Protocol of the Session on December 19, 2012

(Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lehmann?

Nein, Kollege Lehmann. – Die Frage, die sich die Wirtschaft, das Handwerk und auch alle anderen stellen werden, ist also: Wen brauche ich? Wenn der Anteil der Menschen mit Abitur und Hochschulabschluss immer mehr zunimmt, wird ohne solche Abschlüsse irgend wann kein ordentlicher Job mehr zu bekommen sein. Also werden immer mehr junge Menschen einen solchen Abschluss suchen. Damit werden sie diesen Abschluss abwerten und wertvolle Jahre ihres Lebens vergeuden.

Wer also das Bildungssystem ausbaut und meint, damit auch die Wirtschaft blühen lassen zu können, der unterliegt einem Irrtum. Auf die Produktivität kommt es an. Hierfür brauchen wir die richtigen Menschen. Das kann ein Hauptschüler eben so sein wie ein Realschüler oder ein Abiturient.

Meine Damen und Herren, wir brauchen alle diese jungen Menschen. Wenn es um die Zukunft unseres Landes geht, brauchen wir einen schlanken und in seinen Kernaufgaben starken Staat. Sie von der Regierung haben die verbindliche Grundschulempfehlung abgeschafft. Sollen wir Ihre ersten bil dungspolitischen Schritte als den Versuch deuten, für Einheits schüler die Einheitsschule zu schaffen?

(Unruhe)

Wenn Sie die Förderschule abschaffen, schaffen Sie nicht die Förderschüler ab. Wenn Sie die Hauptschule abschaffen, mei ne Damen und Herren von der Regierung, schaffen Sie nicht die Hauptschüler ab. Wenn Sie die Realschule oder das Gym nasium abschaffen, schaffen Sie auch nicht die Realschüler oder die Gymnasiasten ab.

(Zuruf des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Sie sind auf einem gefährlichen Irrweg, wenn Sie glauben, al le Menschen seien gleichermaßen bildungsfähig. Unser Bil dungssystem hat bisher ausgezeichnet, auf die individuellen Begabungen und Bedürfnisse der Menschen einzugehen.

(Unruhe)

Was machen Sie? Sie streichen die verbindliche Grundschul empfehlung und läuten damit das Totenglöcklein für die dua

le Ausbildung. Ist im Koalitionsvertrag von Grün-Rot nicht das Stoppschild für den Handwerkernachwuchs aufgestellt worden? „Der Wechsel beginnt“ lautet die Überschrift des Ko alitionsvertrags. Was den Nachwuchs im Handwerk, im Mit telstand betrifft, kann damit nur der Wildwechsel gemeint sein.

(Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE: Was?)

Dabei tragen Sie Bildung wie eine Monstranz vor sich her. Sie sind auf einem für unsere Gesellschaft gefährlichen Weg,

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Jetzt wird es ge fährlich!)

wenn Sie die Menschen so früh und so lange wie möglich un ter dem Deckmantel der Bildung Ihrer staatlichen Kontrolle unterwerfen wollen.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD – Unruhe)

Als Unternehmer kann ich Ihnen aus Erfahrung sagen, was mit der von Ihnen angestrebten Flut von Abiturienten ge schieht. Wie bei jeder Flut werden wir Dämme brauchen, um sie zu bändigen.

(Oh-Rufe von der SPD)

Sie sind dabei, dieses Wirtschaftssystem zu ruinieren, wenn Sie seine Grundlagen verwässern und abschaffen. Wer wird als Abiturient oder Hochschulabsolvent Ihre Wasserleitungen reparieren? Wer wird Ihre großen neuen Limousinen bauen? Wer wird diese in Ordnung bringen? Wer installiert Ihre Steck dosen für den Ökostrom? Glauben Sie im Ernst, dass nur der Schüler ein glücklicher Schüler ist, der auf einer Gemein schaftsschule unter- oder überfordert wird?

(Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE: Nein! Aber ein gebildeter!)

Fehlt es Ihnen an Respekt oder an Einsicht, wenn Sie glau ben, dass aus Baden-Württemberg ein einig Land aus Abitu rienten wird? Ist nur der Sozialarbeiter ein richtiger Arbeiter?

(Abg. Florian Wahl SPD: Haben Sie noch nie vom Aufstieg durch Bildung gehört? – Unruhe)

Die Regierung legt mit einem grün-roten Bildungswahn nach dem Motto „Jeder ein Genie“ die Lunte nicht nur an das du ale Ausbildungssystem. Sie sorgt auch für den Fachkräfteman gel der Zukunft. Noch ist es nicht zu spät, wieder zur Besin nung zu kommen. Nutzen Sie die besinnlichen Tage dazu. Denken Sie darüber nach, was dieses Land groß und stark ge macht hat. Oder wollen Sie in die Geschichte als diejenigen eingehen, die Baden-Württemberg kleingekriegt haben?

(Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE: Durch Bildung kleingekriegt?)

Wollen Sie uns das Gruseln lehren? Ich hoffe, niemand hier im Saal will, dass aus einem Spitzenreiter in Bildung und Wirtschaft ein Absteiger wird.

(Zuruf des Staatssekretärs Jürgen Walter)

„Wir sind Handwerker. Wir können das.“ So lautete in diesem Jahr das Motto des Handwerkstags.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wo bleibt der Ap plaus der FDP/DVP?)

Zeigen Sie, was Sie können, meine Damen und Herren von der Regierung. Was können Sie noch – außer Bildung und Wirtschaft?

Frohe Weihnachten.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatssekretär Rust das Wort.

Liebe Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich war versucht, eine der Vorweih nachtszeit entsprechende Rede zu halten. Herr Kollege Grimm hat jedoch versucht, die große Einigkeit, die bei diesem The ma eigentlich besteht, mit Sprengstoff ein bisschen zu zerstö ren.

(Staatssekretär Jürgen Walter: Grimmsche Märchen stunde!)

Ich werde aber nicht darauf eingehen, Herr Grimm, und zwar aus Respekt vor dem Handwerk und diesem ernsten Thema. Sie haben selbst eine duale Ausbildung durchlaufen. Ich fin de das gut. Auch Frau Schütz hat eine duale Ausbildung, so gar im Handwerk, durchlaufen.

(Abg. Katrin Schütz CDU: Ja!)

Ich glaube, Sie sind Werkzeugmacher, Herr Grimm.

(Abg. Leopold Grimm FDP/DVP: Ja!)

Deshalb, finde ich, sollten wir uns bei diesem Thema wirklich darauf konzentrieren, worum es geht. Wir sollten keine ver steckte bildungspolitische Debatte führen, sondern eine wirt schaftspolitische Debatte, denn es geht uns ums Handwerk.

Ich bin sehr dankbar, dass es diesen Antrag gab und dass wir Gelegenheit haben, über diese Problematik zu diskutieren, bei der wir noch vor vielleicht vier, fünf Jahren, wenn wir mit Kammern Gespräche geführt haben, darauf hingewiesen wur den: „Uns stehen zu wenig Ingenieure zur Verfügung; wir brauchen mehr Ingenieure, wir brauchen mehr Akademiker.“ Jetzt hat sich der Trend gewandelt.

Wenn man heute mit Kammern spricht – ich war kürzlich bei einer IHK im Bodenseeraum –, stellt man fest: Sie rufen nicht mehr nur nach Ingenieuren, sondern sagen im Gegenteil: Wir müssen bei den Ingenieuren etwas bremsen, wir brauchen wie der mehr Facharbeiter; wir brauchen die Leute aus der dualen Ausbildung, damit wir unsere Betriebe ausreichend mit Fach kräften ausstatten können. Es geht also nicht um das, was die Kammern auch selbst forciert haben, nämlich um den auch zu Ihrer Regierungszeit schon eingeführten Zugang zum Studi um für Meister, für Techniker und für Gesellen mit einer Zu satzausbildung. Da sind sie jetzt eher wieder gebremst im Ver gleich zum Anfang, als es diese große Euphorie gab, als alle gesagt haben, wir müssten möglichst auch Meister, Techniker und Facharbeiter ins Studium bringen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Die Mög lichkeit schaffen!)

Mittlerweile ist diese Euphorie etwas gedämpft. Die Zahlen sprechen da für sich.

Es gibt deutlich mehr Stellen als Bewerber. Das ist gut für die Jugendlichen, die jetzt eine größere Auswahl haben. In der Tat, die Marktsituation ist für die Jugendlichen besser, aber für die Betriebe ist sie zweifellos schlechter. Vor allem für die kleinen Betriebe, auch für die Handwerksbetriebe wird es deutlich schwieriger. Es gibt in diesem Jahr 5 000 unbesetzte Plätze. Im Handwerk ist die Zahl der abgeschlossenen Aus bildungsverträge um 1 800 auf etwa 20 000 gesunken. Wir müssen in diesem Bereich also dringend etwas tun.

Wir können dies nicht allein tun. Das will ich von vornherein sagen. Wir, die Politiker, dürfen da auch nicht in das alte Lied verfallen, dass wir da das Allheilmittel hätten, dass wir allein diesen Markt – es ist ein Markt, ein Ausbildungsmarkt – be einflussen könnten. Auch die Schulwahl ist ein Markt. Auch dort können die Schüler bzw. die Eltern im Markt auswählen. Für mehr Markt ist ja die FDP – in diesem Bereich sicherlich auch –, aber wir müssen dies gemeinsam angehen.

Die Landesregierung kann in Teilbereichen durchaus unter stützen. Wir können die Attraktivität steigern, und wir können die Potenziale vor allem von benachteiligten Jugendlichen für den Ausbildungsmarkt besser ausschöpfen.

Wir haben ja die Empfehlungen der Enquetekommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft – berufliche Schulen, Aus- und Weiterbildung“ vorliegen und haben auch schon zahlreiche Empfehlungen dieser Enquetekommission umge setzt. Ich möchte zunächst einmal drei Punkte nennen.

Wir müssen aus zwei Gründen frühzeitig darüber informie ren, was eine Berufsausbildung ausmacht – ich komme spä ter noch einmal auf das Thema Abbrecherquote zurück –: Wenn man sich frühzeitig darüber informiert, was man in dem Beruf eigentlich macht, was man in der Ausbildung macht, die man anstrebt, dann reduziert sich auch die Zahl der Ab brüche. Natürlich dient eine verbesserte Information auch der Steigerung der Attraktivität. Kinder und Jugendliche kommen heute sehr viel schwerer direkt mit dem Handwerk in Berüh rung. Früher, als das Handwerk auch stärker in der Fläche des Landes verbreitet war, als die Betriebe noch kleiner waren, ist man auch schon früh viel stärker mit dem Handwerk in Be rührung gekommen. Heute ist das schon schwerer. Deshalb ist es auch wichtiger geworden, dass wir möglichst früh ver mitteln und darauf hinweisen, was man in den Ausbildungs berufen macht.

Wir tun dies mit der Berufsorientierung in den vom Land ge förderten überbetrieblichen Bildungszentren. Wir laden Ju gendliche ein, den Beruf, für den Interesse besteht, kennen zulernen. Dies ist eine hervorragende Möglichkeit für Jugend liche, unabhängig von einem einzelnen Ausbildungsbetrieb ein ganz breites Spektrum an Berufsbildern kennenzulernen.

Wir haben weiter die Bildungspartnerschaft zwischen Schu len und Ausbildungsbetrieben oder sogar Verbünden von Be trieben. Auch dies ist eine hervorragende Möglichkeit, dass sich kleinere Betriebe zusammenschließen – koordiniert von den Kammern – und mit einzelnen Schulen solche Partner schaften eingehen, um Jugendliche schon während der Schul zeit über Ausbildungsberufe und über Ausbildungsbetriebe zu