Aber, meine Damen und Herren, wir wollen die Beteiligung von Jugendlichen nicht auf das reine Wahlrecht begrenzen. Denn bürgerschaftliche Mitwirkung beschränkt sich nicht nur auf die Stimmabgabe an einem Wahltag. Rund 250 000 16- bis 17-Jährige werden bei der kommenden Kommunalwahl Erstwähler sein. Sie sollen – abgesehen vom passiven Wahl recht – auch die sonstigen Bürgerrechte nach der Gemeinde ordnung erhalten.
Sie könnten dann beispielsweise bei Bürgerbegehren unter zeichnen, bei einem Bürgerentscheid mitbestimmen oder so gar einen Antrag auf Durchführung einer Bürgerversammlung unterschreiben. Die Jugendlichen erhalten damit mehrere Mög lichkeiten, am politischen Geschehen in ihrer Gemeinde, an ihrem Wohnort teilzuhaben, sich zu engagieren und sozusa gen Demokratie zu erlernen.
Meine Damen und Herren, der zweite zentrale Punkt ist die Umstellung des Berechnungsverfahrens für die Sitzverteilung auf das Höchstzahlverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers. Wir alle wissen – wir haben in diesem Haus wiederholt darüber diskutiert –: Die Umrechnung der Stimmenanteile der Partei en und Wählervereinigungen bei Gemeinderats- und Kreis tagswahlen erfolgt bisher nach dem d’hondtschen Höchstzahl verfahren. Dieses Verfahren hat in Baden-Württemberg zuge gebenermaßen eine lange Tradition. Wie bekannt ist, führt es aber nicht zu wirklich proporzgerechten Ergebnissen.
Nicht umsonst haben viele andere Bundesländer, der Bund und auch wir bei der zurückliegenden Landtagswahl dieses Wahlverfahren abgelöst und durch ein neues ersetzt. Denn es ist ein Grundprinzip der repräsentativen Demokratie, dass sich die Wahlentscheidung der Wählerinnen und Wähler möglichst genau im Gemeinderat oder im Kreistag widerspiegelt. Eine hundertprozentige Spiegelung lässt sich nicht bewerkstelli gen, weil es bei den Wählerstimmenverhältnissen auch Kom mastellen gibt. Es gibt in Parlamenten und Gremien aber nur ganze Vertreterinnen und Vertreter. Das neue Verfahren ge währleistet jedenfalls nach unserer Auffassung eine gerechte re Sitzverteilung als das bisherige Verfahren. Deshalb werbe ich um Zustimmung auch für diesen Passus unseres Gesetz entwurfs.
Zudem sieht der Gesetzentwurf vor, dass wir die Möglichkeit, bei Kreistagswahlen in zwei Wahlkreisen zu kandidieren, wie der abschaffen. Das haben wir jetzt zweimal gemacht. Mit die sem Thema hat sich der Landtag wiederholt beschäftigt, zum letzten Mal im Oktober des letzten Jahres auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs der CDU-Fraktion.
Ich kann es kurz machen: Wir waren uns – mit Ausnahme der Kollegen von der FDP/DVP – einig, dass wir diesen Schritt gehen, die Möglichkeit der Doppelkandidaturen wieder rück
gängig zu machen. Ich habe das damals bei der Beratung Ih res Gesetzentwurfs zugesagt, und das löse ich heute ein.
Der Gesetzentwurf enthält einige andere Änderungen, die wahlorganisatorischer Art sind. Dabei handelt es sich in aller Regel um Anregungen aus der kommunalen Praxis unter dem Stichwort Bürokratieabbau. Es geht dabei um Änderungen, die dazu dienen, die Wahlorganisation insgesamt zu erleich tern.
Wir haben den Wunsch insbesondere der größeren Städte auf genommen, eine Rechtsgrundlage für eine repräsentative Wahl beteiligungsstatistik zu schaffen, wie sie bei Parlamentswah len seit vielen Jahren üblich ist. Dazu können wir im Aus schuss noch nähere Ausführungen machen.
Abschließend möchte ich auf einen weiteren durchaus wich tigen Punkt des Gesetzentwurfs hinweisen, nämlich die Wei terentwicklung des kommunalen Haushalts- und Rechnungs wesens. Wir alle wissen, dass es diesbezüglich nach wie vor heftige Diskussionen auf der kommunalen Ebene gibt. Des halb erwarten die Kommunen von uns eine Entscheidung, wie es denn weitergehen soll, und eine Erklärung, welche Rege lungen wir in das Gesetzespaket aufgenommen haben. Da nach – zumindest nach unseren Vorstellungen – sollen die bis herigen Fristen zur Umstellung auf das neue Haushalts- und Rechnungswesen jeweils um insgesamt vier Jahre verlängert werden. Dadurch wird der Umstellungsprozess nach unserer Auffassung und der vieler Kommunen entzerrt und erleich tert. Möglichen Engpässen für die umstellenden Kommunen bei einer gegebenenfalls erforderlichen Beratung oder auch bei der Prüfung beugen wir damit vor.
Ich habe es auch hier im Haus schon erwähnt: Ergänzend wer den wir in diesem Jahr beginnen, die bisherige Umstellung der baden-württembergischen Kommunalhaushalte auf das neue Gemeindehaushaltsrecht durch das Innenministerium – selbstverständlich unter Beteiligung der kommunalen Landes verbände und damit auch der Gemeindeprüfungsanstalt – zu evaluieren. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Evalua tion sollen anschließend unter Beteiligung der kommunalen Landesverbände die Regelungen zum Gemeindehaushalts recht weiterentwickelt werden. Ich sage aber auch heute deut lich: Wir streben dabei ein einheitliches kommunales Haus halts- und Rechnungswesen in sicherlich veränderter Form gegenüber den heutigen Regelungen an.
Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass wir über die Mehrzahl der von mir genannten Punkte – im Gesetz entwurf gibt es auch noch ein paar andere – Konsens erzielen können. Ich bitte Sie deshalb um eine offene, konstruktive Diskussion in den anstehenden Beratungen und am Ende der Beratungen – wenn es irgend geht – um entsprechende Zu stimmung.
Für die Aussprache über den Gesetzentwurf hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die grünrote Landesregierung bereitet mit dem vorliegenden Gesetz entwurf in der Tat den rechtlichen Rahmen für die Kommu nalwahl im kommenden Jahr in Baden-Württemberg vor. In dem Gesetzentwurf werden vor allem rechtliche Regelungen getroffen und auch Klarstellungen vorgenommen hinsichtlich der statistischen Auswertung zur Kommunalwahl, der Festle gung der maßgebenden Einwohnerzahl, der Berechnung der Mindestwohndauer von Bürgern und des Verzichts auf Wahl kreisausschüsse für die Kreistagswahlen, und es wird recht lich klargestellt, dass Bürgermeisterwahlen, Bürgerentschei de und Volksabstimmungen gleichzeitig durchgeführt werden können. All dies, Herr Minister, trifft auch auf die Zustim mung der CDU-Landtagsfraktion.
Ebenso halten wir es auch für richtig, dass die Möglichkeit für Bewerber, bei Kreistagswahlen in zwei Wahlkreisen zu kandidieren, wieder abgeschafft wird.
Dazu haben wir, wie Sie wissen, auch einen eigenen Gesetz entwurf eingebracht, der derzeit im parlamentarischen Ver fahren ruht.
Die Erfahrung hat einfach gezeigt, dass der Wählerwille da durch etwas verzerrt wird, dass dadurch dem Wählerwillen auch nicht zu 100 % Rechnung getragen wird und vor allem die Kreistage durch Überhang- bzw. Ausgleichsmandate über strapaziert werden.
Wir freuen uns deshalb auch, dass die Landesregierung sich unseren Gesetzentwurf zu eigen gemacht und in ihren Gesetz entwurf eingearbeitet hat.
Mit der Änderung des Berechnungsverfahrens für die Sitzver teilung, meine sehr geehrten Damen und Herren, von d’Hondt auf Sainte-Laguë/Schepers möchte Grün-Rot den großen Par teien, wie man so sieht, bei der Sitzverteilung einen angebli chen Vorteil nehmen und eröffnet in meinen Augen eine ma thematische Gerechtigkeitsdebatte.
Beide Verfahren sind nach der Rechtsprechung des Bundes verfassungsgerichts eigentlich nach wie vor zulässig. Die Fra ge der Gerechtigkeit kann es also deshalb in meinen Augen nicht allein sein, warum Grün-Rot hier eine Änderung vor nimmt. Ein politischer Streit darüber lohnt sich nicht. Ich möchte hier ankündigen, dass die CDU-Landtagsfraktion auch dies mittragen kann,
Zugleich sehen wir mit großer Freude, dass an einer einheit lichen doppischen Haushaltsführung der Kommunen festge halten wird. Damit wird unsere Entscheidung jetzt nochmals bestätigt. Vor allem ist auch erfreulich, dass die grün-rote Lan desregierung hier von ihrem Koalitionsvertrag abrückt. Dies sorgt in meinen Augen für Klarheit, dies sorgt auch für Ver gleichbarkeit auf der Ebene der Kommunen, und dies spart den Kommunen auch Kosten.
Was wir allerdings in dieser Form nicht mittragen können, ist die Absenkung des Mindestalters für das aktive Wahlrecht auf 16 Jahre. Sie zäumen hier – wie meines Erachtens auch bei der Einführung der Gemeinschaftsschule – das Pferd von hin ten auf.
Die Gemeinschaftsschule wird ohne Vorbereitung, ohne päd agogisches Konzept, ohne Aus- und Weiterbildung der Leh rer eingeführt. Die Absenkung des Mindestalters für das ak tive Wahlrecht auf 16 Jahre erfolgte ebenso ohne Vorberei tung, ohne echte Anhörung und Beteiligung der Jugendlichen selbst, ohne breiten politischen Konsens in dieser wichtigen Frage. Außerdem führen Sie diese Regelungen nur in halbher ziger Form ein.
Sie müssen sich deshalb schon fragen lassen: Warum heben Sie eigentlich den verfassungsgemäßen, bewährten und über alle Wahlen getragenen Grundsatz der Gleichstellung von Wahlrecht und Volljährigkeit auf?
Die Väter und die Mütter unseres Grundgesetzes und auch der Landesverfassung haben dafür wichtige Gründe gesehen, die nicht an Bedeutung verloren haben und die für die CDU-Land tagsfraktion nach wie vor überzeugend und wichtig sind.
Insbesondere der innere Zusammenhang von Wahlalter und Volljährigkeit konkretisiert sich doch in der Frage, warum je mand über die Geschicke der Gesellschaft mitentscheiden soll, den diese Gesellschaft noch nicht für reif genug hält, seine ei genen Lebensverhältnisse regeln zu dürfen.
Warum bereiten Sie deshalb die Jugendlichen nicht auf die sen bedeutsamen Akt der Wahl und dieses so wichtige demo kratische Instrument vor, bevor Sie hier das Wahlalter einfach absenken?
Warum führen Sie nicht zuvor andere kommunale Beratungs möglichkeiten ein? Hier verweise ich auf Ihren eigenen Koa litionsvertrag. Darin heißt es – ich zitiere –:
Wir werden die Beteiligungsrechte von Kindern und Ju gendlichen in der Gemeindeordnung verbindlich veran kern. Kinder und Jugendliche sollen grundsätzlich bei al len sie betreffenden Fragen politisch beteiligt werden.
Nichts, aber auch gar nichts haben wir jetzt in zwei Jahren Re gierungszeit Ihrer Koalition dazu gehört, und auch der Ge setzentwurf gibt dazu keine Antworten.
Warum hören Sie eigentlich bei dieser wichtigen Angelegen heit nicht auf die kommunalen Landesverbände, die ursäch lich davon betroffen sind und die die Absenkung des Wahlal ters auf 16 Jahre in dieser Form entweder ablehnen oder ihr zumindest sehr kritisch gegenüberstehen?
Hierzu verweise ich auch auf einen Artikel in der „taz“. Dar in steht: „Wählen mit 16? Nicht mal geschenkt!“ Oder ich weise auf eine Shell Jugendstudie hin, in die 2 500 Jugendli che einbezogen wurden und aus der hervorgeht, dass die Mehr heit der Jugendlichen dieses Recht gar nicht will, sondern ab lehnt.
Ich darf auch auf ein Gespräch mit 90 Jugendlichen – 16-Jäh rigen, 17-Jährigen – hinweisen, das ich am Montag dieser Wo che geführt habe und bei dem ich diese Frage offen andisku tiert habe. Die haben ebenfalls mit großer Mehrheit erklärt, dass sie dieses Recht nicht haben wollen und es ablehnen.
Warum führen Sie dann, wenn Sie schon meinen, Sie müss ten das tun, nur das aktive Wahlrecht und nicht auch das pas sive Wahlrecht ab 16 Jahren ein? Nur ein Kreuzchen auf dem Wahlzettel machen, das war es für sie? Ist keine aktive Betei ligung von Jugendlichen im Gemeinderat oder im Ortschafts rat erwünscht? Das wollen Sie nicht? Sieht so Ihre Jugendbe teiligung aus?
(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Stellen Sie doch einen Änderungsantrag! – Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Wollen Sie auch das Mindestalter für das passive Wahlrecht absenken?)