Protocol of the Session on October 11, 2012

Du kannst grund sätzlich „dir“ sagen, auch wenn es um das Thema Gentechnik geht.

(Heiterkeit – Zuruf von den Grünen: Das ist liberal!)

Gern. – Zuerst als kleiner Vorspann: Wir sind uns einig, dass die Studie aus Frankreich methodische Schwächen aufweist, aber sie hat auch methodi sche Stärken. An dieser methodischen Stärke, nämlich den Versuch nicht nur drei Monate lang zu machen, sondern den Versuch einmal über einen längeren Zeitraum zu machen, hängt sich meine Frage auf.

Es gibt für die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflan zen in der Europäischen Union eine Risikoprüfung. Diese Ri

sikoprüfung wird von Firmen wie Monsanto und anderen im Regelfall so durchgeführt, dass die Tiere, die gefüttert wer den, nur über drei Monate hinweg untersucht werden. Stimmst du mir zu, dass es wünschenswert wäre, dass wir uns gemein sam dafür einsetzen, dass auf EU-Ebene diese Risikoprüfung geändert wird und eine Vorgabe gemacht wird, dass langfris tige Untersuchungen erfolgen und nicht nur Untersuchungen über drei Monate?

(Zuruf: Hat er das verstanden?)

Ich stimme dir hier nicht nur zu, sondern ich sage dir: Das ist sogar Vorausset zung, um gewisse Produkte im wichtigen Lebensmittelbereich seriös in Umlauf zu bringen. Denn ich möchte nicht sagen: Ab 60 ist es mir egal, wie es mir geht. Das heißt, es muss ei ne Langzeitstudie – nur das ist aussagefähig – geben. Ohne Zweifel: ja.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE – Zustimmung bei Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregierung spricht Herr Minister Bonde.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Dr. Rösler hat recht: Heute ist ein guter Tag für Baden-Württemberg. Wir werden heute dem Europäischen Netzwerk gentechnikfreier Regionen beitreten. Damit setzt Baden-Württemberg ein deut liches Zeichen gegen Agrogentechnik und für eine sichere Landwirtschaft mit sicheren Lebensmitteln.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die Haltung und die Erwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Land sind klar. Fast 90 % der Menschen leh nen Gentechnik auf dem Acker und auf dem Teller ab. Wir, die Landesregierung, teilen die Sorgen der Menschen, die zu dieser Ablehnung führen. Wir wollen mit dem heutigen Bei tritt ein klares Zeichen dafür setzen, dass wir sichere Futter mittel wollen, sichere Lebensmittel wollen, aber wir wollen vor allem eine Politik betreiben, die dazu beiträgt, dass unse re Landwirtschaft den Rahmen hat, um das auch auf Dauer tun zu können, um auf Dauer auch unabhängig von den Groß konzernen – die als Einzige von der grünen Gentechnik pro fitieren – arbeiten zu können.

Wir werden heute in der Mittagspause des Parlaments die Bei trittsurkunde im Haus der Geschichte unterzeichnen und sie Paolo Petrini, dem Präsidenten des Europäischen Netzwerks gentechnikfreier Regionen und Kollegen aus der italienischen Provinz Marche, übergeben. Ich bin froh, dass es nach jahr zehntelanger Auseinandersetzung nun gelingt, dass auch Ba den-Württemberg dem Bündnis beitritt und sich damit offen siv zu einer Politik ohne grüne Gentechnik bekennt.

Der politische Ausgangspunkt ist, dass es bis heute Zweifel an der Sicherheit der Technik gibt, dass bis heute Risiken bei der Kreuzung mit Wildpflanzen in Konkurrenz zu einheimi schen Arten sowie bezüglich möglicher gesundheitlicher Schäden nicht abschließend ausschließbar sind. Damit ist der

Einsatz der grünen Gentechnik nach unserer Meinung nicht verantwortbar.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Die kurze politische Auseinandersetzung gerade vor meiner Rede hier hat die Problematik noch einmal sehr deutlich ge macht. Herr Abg. Bullinger, Sie haben kritisiert, die Studie aus Frankreich würde möglicherweise nicht alle Kriterien ei ner Langzeitstudie erfüllen. Das mag sein. Der eigentliche Skandal ist aber, dass das europäische Zulassungsrecht über haupt keine Langzeitstudien zur Voraussetzung macht. Das heißt, wenn es die Anforderung gäbe – die hier gerade brei ten Applaus im Plenum bekommen hat –, dass ein gentech nisch verändertes Produkt nur dann zugelassen werden kann, wenn es eine Langzeitstudie erfolgreich durchlaufen hat, dürf te nicht ein einziges der zugelassenen gentechnisch veränder ten Produkte in der Europäischen Union tatsächlich die Zu lassung erhalten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Genau das bestätigt uns in unserer Absicht, hier die politischen Aktivitäten zu verstärken. Wir wollen die Landwirte in unse rem Land davor bewahren, irgendwann in die Situation zu kommen, gar nicht mehr ohne Gentechnik produzieren zu können, weil die Größenordnung der Verunreinigungen, der Auskreuzungen und vieles andere diese Möglichkeit ab einem gewissen Stadium kaum noch eröffnet.

Wir sind in diesem Bereich auch schon vor unserem Beitritt zu dem Netzwerk aktiv. Wir untersuchen mit unseren Behör den Mais, Raps und Soja regelmäßig auf gentechnische Ver änderungen. Ein Viertel der bundesweit durchgeführten Un tersuchungen finden in Baden-Württemberg statt. Auch unse re Initiative, den Verzicht auf Gentechnik zum zentralen Be standteil des Qualitätszeichens Baden-Württemberg zu ma chen, dient genau diesem Ziel.

Wichtig in der Frage der Gentechnik ist, dass die Gesetzge bungskompetenz beim Bund und bei der Europäischen Uni on liegt. Das ist ein Punkt, für den wir uns gemeinsam mit den Bündnispartnerinnen und Bündnispartnern im Netzwerk ver stärkt einsetzen müssen. Die aktuelle Diskussion über die Zu lassung einer neuen Genmaissorte, NK 603, macht wieder ein mal deutlich, dass es hier des politischen Drucks bedarf. Die Enthaltung der Bundesregierung im Zulassungsverfahren führt dazu, dass die Europäische Kommission eine entsprechende Zulassung vornehmen kann. Aber auch hierzu liegen keine Langzeitstudien vor. Auch hier bestehen die beschriebenen Risiken.

Ich glaube, der entscheidende Punkt ist, dass jetzt Druck auf die nationalen Regierungen ausgeübt werden muss, eine ethisch verantwortbare Haltung einzunehmen. Vor allem muss auf europäischer Ebene darauf gedrängt werden, dass der Vor schlag des Europäischen Parlaments umgesetzt wird, der es den deutschen Bundesländern ermöglichen würde, selbst po litisch vorzugehen und gentechnikfreie Gebiete und Land schaften auszuweisen. Ich will endlich Gesetzesgrundlagen haben, damit wir seitens der Landesregierung so handeln kön nen, wie es die Verbraucherinnen und Verbraucher von uns er warten, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwi schenfrage des Kollegen Dr. Bullinger?

Bitte schön.

Herr Minister, Sie haben gerade Forderungen gestellt, die, glaube ich, insgesamt breite Zustimmung finden. Ich frage Sie: Was wollen Sie kon kret unternehmen, um dies gerade auf europäischer Ebene zu ändern? Wenn ich es richtig weiß – bitte, Sie können mir hier widersprechen –, wurden genau in der Zeit, in der in der Bun desregierung eine grüne Agrarministerin amtierte, diese Rah menbedingungen beschlossen, bei denen wir, wie auch Sie sa gen, Mängel feststellen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Der Punkt ist: Was wollen Sie anders machen, und wie wol len Sie das erreichen? Das, was Frau Künast damals in Brüs sel durchgehen ließ, wird schwer zu korrigieren sein. Was wol len Sie konkret unternehmen, damit wir in Europa weiterkom men – was Frau Künast nicht gelungen ist?

Sehr geehrter Herr Abg. Bullinger, ich weiß, welche Faszination Frau Künast auf Sie ausübt,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Eine inter essante Persönlichkeit, natürlich!)

weshalb Sie auch keine Parlamentsdebatte auslassen, um hier in einer etwas verklärenden Haltung ihre angeblichen Wir kungskreise in Brüssel zu beschreiben.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Aber Di rektzahlungen streichen! – Zuruf der Abg. Friedlin de Gurr-Hirsch CDU)

Wir haben seit Langem die Situation, dass in Brüssel eine an dere Einschätzung zur Gentechnik besteht. Es wäre müßig, detailliert zu definieren, welche Parteienfamilien, welche Kommissare zu der marktradikalen Position beigetragen ha ben, die – ich sage es einmal so – wissenschaftsgläubig die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen massiv vorantreibt.

Ich gehöre zu einer politischen Familie, die die Auffassung vertritt, dass wir eine ethische Verantwortung haben und dass der Mensch nicht alles darf, was er kann.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wenn hierzu im Landtag Konsens herrscht, bin ich froh, weil das über die Gesetzgebungen hinausgeht, die die liberale Fa milie in Europa durchgesetzt hat.

Wir sind an dem entscheidenden Punkt, sagen zu müssen: Wenn wir Europa ein Fenster offen halten wollen, dass wir ohne Gentechnik arbeiten – so wie es die Landwirte und die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem Land wollen –, dann müssen wir jetzt ansetzen und eine Veränderung bei den Zulassungsverfahren erreichen.

Ich bin nicht der Auffassung, dass es ausreichend ist, allein Langzeitstudien vorauszusetzen. Ich bin aber der Meinung,

dass Langzeitstudien etwas sind, was wir mindestens brau chen; alles andere wäre erkennbar absolut unverantwortbar.

Ich wäre froh, wenn Sie diese Einschätzung teilen würden und wir somit eine gemeinsame Position einnehmen würden. Noch glücklicher wäre ich, wenn es gelingen würde, die Bundesre gierung dazu zu bewegen, die gleiche Haltung einzunehmen, sodass man einen Akteur im Europäischen Rat mehr hätte, der genau diese verantwortungsethische Position umsetzt, die wir hier heute gemeinsam einnehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Das ist übrigens ein Grund, weshalb wir dem Netzwerk bei treten. Damit sind es 57 Regionen mit mehr als 150 Millio nen Einwohnerinnen und Einwohnern, die sich in diesem Netzwerk zusammengeschlossen haben.

Wir unterzeichnen heute die Charta von Florenz, die im Kern vier Grundforderungen enthält: den Schutz der gentechnik freien Landwirtschaft vor Wettbewerbsverzerrungen und vor dem Einfluss interessierter Großkonzerne, die klare Benen nung der Verantwortlichen und damit die Sicherstellung, dass Produkte – seien sie konventionell oder ökologisch erzeugt – nicht durch gentechnisch veränderte Nutzpflanzen verunrei nigt werden, die Umsetzung des Verursacherprinzips, den Schutz des Saatguts im konventionellen wie im ökologischen Landbau vor Verunreinigung durch gentechnisch veränderte Organismen sowie die gemeinsame Position gegenüber der Europäischen Union und den Staats- und Regierungschefs, dass klare Regelungen getroffen werden müssen, die es den Regionen bzw. Bundesländern ermöglichen, Gebiete und Tei le von Gebieten für gentechnikfrei zu erklären. Damit wird die Rechtsgrundlage geschaffen, um das zu tun, was die Men schen von uns erwarten.

Insofern ist das ein wichtiger Schritt in dem schwierigen Kampf, den wir auf europäischer Ebene gemeinsam gewin nen wollen. Ich bin froh, dass wir im Landtag nach dieser De batte einen Konsens im Kampf dafür feststellen können, dass wir unsere Landwirtschaft gentechnikfrei halten, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher in Baden-Württemberg da rauf bauen können, dass bei den Produkten, auf denen „gen technikfrei“ oder „ohne Gentechnik“ steht, keine Gentechnik zum Einsatz gekommen ist, sondern dies Produkte sind, die die Landwirtinnen und Landwirte in unserem Land sauber und ordentlich produziert haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Kollege Rombach für die CDU-Frak tion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, auch heute gilt erneut der Grundsatz: Politik, vor allem ehrliche und gewissenhafte Politik, beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Herr Minister, Sie ha ben einzelne Fälle angesprochen. Tatsache ist, dass weltweit von rund 20 Millionen Landwirten auf über 160 Millionen ha Ackerfläche Gentechnik angewandt wird, dass sich über 500 Forschungsteams in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit diesem Thema beschäftigt haben und dass die Europäi sche Kommission diesbezüglich über 300 Millionen € bereit

gestellt hat, um Antworten auf die Frage nach Auswirkungen auf die Umwelt, die Lebensmittelsicherheit usw. zu finden.

Meine Damen und Herren, um es noch einmal in aller Deut lichkeit zu sagen: Sicherheit steht an erster Stelle. Bei aller Notwendigkeit im Einzelfall dürfen technischer Fortschritt und Wettbewerbsdenken nicht über die gesundheitliche Un bedenklichkeit für die Verbraucher gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP und Dr. Markus Rösler GRÜNE)