Protocol of the Session on July 19, 2012

Damit ist Tagesordnungspunkt 1 beendet.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Sicherheit erhöhen – Zugang zu Waf fen erschweren – beantragt von der Fraktion GRÜNE

Das Präsidium hat eine Redezeit von 40 Minuten festgelegt, worauf die Redezeit der Regierung nicht angerechnet wird. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Redner in der zweiten Runde gilt jeweils eine Redezeit von fünf Minuten.

Mit Blick auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung bitte ich, die Aktuelle Debatte in freier Rede zu führen.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort dem Kollegen Sckerl.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Sieben Tote durch Gewaltverbrechen in Karlsruhe und Lehrensteinsfeld vor wenigen Tagen mit illegal erworbe nen Waffen in Privatbesitz. 24 Tote seit dem Amoklauf in Win nenden und Wendlingen durch Gewalttaten, begangen mit Waffen in Privatbesitz, Sportwaffen. 130 Tote mit Waffen, die

legal im Schießsport eingesetzt wurden, bei ähnlichen Gewalt verbrechen in den beiden letzten Jahrzehnten.

Der Präsident des Bundes Deutscher Sportschützen sagte in der letzten Woche dazu in einem Beitrag im SWR Fernsehen sinngemäß: „Durch Schießsport gibt es immer wieder Tote. Aber statistisch gesehen ist die Zahl zu vernachlässigen. Das ist eine Zahl, die eine Gesellschaft ohne Weiteres aushalten kann.“ So weit der Präsident des Bundes Deutscher Sport schützen.

Wir, meine Damen und Herren, sind da völlig anderer Mei nung. Jeder Tote, jede Tote ist einer, eine zu viel.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Dann werden zur Veranschaulichung von Lebensrisiken im mer wieder die bekannten Vergleiche angestellt, etwa mit dem Straßenverkehr. Aber all diese Vergleiche hinken, wie wir al le längst wissen; sie treffen nicht zu. Wir setzen im Straßen verkehr keine tödlichen Waffen ein. Das Auto per se ist keine tödliche Waffe. Der Straßenverkehr kann gefährlich sein. Aber wir arbeiten ja auch hier – mit Erfolg – daran, dass die Zahl der Toten und Schwerverletzten von Jahr zu Jahr zurückgeht.

Wir haben – das ist Fakt – derzeit in Baden-Württemberg und in der Gesellschaft überhaupt eine deutlich zu hohe Zahl von Waffen, von gefährlichen Waffen in Privatbesitz. An dieses Thema müssen wir herangehen. Da darf man nicht die Hän de in den Schoß legen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Zweifellos ist seit dem schrecklichen Amoklauf in Winnen den insbesondere in Baden-Württemberg einiges passiert. Da zu haben wir, beginnend mit der Arbeit im Sonderausschuss und dann auch in verschiedenen Beratungen in den letzten Jahren, gemeinsam beigetragen. Es ist gelungen, die Zahl der legal erworbenen Waffen in Privatbesitz im Land von über 900 000 auf 760 000 zu reduzieren. Bei 150 000 Besitzerin nen und Besitzern entfallen statistisch im Durchschnitt fünf Waffen auf jede Person mit einer entsprechenden Erlaubnis. Die Aktion „Straffreie Rückgabe illegal besessener Waffen“ war ein Erfolg. Auch die Zahl der vermutlich illegal erworbe nen Waffen konnte deutlich verringert werden.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Der Präsenz zufolge ist die CDU anscheinend nicht so interessiert!)

Allein, es fehlt die Anschlussinitiative. Diese ist in der letz ten Zeit von uns, den Grünen und der SPD, immer wieder an gemahnt worden.

Im Jahr 2009 fand die Novellierung des Waffenrechts im Bund statt. Diese wird – auch das ist völlig unbestritten – im nächs ten Jahr unter dem Stichwort „Nationales Waffenregister“ ei nen wichtigen Fortschritt bringen, weil dann für die unteren Waffenbehörden die Nachvollziehbarkeit des Weges einer Waffe und die Zuordnung zu Besitzerinnen und Besitzern ge rade im Hinblick auf die Eignung erleichtert wird.

Auch die Verschärfung der Kontrollen im Land, insbesonde re der verdachtsunabhängigen Kontrollen, war ein Fortschritt. Vielen Dank, Herr Innenminister, für die Bemühungen von Ihnen und Ihrem Haus in den letzten Monaten. Sie hatten da

zu auch einen aufschlussreichen Evaluationsbericht vorgelegt. Diese Kontrollen bringen Handlungsdruck.

Aber wir sind noch nicht am Ende unserer Bemühungen an gelangt. Die Zahl der Toten verpflichtet uns, weiterzuarbei ten.

Eines muss völlig klar sein: Es gibt keine Pauschalverdächti gungen gegen Sportschützen oder Jäger; das wird speziell uns immer unterstellt. Diese gibt es definitiv nicht, die gibt es auch heute nicht. Wir wollen auch keine Totalverbote von Waffen. Wir wollen niemandem seinen Sport oder sein Hobby vermie sen, und wir wollen Jägerinnen und Jägern nicht ihre Tätig keit verbieten. Das steht nicht auf der Tagesordnung.

Auf der Tagesordnung steht, an die Bereiche heranzugehen, in denen wir Sicherheitslücken haben. Sicherheitslücken ha ben wir im Bereich der Waffenbesitzerlaubnis. Es gab zu vie le Vorfälle, bei denen sich ganz erhebliche Zweifel an der Eig nung der Waffenbesitzer ergeben haben. Die Eignung besser zu prüfen und die Erlaubnisse zu befristen ist ein wichtiges Thema.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Herr Minister, wir müssen schauen, was wir da landesrecht lich tun können, und wir müssen schauen, was wir bundes rechtlich in diesem Bereich anstoßen können.

Der Fall in Karlsruhe zeigt im Übrigen, dass wir einen Bedarf an Harmonisierung des europäischen Waffenrechts haben.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist schwierig!)

Denn ganz offensichtlich konnte ein französischer Staatsbür ger mit einer in Frankreich ausgestellten Waffenbesitzkarte ungehindert Waffen nach Deutschland bringen und sich damit über viele Jahre hier bewegen. Das war unter Umständen – das befindet sich noch in der Klärung – eine der Vorausset zungen, um diese schreckliche Tat zu begehen. Auch da be steht also Handlungsbedarf.

Es wird ferner wichtig sein, die Kontrolldichte hoch zu hal ten. Wir sollten uns endlich einmal darauf verständigen, dass es eine wichtige originäre Tätigkeit der unteren Waffenbehör den ist, Kontrollen – auch verdachtsunabhängige Kontrollen – durchzuführen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da spricht nichts dagegen!)

Wir möchten die Behörden ermuntern, die Kontrolldichte hoch zu halten. Sie dürfen dafür auch – ohne dass dies stän dig kritisiert wird, Herr Dr. Goll – Gebühren erheben. Genau so wie die Erhebung von Gebühren für die Autoüberprüfung beim TÜV muss auch die Erhebung von Gebühren für Waf fenkontrollen Standard sein.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir sind davon überzeugt: Wenn wir diese Spur konsequent verfolgen, führt das zu einer Reduzierung der Zahl illegal er worbener Waffen, weil der Handlungsdruck groß ist, aber auch zu einer Reduzierung der Zahl legal erworbener Waffen; denn gerade die erste Phase der neuen Kontrolldichte hat gezeigt, dass viele Besitzerinnen und Besitzer von Waffen, die jetzt

höhere Bedingungen, höhere Anforderungen an die Aufbe wahrung der Waffen zu erfüllen haben, dieses Risiko nicht mehr tragen wollen und dann Waffen bei den Behörden zu rückgeben. Das gilt insbesondere für die Besitzer von Alt- und Erbwaffen. Darin steckt auch in Baden-Württemberg ein gro ßes Potenzial. An diese Waffen können wir herankommen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, in großem Umfang solche Waffen zu Hause zu haben. Da können Bestände deutlich ver ringert werden.

(Beifall bei den Grünen)

Ich sage aber deutlich dazu: Wir müssen uns entschließen, die Sicherheitslücken tatsächlich dichtzumachen. Das bedeutet für uns: Initiativen auf Bundesebene zur Erschwerung des Zu gangs zu Waffen, zur Thematik der Aufbewahrung von Waf fen in Privatwohnungen und zur Thematik der großkalibrigen Waffen sowie tatsächlich auch ein Verbot dieser großkalibri gen Waffen als besonders gefährliche Mordwaffen bleiben für uns auf der Tagesordnung.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Alle Waffen sind potenziell Mordwaffen!)

Herr Innenminister, wir werden alle Ihre Initiativen im Bun desrat und in der Innenministerkonferenz in den nächsten Mo naten unterstützen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das hilft nichts!)

um spätestens nach der Bundestagswahl 2013 endlich einmal echte Fortschritte zu erzielen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Blenke.

Herr Präsident, werte Kollegin nen und Kollegen! Unsere Gedanken sind in diesen Tagen nach den schrecklichen Straftaten, Kapitalverbrechen in Karls ruhe und – wie Sie, Herr Kollege Sckerl, sagten – in Lehren steinsfeld natürlich bei den Opfern und bei den Angehörigen. Die Todesopfer dort sind durch überhaupt nichts zu rechtfer tigen; das ist völlig klar. Wir sind uns auch einig: Jeder Tote ist ein Toter zu viel. Wir sind uns jedoch sicherlich auch ei nig, dass wir mit der heutigen Debatte und mit entsprechen den Maßnahmen solche Ereignisse nicht in aller Konsequenz für alle Zukunft werden verhindern können, auch nicht mit immer weiteren Verschärfungen des Waffenrechts. Ich gehe gleich darauf ein.

Das Waffenrecht als solches hat zum einen das Ziel, die öf fentliche Sicherheit zu stärken – diese Stärkung erfolgt –, und zum anderen hat es das Ziel, eine Reglementierung des Er werbs und des Besitzes von Waffen herbeizuführen. Dieses Waffenrecht besteht in Deutschland schon seit Jahrhunderten, wurde aber immer wieder angepasst und wurde auch ereig nisabhängig angepasst, also dann, wenn irgendwelche schwer wiegenden Taten erfolgten.

Ich nenne nur Stichworte: 2002, nach dem Amoklauf in Er furt, gab es eine umfangreiche Novellierung des Waffenrechts.

Es gab eine Heraufsetzung der Altersgrenze für den Erwerb, Reglementierungen für die Nutzung von Großkalibersport waffen ab dem 21. Lebensjahr, das absolute Verbot von soge nannten Pumpguns, von Wurfsternen und anderen Dingen, aber auch Aufbewahrungsvorschriften und Weiteres.

Im Jahr 2008 erfolgte dann eine weitere Verschärfung des Waffenrechts. Da ging es insbesondere um die Einführung von Blockiersystemen für Erbwaffen, sodass diese Waffen, wenn sie vererbt werden, schussunfähig gemacht werden. Nach den für uns alle traumatischen Ereignissen 2009 in Winnenden und Wendlingen gab es erneut eine deutliche Verschärfung des Waffenrechts – Herr Kollege Sckerl, Sie haben es auch ange sprochen –, eine Verschärfung bei der Bedürfnisprüfung. Da neben erfolgte für diese sogenannten deliktrelevanten groß kalibrigen Waffen auch eine Anhebung der Altersgrenze, des Weiteren die Einrichtung eines nationalen Waffenregisters und – das ist wohl der Schlüssel – eine Verbesserung der Kontroll möglichkeiten. Diese Einführung der verdachtsunabhängigen Kontrolle, die damals durch Innenminister Rech initiiert und umgesetzt wurde, war, glaube ich, ein wesentlicher Punkt. Man hat damit den Kontrolldruck für diejenigen, die vielleicht die Notwendigkeit nicht einsehen oder einfach nur nachlässig sind, erhöht.

Das Entscheidende ist: Diese Maßnahmen, etwa die Einfüh rung der verdachtsunabhängigen Kontrollen, erfolgten damals auch in Abstimmung und in engem Einvernehmen mit den Verbänden, den Schützenverbänden und dem Landesjagdver band. Das ist, glaube ich, sehr wichtig.

Ich zähle dies auf, um zu zeigen, dass die Politik schon ver antwortungsbewusst gehandelt hat.

Jetzt will ich an dieser Stelle auch sagen: Das reflexartige Ru fen nach einer Verschärfung des Waffenrechts, sobald etwas passiert, bringt nichts, wenn die Tat unter Verletzung des be stehenden Waffenrechts begangen wurde. Wenn jemand ge gen das Waffenrecht verstößt, bringt auch eine Verschärfung des Waffenrechts nichts. Man muss, glaube ich, schon sehen: Diese reflexartige Forderung nach einer Verschärfung des Waffenrechts bringt nichts.