Protocol of the Session on December 19, 2012

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Mi nisteriums für Finanzen und Wirtschaft – Nachwuchs im Handwerk sichern – Drucksache 15/1897 (geänderte Fas sung)

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Das Wort zur Begründung erteile ich Frau Kollegin Schütz.

Frau Präsidentin, meine sehr ge ehrten Damen und Herren! Hoch qualifizierte Arbeitskräfte sind das entscheidende Wettbewerbsmerkmal von BadenWürttemberg. Dies gilt besonders für das Handwerk. Das Handwerk ergänzt den industriellen Sektor. Beide brauchen einander. Unsere Industrie profitiert vom Handwerk, und im Gegenzug ist die Industrie für das Handwerk ein großer Auf traggeber.

Das Handwerk wirkt stabilisierend auf die Binnenwirtschaft und dämpft die gesellschaftlichen und ökonomischen Auswir kungen internationaler Wirtschaftsschwankungen. Das Hand werk ist für das Funktionieren der Wirtschaft von größter Be deutung. Daher müssen wir uns dafür einsetzen, dass dem Handwerk genügend Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen.

Ein Blick in die Statistik zeigt aber, dass sich die Lage in den baden-württembergischen Handwerksbetrieben zuspitzt. Es fehlt an qualifizierten Schulabsolventen, die eine handwerk liche Ausbildung anstreben. 2010 suchten laut einer Umfrage des Baden-Württembergischen Handwerkstags rund 13 % der befragten Betriebe vergeblich nach qualifizierten Schulabsol venten. 2011 meldeten fast 18 % der Betriebe noch offene Stellen. Das ist eine Steigerung um knapp fünf Prozentpunk te innerhalb eines Jahres. Die Schere zwischen dem Lehrstel lenangebot und der Lehrstellennachfrage im Handwerk hat sich in den vergangenen zwei Jahren geöffnet, und dies, so fürchte ich, ist erst der Beginn einer negativen Entwicklung.

Wir müssen uns fragen: Worin liegen die Ursachen für den verschärften Mangel an Nachwuchs im Handwerk? Wir kön nen sehen, dass es in der Gesellschaft bereits zwei Entwick lungen in diesem Zusammenhang gibt, die uns große Sorgen bereiten müssen: Das ist zum einen der Trend zur formalen Höherqualifizierung und zum anderen der Trend zur Akade misierung der Gesellschaft. Leider gelingt es uns am Ende des Bildungsspektrums nicht immer, auch die schwächeren Schü ler ausreichend zu qualifizieren, damit sie vom Handwerk auch in eine Ausbildung aufgenommen werden können.

Wer heute kein Abitur hat, muss sich inzwischen schon recht fertigen. Das darf nicht sein. Daran haben wir auch maßgeb lichen Anteil. Gerade unser deutsches Bildungssystem ist durchlässig und weltweit vorbildlich. Es eröffnet mit den ver schiedenen Abschlüssen den Weg in einen qualifizierten Be ruf. Wer heute einen Hauptschulabschluss hat, kann sich über viele Wege nebenberuflich weiterqualifizieren. Dies scheint jedoch in unserer Gesellschaft langsam, aber stetig in Verges senheit zu geraten.

Der Trend zu einer formalen Höherqualifizierung zeigt, dass sich vor allem gut qualifizierte Schulabgänger nicht für eine

Ausbildung im dualen System entscheiden – wenn wir heute auf Absolventen der Realschulen schauen, stellen wir das im mer öfter fest –, sondern stattdessen auf eine schulische Lauf bahn setzen. Der Handwerkstag bemängelt die steigende Zahl vollzeitschulischer Angebote. Diese Entwicklung wirkt kon traproduktiv.

Leidtragender dieser Entwicklung ist vor allem das Handwerk; das belegen die Zahlen.

Daher ist es umso wichtiger, dass wir – damit meine ich uns alle, alle politischen Akteure – die duale Ausbildung für jun ge Menschen attraktiv machen und ihnen vermitteln, welche Chancen in einer handwerklichen Ausbildung stecken.

(Beifall bei der CDU)

Als Ausbilderin bin ich stolz auf das duale Ausbildungssys tem. Für eine duale Ausbildung sprechen für mich verschie dene Gründe. Für unsere Gesellschaft und die Wirtschaft ist es nicht gut, dass viele Personen überhaupt erst mit 25 oder 30 Jahren dem Ausbildungsmarkt bzw. dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen – natürlich anders qualifiziert, aber prak tisch völlig unerfahren.

Eine duale Ausbildung dagegen vermittelt frühzeitig, was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen, sich durchzusetzen, Projekte vom Anfang bis zum Ende zu begleiten und verant wortlich zu arbeiten. Bei einer dualen Ausbildung erweitert man durch die praktische Arbeit seinen Horizont und seine Fähigkeiten. Dies wäre auf der Schulbank nicht möglich.

Mich begeistern auch die verschiedenen Kombinationsmög lichkeiten, die wir durch die duale Ausbildung anbieten, prak tisches und theoretisches Lernen miteinander zu verbinden. So kann man mit dem Berufsabschluss gleichzeitig auch die Fachhochschulreife erlangen. Damit ist anschließend sogar der Weg zu einem Studium frei, das man dann als erfahrener Praktiker beginnen kann.

Auch international ist unser duales System hoch anerkannt. Erst vor Kurzem wurde in Brüssel über das deutsche duale Ausbildungssystem äußerst positiv diskutiert.

Neben dem Trend zur Höherqualifizierung ist für mich die Akademisierung der Gesellschaft ein Trend in die falsche Richtung. Zukünftig wird sich die Frage stellen, ob es wirk lich eine Höherqualifizierung ist oder ob es langfristig eben eine Absenkung des Status quo sein wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Wir brauchen langfristig nämlich nicht einen Bachelor of Hairdressing oder einen Bachelor of Greenkeeping,

(Heiterkeit des Abg. Peter Hofelich SPD)

sondern wir brauchen gut ausgebildete Facharbeiter. Denn hoch qualifizierte Fachkräfte werden nicht nur im Bereich der akademischen Bildungsgänge benötigt, sondern eben auch auf der Facharbeiterebene.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Denn sie sind für die Produktionsqualität unseres Wirtschafts standorts unabdingbar. Dies gilt sowohl für die Industrie als auch für das Handwerk.

Die Kombination von Theorievermittlung und praktischer An wendung im Betrieb hat die berufliche Ausbildung zu einem Erfolgsfaktor des deutschen Bildungswesens gemacht.

Die duale Ausbildung ist ein Leistungsmerkmal gerade unse rer Wirtschaft, unserer mittelständischen Wirtschaft. Sie leis tet einen ganz wesentlichen Beitrag zu der niedrigen Jugend arbeitslosigkeit, mit der ganz besonders Baden-Württemberg als Vorbild für viele gilt.

Herr Dr. Schmid, Ihr Ministerium geht mit dem Informations flyer „Guter Plan“, der die Vorteile und Chancen einer Berufs ausbildung darstellt, in die richtige Richtung. Gleichzeitig zielt aber die Bildungspolitik der Regierung in die entgegen gesetzte Richtung.

(Zuruf von der CDU: So ist es! – Gegenruf von den Grünen: Quatsch!)

Ich habe den Eindruck, dass hier versucht wird, internationa le Trends der Vergangenheit, nämlich die Akademisierung der Ausbildung, nachzuholen,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

während gleichzeitig das Ausland versucht, das Erfolgsmo dell „Duale Ausbildung“ zu kopieren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Man kann sich hier schon fragen, ob wir grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind. Eine kurze Anmerkung dazu: Sie wollen auf Teufel komm raus jeden Schüler zum Abitur prü geln

(Abg. Andreas Stoch SPD: Schwachsinn! – Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Was soll denn das? – Wei tere Zurufe von den Grünen und der SPD)

und schaffen dabei die Haupt- und Realschulen ab, deren Schüler die eigentliche Zielgruppe für die duale Ausbildung sind. Wenn alle das Abitur ablegen sollen, frage ich mich schon: Warum soll dem „guten Plan“ überhaupt noch jemand folgen? Wir brauchen mehr positive Wahrnehmung und Ak zeptanz der dualen Ausbildung in unserer Gesellschaft. Stel len Sie hier also die Weichen, damit sich der bestehende Fach kräftemangel bei den Facharbeitern nicht weiter verschlim mert.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Trotz geringer Jugendarbeitslosigkeit haben wir keinen Grund, uns hier auszuruhen. Fachkräfte für das Handwerk und die In dustrie gewinnen sich nicht von selbst. Die Jugendlichen be werben sich nur für die 50 Modeberufe – 350 Berufe haben wir. Hier gibt es viel zu tun. Dies bleibt für uns alle eine Zu kunftsaufgabe, damit wir gerade in Baden-Württemberg un sere Wettbewerbsfähigkeit auch für die Zukunft sichern. Ich

hoffe, wir schaffen es, hier gemeinsam eine Allianz für den Erfolg unseres Landes zu schmieden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Sehr gut!)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort dem Kollegen Lehmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Schütz, wir sind sicher einer Mei nung, dass wir in diesem Bereich viel zu tun haben. Wir sind sicher einer Meinung über die Bedeutung des Handwerks für unser Gemeinwesen, und wir sind sicher auch einer Meinung in der Beurteilung der Qualität und der Notwendigkeit der be ruflichen Ausbildung im dualen System. Da gibt es einen gro ßen Konsens.

Aber ich hätte mir gewünscht, dass Sie jetzt diese Zuspitzung, die Frage, woran es eigentlich hakt, woran es liegt, dass wir mittlerweile eine Schieflage im Bildungswesen, nämlich in der beruflichen Ausbildung, bekommen, ein bisschen genau er erörtert hätten.

Ich glaube, es ist zu kurz gesprungen, zu sagen, dass die Be strebungen in der Gesellschaft nach höheren allgemeinbilden den Abschlüssen ein Grund für den Erosionsprozess sind, den wir im Bereich der beruflichen Bildung haben. Das ist ganz klar ein Fehlschluss. Das hat damit nichts zu tun. Denn wir müssen eher an anderen Punkten ansetzen. Wir können jun gen Leuten nicht vorwerfen, dass sie einen höheren allgemein bildenden Schulabschluss haben wollen. Das kann man doch keinem jungen Menschen ernsthaft vorwerfen,

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

da ein fehlender allgemeinbildender Schulabschluss oder auch ein Hauptschulabschluss heute in vielen Ausbildungsberufen eine Zugangsbarriere ist. Das müssen wir einfach zur Kennt nis nehmen.

Bildungspolitisch müsste doch eigentlich auch von Ihnen mitt lerweile mitgetragen werden können, dass es wichtig ist, zu versuchen, junge Leute allgemein zum mittleren Bildungsab schluss als Mindestabschluss zu führen. Das müsste hier im Haus Konsens sein. Denn wir wissen auch, dass heute über 90 % der Ausbildungsbetriebe sagen, der Hauptschulabschluss reiche für eine qualifizierte Berufsausbildung eigentlich nicht mehr aus. Dieser Frage müssen wir uns ernsthaft stellen.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Ich sehe auch mit Besorgnis, dass im Nahrungsmittelhand werk 40 % der Betriebe Ausbildungsplätze nicht besetzen kön nen. Das ist ein dramatischer Anteil, muss ich Ihnen sagen. Auch dass wir in diesem Jahr 5 500 Ausbildungsplätze nicht besetzen konnten, ist eine schlechte Zahl.

Aber, Frau Schütz, wir müssen auch die andere Seite sehen. Sie haben in Ihrem Antrag auch die Abbrecherquote themati siert. Wir müssen einfach feststellen, dass im Prinzip jeder fünfte Ausbildungsvertrag vorzeitig gekündigt wird –

(Zuruf des Abg. Claus Paal CDU)