Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich denke, wir müssen uns zunächst einmal beim Justizministerium und bei Herrn Justizminister Stickel berger für diesen sehr guten Gesetzentwurf bedanken. In der Begründung zu diesem Gesetzentwurf sind die wesentlichen Argumente für die Einführung der Landesverfassungsbeschwer de angeführt; wir haben sie auch eben bereits gehört.
Wir müssen uns allerdings im Zuge der Befassung mit der Landesverfassungsbeschwerde – es hat mich gefreut, dass hier auch das Erbe Günther Oettingers beschworen wurde – ganz sicher auch mit einer Aufwertung unserer Landesverfassung, ebenso aber auch mit einer Aufwertung des wichtigen Instru ments zum Schutz der Landesverfassung, nämlich des Staats gerichtshofs, beschäftigen.
Wir haben in der Verfassungsrechtsprechung sehr häufig das Phänomen, dass wir zwar, beispielsweise durch Organklagen beim Bundesverfassungsgericht, richterliche Spruchpraxis zu Fragen des Staatsaufbaus haben, aber gerade im Land BadenWürttemberg den Teil, der für die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung auch sehr wichtig ist, nämlich die richterli che Spruchpraxis zur Frage von Grundrechten, eben nicht ha ben. Wenn wir uns jedoch die Geschichte des Verfassungs rechts in Deutschland anschauen, stellen wir fest, dass gera de die Beschäftigung mit den grundrechtssensiblen Bereichen sehr wichtig war, um für unseren Staat auch wichtige, rechts fortbildende Rechtsprechung zu erhalten.
Deswegen erhoffe ich mir, dass wir durch die Einführung der Landesverfassungsbeschwerde – auch dann, wenn es in der Praxis sicherlich Dinge geben wird, die wir von vornherein als unzulässig und unbegründet erachten – in diesem Bereich ebenfalls eine Rechtsprechung bekommen werden, durch die die Politik bezüglich der Beachtung der Grundrechte, die in der Landesverfassung verankert sind, wichtige Hinweise er hält. Ich denke, dass die CDU im Zuge der von ihr signalisier ten Zustimmung zur Landesverfassungsbeschwerde ein manch mal etwas schwieriges Verhältnis zur Landesverfassung wie der in den Griff bekommt,
und ich hoffe, dass wir es schaffen, dass die Landesverfassung auch in den Augen der Menschen eine, nämlich die zentrale, Rechtsnorm und Orientierung für die weiteren Rechtsnormen in unserem Land Baden-Württemberg ist.
Es freut mich daher, dass wir diesen wichtigen Beitrag leisten auf dem Weg – Kollege Filius hat dies ebenso angesprochen wie Minister Stickelberger – einer Politik für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die dadurch eben nicht das Ge fühl haben, Objekt staatlicher Maßnahmen zu sein, sondern Subjekt des Handels zu sein, und die ihre Rechte durch eine erfolgreiche Verfolgung vor Gericht bewahren können.
Wir haben in Baden-Württemberg ganz sicher – da stimme ich dem Kollegen Hitzler ausdrücklich zu – ein hervorragend funktionierendes Rechtssystem. Wenn wir dieses noch um die Landesverfassungsbeschwerde ergänzen, haben wir, glaube ich, für die nächsten Jahrzehnte ein hervorragendes Rechts system hier in Baden-Württemberg.
Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Der Standpunkt der FDP/DVP, der Standpunkt meiner Fraktion, den ich Ihnen nun etwas näher darlegen darf, mag nicht populär sein. Da kann man uns aber nicht vorwerfen, dass wir Populisten wären. Dieser Stand punkt mag nicht populär sein, ist aber aus unserer Sicht schlüs sig.
Ich möchte in die Thematik einsteigen, indem ich unseren frü heren Ministerpräsidenten Teufel zitiere, der seinerseits gern einen Satz von Montesquieu anführte, der sinngemäß lautet: Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es nö tig, kein Gesetz zu machen.
Etwas allgemeiner ausgedrückt: Wenn es nicht nötig ist, ein weiteres Stück Staat zu schaffen, dann ist es nötig, kein wei teres Stück Staat zu schaffen.
Lieber Herr Kollege Hitzler, ich könnte jetzt anschließen und sagen: Sie haben recht. Wir sind bisher sehr gut ohne diese Landesverfassungsbeschwerde ausgekommen. Ich habe vor hin interessiert zugehört und kann auch verstehen, dass man sich für so etwas erwärmen oder sogar begeistern kann. Aber wir müssen im Grunde genommen nüchtern denken: Braucht man es, oder braucht man es nicht? Wir sind gut ohne ausge kommen. Jetzt könnte man sagen: Das ist uns noch zu wenig; man kann etwas Besseres machen. Aber in der Zwischenzeit sind zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeiten geschaffen wor den, und zwar auf der europäischen Ebene, auch individuell vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Es ist schon die Frage: Ist es sinnvoll, gleichzeitig dieses Sys tem noch nach unten durch eine Landesverfassungsbeschwer de zu erweitern, und das, obwohl wir – das ist für mich ein wesentlicher Unterschied – das Bundesverfassungsgericht in
Wer den Grundrechtsschutz anschaut, den Karlsruhe bietet, hat Mühe, hier ein Defizit im Rechtsschutz zu erkennen. Wenn ich ein Defizit erkennen würde, wäre ich sofort auf Ihrer Sei te. Aber Tatsache ist, dass es, wenn künftig ein Rechtsweg ausgeschöpft ist, drei Stationen geben wird: zuerst Stuttgart, dann Karlsruhe und dann Straßburg. Da kann man sich schon fragen: Ist das noch sinnvoll? Ist es richtig, dafür Geld auszu geben? Und Geld wird es kosten. Ich habe meine Zweifel, ob die Kosten bis hin zur Prozesskostenhilfe bisher schon aus reichend erfasst sind.
Es ist übrigens richtig, dass auch der frühere Ministerpräsi dent Oettinger mit einer solchen Landesverfassungsbeschwer de geliebäugelt hat. Dass sie nicht kam, hing aber weniger da mit zusammen, dass er sein Mandat abgegeben hat, als damit, dass sein Stellvertreter schon damals dagegen war. Wie ge sagt: Wir wagen den Bedarf zu bezweifeln.
Man muss auch folgenden Aspekt im Auge behalten: Wir brauchen immer noch eine Balance zwischen Handeln und Kontrolle. Einfach ausgedrückt: Es muss sich vor lauter Kon trolle noch immer etwas bewegen. Was meine ich damit? Wir haben z. B. in der VwGO, der Verwaltungsgerichtsordnung, Änderungen vorgenommen, damit Projekte schneller geplant und durchgeführt werden können. Das haben wir extra ge macht, damit noch gehandelt werden kann.
Wir diskutieren aktuell darüber, ob wir das Widerspruchsver fahren abschaffen sollen, damit bestimmte Verfahren schnel ler gehen. Man kann sich die Frage stellen: Ist es sinnvoll, stattdessen eine Landesverfassungsbeschwerde einzuführen, die wieder ein Mehr an Kontrolle und natürlich wieder eine Erschwernis des Handelns und der staatlichen Planungen be deutet?
Ich stehe ganz klar zur Rechtswegegarantie von Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Aber Sie kennen auch das ironi sche Wort vom Rechtswegestaat. Manche sagen, wir hätten keinen Rechtsstaat, sondern einen Rechtswegestaat. Was ver steht man unter einem Rechtswegestaat? Ich definiere es ein mal so: Man braucht zwar kein Recht zu haben, aber man hat so lange einen Rechtsweg, bis sich die Rechtsfrage im Sinne des Antragstellers irgendwann von allein erledigt hat. Ich glau be, das wollen wir nicht. Deswegen muss man auch diesen Aspekt der Verlängerung des Verfahrens im Auge behalten.
Wenn ich das Ganze Revue passieren lasse, komme ich an den Anfang zurück. Es ist eine faszinierende Geschichte. Man sagt zuerst, es ist eigentlich prima. Wenn man jedoch zweimal da rüber nachdenkt, muss man auch hier die kritische Frage stel len: Braucht man es eigentlich? Denn es wird Geld kosten, und es wird natürlich bestimmte Entscheidungen verlangsa men. Das muss man wissen. Dann muss man die Frage beant worten, ob diese Entscheidungen nicht schon heute langsam genug getroffen werden und der Rechtsschutz nicht schon heute sehr gut ausgebaut ist. Sehr gut ausgebaut soll er sein; zusätzliche Instrumente halten wir nicht für nötig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Die Aussprache ist damit beendet.
Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/2153 zur weiteren Beratung an den Ständigen Ausschuss zu überwei sen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Damit ist es so be schlossen.
Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Duale Ausbildung stärken und ihre Attraktivität steigern – Drucksache 15/1223 (geänderte Fassung)
Das Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat folgen de Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, wobei ge staffelte Redezeiten gelten.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich darf mit einem Zitat der Landes regierung beginnen:
Nach Auffassung der Landesregierung ist das duale Sys tem der Berufsausbildung nach wie vor das beste Kon zept für den Erwerb praxisnaher und bedarfsorientierter Berufsqualifikationen.
So steht es wörtlich in der Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport zum Antrag der Fraktion der FDP/DVP zur dualen Ausbildung vom Februar dieses Jahres.
Ich hätte jetzt gern direkt die Kultusministerin angesprochen; denn das fällt ja in ihren Zuständigkeitsbereich.
Wenn die Kultusministerin es mit der zitierten Äußerung ernst meinte, dann hätte sie auch die FDP/DVP an ihrer Seite.
Aber es ist wie so oft bei dieser Landesregierung: Zwischen vollmundigen Absichtserklärungen und der tatsächlichen Re gierungspraxis klaffen Abgründe.
Unsere Fraktion hat diesen Antrag im Frühjahr dieses Jahres in der Sorge gestellt, dass die duale Ausbildung trotz gegen teiliger vollmundiger Absichtserklärungen ins Abseits der grün-roten Bildungspolitik geraten könnte. Nachdem nun ei nige Monate vergangen sind, zeigt sich, dass diese Sorge of fensichtlich sehr wohl begründet war und ist.
Hierzu einige Beispiele: Die Unterrichtsversorgung an den be ruflichen Schulen ist nach wie vor defizitär. Der Unterrichts ausfall lag im letzten Schuljahr bei rund 4,1 %. Dass dieser rechnerische Unterrichtsausfall nicht nur eine abstrakte statis tische Größe ist, sondern von Berufsschullehrern, den Eltern, den Unternehmen, den Industrie- und Handelskammern und dem Handwerk als akutes Problem wahrgenommen wird,
müsste Ihnen, Frau Ministerin Warminski-Leitheußer, eigent lich als großes Problem vorkommen und müsste dementspre chend auch ernst genommen werden.
(Abg. Viktoria Schmid CDU: Sie ist aber nicht da! – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ja wo ist sie denn? – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sie inter essiert sich nicht für Bildungspolitik! – Abg. Georg Wacker CDU: Das macht der Rust!)
Wenn sogar der Weltkonzern Daimler sich mahnend zu Wort meldet, sollte das einer baden-württembergischen Landesre gierung wahrlich nicht gleichgültig sein.
(Ministerin Gabriele Warminski-Leitheußer betritt den Plenarsaal. – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Da ist sie ja! Da hat die SMS von Herrn Schmiedel gewirkt!)