetzen und dazu das Chancengleichheitsgesetz erweitern und konkretisieren, vor allem aber auch einhalten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die Rechte der Chancengleichheitsbeauftragten werden wir stärken und die Quote der weiblichen Führungskräfte erhö hen. Dazu gehört vor allem auch, dass wir die Sitze in den Aufsichts- und Verwaltungsräten von landeseigenen Unter nehmen paritätisch besetzen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich habe mich besonders gefreut, von meiner Vorrednerin zu hören, dass sich auch die Geduld der CDU-Frauen dem Ende nähert. Denn wie wir bei der Besetzung der Aufsichtsräte der EnBW gesehen haben, standen noch vor einigen Monaten nur männliche Bewerber auf der Liste. Das ist ein Punkt, der ver ändert werden könnte.

Besser zu wirtschaften heißt für uns auch, geschlechtergerech ter zu wirtschaften. Dafür brauchen wir alle, auch und gerade die Frauen auf allen Ebenen. Der Wechsel beginnt. Ich freue mich darauf und auf Ihre Unterstützung.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Zur weiteren Aussprache geht nun das Wort an den Vertreter der FDP/DVP-Fraktion, Herrn Kol legen Haußmann. – Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Einen passenderen Zeitpunkt für die Ak

tuelle Debatte hätten Sie im Hinblick auf die laufende Frau en-Fußball-WM nicht finden können, wobei ich mich schon gefragt habe, ob das nicht auch durchaus ein Thema wäre, das der Wirtschaftspolitik hätte zugeneigt werden können. Denn das Thema wäre aus meiner Sicht genauso wichtig im Bereich der Wirtschaftspolitik.

Der stellvertretende Ministerpräsident, Dr. Nils Schmid, hat gestern in der Regierungsbefragung auf den Fachkräfteman gel und auf den Mangel an Auszubildenden hingewiesen. Es geht noch viel weiter: Die Bundesanstalt für Arbeit hat ange kündigt und hochgerechnet, dass in den nächsten 15 Jahren fünf bis sechs Millionen Arbeitsplätze nicht besetzt werden können, nämlich dann, wenn die Babyboomer-Generation – dazu gehöre ich auch – nach und nach in den Ruhestand tritt.

Teilweise ist das, insbesondere im Mittelstand, bereits Reali tät. Mir bestätigen viele Personalleiterinnen und Personallei ter die Erfahrungen, die ich gemacht habe: Bei Stellenaus schreibungen im Fachkräftebereich haben sie früher noch Dut zende von Bewerbungen bekommen; heute sind sie froh, wenn sie überhaupt noch eine Bewerbung erhalten. Das ist Realität, insbesondere im Mittelstand. Der Mittelstand prägt natürlich unsere Kultur und unsere Wirtschaft in Baden-Württemberg.

Die aktuelle Studie des Bundesfamilienministeriums in Ver bindung mit Kienbaum und dem WifOR-Institut zeigt, dass auch die Firmen inzwischen erkannt haben, dass sich das Pro blem des Fachkräftemangels nur dadurch lösen lässt,

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Es geht um die Frau en!)

dass man die Beschäftigungsquote von Frauen entsprechend erhöht.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Frauen, ja, Frauen! – Heiterkeit bei den Grünen)

Wir können es uns gar nicht erlauben – da stimmen wir auch zu –, auf die wertvollen Potenziale von gut ausgebildeten Frauen zu verzichten.

Die Problematik für die Wirtschaft ist aber aus unserer Sicht noch vielschichtiger und umfasst nicht nur dieses Thema. Es geht natürlich um die verstärkte Nutzung des Qualifizierungs potenzials von Frauen. Es geht aber auch darum, Menschen der Generation „50 plus“ wieder in die Arbeitswelt zu integ rieren, Menschen mit Migrationshintergrund zu integrieren, verstärkt auch geringer qualifizierte Menschen auszubilden und vor allem den Kontakt zu den Hochschulen, zu den Schu len, zu den Verbänden und Kammern zu intensivieren. Mein Wahlkreiskollege Paal von der CDU könnte Ihnen jetzt noch einen stundenlangen Vortrag dazu halten. Ich denke beispiels weise an viele Bildungspartnerschaften, die gerade Mittel standsunternehmen sehr stark mit den Schulen und Hochschu len haben.

Ich kann Ihnen da auch aus eigener Erfahrung berichten, wie es inzwischen im Mittelstand läuft, dass man Schülerinnen und Schüler, vor allem aber Schülerinnen, während der Schu le und durch das Studium begleitet, weil man weiß, dass ge rade die Mittelstandsunternehmen entsprechende Schwierig keiten haben. Deswegen geht der Weg auch in diese Richtung weiter, dass man Studentinnen während des Studiums beglei tet, damit man sie gleich entsprechend einbinden kann.

Die Erwerbstätigenquote von Frauen lag 2009 bei knapp 70 %; da liegen wir über dem EU-Durchschnitt. Deutlich da runter liegen wir aber bei den Führungspositionen. Hier sind wir deutlich unterdurchschnittlich, was Sie ja auch beschrie ben haben.