Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Die Ankündigung des Vorstands der Deutschen Bahn im Dezember letzten Jahres, dass Stuttgart 21 bis zu 2 Milliarden € mehr kostet, hat viele überrascht und verärgert, auch uns. Es war völlig klar, dass bei einem Pro jekt, dessen Kosten bislang auf 4,5 Milliarden € beziffert wur den, angesichts der Ankündigung von drohenden zusätzlichen Kosten in Höhe von 2 Milliarden € die Frage aufgeworfen werden muss – in der Öffentlichkeit, in den Medien und na türlich auch in der Politik, bei den Verantwortlichen –: Was bedeutet das für das Projekt?
Deshalb haben u. a. die Vertreter der Bundesregierung im Auf sichtsrat der Deutschen Bahn, die drei Staatssekretäre, in dem berühmten Dossier natürlich die Fragen aufgeworfen: Bedeu tet das möglicherweise das Aus? Was kostet das Aus? Gibt es Alternativen? Mindestens zwei Dutzend der 115 Fragen, die dem Vorstand gestellt wurden, beschäftigten sich genau mit der Frage: Was bedeutet das? Bedeutet das das Aus? Welche Alternativen gibt es? Wie stellt sich das dar?
Der verkehrspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfrakti on hat gesagt: „Jetzt muss man über Alternativen reden.“ Herr Döring, der für die FDP im Aufsichtsrat sitzt, hat sich ähnlich geäußert.
Ich will es so sagen: Diese Phase von der Ankündigung der Mehrkosten bis zur Entscheidung des Aufsichtsrats war die
Phase des Konditional I – zu Deutsch: Möglichkeitsform I, „Was wäre, wenn?“ –, durchaus immer mit der Möglichkeit, dass diese Mehrkosten bedeuten, dass man alternative Wege einschlagen soll.
Jetzt frage ich Sie mit Blick auf die Vorwürfe, die Sie da er heben, allen Ernstes: Was wäre denn das für ein Parlament, was wären das für Parteien, wenn in den Parteien und im Par lament das, was auch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, was in Berlin und bei der Bahn diskutiert wird, überhaupt keinen Niederschlag in den Diskussionen gefunden hätte? Das wäre doch völlig unwirklich.
Es geht in einer solchen Situation doch nicht um Hurrapatri otismus nach dem Motto „Augen zu und durch“, sondern es geht um eine nüchterne Abwägung:
Was bedeuten die veränderten Rahmenbedingungen für die politischen Verantwortungsträger in Bund und Land?
Deshalb kam bei unserem Parteitag am vergangenen Samstag natürlich auch – u. a. in Form eines Antrags – die Frage auf: Muss man jetzt nicht über Alternativen sprechen? Das wurde diskutiert, und dann wurde entschieden. So gehört es sich auch in einer Demokratie; es gehört sich, dass man die verschiede nen Aspekte beleuchtet und diskutiert und dann eine verant wortliche Entscheidung trifft.
Das war die Phase des Konditional I, die Phase, in der es ver schiedene Möglichkeiten gibt, die dann auch erörtert, disku tiert und abgewogen werden müssen.
Was wäre gewesen, wenn? Diese Formel – „Was wäre gewe sen, wenn?“ – zeigt, dass jetzt das, was in der ersten Phase noch möglich war, in die Sphäre der Unwirklichkeit übergeht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Hans- Ulrich Rülke FDP/DVP: Ah! – Abg. Nicole Razavi CDU: Bravo! – Abg. Winfried Mack CDU: Schön!)
Der Aufsichtsrat der Bahn hat sich mit allen Möglichkeiten beschäftigt. Das gilt nicht nur für die Vertreter der Bundesre gierung, sondern auch für die Arbeitnehmervertreter. Herr
Kirchner hat in seinem Brief an die Projektpartner genau die se Frage gestellt – „Was wäre, wenn?“ –, um hinterher im Auf sichtsrat noch einmal alles abzuwägen und zu besprechen und dann eine Entscheidung zu treffen.
Die Entscheidung, die jetzt getroffen wurde, bringt die erste Phase nun in die Sphäre der Unwirklichkeit. Die Wirklichkeit ist, dass das Projekt jetzt eine breitere Legitimation hat, weil die Situation in allen Aspekten, auch in Worst-Case-Szenari en, vom Aufsichtsrat beleuchtet wurde. Es wurde die Entschei dung getroffen: Selbst wenn alle drohenden Mehrkosten in Höhe von 2 Milliarden € anfallen, selbst wenn alles bei der Bahn hängen bleibt, steht die Bahn zu diesem Projekt, weil dieses Infrastrukturprojekt auch unter den veränderten Rah menbedingungen für die Bahn, für die Region und für das Land die beste Lösung ist.
Deshalb möchte ich nun an Sie appellieren, sich jetzt nicht länger daran aufzuhalten. Das Thema der Aktuellen Debatte heißt ja: „Wie geht es weiter nach dem Aufsichtsratsbeschluss?“ Sie haben aber lauter Fragen gestellt, die die Phase betreffen, die jetzt in die Sphäre der Unwirklichkeit gerückt ist. Verste hen Sie?
In dieser Phase konnte und musste man andere Fragen stellen als in der nun eingetretenen Phase nach dem Aufsichtsratsbe schluss. Jetzt müssen wir überlegen: Was ist notwendig?
Erstens – Sie haben bereits darauf hingewiesen –: Die Bahn muss sich endlich operativ besser aufstellen, damit sie das Projekt besser in den Griff bekommt. Sie muss die Projektge sellschaft anständig ausstatten und dann vor Ort die Dinge so bearbeiten, wie sie bearbeitet werden müssen.
Zweitens: Wir brauchen ein engeres Miteinander der Geneh migungsbehörden. Es darf nicht sein, dass die Papiere vom Regierungspräsidium zum Eisenbahn-Bundesamt und wieder zurück wandern. Wir brauchen eine Projektpartnerschaft auch der Genehmigungsbehörden, vom Eisenbahn-Bundesamt über das Regierungspräsidium bis zum Umweltamt der Stadt.
Drittens: Wir brauchen ein Baustellenmanagement der Bahn mit der Stadt. Denn jetzt geht es los, und zwar an verschiede nen Orten in der Stadt. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Verkehrsflüsse; da muss man zusammenarbeiten.
Viertens: Wenn Stuttgart 21 kommt, dann ist die beste Lösung erforderlich. Deshalb sind wir dafür, dass wir uns der besten Lösung am Flughafen nicht verschließen.
Wenn man in diesen Richtungen denkt, muss man die Frage stellen: Wie geht man jetzt in der Umsetzung besser vor, als dies in der Vergangenheit der Fall war? Da gab es ja erhebli che Probleme – die dann natürlich auch immer wieder auf das Projekt zurückfallen. Wenn wir das tun, sind wir richtig auf gestellt. Wenn sich alle Beteiligten von diesem Geist leiten
lassen, dann muss uns nicht bange sein. Dann werden wir die Projektfortschritte, auf die wir warten, sehen.
Frau Präsiden tin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Bevor ich für die Landesregierung eine Erklärung abge be, möchte ich etwas zu den Vorwürfen der Kollegin Razavi sagen.
Frau Kollegin Razavi, der stellvertretende Aufsichtsratsvor sitzende der Deutschen Bahn AG hat mir einen Brief geschrie ben, nachdem der Vorstand der Deutschen Bahn AG auch uns verkündet hat, dass das Projekt Stuttgart 21 wesentlich teurer wird als geplant. Der Ball lag beim Aufsichtsrat. Sein Brief beinhaltete zwei Fragenkomplexe.
Die ersten Fragen betrafen den Fall einer Projektfortführung, die anderen Fragen den Fall eines Projektabbruchs. Das wa ren die Fragen des Aufsichtsrats an mich. Der Ball lag beim Aufsichtsrat, und dieser beschrieb mir zwei mögliche Ent scheidungen. Wie der Aufsichtsrat entscheidet, konnte ich nicht wissen.
Die Fragen zur Projektfortführung habe ich beantwortet. Zu den Fragen zum Projektabbruch habe ich Folgendes geschrie ben – ich lese es einmal vor, damit es alle wissen –:
bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihre weiteren Fragen zum Themenkomplex Projektabbruch nicht beant worten kann; denn der Ball für die Entscheidung über das weitere Vorgehen bei Stuttgart 21 liegt jetzt bei Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG.