Protocol of the Session on June 20, 2012

Denn das Betreuungsgeld hat zwei Effekte: Ich bekomme auf der einen Seite das Betreuungsgeld, und ich kann auf der an deren Seite auch noch die deutlich steigenden Betreuungskos ten im Kita-Bereich einsparen. Das ist oft natürlich wesent lich attraktiver als der geringe Verdienst, den diese Frauen an sonsten erhalten. Wenn dann auch noch das vierjährige Kind abgemeldet wird, dann ergibt sich daraus ein weiterer Effekt.

Das sind neue Ergebnisse; diese gab es 2008 noch nicht. Da her muss man das Thema Betreuungsgeld noch einmal in die sem Kontext zur Diskussion stellen und sich hiermit ausein andersetzen.

Ich komme daher zu folgendem Ergebnis: Das Betreuungs geld wäre nach den Erfahrungen der aktuellen wissenschaft lichen Ergebnisse ein Instrument, das vor allem im Hinblick auf Kinder aus bildungsschwachen Familien, Kinder von Al leinerziehenden und Kinder aus Familien mit niedrigem Ein kommen einen falschen Anreiz setzt und diesen Kindern zu sätzliche Bildungschancen vorenthält. Darüber müssen wir an dieser Stelle kritisch diskutieren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Kommen wir nun zum Land Baden-Württemberg und zum Anlass unserer Aktuellen Debatte: Wir sahen bislang Schwie rigkeiten voraus, die Betreuungsquote von 34 % zu erreichen, die bis zum Jahr 2013 vorgegeben ist. Sie kennen die Tabel len, aus denen hervorgeht, dass Baden-Württemberg bezüg lich des Ausbaustands noch immer relativ weit hinten liegt. Hier muss man feststellen, dass der Pakt für Familien, der von der neuen Landesregierung als eine wesentliche Neuerung ein geführt worden ist, zu einem wahren Boom bei der Beantra gung der entsprechenden Investitionsmittel des Bundes ge führt hat.

Wir haben allein in den ersten sechs Monaten dieses Kalen derjahrs, konkret vom 1. Januar bis zum 12. Juni 2012, neue Anträge auf Mittel aus diesem Investitionsprogramm im Um fang von 77 Millionen €. Im gesamten Jahr 2011 betrug die Antragssumme nur 54 Millionen €. Das zeigt, dass die Ein führung der verbesserten Betriebskostenzuschüsse im Krip penbereich erst jetzt bei den Trägern und vor allem bei den Kommunen den Freiraum dafür geschaffen hat, das Investiti onsprogramm des Bundes massiv in Anspruch zu nehmen.

Auch für uns ist es ein wenig überraschend, dass wir nur we nige Monate, nachdem wir festgestellt hatten, dass die Bean tragung, die Bewilligung und der Abfluss der Mittel noch weit hinter dem zurücklag, was wir uns gewünscht hatten, nun ei ne Überbuchung bezüglich der Gesamtsumme dieser Mittel feststellen können.

Konkret stellt sich nun natürlich die Frage: Wie soll es in Ba den-Württemberg weitergehen? Auf der einen Seite können die Investitionsanträge der Kommunen nicht mehr mit ent sprechenden öffentlichen Zuschüssen bedacht werden, und auf der anderen Seite wird auf Bundesebene über die Einfüh rung eines Betreuungsgelds diskutiert, das unserem Anspruch auf Bildungsgerechtigkeit in seinen Effekten eigentlich zuwi derläuft. Ich will hier keiner einzigen Mutter und keiner ein zigen Familie einen Vorwurf machen. Aber die gesellschaft lichen Effekte bestehen nun einmal.

Wir könnten nun darüber diskutieren, ob Eltern das Betreu ungsgeld vor allem deshalb in Anspruch nehmen und die zu sätzlichen Kosten für die Kinderbetreuung scheuen, weil sie sagen: „Uns ist die Betreuung zu Hause so wichtig“, oder ob manche Eltern nicht zum Teil einfach aus finanziellen Grün den sagen: „Für uns rechnet sich das mehr“ – auch wenn sich dies später im Hinblick auf Altersarmut und Erwerbsbiogra fie wohl eher als schädlich herausstellen wird. Diese Diskus sion sollten wir jedoch nicht führen, sondern wir sollten ein fach die gesellschaftlichen Auswirkungen und die Herausfor derungen für Baden-Württemberg einander gegenüberstellen.

Deswegen kann ich als Vertreter des Fachministeriums Sie an dieser Stelle nur auffordern: Unterstützen Sie die bundespo litische Diskussion dahin gehend, dass man das Betreuungs geld noch einmal kritisch hinterfragt und es angesichts der Konsequenzen und der negativen Steuerungseffekte zur Dis kussion stellt. Das Betreuungsgeld sollte in der vorgesehenen Form nicht eingeführt werden.

Diskutieren Sie mit den Vertretern der Bundespolitik und der im Bundestag vertretenen Parteien auch darüber, dass wir dringend eine zusätzliche Aufstockung des Bundesinvestiti onsprogramms brauchen, um die Betreuungsquote von 34 % und möglichst auch einen darüber noch hinausgehenden An spruch erfüllen zu können. Es ist ja hinreichend ausgeführt worden, dass der Wert von 34 % damals eine eher theoreti sche Schwelle war. Am Ende geht es aber nicht um 34 %, son dern um die Frage, Frau Brunnemer, ob die Eltern, die ab kommendem August „auf der Matte stehen“, einen Betreu ungsplatz angeboten bekommen können.

Die derzeitigen Planungen mit dem Betreuungsgeld einerseits und der Unterfinanzierung des U-3-Ausbaus andererseits sind eben kein Betrag zur Wahlfreiheit, sondern verhindern ab 1. August 2013 diese Wahlfreiheit. Deshalb sollten wir diese Debatte hier und auch in der Bundespolitik offensiv führen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Wacker das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Bayer, es wundert mich, wenn ich an die letzte Sitzung des Bildungs ausschusses denke, schon, dass Sie und auch Herr Staatsse kretär Dr. Mentrup gesagt haben, man sollte nicht allzu sehr der „PISA-Gläubigkeit“ verfallen. Denn als es um das Thema „Migrantenförderung in Baden-Württemberg“ ging, habe ich sehr wesentliche Befunde aus der PISA-Studie zitiert. Da

wollten Sie die Ergebnisse der Studie nicht hören. Hier zitie ren Sie eine Studie nach der anderen so, wie Sie es offensicht lich brauchen.

(Beifall bei der CDU)

Dazu sage ich genauso: Man soll auch hier nicht einer allzu großen Studiengläubigkeit verfallen, wenn man die Details dieser Studien nicht genau kennt. Gestatten Sie mir deshalb einige kritische Bemerkungen.

Dieser Bund-Länder-Bericht: Ich habe heute nur von der Pres semitteilung über dpa in den Nachrichten gehört, dass die Ein führung des Betreuungsgelds offensichtlich kritisiert wird. Ich möchte jetzt gar nicht bestreiten, dass das darin steht, möch te diese Aussage allerdings insofern in Frage stellen, als die se Bildungsstudie, die vom Bundesbildungsministerium ge meinsam mit den Ländern erstellt wird, aus der Zusammen führung von Datenmaterial aus den Bundesländern aus Un tersuchungen besteht, die bereits veröffentlicht wurden. Das ist ein wichtiges Instrument für Transparenz in der Bildungs politik.

Aber dass zum ersten Mal in der Studie eine Aussage gefällt wird über ein Thema, über das in Deutschland noch gar kei ne Befunde zur Wirksamkeit vorliegen, ist schon abenteuer lich. Das gab es in dieser Form noch nicht. Insofern maße ich mir an dieser Stelle durchaus eine Kritik an.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Mentrup, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass man durchaus differenzieren muss zwischen der Qualität der Betreuungsmaßnahmen und deren Zielsetzung, also den Be treuungsmaßnahmen im frühkindlichen Bereich, die die Al tersgruppe der unter Dreijährigen betreffen, und der Kinder gartenförderung der Drei- bis Sechsjährigen. Da muss man natürlich klar sagen, dass die OECD-Studie, die Sie zitiert ha ben, ganz klar auf Norwegen Bezug genommen hat, wo das Betreuungsgeld ein politisches Instrument ist, das ganz kon kret die Altersgruppe der über Dreijährigen betrifft. Aber das hat mit der Debatte über das Betreuungsgeld in Deutschland überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deswegen sage ich: Verfallen Sie nicht allzu sehr einem sol chen Glauben, bevor Sie die Details dieser Studie nicht genau untersucht haben.

Meine Damen und Herren, ich persönlich bin der Auffassung, dass dieses Betreuungsgeld, das hier eingeführt wird, über haupt keinen Widerspruch zu dem darstellt, was wir hier in Deutschland bereits mit einem großen Konsens vollziehen, nämlich dem Ausbau der Krippenplätze.

Damit möchte ich auch noch einmal den Begriff „Wahlfrei heit“ in den Mund nehmen. Wahlfreiheit bedeutet, dass in ers ter Linie die Eltern die Verantwortung für das Wohl ihres ei genen Kindes tragen. Die Eltern müssen die Möglichkeit ha ben – an dieser Stelle bin ich Ihrer Meinung –, bedarfsgerecht vor Ort hoch qualifizierte Betreuungsplätze vorzufinden.

Das Zweite ist aber: Die Eltern müssen auch eigenverantwort lich die Möglichkeit haben, selbst eigene Akzente zu setzen,

was die Bildung ihrer Kinder im frühkindlichen Stadium be trifft. Das ist ein Beitrag des Betreuungsgelds. Es ist also kein Widerspruch zu dem, was man seit einigen Jahren konsequent in der gesamten Bundesrepublik tut, indem man dafür sorgt, dass es in der gesamten Fläche des Landes hoch qualifizierte Krippenplätze gibt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

An dieser Stelle möchte ich noch einen kleinen Beitrag zur sachlichen Debatte liefern. Sie, Herr Mentrup, haben in einer Pressemitteilung Anfang Juni dieses Jahres bereits zweimal publiziert, dass offensichtlich eine Anmeldeflut für die Abru fung der Bundesmittel vorliegt.

Wenn wir uns aber die Tabelle genau anschauen, die vom Bun desministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in regelmäßigen Abständen vorgelegt wird – ich habe die aktu elle Liste vom 5. Juni dieses Jahres; sie ist also nur wenige Tage alt –, sehen wir: In Baden-Württemberg sind 77,5 % der Mittel abgerufen worden. Das heißt, zwischen der Summe der in den eingereichten Anträgen beantragten Mittel und den tat sächlich bewilligten Mitteln ist noch einmal ein Unterschied. Es ist immer üblich, dass mehr Anträge eingereicht als bewil ligt werden. Das war auch in den letzten Jahren der Fall.

Wenn Sie das darauf zurückführen, dass ihr Pakt für Famili en mit Kindern offensichtlich einen ganz besonderen Impuls in Richtung Kommunen auslöst, möchte ich Sie nur darauf hinweisen, dass in Bayern – Sie haben in diesen Debatten hier immer gesagt, dass angeblich nicht nur Baden-Württemberg, sondern auch Bayern schlecht abschneide, was den Krippen ausbau betrifft; Sie bringen offensichtlich immer nur die uni onsregierten Länder in einen Zusammenhang damit – nach weislich bereits 100 % der Mittel bewilligt sind. Das ist eine wesentlich höhere Quote bei einem offensichtlich ungünsti geren Ausbaustand.

Neun von 16 Ländern haben bereits über 90 % der Mittel be willigt bekommen; in Baden-Württemberg sind es bisher 77 %. Auch hier müssen Sie erst einmal genau hinschauen, bevor Sie den Mut fassen, eine Analyse vorzunehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Damit, meine Damen und Herren, wissen wir auch: Es gibt unterschiedliche Faktoren, die eine Kommune veranlassen, entsprechende Anträge einzureichen. Zunächst einmal ist die Finanzkraft der Kommunen unterschiedlich. Die Finanzkraft der Kommunen ist in Baden-Württemberg nachweislich bes ser als in vielen anderen Bundesländern in Deutschland. Da bei wissen wir natürlich auch, dass es auch bei uns ein großes Gefälle gibt. Wir wissen auch, dass der bisherige Raumbe stand maßgeblich ist.

Wenn es also öffentliche Räumlichkeiten gibt, die für eine Kinderkrippe lediglich umgenutzt werden, werden weniger öffentliche Mittel in Anspruch genommen, als wenn es dafür Neubaumaßnahmen gibt. All diese Faktoren spielen doch ei ne Rolle, wenn es darum geht, festzustellen, warum und in welchem Umfang solche Anträge eingereicht werden.

Meine Damen und Herren, in der Kürze meiner Redezeit sa ge ich ganz deutlich:

(Abg. Andreas Stoch SPD: Gefühlte Ewigkeit!)

Natürlich begrüßen wir die Wirkung des Ergebnisses, das, was Sie mit den kommunalen Landesverbänden für den Ausbau der Krippenförderung in Baden-Württemberg ausgehandelt haben.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Das ist doch mal ein Wort!)

Etwas anderes zu sagen wäre völlig unnatürlich. Die Wirkung ist positiv. Das ist wichtig. Wir haben einen Rechtsanspruch einzuhalten. Aber es ist unredlich, wenn Sie sagen, es habe sich in diesem Bereich vorher gar nichts getan. Immerhin hat die frühere Landesregierung den Bestand durch die Krippen förderung binnen fünf Jahren auf einen Ausbaustand von 21 % verdoppelt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das ist natürlich nicht ausreichend. Aber damit wurde eine Verdopplung des Ausbaustands vollzogen. Auch eine finanzi elle Vereinbarung wurde erzielt, was einen besonderen finan ziellen Kraftakt bedeutete.

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange zeigt.)

Herr Kollege Bayer hat seine Redezeit auch ein wenig über zogen. Deswegen frage ich Sie höflich, Herr Präsident, ob Sie mir noch eine halbe Minute gewähren.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Einen letzten Satz möchte ich noch anbringen: Tatsache ist, dass die Finanzierung zum jetzigen Zeitpunkt natürlich durch außerordentlich günstige Rahmenbedingungen begleitet war. Sie haben die Grunderwerbsteuer zu einem Zeitpunkt erhöht, als Sie um etwa 11 % höhere Steuereinnahmen hatten, wäh rend die frühere Landesregierung die Ausbaumaßnahmen zu Zeiten begleitet hat, in denen die Finanzpolitik in diesem Land wesentlich eingeengter war. Auch deswegen darf man hier Äp fel nicht mit Birnen vergleichen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Thomas Poreski GRÜNE: Ihre Pensi onslasten!)

Wenn es darum geht, über den Weg einer seriösen Finanzie rung den Ausbau der Betreuungsplätze auf einem hohen Ni veau zu gewährleisten, und wenn Sie, Herr Staatssekretär, ein gestehen, dass die Wahlfreiheit für Sie ein hohes Gut darstellt – es geht darum, sowohl die Elternverantwortung zu stärken als auch für eine hohe Qualität der Einrichtungen vor Ort zu sorgen –, dann sind wir sogar bei Ihnen. Aber offensichtlich scheinen unsere Positionen an dieser Stelle leider noch etwas auseinanderzuliegen.

Vielen Dank.