Protocol of the Session on April 11, 2013

Ich kann nur noch einmal sagen, lieber Herr Lehmann: Natürlich können Sie diese An sicht hier äußern, aber ich finde sie in keiner Weise logisch. Denn wenn jemand in einem anderen Wahlkreis gewählt wird, sitzt er hinterher im selben Kreistag. Warum soll man nicht eine Persönlichkeit aus einer Nachbargemeinde, die zufällig gerade nicht im eigenen Wahlkreis liegt, auch wählen dürfen?

Das System der Wahlkreise bei der Kreistagswahl ist eigent lich völlig abstrakt, und niemand kennt es wirklich.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)

Als Letztes komme ich noch zu dem Argument, das immer wieder angeführt wird, dass Splittergruppen einziehen könn ten.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich bitte darum, die Nebengeräusche einzustellen.

Dazu muss man sagen: Es ist eigentlich genau umgekehrt. Die damals geäußerte Be fürchtung, dass Splittergruppen einziehen, hat sich nur in ganz wenigen Fällen eingestellt. An sich war die damalige Befürch tung unbegründet.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Böblingen, Esslin gen, Ludwigsburg!)

Ja, gut. Aber im Grunde genommen muss man ganz weni ge Fälle ständig zitieren. Deswegen ist es gerade umgekehrt: Die damit verbundenen Befürchtungen sind eigentlich nicht eingetreten.

Viel erstaunlicher ist für mich Folgendes: Nachdem Sie hier sozusagen eine Wählerirritierung und eine Beeinflussung des Wählerwillens beklagen, schreiten Sie selbst munter weiter zur Tat, und zwar mit einer Regelung zur Listenaufstellung, die nun tatsächlich in den Wählerwillen eingreift und ihn in einer Weise beeinflusst, wie wir das nicht für richtig halten.

Man muss ganz klar sagen: Wir halten nichts von solchen Be vormundungen, aber wir halten sehr viel von dem Ziel, mehr Frauen in die kommunalen Parlamente zu bringen. Da unter stützen wir Sie auch in allen Aktivitäten. Wir halten jedoch nichts von Quoten und nichts von einer Bevormundung bei der Listenaufstellung. Man mag jetzt sagen, Sie haben diese Regelung sehr stark zurückgenommen, und zwar so stark, dass

man fast von einer Farce statt von einem richtigen Gesetz sprechen könnte. Es hat mehr mit Schau und Symbolik zu tun.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Dazu muss ich jedoch sagen: Auch von Gesetzen, die mit Schau und Symbolik zu tun haben, halten wir nichts. Streng genommen haben wir den Fall eines Gesetzes, von dem wir nichts halten, weil es nur Schau und Symbolik ist. Aber wenn es ein richtiges Gesetz wäre, würde es uns auch nicht gefal len, weil es Bevormundung bedeutet.

(Zuruf: Genau!)

Insofern müssten wir an dieser Stelle fast mit beiden Armen ablehnen. Sie werden verstehen, dass ich das Fazit ziehe: Aus diesen beiden Gründen werden wir dem Gesetzentwurf am Ende nicht zustimmen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregierung spricht Herr Innenminister Gall.

Herr Präsident, werte Kolle ginnen, werte Kollegen! Wir haben uns zu den Inhalten die ses Gesetzentwurfs in den zurückliegenden Monaten bei un terschiedlichen Gelegenheiten ausgetauscht, die Argumente abgewogen und unsere jeweiligen Positionen deutlich ge macht. Wir haben den Gesetzentwurf bei der Ersten Beratung, bei der Einbringung erläutert und im Innenausschuss im De tail weiterdiskutiert. Im Rahmen dieses parlamentarischen Verfahrens wurde eine neue, von den Vorrednern schon ange sprochene Sollregelung eingebracht. Das halte ich für ein völ lig legitimes Verfahren, sich seitens der Legislative während eines Gesetzgebungsverfahrens mit Vorschlägen einzubringen –

(Zuruf von der CDU: Das steht außer Frage! Aber es muss auch Qualität haben!)

anders als Sie es in den zurückliegenden Jahren immer ge macht haben. Ein von der Regierung eingebrachter Gesetz entwurf wurde von Ihnen in keinem Fall jemals verändert. Ich halte die Änderung eines Gesetzentwurfs für einen völlig nor malen parlamentarischen Vorgang.

(Beifall bei den Grünen)

Mit dem Thema „Berücksichtigung und bessere Platzierung von Frauen in kommunalen Vertretungen“ – ich benutze gern die Worte „Kommunale Parlamente“, auch wenn sie auf der kommunalen Ebene nicht gern gehört werden, für mich ist es auch ein Parlament, weil dort auch Politik gemacht wird; denn auch grundsätzliche Entscheidungen zur Infrastruktur, zur Bil dung haben etwas mit Politik zu tun; das ist überhaupt keine Frage – haben wir uns zuletzt auf der Grundlage einer Gro ßen Anfrage der Fraktion der SPD im März dieses Jahres in tensiv auseinandergesetzt.

Ich will ausdrücklich sagen: Die vorgesehene Sollregelung, wie sie jetzt formuliert ist und Ihnen heute vorliegt, stellt mei nes Erachtens einen gelungenen Kompromiss dar. Herr Throm, es geht nicht darum, ob irgendjemand sein Gesicht

verliert. Ich finde, das ist sowieso eine komische Haltung sei tens der Politik. Seine Meinung im Rahmen eines Diskussi onsprozesses zu ändern, abzuwägen, sich anders zu positio nieren, das halte ich in einer Demokratie für einen normalen Vorgang. Es geht nicht darum, ob jemand sein Gesicht verlo ren hat, sonst findet man vielleicht zum Schluss einen faulen Kompromiss. Nein, es geht darum, Argumente abzuwägen, um dann möglichst zu einer einmütigen Meinung zu kommen.

Wie gesagt, die vorgesehene Sollregelung ist ein gelungener Kompromiss, weil einerseits deutlich gemacht wird, dass es uns ein Anliegen ist, den Anteil von Frauen in den kommuna len Vertretungen zu erhöhen. Mein Wunsch wäre es sogar, den Anteil deutlich zu erhöhen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist unser aller An liegen!)

Andererseits wird deutlich gemacht – das will ich gern zuge ben, weil es aus verfassungsrechtlichen Gründen wichtig ist, wie Sie, Herr Throm, es angesprochen haben –, dass das, was wir hier festschreiben, rechtlich unverbindlich ist. Das ist, oh ne darum herumzureden, schlichtweg erforderlich, damit die ses Gesetz verfassungskonform bleibt. Deswegen ist die For mulierung so getroffen worden, wie wir sie Ihnen heute vor gelegt haben.

Außerdem stellt diese Bestimmung, die wir getroffen haben, in Richtung derer, die ehrenamtlich in Kreiswahlausschüssen arbeiten, klar, wie mit dieser Formulierung umzugehen ist. Auch dies ist ein erforderlicher und wichtiger Hinweis.

Werte Kolleginnen, werte Kollegen, ich denke, alle Vorredne rinnen und Vorredner haben es zum Ausdruck gebracht: Wir sind uns einig, den Frauenanteil in den kommunalen Gremi en zu erhöhen. Leider haben wir zur Kenntnis nehmen müs sen, dass alle bisherigen Bemühungen mehr oder weniger be scheidene Erfolge erzielt hatten. Deshalb ist es auch von mei ner Warte aus gerechtfertigt, sinnvoll und richtig, einen – wenn auch unverbindlichen – Appell beispielsweise an die Parteien und Wählervereinigungen zu richten und ihren Blick darauf zu lenken, dass auch sie aufgrund von Artikel 3 des Grundgesetzes eine Verantwortung haben, an diesem Thema intensiver als bisher zu arbeiten.

(Beifall bei den Grünen)

Auf keinen Fall, meine Damen und Herren, greifen wir mit dieser Regelung in Themen wie Wahlfreiheit, Wahlgerechtig keit und Stimmengleichheit ein. Das wäre in der Tat nicht ver fassungskonform.

Aber, meine Damen und Herren, neben diesem Thema – auch das wurde angesprochen – ist auch das Wahlrecht ab 16 Jah ren bei kommunalen Wahlen, bei Abstimmungen ein wichti ges Thema. Diese Neuregelung ist auch für mich als Innen minister ein zentrales, wichtiges Anliegen, da ich es für wich tig halte, junge Menschen mehr als bislang möglichst frühzei tig auch in Diskussions- und Entscheidungsprozesse einzube ziehen. Wo sollte dies besser möglich sein als auf der kom munalen Ebene? Dort gibt es eine große Nähe zu den Themen, die auch junge Menschen berühren: Bildung, Sport, Kultur und all diese Dinge.

Deshalb ist es gut und richtig, dass sich die Regierungsfrak tionen mehr als einig sind, dass diese neue Möglichkeit für Gemeinderats-, Ortschaftsrats- und Kreistagswahlen, aber auch für Bürgermeisterwahlen Anwendung finden soll.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Da orientieren wir uns an dem – da gibt es, finde ich, keinen Widerspruch –, was andere Bundesländer in der Vergangenheit schon gemacht haben. Das bezieht sich nur auf das aktive und nicht auf das passive Wahlrecht. Da befinden wir uns, wenn Sie so wollen, im Geleitzug auch mit anderen Ländern, die bis vor Kurzem sogar noch von der CDU regiert worden sind.

Auch wenn mit dieser Änderung kein passives Wahlrecht ab 16 Jahren verbunden ist, hoffe und erwarte ich sogar, dass die ser erste Schritt dazu taugen wird, den einen oder anderen jun gen Menschen zu animieren und bei ihm vielleicht Lust zu wecken, mit 18 Jahren bei der nächsten Kommunalwahl oder in diesem Fall mit 19 oder 20 Jahren auch für ein kommuna les Mandat zu kandidieren.

Mit diesem Wahlrecht – das finde ich auch wichtig und will es ausdrücklich erwähnen – gehen auch Bürgerpflichten ein her. Bürgerpflichten – auch das sollten wir jungen Menschen gelegentlich deutlich machen – sind in einer Demokratie auch sehr wichtig. Beispielsweise können diese Jugendlichen – das geht aber nur im Rahmen des Bestimmungsrechts der Erzie hungsberechtigten – ab sofort dann auch zur Übernahme von Ehrenämtern in den Kommunen herangezogen werden.

Die Änderung des Wahlverfahrens haben wir angesprochen. Dazu will ich nichts Näheres ausführen. Wir stellen damit nichts anderes her als die Gleichheit des Auszählungsverfah rens mit dem für Bundestags- und Landtagswahlen. Warum sollte dies nicht auch bei der Kommunalwahl Anwendung fin den?

Dies ist eine sinnvolle Ergänzung oder Abrundung, wenn man so will, des durchaus – da teile ich die Meinung aller meiner Vorredner – bewährten kommunalen Wahlsystems in BadenWürttemberg mit den Möglichkeiten, die unsere Bürgerinnen und Bürger, die Wählerinnen und Wähler haben, die es in an deren Bundesländern schlicht und ergreifend nicht gibt.

Mein letzter Hinweis, der auch wichtig ist: Mit diesem Gesetz ist auch eine nochmalige gesetzliche Änderung verbunden, was die Frist zur Umstellung des kommunalen Haushalts- und Rechnungswesens betrifft. Wir tragen damit den kommuna len Wünschen Rechnung, die vielfach geäußert worden sind. Wir haben auch zugesagt: Wir werden früher, als in Ihrem Ge setz vorgesehen ist, evaluieren, um den Kommunen dann im Lauf dieser längeren Frist die Möglichkeit zu geben, unter den neuen Bedingungen schneller umzustellen, als wir es jetzt zeitlich einräumen.

Wir haben aber auch ganz klar erklärt – Herr Throm, auch da hatte ich schon eine andere Meinung, habe mich aber eines Besseren belehren lassen –: Ziel dieses Umstellungsprozes ses muss auch sein, dass wir in Baden-Württemberg am En de ein einheitliches Haushalts- und Rechnungswesen haben, obwohl ich nach wie vor ein Fan der Kameralistik bin. Aber die Sachargumente haben mich ganz einfach überzeugt.

(Abg. Sascha Binder SPD: Na ja! – Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Meine Damen und Herren, wie die bisherigen Beratungen und auch die heutigen Wortbeiträge gezeigt haben, gibt es in allen Fraktionen, über alle Parteigrenzen hinweg in vielen Einzel bereichen dieses Gesetzes Zustimmung. Deshalb finde ich es schade, dass Sie dem Gesamtgesetz nicht zustimmen wollen, weil Ihnen das eine oder andere nicht passt, obwohl Sie mit vielen Einzelthemen im Großen und Ganzen durchaus einver standen sind.

Ich finde das schon deshalb schade, weil auch die Anhörung ganz klar ergeben hat, dass der weit überwiegende Teil des Gesetzentwurfs beispielsweise auch von den kommunalen Landesverbänden begrüßt wird. Wenn es Einwände gegeben hat, waren sie meist rechtssystematischer Natur und richteten sich nicht im Grundsatz gegen die neue Regelung.

Meine Damen und Herren, ich darf darauf hinweisen, dass im Zusammenhang mit der Kommunalwahl ab dem 20. August dieses Jahres mit der Aufstellung von Listen für Kandidatin nen und Kandidaten begonnen werden kann, und zwar unab hängig vom genauen Wahltag, der aufgrund des noch nicht festgesetzten Tages der Europawahl noch nicht feststeht. Der geborene Wahltag – das wissen Sie – wäre der 8. Juni 2014. Am 8. Juni 2014 können und dürfen wir aufgrund unserer ge setzlichen Regelungen aber keine Kommunalwahl durchfüh ren. Deshalb werden nach wie vor intensive Gespräche darü ber geführt, die Europawahl vorzuziehen.

Ich will andeuten, dass derzeit der 25. Mai favorisiert wird. Ich hoffe, dass es gelingt, sich darauf zu einigen. Sollte dies nicht gelingen, dann müssen wir uns auf einen anderen Wahl tag für die Kommunalwahl verständigen. Dabei biete ich ei ne breite Diskussion an.

Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, dass wir den 16- und 17-Jährigen die Chance geben sollten, sich be reits bei der Vorbereitung der Kommunalwahl einzubringen und entsprechend daran mitzuwirken. Das geht aber nur, wenn der Gesetzentwurf der Landesregierung heute verabschiedet wird, worum ich Sie jetzt noch einmal bitte. Dadurch könnte den 16- und 17-Jährigen die Chance gegeben werden, bei spielsweise bei den aktuell anstehenden Oberbürgermeister wahlen in Singen und Aalen ihren Oberbürgermeister bzw. ih re Oberbürgermeisterin mit zu wählen.

In diesem Sinn bedanke ich mich für die Diskussion, die wir teils auch strittig geführt haben. Ich wünsche mir, dass Sie Ih re Vorbehalte an der einen oder anderen Stelle überwinden und diesem Gesetzentwurf zustimmen können.

Herzlichen Dank.