Protocol of the Session on April 24, 2013

Aber wie sicher soll ein Endlager sein, das 100 000 Jahre hal ten muss?

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Eine Million Jahre!)

Ich gehe von 100 000 Jahren aus, das ist schon relativ viel. Vor 10 000 Jahren wurde die Schrift erfunden. Ich weiß nicht, ob man in 100 000 Jahren noch schreiben kann oder ob man das wird lesen können, was wir heute aufschreiben. Da bin ich mir auch nicht sicher.

Sind wir überhaupt in der Lage, heute etwas zu bauen, bei dem wir garantieren können, dass es so lange hält? Wir haben die Kernkraftwerke sicherlich auch deshalb abgeschaltet, weil wir aufgrund der Unfälle wissen, dass sie nicht sicher sind, und weil in der Gesellschaft Angst vor einer höchst gefährlichen Technik besteht. Ich habe den Eindruck, dass die Angst die ser Gesellschaft vor dem radioaktiven Müll mindestens ge nauso groß ist. Nur, diesen können wir nicht abschalten, die sen müssen wir so entsorgen, dass wir es verantworten kön nen.

Deshalb ist und bleibt die Endlagerung des Atommülls und das hochgiftige strahlende Erbe, das damit verbunden ist, der Hauptgrund, dass wir diese Technologie zügig zu Ende brin gen wollen.

Warum haben wir nach Jahrzehnten der Suche noch kein End lager? Nun, die Antwort heißt: In den Siebzigerjahren – da mals waren noch alle Parteien beteiligt – sah der Kuhhandel zwischen Kanzler und Ministerpräsidenten so aus, dass die aus der Atomwirtschaft resultierenden Belastungen einiger maßen gleichmäßig verteilt wurden. Man teilte sich das auf: Herstellung von Brennelementen in Hessen, Wiederaufberei tung in Bayern, Schnelle Brüter in Nordrhein-Westfalen – auch wenn die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf nicht in Betrieb und der Schnelle Brüter in Kalkar nicht ans Netz gingen, ebenso wie die Wiederaufbereitungsanlagen in England und in Frankreich auch nicht immer akzeptiert wur den.

Brennelemente müssen jedoch zwischengelagert werden, und zwar mindestens 30 Jahre lang, bis sie so weit heruntergekühlt sind, dass sie endgelagert werden können. Insofern haben alle Kernkraftwerke ihre eigene Zwischenlagerung eingerichtet.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Nicht freiwillig!)

Allerdings entsprach das Zwischenlagervolumen nicht immer der Menge der im jeweiligen Kernkraftwerk produzierten ra dioaktiven Abfälle.

Der Kollege Lusche hat vorhin einen schwierigen Spagat ver sucht zwischen der staatspolitischen Verantwortung – auch als

Vertreter einer Partei, die in der Vergangenheit zur Kernener gie stand und damit in der Mitverantwortung steht – und der glänzenden Verdienstnadel, die er sich unter Bezug auf das Sankt-Florians-Prinzip offenbar zu erwerben hofft, die damit verbunden sein könnte, wenn sich Baden-Württemberg an der Endlagersuche nicht beteiligen müsste. Dieser Spagat gelingt nicht, lieber Kollege Lusche. Man hat dabei zu sein; man hat heute die Verantwortung zu übernehmen. Die Versuchung, et was anderes zu machen – nach dem Motto: überall, aber nicht bei uns –,

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das hat er nicht gesagt!)

erwies sich bereits in der Vergangenheit als trügerisch. Sie sollten, auch mit Blick auf Ihr eigenes politisches Selbstver ständnis, dieser Versuchung nicht weiter nachgeben.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Der Standort Gorleben hatte einen großen Vorteil: Er wurde akzeptiert, weil er nicht in Baden-Württemberg liegt, weil er nicht in Hessen liegt, weil er nicht in Nordrhein-Westfalen liegt. Das war das Hauptargument für Gorleben.

(Abg. Winfried Mack CDU: Gorleben wurde auch vor Ort akzeptiert!)

Deshalb wurde dieser Standort viele weitere Jahre lang für wichtig gehalten.

Heute wissen wir: Als Wirtsgesteine kommen Salz-, Granit- und Tonformationen infrage. Aber seit Asse wissen wir auch, dass Salzlagerstätten nicht unproblematisch sind. Auch dort kann Wasser eindringen; auch dort gibt es Probleme. Wenn wir davon ausgehen, dass die Entsorgung in nationaler Ver antwortung erfolgen muss – die geologischen Formationen bestimmen die Möglichkeiten, die ein Land jeweils überhaupt hat –, dann verweise ich auf die Schweiz. Dort gibt es keine Salzformationen, sondern lediglich Granit und Ton. Jedes Land muss also die jeweils geeigneten Entsorgungsmöglich keiten schaffen, die sich nach den jeweils vorhandenen geo logischen Gegebenheiten richten müssen. Aber das ist eine nationale Aufgabe, und Baden-Württemberg gehört dazu.

Ein Viertel der deutschen Kernkraftwerke standen in BadenWürttemberg. Die Hälfte des in Baden-Württemberg produ zierten Stroms stammt aus der Kernkraft. Deshalb können wir nicht ernsthaft verlangen, dass andere die Entsorgung zu er ledigen haben.

Ich habe nie verstanden, dass die damalige Umweltministe rin, Frau Gönner, grundsätzlich und jedes Mal wieder mit dem Finger nach Berlin gewiesen und gesagt hat: Ihr müsst die Endlagerung erledigen; ihr müsst dafür sorgen, dass wir un seren Müll loswerden.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Das ist die Zu ständigkeit der Bundesebene!)

Wir sind dafür, dass sich Deutschland um die Endlagerung des in Deutschland produzierten Atommülls selbst kümmert. Mit 19 Kernkraftwerken, die in den Spitzenzeiten in Betrieb wa ren, sind wir, weltweit gesehen, einer der großen Produzen ten von strahlendem Müll. Ich denke zwar, dass es auf dem Weg der Suche grundsätzlich sinnvoll sein kann, auch über

die nationalen Grenzen hinaus zu fragen: Gibt es ideale Mög lichkeiten zur Lagerung? Aber zuerst muss bei uns an Ort und Stelle gehandelt werden.

Der gesamte Prozess muss öffentlich, transparent und nach vollziehbar gestaltet werden. Hier gab es in Bezug auf Gorle ben große Mängel; die Entscheidungsprozesse wurden aus po litischen Erwägungen heraus durchgeführt und nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher Kriterien. Das Verfahren in sei ner gesamten Länge wurde vom Ministerpräsidenten vorhin ausführlich erläutert.

Ich bin dankbar, dass es den parteiübergreifenden Konsens gibt. Wir werden ebenfalls das Unsere tun, um diesen Prozess zu begleiten. Dieser Konsens ist wegweisend, und er kann auch nicht aufgekündigt werden. Wenn ich bereit bin, mich auf der Grundlage dieses Konsenses dem Verfahren zu unter werfen, dann kann ich nach Erreichung eines bestimmten Ver fahrensstands – bei dem sich möglicherweise eine Region in unserem Land als geeigneter Standort abzeichnet – nicht sa gen: Jetzt steige ich aus dem Konsens aus. Das wäre die ver logenste aller Positionen. Das wäre verlogen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Die SPD trägt diesen Konsens mit. Dieser Konsens ist ver nünftig; er zeugt von Verantwortungsbewusstsein. Wir müs sen Verantwortung für den strahlenden Müll übernehmen, der auf die Generation vor uns zurückgeht, und wir sind uns die ser Verantwortung und der Auswirkungen dieser Problematik bewusst, die noch viele Generationen nach uns zu spüren ha ben. Wir begrüßen die Initiative des Ministerpräsidenten. Wir begrüßen das Prinzip „Weiße Landkarte“.

Das Endlagerproblem muss dringend gelöst werden, auch wenn wir das über viele Jahre verschlampt haben und meinen, wir hätten Zeit, weil sich die Endlagerung über einen sehr lan gen Zeitraum erstreckt. Es ist wirklich dringend.

Wir haben jede Menge zwischengelagerten Müll, der abge kühlt ist und der endgelagert gehört. Diese Generation hat zwar nicht den Einstieg in die Kernenergienutzung beschlos sen, muss sich aber mit deren Folgen und dem Ausstieg her umschlagen. Wenigstens haben wir dafür zu sorgen, dass die nachfolgenden Generationen ein unverseuchtes und unver strahltes Land bewohnen können, indem wir in Deutschland den besten Standort für diese Hinterlassenschaft finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Herr Kollege Dr. Rülke.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Herr Ministerpräsident, zu nächst das Verbindende, sozusagen der Konsens, den auch wir sehen: Es ist völlig richtig, wenn Sie sagen, dass uns die Fol gen der friedlichen Nutzung der Kernenergie noch sehr lange beschäftigen würden. Es ist auch richtig und gut, wenn Sie sa gen, wir müssten den Standort finden, der für die Aufbewah rung des in unseren Atomkraftwerken angefallenen Atom mülls am sichersten sei. Aus diesem Grund ist es durchaus er strebenswert, eine Suche im nationalen Konsens anzustreben.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob dieser jetzt gefundene Konsens gut und richtig ist, und es stellt sich vor allem die Frage, ob dieser Konsens auch im Interesse des Landes Ba den-Württemberg ist. Da haben wir – mit Verlaub – gewisse Zweifel.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Karl-Wil helm Röhm CDU)

Aus unserer Sicht wäre es besser, eine Suche an einem ande ren Ort erst dann vorzunehmen, wenn Gorleben wirklich zu Ende erkundet ist. Wir haben schließlich bereits eine Menge Zeit und sehr viel Geld in die Erkundung von Gorleben inves tiert.

Sie sagen, Herr Ministerpräsident, die Entscheidung für Gor leben sei eine politische gewesen.

(Abg. Wolfgang Raufelder GRÜNE: So ist es auch!)

Das kam auch bei Frau Sitzmann und Herrn Winkler durch: Es war eine rein politische Entscheidung, die im Jahr 1977 getroffen wurde.

(Abg. Wolfgang Raufelder GRÜNE: Nachvollzieh bar!)

Nun, Herr Ministerpräsident, Sie selbst haben in Ihrer Rede zum zitierten Eckpunktepapier gesagt, man wolle eine weiße Landkarte unter Einbeziehung Gorlebens. Weiter haben Sie in Ihrer Rede gesagt – ich zitiere –:

... so ist … bislang auch der endgültige Beweis nicht er bracht, dass Gorleben ungeeignet ist.

Insofern kann man eben nicht behaupten, es sei damals eine rein politische Entscheidung für Gorleben gewesen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Herr Ministerpräsident, Sie sagen in Ihrer Rede selbst, es sei eine Suche, die weder das Salz in Gorleben noch den Granit in Sachsen und genauso wenig die Tonformationen z. B. in unserem Land ausschließe. Sie teilen offensichtlich das, was die damalige rot-grüne Bundesregierung anlässlich des soge nannten Atomkonsenses im Jahr 2000 festgestellt hat, dass nämlich sämtliche bisherigen Ergebnisse der Eignung des Standorts Gorleben nicht entgegenstünden und dass es seit Entstehung dieses Salzstocks vor etwa 250 Millionen Jahren – das ist also ein deutlich längerer Zeitraum als die Perspek tive, die Sie heute aufgezeigt haben – beim tiefer gelegenen zentralen Teil des Salzstocks keine Veränderungen durch Au ßeneinwirkungen mehr gegeben habe. Insofern kann man hier eben nicht behaupten, es gebe wissenschaftliche Erkenntnis se dafür, dass Gorleben nicht geeignet sei.

Jetzt bieten Sie Standorte in Baden-Württemberg an.

(Der Redner hält eine Karte Baden-Württembergs hoch und zeigt darauf.)

Formationen von opalem Ton: Teile der Schwäbischen Alb, Oberschwabens und der Hegau im Kreis Konstanz. Wenn man sich die Karte des Landes anschaut, dann erkennt man die we sentlichen Schwerpunkte für mögliche Standorte: Teile der Schwäbischen Alb, die Region um Riedlingen und in der Bo

denseeregion der Hegau, der Nordwesten des Kreises Kons tanz. Das ist offensichtlich das Angebot der Landesregierung.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Nun hat der Kollege Winkler infrage gestellt, was das Lan desamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau dazu sagt. Herr Kollege Winkler, ich frage Sie: Wen wollen Sie denn sonst fragen?