Protocol of the Session on May 8, 2013

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Klar ist, dass der Souverän des Landes Baden-Württemberg dies in freier Entscheidung macht. Deswegen ist vollkommen klar, dass das Thema dieser Debatte des heutigen Tages von der sozialdemokratischen Fraktion in keiner Weise zu recht fertigen ist, sondern es passt zum heutigen Tag.

Die Sorge spielt bei dem, was wir in den Zeitungen lesen, ei ne große Rolle. Sie spielt eine Rolle bei Herrn Barroso, der sich in einem Brief zu den Verfassungsnovellen geäußert hat, die in Ungarn im Parlament in den letzten Monaten und Jah ren in einer hohen Dichte vorgenommen wurden und die nicht nur für Ungarn, sondern auch für die europäische Öffentlich keit von Bedeutung sind. Sie spielt eine große Rolle bei Frau Reding, die sich in drei Briefen an den ungarischen Minister präsidenten gewandt hat, in denen sie ihre Sorge geäußert und erklärt hat, in letzter Konsequenz könnte als Ultima Ratio auch ein Vertragsverletzungsverfahrens infrage kommen.

Die Sorge spielt eine Rolle im Europäischen Parlament, in dem nun eine Beratungsgrundlage des Berichterstatters vor liegt – 54 Seiten stark –, die eine Auflistung dessen enthält, was aus europäischer Sicht bedenklich ist, und in der darge stellt wird, dass es als Ultima Ratio zur Anwendung von Ar tikel 7 kommen kann. Das hat auch beim Klima im Land ei ne Rolle gespielt. Außenminister Guido Westerwelle hat sich vor dem Jüdischen Weltkongress geäußert. Wir sind der Mei nung, dass er dort eine gute Rede gehalten hat. Wir hätten uns gefreut, wenn sich im Anschluss an diese Rede auch der un garische Ministerpräsident in ähnlicher Konsequenz geäußert hätte.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Deswegen sage ich an dieser Stelle, auch wenn es nicht im Zentrum des heutigen Debattentags steht: Wenn es um die Ab wehr von Antisemitismus geht, gilt gerade für die Parlamen te in Europa, dass die Abwehr von Antisemitismus keine Zu ständigkeiten und keine Grenzen kennt, sondern nur Entschie denheit und Klarheit.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Weil uns der Dialog wichtig ist, möchte ich an dieser Stelle gern auf einige Punkte eingehen. Darauf haben wir alle, aber auch unsere Gäste, einen gewissen Anspruch. Wir glauben, dass die europäische Öffentlichkeit in dem herzustellen ist, was wir, das Land Baden-Württemberg, in unserem Verhält nis zu Ungarn mit großen historischen Verflechtungen und ak tueller Zusammenarbeit in der Donauraumstrategie bewerk stelligen können.

Wir glauben, dass das, was Gegenstand der besorgten Briefe ist – nämlich die Frage, wie das Justizwesen in Ungarn aus sieht; ich erinnere an den möglichen Eingriff in die Zuord nung von Gerichtsverfahren, den wir nicht nachvollziehen können; es geht auch um die Frage, in welcher Verfassung die Medien in Ungarn sind, die Situation an den Hochschulen und die Chancengerechtigkeit bei den Wahlen, auch bei den an stehenden Europawahlen –, Anlass zur Sorge gibt. Wir wol len unsere Stimme erheben, dass in diesen Fragen in Ungarn auch eine Umkehr in der öffentlichen Diskussion stattfindet und dazu die politisch Verantwortlichen ihren Teil beitragen.

Wir glauben, dass es im politischen Klima Ungarns schwieri ge Tendenzen gibt, sicherlich auch unter dem Druck der Wirt

schaftskrise. Wir sind dabei, zu sehen, dass sich in Ungarn ein Teil der Jugend, was die Parteienpräferenz angeht, in eine völ lig falsche Richtung orientiert. Deswegen glauben wir, dass dafür in der Tat der Dialog, der angemahnt wird, notwendig ist. Wir sehen aber auch mit Spannung, dass es die VenedigKommission des Europarats sein wird, die Mitte Juni zu den Verfassungsnovellen ihre Meinung sagen wird. Wir werden von uns aus, vom Parlament aus Gelegenheit haben, das Ge spräch mit den ungarischen Parlamentariern zu suchen, wenn hoffentlich diese klare Haltung der Venedig-Kommission ge geben ist.

Über all dem steht, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir mit einer offenen und klaren Sprache sagen, dass wir eine Ver letzung von Grundrechten – Grundrechte, die wir über Deutsch land hinaus für wichtig halten – nicht akzeptieren wollen und dass wir das auch im Gespräch klar zur Sprache bringen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wir denken darüber hinaus, dass wir im Donauraum manches an guten zivilgesellschaftlichen Initiativen fördern können. Ich erinnere an das, was bereits erfolgt ist. Der Minister hat ja eine ausführliche Stellungnahme abgegeben. Ich erinnere daran, dass wir die Freiheit von Kunst und Wissenschaft hoch halten. Wir haben das auch bei einem Literatentreffen ge macht. Wir glauben, dass es wichtig ist, die Freiheit von Me dien und Presse in den Donauraum zu tragen. Wir freuen uns, dass in Ulm ein Treffen mit Journalisten stattgefunden hat. Wir können uns vorstellen, dass ein weiteres Treffen in Bu dapest stattfinden kann.

Wir glauben, dass der Austausch der kommunalen Selbstver waltung eine wichtige Sache ist. Wir kennen auch das Mahn schreiben des Präsidenten des Rates der Donaustädte und -re gionen, Ulms Oberbürgermeister Ivo Gönner, an seinen Kol legen in Budapest zur Situation in Ungarn, und wir glauben, dass es wichtig ist, weiterhin einen Austausch der zivilgesell schaftlichen Organisationen in den Städten zu haben. Ferner ist die Idee einer neuen Urbanität in einem alten Kulturraum wie dem Donauraum wichtig.

All das wird dazu beitragen, dass wir im Donauraum in der Lage sind, mit Ungarn im Gespräch zu sein.

Wir glauben, dass es wichtig ist, dass wir insgesamt in Euro pa eine Debatte führen – gerade auch mit den wichtigen Län dern Zentraleuropas wie Ungarn –, bei der es darum geht, was eigentlich in diesem neuen Spannungsfeld in Europa – auf der einen Seite sind alle irgendwo vom europäischen Geist getra gen, auf der anderen Seite gibt es aber eine Überdehnung der Institutionen in Europa, die von der Bevölkerung, den Bür gerschaften in unseren Ländern nicht mehr so mitgetragen wird oder nicht mehr so akzeptiert wird – getan werden kann, um Wege anzubieten, die über die rein ökonomische Dimen sion der Europäischen Union und Europas hinausgehen.

Dazu muss die Frage gestellt werden: Wie sieht es mit den Menschenrechten in Europa aus, und wie sieht es damit aus, dass sich Europa auch dafür verantwortlich fühlt, die Men schenrechte in die Welt zu tragen? Dafür braucht man einen gemeinsamen Diskurs. Ferner muss die Frage gestellt werden: Wie sieht es mit den Grundrechten in der Demokratie aus? Sind die Demokratien, die wir in Europa haben, auch Modell für neu hinzukommende Demokratien oder Länder, die sich

wandeln? Schließlich die Frage: Wie sieht der soziale Zusam menhalt in Europa aus als eine Grundbedingung auch für To leranz und für Minderheitenrechte?

All das ist eine spannende Debatte, die wir mit Ungarn füh ren wollen. Wir wissen, dass dieser Dialog Geduld voraus setzt, aber diese Geduld muss auch gepaart sein mit Klarheit und mit Entschiedenheit sowie mit Offenheit. Ein offenes Wort nützt dem europäischen Fortschritt mehr als nur die Il lusion, dass es bereits, wenn man eine Schönwettereuropa front hat, ausreichen würde, die ganze Sache zu heilen. Das tut es nicht. Wir sind für Offenheit und Klarheit.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich am Ende dieses Beitrags unserer Fraktion sagen: Wir haben es am heu tigen Tag für wichtig gehalten, uns materiell und politisch mit einem Thema Europas zu befassen, das aktuell ist und das uns Sorge bereitet, bei dem wir aber auch die Perspektive nach vorn sehen, weil wir im Gespräch sind und weil wir auch im Gespräch bleiben wollen. Baden-Württemberg wird hier in Bescheidenheit seinen Beitrag in diese großen Themen der Menschenrechte, der Demokratie, des sozialen Zusammen halts einbringen können, aber Baden-Württemberg hat auch ein Recht, selbstbewusst seinen Beitrag zu liefern. Deswegen ist dies heute für uns auch ein Tag des Selbstbewusstseins und eine Debatte des Selbstbewusstseins.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion der CDU erteile ich Herrn Abg. Professor Dr. Reinhart das Wort.

Herr Präsident, verehr te Kolleginnen und Kollegen! Wir feiern morgen den Europa tag, und ich denke, er erinnert an die Anfänge der europäi schen Einigung. Europa ist ein Erfolgsmodell. Wir haben Frie den, Freiheit, Wohlstand, Rechtssicherheit und vor allem auch die längste Friedenszeit in der modernen Geschichte diesem Europa zu verdanken. Wenn ich daran denke, meine ich: Wir müssen immer auch daran erinnern, dass die Teilung des Kon tinents überwunden wurde und dass damit auch die mittel- und osteuropäischen Staaten zu diesem Europa hinzugekom men sind und dass gerade in diesem Zusammenhang ein Land einen ganz besonders großen Anteil hat. Das ist Ungarn, das sind unsere ungarischen Freunde. Dafür sind wir den Freun den aus Ungarn immer noch zu großem Dank verpflichtet. Das will ich auch heute an diesem Tag sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Abge ordneten der Grünen und der SPD)

Dass die Teilung Europas beendet und damit auch der Eiser ne Vorhang durchtrennt wurde, bedeutet auch, dass die Grund rechte nicht nur in Westeuropa, sondern in ganz Europa erst möglich geworden sind. Auch das muss man in diesem Kon text sehen. Ich glaube, es gibt ein Bundesland – und das ist Baden-Württemberg –, das gerade mit den ungarischen Freun den immer ganz eng zusammengearbeitet hat. Gyula Horn wurde schon angesprochen. Ich erinnere an die Aktivitäten am Anfang der Regierungszeit von Lothar Späth, die Regierungs zeit von Erwin Teufel, auch an die nachfolgenden Landesre

gierungen. Ich erinnere an die Einrichtung der ersten Ge mischten Kommission. Inzwischen haben wir fünf Gemisch te Kommissionen. Die erste Gemischte Kommission war ei ne mit unseren ungarischen Freunden. Das war ein Erfolgs modell.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Fell bach!)

Meine Damen und Herren, diese erste Gemischte Kommissi on war auch Vorbild für die anderen Gemischten Kommissi onen. Daraus ist auch viel Begegnung erwachsen. Neben Frankreich haben wir die meisten Städtepartnerschaften mit Ungarn. Fast jede Gemeinde hat eine Städtepartnerschaft mit Ungarn aufgebaut. Das ist Begegnung von Menschen.

Hinzu kamen viele Schulpartnerschaften, Vereinspartnerschaf ten, eine rege Kooperation der Hochschulen. Ich nenne auch die Andrássy-Universität. Ich füge deshalb hinzu: Auch die erwähnte Donauraumstrategie hat nicht erst, wie in der Stel lungnahme zum Antrag beschrieben, im Juni 2011 mit dem ungarischen Ratspräsidentschaftsbeschluss begonnen. Sie hat durch Initiative Baden-Württembergs begonnen, und zwar schon 2006/2008. Ich bin deshalb ein Zeitzeuge, weil wir im Ausschuss der Regionen im Oktober 2008 den Durchbruch geschafft haben und damals die Kommissarin gesagt hat: Das ist eine gute Sache, der sich das Europaparlament, der Deut sche Bundestag, Rat und Kommission angeschlossen haben. Darauf sollten wir stolz sein. Deswegen auch mein Appell an die Landesregierung: Die Donauraumstrategie ist eine Idee Baden-Württembergs. Gäbe es sie nicht, hätte man sie erfin den müssen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Damit komme ich auch auf das Thema zu sprechen, welches wir heute auf der Tagesordnung haben. Es ist überhaupt kei ne Frage – – Ich danke deshalb dem Kollegen Hofelich für die heutige Tonlage. Sie hat sich angenehm unterschieden von der des Fraktionsvorsitzenden der SPD im Deutschen Bundestag. Das will ich hier einmal ganz deutlich sagen. Ich finde, auch in den Außenbeziehungen macht der Ton die Musik.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Wir alle kämpfen für die Bewahrung von Demokratie, Men schenrechten, Rechtsstaatlichkeit, und zwar in jeder Hinsicht; da stehen wir auch hinter der Bundesregierung und hinter Au ßenminister Westerwelle. Das ist überhaupt keine Frage. Aber ich will hinzufügen, dass, wenn Zweifel bestehen, dies natür lich zu Recht überprüft wird.

Europa ist eine Wertegemeinschaft. Wir wollen, dass hier die Grundrechte geachtet werden. Aber die Prüfung muss auf sachlicher Grundlage erfolgen, und sie muss auch mit Verant wortung erfolgen. Warum sage ich das? Es wird so getan, als gäbe es schon Ergebnisse. Ich warne hier – wenn wir die Sor gen teilen – vor Vorverurteilungen. Warum warne ich vor Vor verurteilungen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir haben zu Recht gehört, dass die Venedig-Kommission im Auftrag des Europarats ihre Ergebnisse erst im Juni bekannt gibt. Das ist der erste Punkt.

Zweitens: Barroso und die Kommission haben noch nicht ent schieden, ob ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wird. Das gehört zur Vollständigkeit dazu.

Drittens: Ich habe hier ein Gutachten von Herrn Professor Scholz. Er ist ein renommierter – –

(Abg. Martin Rivoir SPD: Den kennen wir!)

Übrigens ist Maunz/Dürig/Herzog/Scholz noch immer ein anerkannter deutscher Kommentar zum Völkerrecht.

(Beifall bei der CDU – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Tja, da muss man halt Jurist sein, um das zu wissen!)

Ich will Ihnen sein Ergebnis nicht vorenthalten, sondern zitie ren.

(Minister Franz Untersteller: Das ist der Gleiche, der den EnBW-Deal für gut hielt! – Unruhe)

Zusammenfassend, Herr Kollege Untersteller, sagt er zu der Frage der Verfassungsänderungen – ich zitiere –,

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Der Name ist Programm!)

... dass alle Neuerungen oder Änderungen mit der unga rischen Verfassung selbst und ebenso mit dem europäi schen Recht in vollem Umfange vereinbar sind. Die Vier te Verfassungsnovelle ist als uneingeschränkt rechtmäßig zu qualifizieren.

So der Verfassungsrechtler.

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange zeigt. – Glocke des Präsidenten)