Protocol of the Session on January 31, 2013

Ob einem dieses Ergebnis nun politisch gefällt oder nicht: Der Bürgerentscheid hat keine bindende Wirkung; denn er hat das erforderliche Quorum nicht erreicht. Rechtlich ist die Sache in Bad Saulgau also eindeutig. Aus meiner Sicht ist es durch aus angebracht, sich über die politischen Konsequenzen zu unterhalten. Da ist es schon bemerkenswert – Herr Kollege Wacker hat es bereits gesagt –, wie die Landesregierung, wie der Staatssekretär dieses Ergebnis kommentiert haben. Zur Erinnerung: 1 396 Bürger stimmten für die Einrichtung einer

Gemeinschaftsschule, 2 695 stimmten dagegen. Wenn man sich dann die Pressemitteilung des Kultusministeriums an schaut, muss man lesen – Zitat –:

„Die Würfel sind gefallen... Die Gegner der Gemein schaftsschule... konnten noch nicht einmal alle CDUWähler der letzten Landtagswahl... überzeugen. Damit ist offensichtlich, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Bad Saulgau das Konzept des gemeinsamen und individuellen Lernens

das geht natürlich ausschließlich in der Gemeinschaftsschu le –

akzeptiert.“

Sehr geehrter Herr Schmiedel, würden Sie dem Kollegen Dr. Frank Mentrup bitte einmal Ihren berühmten Taschenrechner ausleihen? Denn 2 695 Bürger sind wirklich mehr als 1 396.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Klaus Herrmann CDU: Nach Adam Rie se! – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Kern, ge statten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, zu diesem Zeitpunkt nicht.

Ich möchte noch einmal an Ihre eigenen Ansprüche erinnern. Sie sind ja eine selbst ernannte Regierungskoalition des Zu hörens.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Vier ist auch mehr als zwei! Bürgerregierung!)

Ich finde, da müssten Sie sich schon einmal an Ihren eigenen Ansprüchen messen lassen. Was steht denn im Koalitionsver trag zu diesem Thema? Ich zitiere wörtlich:

Die Zeit des Durchregierens von oben ist zu Ende. Gute Politik wächst von unten, echte Führungsstärke entspringt der Bereitschaft zuzuhören. Für uns ist die Einmischung der Bürgerinnen und Bürger eine Bereicherung. Wir wol len mit ihnen im Dialog regieren und eine neue Politik des Gehörtwerdens praktizieren.

(Zurufe – Unruhe – Abg. Siegfried Lehmann GRÜ NE meldet sich.)

Vor diesem Hintergrund sagt dann Ihr Staatssekretär, die Wür fel seien gefallen, eine Mehrheit der Menschen wolle die Ge meinschaftsschule. Eine solche Kommentierung ist noch nicht einmal ein schlechter Witz.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Glocke des Präsidenten)

Gestatten Sie immer noch keine Zwischenfrage?

Nein. – Sie werden noch nicht einmal ansatzweise Ihren eigenen Ansprüchen des Zu hörens gerecht. Ihren Koalitionsvertrag kann man in folgen

der Weise auf Bad Saulgau anwenden und zusammenfassen: „Hier darf jeder das tun, was wir wollen.“

(Heiterkeit bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Das ist peinlich!)

Ihr Lieblingsprojekt Gemeinschaftsschule muss doch bewei sen und die Menschen davon überzeugen, dass die Gemein schaftsschule besser ist als die bisherigen Schularten. Ganz offensichtlich ist Ihnen in Bad Saulgau weder das eine noch das andere gelungen. Denn ganz offensichtlich – das ist ein wichtiger Punkt, den Sie immer mit anderem vermischen – haben sich die Menschen dort mit dem pädagogischen Kon zept und weniger mit der Frage der Schulstandorterhaltung beschäftigt.

Welche Folgerungen und welche Konsequenzen Sie aus der Abstimmung in Bad Saulgau nach meinem Dafürhalten zie hen müssen, das erfahren Sie in der zweiten Runde.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Zurufe von der SPD: Oi! – Abg. Jürgen Filius GRÜNE: Oberleh rer! – Unruhe)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Staatssekretär Dr. Mentrup das Wort.

(Staatssekretär Jürgen Walter: Frank, so eine Steil vorlage!)

Sehr geehrter Herr Prä sident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Fünf Bemerkungen und ein Resümee aus meiner Sicht zu dieser Diskussion.

Erstens: „Bad Saulgau ist überall.“ Nein, Bad Saulgau ist nicht überall. Bad Saulgau ist einmalig im Land. In Baden-Würt temberg gibt es 1 100 Städte und Gemeinden; alle sind anders, und alle heißen anders.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU, der Grünen und der SPD)

Wenn wir über Mannheim, Karlsruhe, Ulm oder Tübingen re den und wenn wir auch die kleineren Kommunen und Örtchen anschauen – Bergatreute, Külsheim, Oberhausen-Rheinhau sen, Ahorn, Schliengen oder Neuenstein –, dann sind das al les Beispiele für Orte – ich könnte Ihnen noch 155 andere auf zählen –,

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

in denen es keine Bürgerentscheide gibt, in denen es keine Unterschriftenlisten gibt, in denen es keine Demonstrationen gibt, sondern in denen gemeinschaftlich und mehrheitlich in allen Gremien bis in die Bürgerschaft hinein dieser Schultyp mitgetragen wird.

Insofern ist Bad Saulgau auch an dieser Stelle nicht überall; ich habe 160 Gegenbeispiele. Dort geht es um eine andere Pä dagogik. Es geht um mehr Schülerinnen und Schüler, die man gern am Ort halten möchte, es geht um die Weiterentwicklung von Schulstandorten, es geht um die Attraktivität eines plura listischen Schulsystems, das der Gesellschaft und ihren An

sprüchen entspricht. Das sind die Interessen, um die es geht. Deswegen ist auch da Bad Saulgau nicht überall.

Sie müssen sich die Frage stellen, wie Sie mit diesen Orten ir gendwann einmal wieder umgehen wollen. Wollen Sie den Menschen in diesen Orten erklären, dass sie sich weniger für ihre Kinder engagieren, dass sie falsch gewickelt sind oder dass sie sonst etwas falsch gemacht haben?

Nein, Bad Saulgau ist schon vom Namen her nicht überall, und es ist es auch insofern nicht, als wir keine vergleichbaren Zustände im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsschule ha ben.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

„Gemeinschaftsschule ohne Mehrheit – Bad Saulgau ist über all“: Das stimmt also einfach nicht.

Sie können jetzt sagen, das Quorum von 25 % sei undemo kratisch. Bis vor wenigen Wochen haben Sie noch erbittert darum gekämpft. Es ist einfach die rechtliche Grundlage.

(Abg. Peter Hauk CDU: Das haben wir doch gerade gesagt! – Zuruf des Abg. Matthias Pröfrock CDU)

Daher muss man einfach feststellen, dass es nicht gelungen ist, eine Mehrheit so gegen die Gemeinschaftsschule zu mo bilisieren, dass man zu diesen 25 % gekommen wäre.

(Zurufe von der CDU)

Daher ist der Bürgerentscheid eben gescheitert. Das mag Ih nen nicht passen, aber es ist trotzdem Fakt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Dann suggeriert der Titel der von Ihnen beantragten Aktuel len Debatte, es gäbe eine Mehrheit im Land gegen die Ge meinschaftsschule. Das suggeriert, wir wären gar nicht legi timiert, die Gemeinschaftsschule einzuführen.

(Abg. Georg Wacker CDU: So wie Sie es machen!)

Herr Dr. Kern setzt noch einen drauf und nimmt die Grund schulempfehlung hintendran. Wer hat uns denn legitimiert, Herr Dr. Kern? Wir haben einen Landtagswahlkampf geführt, in dem diese beiden Forderungen – Abschaffung der Verbind lichkeit der Grundschulempfehlung und Einführung der Ge meinschaftsschule für längeres gemeinsames Lernen – expli zit in beiden Wahlprogrammen abgebildet waren. Später wa ren sie auch im Koalitionsvertrag abgebildet. Da haben wir einen Vertrauensvorschuss von der Bevölkerung bekommen,

(Zuruf von der Grünen: Ganz genau!)

aber auch die eindeutige Legitimation, dass wir diese beiden Punkte auch umsetzen. Das erwartet man von uns, und dafür sind wir auch gewählt worden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zurufe: Bra vo! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Die SPD hat das miserabelste Ergebnis seit Bestehen des Landes erzielt!)

Wir haben die Gemeinschaftsschule nicht flächendeckend als Zwangsbeglückung eingeführt, sondern wir haben im Schul gesetz für die Schulträger die Möglichkeit geschaffen, eine Gemeinschaftsschule zu beantragen.