Protocol of the Session on October 11, 2012

Natürlich gratulieren wir zum schönen Tag. Dieser ist nur möglich, weil der Wechsel, den Sie angekündigt haben, nicht vollzogen wurde. Sie können heute auf 58 Jahre erfolgreiche Agrarpolitik in Baden-Württemberg aufbauen, und deshalb können Sie diese Argumentation über Gentechnikfreiheit in dieser Form der Öffentlichkeit verkünden.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Tho mas Blenke CDU: Sehr richtig! – Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Aber warum sind Sie nicht beigetre ten?)

Ich bin überrascht und als Praktiker sehr nachdenklich, wenn ich mir die Überschrift der heutigen Aktuellen Debatte vor Augen führe. Hier haben Sie einen Wechsel vollzogen. Sie ha ben sich dem Koalitionspartner angeschlossen. Nach Aussa ge des stellvertretenden Ministerpräsidenten ist es für ihn kein Problem, wenn ein Tal zuwächst, und für Sie ist es angeblich kein Problem, wenn das Thema Landwirtschaft von der Ta gesordnung gestrichen wird. Denn im März war das noch auf der Tagesordnung. Heute steht das Thema Landschaft auf der Tagesordnung. Das stimmt mich als Praktiker nachdenklich. Ich gebe Ihnen das einfach einmal als Hausaufgabe mit.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, wenn wir die Bedeutung der Landwirtschaft, die Argumentation und vor allem die gebotene Fairness gegen über der Öffentlichkeit, mit dem Wort „Gentechnik“ sachge recht umzugehen, ernst nehmen, dann brauchen wir eine sach liche Definition und eine sachgerechte Argumentation. Sie ha ben im März zugegeben, dass das Wort „Gentechnik“ in der Form, wie es verwendet wird, sehr pauschaliert in der Öffent lichkeit dargestellt wird.

Deshalb müssen wir uns, wenn wir über grüne Gentechnik sprechen, glaube ich, darüber im Klaren sein, dass es bei der Gentechnik darum geht, dass Gene isoliert, charakterisiert, vermehrt oder neu kombiniert werden können. Diese Eingrif fe haben den Zweck, Organismen gezielt auf die gewünschte Nutzung hin zu optimieren. Die gentechnikfreien Anbauzo nen, wie sie im Einzelfall bestehen, werden seit Jahren nicht nur von der Praxis umgesetzt, sondern von der Politik durch die Verbandsvertreter auch gefordert. Insoweit ist eine Vorar beit für den heutigen Tag von unserer Seite schon geleistet.

Was heißt das für die Landwirtschaft, um dieses Thema in der Auseinandersetzung in der Sachlichkeit, die seinem Stellen wert und seiner Bedeutung entspricht, zu behandeln? Die Gen technik hat das Ziel, Eigenschaften von Pflanzen zu verän dern. Konkret geht es um Resistenzzüchtungen, Qualitätsver besserungen, Produktionssteigerungen sowie um die Anpas sung von Nutzpflanzen an klimatische Bedingungen und ins besondere auch im Einzelfall an regionale Besonderheiten.

(Zuruf des Abg. Reinhold Pix GRÜNE)

Der Mensch ist seit jeher bestrebt, die Qualität, den Wider stand gegen Krankheiten und vor allem den Ertrag der Nutz pflanzen stetig zu verbessern. Das Ziel ist die Anpassungsfä higkeit an unterschiedliche Standorte und Naturräume. Der Aspekt der Umweltverträglichkeit spielt in der modernen Pflanzenzucht eine ganz bedeutende Rolle, meine Damen und Herren.

Gewisse Punkte, die eventuell negative Auswirkungen auf die angewandte Gentechnik haben können, will ich überhaupt nicht verniedlichen: Abhängigkeit der Landwirtschaft von Konzernen durch Patente, eventuell ein Imageschaden durch die Lebensmittel in einer Region, Bedrohung der Sortenviel falt und andere Punkte. Durch einen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen sind die Bürgerinnen und Bürger vor Ort unmittelbar betroffen, gerade in Regionen mit Traditionen, mit hochwertigen regionalen Lebensmitteln. Produktion in kleinräumiger Landwirtschaft oder schützenswerter Natur und Biodiversität haben ein berechtigtes Interesse daran, ihre Tra dition und ihren besonderen Charakter zu bewahren.

Sie nahmen Bezug auf Untersuchungen, auf Studien, die teil weise vorliegen. Aber ich glaube, wir sollten, wenn wir fair miteinander umgehen, die Argumentation, aber insbesondere die Diskussion darauf lenken, dass wir nur Studien verwen den, die auf einer wissenschaftlichen Grundlage aufbauen, und nicht solche, die ohne wissenschaftliche Begleitung in die Welt gesetzt werden. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE)

Ob diese Diskussion so gehandhabt wurde, weiß ich nicht.

Ich will die Risiken nicht verniedlichen, aber klar sagen, dass der Mensch im Mittelpunkt unserer Politik stehen muss. Des wegen verstehen wir die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, die Sorgen insgesamt, und nehmen sie auch ernst.

Die Politik hat aber auch die Aufgabe, meine Damen und Her ren, solch hoch emotionale Themen zu versachlichen, die Pro- und Kontraargumente abzuwägen sowie die Chancen und Ri

siken im Hinblick auf Nachhaltigkeit zu bedenken. Gerade bei einem solch komplexen Thema wie der grünen Gentechnik ist ein sachlicher Diskurs unabdingbar.

An dieser Stelle möchte ich die zitierte forsa-Umfrage noch einmal ansprechen. Laut dieser Studie fühlen sich über 70 % der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht informiert. Des halb möchte ich Ihre Presseerklärung von vor wenigen Tagen, Herr Minister, in der Sie schreiben, dass Sie bei diesem Punkt erneut einen wichtigen Fokus, einen wichtigen Akzent setzen, begleiten. Ich halte das für unabdingbar. Ich bin mir auch re lativ sicher, dass die Bedeutung des Themas Gentechnik am Markt noch nicht so durchgeschlagen hat. Ich bedaure das. Aber daran müssen wir gemeinsam arbeiten.

Ich habe noch weitere Punkte. Ich hebe sie mir für die zwei te Runde auf.

Jedenfalls will ich und will die CDU einen wesentlichen Bei trag dazu leisten, dass wir uns mit diesem Thema nicht emo tional, nicht klientelorientiert, sondern sachlich und zielfüh rend für die Menschen in diesem Land auseinandersetzen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Sehr gut!)

Für die SPD-Fraktion spricht Kolle ge Winkler.

(Beifall des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 17. Mai 2005 fand in Brüssel die Konferenz zum Erhalt einer nachhaltigen europäischen Landwirtschaft statt, an der 162 Regionen teilnahmen. Ziel war, gemeinsam eine Forderung und eine Position zum Thema Gentechnik zu erar beiten. Einen Monat später erhielt ich von der damaligen Lan desregierung die Antwort auf eine Kleine Anfrage zu dieser Konferenz. Die Frage lautete:

War Baden-Württemberg auf der oben genannten Konfe renz durch einen Teilnehmer vertreten?

Die lapidare Antwort:

Die Landesregierung war auf der Konferenz nicht vertre ten.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Warum nicht?)

Es hat sieben Jahre gedauert, bis Baden-Württemberg an ei ner solchen Konferenz teilnahm. Ich freue mich, dass der Be schluss zur Teilnahme an dieser Konferenz jetzt gefallen ist.

Im Übrigen ging die Landesregierung auf die Forderung die ser Konferenz ein. Ich zitiere den letzten Satz der damaligen Antwort zu Ziffer 3:

Insoweit sind die Forderungen der „Konferenz zum Er halt einer nachhaltigen europäischen Landwirtschaft“ berechtigt.

Das hat sie selbst geschrieben. Das wäre ein guter Grund ge wesen, auch teilzunehmen.

Meine Damen und Herren, „Landschaft und Lebensmittel oh ne Gentechnik – Chance für Mensch und Natur“. Das Thema Gentechnik ist in aller Munde, verbal und oral, und zwar des wegen, weil wir in unserer Nahrung schon lange die Vermi schung von gentechnisch veränderten – wenn auch nur in klei nen Verunreinigungen; ich sage es einmal so – und nicht gen technisch veränderten Lebensmitteln haben.

Es ist in aller Munde, aber das ist auch kein Wunder. Die ak tuelle französische Studie von einem Professor der Universi tät Caen in Frankreich hat sehr viel Wirbel ausgelöst – zu Recht –, weil sie Unsicherheiten aufgedeckt hat. Auch wenn diese Studie nicht abschließend wissenschaftlich fundiert und akzeptiert ist, hat diese Studie zumindest gezeigt, dass Ver suchstiere – Ratten und Mäuse – bei der dauerhaften Verab reichung gentechnisch veränderter Pflanzen ein erhöhtes Krankheitsrisiko aufweisen. Auch wenn die Anzahl der Tiere gering war und die Differenz zwischen den Pflanzen und de ren Behandlung nicht so festgelegt ist, ist die Studie ein Hin weis, hier weiterzugehen. Da sind sich alle Fachleute einig. Diese Studie zeigt auch, dass wir an diesem Punkt weiter for schen müssen.

Damit wird auch aufgedeckt, dass die Gentechnik ein Lang zeitversuch am Menschen ist. Seit 15 Jahren gibt es weltweit Gentechnik in großem Stil. Die EU-Kommission will nun den Grenzwert von 0,1 % Verunreinigung abschaffen bzw. anhe ben. Gott sei Dank ist wenigstens hier Frau Aigner dafür, die sen Grenzwert von 0,1 % beizubehalten.

Gentechnik wurde uns mit dem Begriff „Koexistenz“ schmackhaft gemacht. Wir wissen, dass diese „Koexistenz“ ein Popanz war und ist. Das ist nicht einzuhalten. Die Ver triebswege, die Pflanzwege, die Anbauwege – all dies lässt sich nicht mit der Formulierung „beides nebeneinander“ ver einbaren; Vermischungen sind nicht zu vermeiden. Wir leben tagtäglich mit solchen Vermischungen. Erst vor einigen Ta gen wurde eine Studie von Greenpeace veröffentlicht, wonach in Baden-Württemberg Saatgut gefunden wurde, das eine Ver unreinigung von 4,4 % aufweist. Das dürfte beim Saatgut nicht sein.

Tatsache ist, dass Futtermittel importiert wird, das – und zwar mit Zulassung – gentechnisch verändert ist. Daneben taucht bei uns in Deutschland wie auch in Dänemark gentechnisch verändertes Futtermittel auf, das nicht zugelassen ist. Man sieht es dem Futtermittel nicht an, ob die gentechnischen Ver änderungen zugelassen sind oder nicht.

Nein, die Koexistenz hat versagt. Es werden gentechnisch ver änderte Futtermittel importiert, die nicht zugelassen sind, und es werden vermischte Futtermittel importiert. 80 % der Soja importe sind gentechnisch verändert. Es gibt keine Kennzeich nungspflicht bezüglich des möglichen Einsatzes von GVOFuttermitteln bei den entsprechenden Produkten. Wir können als Verbraucher nicht darüber entscheiden, ob wir Milch, Fleisch oder Eier konsumieren, bei denen die Tiere als Liefe ranten mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wur den. Das ist nicht kennzeichnungspflichtig.

Das Problem könnte jedoch gelöst werden, würden wir die ökologische Tierhaltung bevorzugen und die entsprechenden Bedingungen dafür schaffen.

Die USA, Brasilien und Argentinien produzieren zusammen über 80 % aller gentechnisch veränderten Pflanzen. Aber die höchsten Steigerungsraten werden in der Dritten Welt ver zeichnet, und zwar bei den nicht ausgebildeten Kleinbauern in der Dritten Welt.

Raps – Greenpeace hat dies festgestellt – gehört zu den am stärksten verunreinigten Anbaupflanzen, und wir haben keine Möglichkeit, uns dagegen zu wehren. Denn die Warenströme werden weder voneinander getrennt, noch werden sie kontrolliert.

Im Übrigen ist beispielsweise Genmais immun gegen das To talherbizid. Es wurde also erreicht, dass diese Pflanze voll ständig immun gegen ein Herbizid ist, das alle anderen Pflan zen abtötet. Allein aufgrund dieser Logik glaube ich nicht, dass diese Pflanzen für den Menschen genauso verträglich sind wie eine Pflanze, die empfindlich reagiert. Diese Pflanze ist mit einem Bazillus immunisiert worden, der so stark wirkt – zumindest in Bezug auf dieses Herbizid –, dass ich mir über haupt nicht vorstellen kann, dass dies beim Menschen keine Auswirkungen hat.

Wir begrüßen den längst fälligen Schritt, diesem Bündnis bei zutreten, und sehen darin eine Verbreiterung und Verbesse rung der Basis für unsere regionalen Produkte – wenn wir es in Baden-Württemberg konsequent durchhalten, dass das Land gentechnikfrei bleibt.

Wir brauchen dann im Übrigen auch keine Abstandsfor schung. Wir brauchen keine Forschungen über die Auswir kungen gentechnisch veränderter Pflanzen, wenn wir sagen können: „Wir haben hier gar keine Gentechnik.“ Damit spa ren wir nicht nur Geld, wir sparen uns auch Konflikte.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Von Immanuel Kant stammt der bekannte Satz: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschulde ten – –“

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Kant!)

Kant. Was habe ich denn gesagt? Immanuel Kant. Entschul digung, ich kenne ihn doch.

(Heiterkeit – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wahrscheinlich noch persönlich!)

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“ Diesen Satz kennt jeder. Die ser Satz stammt aus der Epoche der Aufklärung. Die damali gen Fortschrittsoptimisten haben die Aufklärung als Fort schritt gesehen. Wenn wir das auf das Thema „Gentechnik in der Dritten Welt“ übertragen, bedeutet das, dass die Fort schrittsoptimisten in der Dritten Welt über die Folgen dieser Gentechnik aufgeklärt werden müssen. Dieses Wissen fehlt in der Dritten Welt. Deswegen ist an dieser Stelle bei den un gebildeten Kleinbauern die Aufklärung über die Folgen der Gentechnik viel wichtiger als der Fortschrittsoptimismus, den die Konzerne diesen Menschen verkaufen.

Vielen Dank.