Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Die CDU-Landtagsfraktion hat verschiedene Anträge eingereicht, in denen wir nach der Zu kunft der Schulstandorte in Baden-Württemberg fragen. Die beiden Anträge, die uns heute zur Beratung vorliegen, sind nur eines von mehreren Beispielen dafür, wie Sie mit solchen parlamentarischen Initiativen umgehen. Sie, Herr Minister, beantworten die in den Anträgen gestellten Fragen schlicht und einfach nicht.
Das finde ich sehr bedauerlich. Denn dies könnte den Ein druck erwecken, dass Sie zu dieser Frage überhaupt keine Po sition haben und dass Sie darüber hinaus letztlich unter Kon zeptlosigkeit leiden.
Deswegen, meine Damen und Herren, möchten wir heute ge rade gegenüber Ihnen, Herr Minister Stoch – Sie sind seit ei nigen Wochen im Amt –, einige konkrete Fragen zu der regi onalen Schulentwicklung formulieren, die für alle Bürgerin nen und Bürger und vor allem für die Entscheidungsträger vor Ort durchaus von besonderem Interesse sind.
Seit fast zwei Jahren sprechen Sie über die regionale Schul entwicklung. Nur: Die Unklarheiten bleiben. Es gibt weiter hin viele offene Fragen. Damit stellt sich die ganz zentrale Frage: Welche Schulen außer den Gemeinschaftsschulen be kommen überhaupt die Chance, sich weiterzuentwickeln?
Hier kurz die Chronologie der Ereignisse: Zunächst einmal schafften Sie überhastet die verbindliche Grundschulempfeh lung ab, was zu großen Irritationen in der Fläche des Landes führte – ohne regionale Schulentwicklungsplanung. Sie ge nehmigten 44 Starterschulen, ohne gleichzeitig ein Konzept der regionalen Schulentwicklung vorzulegen. Erst nach Pro testen kündigte Ministerpräsident Kretschmann im Sommer letzten Jahres die Vorlage eines solchen Konzepts bis zum Herbst des vergangenen Jahres an. Aber gleichzeitig erfolgte die Ausschreibung der neuen Tranche der Gemeinschaftsschu len ohne ein Konzept der regionalen Schulentwicklung.
Endlich hat dann Ihr Ministerium, Ihre Vorgängerin, kurz vor Weihnachten Eckpunkte vorgelegt. Nur: Die offenen Fragen bleiben nach wie vor. All diese Diskussionen, die seit vielen Monaten stattgefunden haben, führen zu großer Verunsiche rung in der Fläche des Landes. Der Gemeindetag Baden-Würt temberg hat beispielsweise in seiner Zeitschrift „Die Gemein de“ im Januar 2013 geschrieben – ich darf zitieren –:
Die Errichtung einer Gemeinschaftsschule ist geeignet, die Wettbewerbssituation um Schülerinnen und Schüler in kritischer Weise zu verschärfen, weil sie Auswirkungen über Gemeindegrenzen hinaus hat und damit die Belan ge von Nachbargemeinden berührt sein können.
Aber darüber hinaus gibt es große Irritationen, wenn beispiels weise Standorte von Gemeinschaftsschulen bewilligt werden. Ich darf aus der „Stuttgarter Zeitung“ vom 31. Januar dieses Jahres zitieren, als sich der Gemeinderat aus Weissach im Landkreis Böblingen rührte:
„Bis vor Kurzem gab es die Ansage, dass Rutesheim kein Interesse an einer Gemeinschaftsschule hat“, schimpfte etwa Gerhard Strauß von der Bürgerliste... „Mir blieb die Spucke weg, als ich vor zehn Tagen gehört habe, dass Rutesheim sie nun doch will und damit sein Veto gegen unsere Pläne einlegt!“ Eine ähnliche Metapher wählte auch der Freie Wähler Karl Schäfer: „Rutesheim hat uns in die Suppe gespuckt.“ Andreas Pröllochs (Bürgerliste) sagte: „Ich finde es schade, dass Rutesheim nicht in ei nen Dialog mit uns eingetreten ist.“
Dieses Beispiel zeigt, Herr Minister: Sie genehmigen Gemein schaftsschulen, ohne sich mit aller Sorgfalt zu erkundigen, wie die Interessenlage bei anderen Kommunen ist.
Das ist mittlerweile nicht verantwortbar. Sie genehmigen Ge meinschaftsschulen zum Leidwesen benachbarter Bildungs einrichtungen.
Wir wollen – um es in aller Deutlichkeit zu sagen –, dass al le Schulen in Baden-Württemberg gleiche Entwicklungsper spektiven erhalten, und wir wollen nicht, dass durch die Ge nehmigung der Gemeinschaftsschulen andere Schulstandorte untergraben werden.
Sie haben sich in den Eckpunkten mit den kommunalen Lan desverbänden darauf verständigt, dass man zunächst einmal Schülerzahlprognosen ermitteln muss, um einen solchen An trag zu rechtfertigen. Es können Schüler mit einberechnet wer den, die Schulen benachbarter Standorte besuchen. Damit be absichtigen Sie gerade, dass die Gemeinschaftsschulen in ei nen ungleichen Wettbewerb zulasten anderer Bildungseinrich tungen treten.
Deswegen, Herr Minister, möchten wir von Ihnen einige Klar stellungen hören. Sie stehen auch in der politischen Verant wortung für das, was Sie durch Ihre Amtsübernahme in Ihrem Haus vorgefunden haben.
Ich darf zunächst einmal erwähnen – das macht etwas Mut –, dass Sie sich in der letzten Plenardebatte zu einem anderen Thema wie folgt äußerten: Sie gestehen im Grunde zu, dass alle Schüler ein Anrecht auf individuelle Förderung haben, und kündigen sinngemäß an, dass Sie alle Schulen gleich be handeln möchten. Das war Ihre Aussage in der letzten Plenardebatte – wir haben noch nicht viele Zitate von Ihnen, auf die wir zurückgreifen können, und ich darf nicht wörtlich zi tieren, weil das Protokoll noch nicht offiziell freigegeben wur de. Aber Sie widersprechen mir nicht.
Nur: Wenn diese Aussage stimmt, Herr Minister, erwarten wir, dass Sie schnell Klartext reden und im Zuge der regionalen Schulentwicklung auch ganz klare Aussagen formulieren, wie Sie mit den Schulstandorten umgehen, die durch das Geneh migungsverfahren der Gemeinschaftsschulen nachteilig be troffen sind.
Deswegen eine weitere Frage, Herr Minister: Trifft noch zu, was der Ministerpräsident im Sommer letzten Jahres ganz klar gesagt hat? Ich zitiere die „Stuttgarter Zeitung“ vom 18. Juli 2012 – Kretschmann nimmt kein Blatt vor den Mund –:
Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu, weil das sehr wich tige Fragen sind. Ich möchte dazu den Herrn Minister im An schluss hören.
Sehr geehrter Herr Minister, wie sieht es denn jetzt konkret aus? Stehen Schulschließungen an? Definieren Sie ganz kla re Mindestgrößen? Wie sind die Mindestgrößen?
Was passiert, wenn diese Schulen unter der Mindestgröße lie gen? Werden Sie dann seitens des Landes anordnen, dass die se Schulen keine Zukunft mehr haben? Diese Fragen stehen nach wie vor im Raum, und hier müssen Sie eine klare Posi tionsbeschreibung abgeben.
Meine Damen und Herren, die CDU-Landtagsfraktion hat im Sommer des letzten Jahres ein eigenes Konzept zur regiona len Schulentwicklung vorgelegt. Wir fordern ein Gesamtkon zept, das zunächst einmal mit allen relevanten Partnern auf Landesebene zu entwickeln ist. Wir fordern allerdings eine Umsetzung unter Berücksichtigung der regionalen Besonder heiten, beispielsweise in Form von regionalen Bildungskon ferenzen. Dabei müssen nicht in einem Schnellverfahren alle am Schulleben Beteiligten vor Ort eingebunden werden, aber letztlich darf es nicht zu Schließungen gegen den Willen der Betroffenen kommen. Das ist das entscheidende Credo. Wenn Sie einen vernünftigen Weg in unserem Sinn einschlagen, dann können Sie auch mit einer konstruktiven Mitwirkung un sererseits rechnen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Kultusminis terium für die kurzen und vornehmen Stellungnahmen zu den beiden Anträgen danken.
Herr Wacker, die Rede, die Sie gerade gehalten haben, bezieht sich überhaupt nicht auf Ihre Fragen, die Sie darin gestellt ha ben. Sie unterstellen mit dem Antrag mit der Überschrift „Schulschließungsliste Baden-Württemberg“, dass es hier ei ne Schulschließungsliste gäbe. Auf der anderen Seite fragen Sie: Warum kommt die Landesregierung mit der regionalen Schulentwicklung nicht in die Pötte? Sie müssen sich einfach einmal entscheiden, was Sie eigentlich wollen.
Ich frage Sie – Sie waren ja selbst einmal in der Verantwor tung für die Kultuspolitik in Baden-Württemberg –: Wann hat die CDU in den letzten Jahrzehnten im Land einmal eine re gionale Schulentwicklung auf den Weg gebracht?
Bei diesem Thema haben Sie sich regelmäßig in die Büsche geschlagen, weil Sie keine Verantwortung übernehmen woll ten.
Das Ergebnis dieser Politik, Herr Wacker, sehen wir heute. Sie haben selbst – das ist wirklich beeindruckend – einmal einen Antrag mit dem Titel „Grundschulstandorte in den ländlichen Räumen Baden-Württembergs“ gestellt, der im Bildungsaus schuss behandelt wurde. Ich muss Ihnen sagen, ich war da selbst überrascht. Kleingedruckt – das kann man eigentlich nur als junger Mensch lesen –
wurden in der Anlage auf vier eng bedruckten Seiten Grund schulen mit einer Klassenstärke unter 16 Schülern aufgeführt. Des Weiteren sind dort auf sieben genauso eng bedruckten Seiten – auch das kann man eigentlich gar nicht lesen – Grundschulen aufgelistet, die nur mithilfe von Kombiklassen noch überleben können.
Jetzt stelle ich eine Frage an die CDU. Als die GEW damals das Gutachten in Auftrag gegeben hatte – Sie haben eine Pho bie gegen die GEW, aus welchen Gründen auch immer –, wa ren Sie an der Regierung. Damals wurde klar vorgerechnet – dazu braucht man nicht einmal den Taschenrechner von Herrn Schmiedel –, was mit diesen Schulen passiert, wenn ein Schü lerrückgang von über 20 % vorhanden ist. Was passiert dann? Ist es pädagogisch noch verantwortbar, wenn dann nur drei oder vier Kinder in einer Klasse sind?
Ist das verantwortbar? Darauf geben Sie keine Antwort. Ich muss Ihnen sagen, Sie betreiben wirklich die Politik, sich in die Büsche zu schlagen, wenn es ernst wird.
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, die schon schulge setzliche Regelungen für eine vernünftige Entwicklung auf grund der Demografie haben, haben Sie solche Regelungen nicht ins Schulgesetz geschrieben. Sie haben im Schulgesetz den Vorbehalt belassen, dass letztlich der Schulträger hier die Entscheidung trifft. Das ist unverantwortlich.
Herr Wacker, selbstverständlich wird es zu Schulschließun gen kommen. Wenn die Schülerzahl nochmals um 20 % zu rückgeht und Sie sagen, es dürfe nicht sein, dass Schulen ge schlossen werden, dann möchte ich Sie fragen, ob Sie – Sie waren ja einmal Staatssekretär – dies unter pädagogischen Ge sichtspunkten überhaupt noch aufrechterhalten wollen.
Sie halten sich noch immer an das dreigliedrige Schulsystem. Sie können ja über das Bargel-Gutachten diskutieren, wie Sie wollen, aber Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass das dreigliedrige Schulsystem letztlich dazu führt, dass wir dann überhaupt nur noch in einem Drittel der Gemeinden in BadenWürttemberg eine weiterführende Schule haben werden.