Protocol of the Session on April 18, 2012

Meine Damen und Herren, das, was die Fraktion GRÜNE in der vergangenen Legislaturperiode kritisiert hat, kritisiere ich heute auch. Denn das Jugendbegleiterprogramm hat leider nicht dazu geführt, dass beispielsweise im Ganztagsschulan gebot eine zusätzliche Qualität innerhalb der Ganztagsschul betreuung entsteht. Die Kritik am Jugendbegleiterprogramm existiert von Beginn an. Wir haben es dabei nicht geschafft – –

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: „Es hat keinen Wert, was die Leute machen“, wollten Sie sagen!)

Das will ich damit nicht sagen, Herr Röhm, auch wenn Ihr Einwurf – – Sie können gern einmal eine Zwischenfrage stel len, statt immer nur Ihre Zwischenrufe zu bringen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Die sind aber gut! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Auf jeden Fall besser als Ihre freie Rede, Frau Boser! – Gegen ruf des Abg. Walter Heiler SPD: Er sagt es so, die an deren sagen so! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Mit dem Jugendbegleiterprogramm werden in den Schulen heutzutage teilweise auch die Hausaufgabenbetreuungen fi nanziert. Das bedeutet, dass die Qualität, die im Normalfall durch die Lehrer erbracht wird, durch Ehrenamtliche gesteu ert wird. Das ist ein großer Kritikpunkt, den die Schulen an diesem Jugendbegleiterprogramm beispielsweise haben.

Ein weiterer Kritikpunkt, den Herr Dr. Kern schon angeführt hat, liegt darin, dass die Schulen einen enormen Organisati onsaufwand haben, um die ehrenamtlichen Jugendbegleiter an die Schulen zu bekommen. Wir haben gar kein Problem damit, dass das Ganztagsangebot um die Elemente des Ju gendbegleiterprogramms ergänzt wird; dagegen stellen wir uns überhaupt nicht, ganz im Gegenteil.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Kollegin Boser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Röhm?

Wenn sie der – –

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ich kann meine Frage auch am Ende stellen!)

Ach, Herr Röhm, ich lasse Ihre Frage gern zu.

Bitte schön.

(Abg. Walter Heiler SPD: Ja, was jetzt?)

Ich lasse Ihre Frage gern zu.

Kollege Heiler, es hat al les seine Ordnung. Frau Kollegin Boser ist so freundlich und lässt eine Frage zu.

Sie haben vorhin, Frau Kollegin Boser – so habe ich es zu nächst verstanden –, Zweifel an der Qualität oder an der Qua lifizierung derer geäußert, die ehrenamtlich an Schulen tätig sind. Was berechtigt Sie dazu, die Qualität anzuzweifeln? Mit dieser Frage einhergehend: Wäre es Ihnen lieber, wenn dafür qualifizierte Lehrer eingesetzt würden?

Zu Frage 2: Bei der Hausauf gabenbetreuung und der Förderung am Nachmittag halte ich es für besser, wenn Lehrer eingesetzt werden.

Zu Frage 1: Mit dem ehrenamtlichen Engagement habe ich, wenn für die Kinder Zusatzangebote wie beispielsweise Yo ga oder Ringen gemacht werden, überhaupt kein Problem. Aber wir müssen uns doch zunächst einmal darum kümmern, dass über das Ganztagsschulangebot auch individuelle Förde rungen ermöglicht werden, Herr Röhm. Das sehe ich im Ganz tagsschulangebot derzeit nicht. Sie haben in der letzten Legis laturperiode mehrere Gesetzentwürfe abgelehnt, mit denen die Ganztagsschule im Schulgesetz verankert werden sollte. Hät ten Sie doch einmal den Mut gehabt, hier einheitliche Rege lungen auf den Weg zu bringen, damit zunächst einmal die Qualität an den Schulen im Vordergrund steht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Fried linde Gurr-Hirsch CDU: Machen Sie es doch! – Glo cke des Präsidenten)

Frau Kollegin Boser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wacker?

Gern. Dann haben wir wenigs tens eine Debatte anstatt nur eine Zusammenfassung der Stich worte. Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Vielen Dank. – Frau Kollegin Bo ser, Sie kritisieren, dass in der Hausaufgabenbetreuung Eh renamtliche tätig sind. Sie sagten eben, das sollten Lehrkräf te machen. Wie stehen Sie denn dazu, dass an der neu geneh migten Gemeinschaftsschule, an der Geschwister-SchollSchule in Tübingen, Schüler in der sogenannten stillen Zeit – das ist eine Betreuungsphase, in der Hausaufgaben erledigt oder Inhalte nachbereitet werden – von Ehrenamtlichen be treut werden und das Schulkonzept ausdrücklich die Einbin dung der Ehrenamtlichen in diesem Bereich vorsieht? Ist dies nicht ein Widerspruch zu Ihrer eben getroffenen Aussage?

Nein, Herr Wacker, das ist kein Widerspruch zu meiner Aussage. Wenn Sie nämlich das Ge meinschaftsschulkonzept anschauen, dann werden Sie fest stellen, dass hier ein rhythmisiertes Ganztagsangebot in ge bundener Form vorliegt. Hier haben Sie die Möglichkeit, die individuelle Förderung im Ganztagsschulbereich in den Re gelunterricht zu integrieren. Wenn dann in der stillen Arbeits zeit ein Zusatzangebot besteht und diese beispielsweise von Schülern, Schülermentoren begleitet wird, gibt es überhaupt keinen Qualitätsverlust. Wenn aber beispielsweise in einer Re alschule die Hausaufgabenbetreuung einzig und allein von Müttern organisiert wird, weil keine anderen Möglichkeiten bestehen, dann sehe ich hier keine Qualität und keine Förder möglichkeiten, die ein Ganztagsangebot benötigt, Herr Wa cker.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Daher stehe ich weiterhin zu der Kritik, die die Grünen in der letzten Legislaturperiode geäußert haben. Wir brauchen in ers ter Linie ein entsprechendes Ganztagsschulgesetz, das für Qualität und Professionalität steht, und dann das Jugendbe gleiterprogramm und andere Kooperationen mit außerschuli schen Partnern wie Musikvereinen und Sportvereinen, deren Tätigkeiten als Zusatzangebot gewertet werden, aber nicht das ausschlaggebende Angebot im Ganztagsschulbereich bilden.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die SPD-Fraktion spricht Kolle ge Bayer.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Diese Debatte ist, zumindest was die Begrün dung der Aktualität angeht, reichlich skurril. Sie hätte entwe der vor eineinhalb Jahren stattfinden müssen, oder sie müss te in einem halben Jahr stattfinden – vor eineinhalb Jahren deswegen, weil zu diesem Zeitpunkt die damalige Landesre gierung das Jugendbegleiterprogramm novelliert und neu auf gelegt hat. Da hätten Sie alle diese segensreichen Dinge schon hineinformulieren können. In einem halben Jahr müsste die Debatte deswegen stattfinden, weil aktuell ein Evaluationsbe

richt entsteht. Diesen Bericht hätte man doch bitte schön se riöserweise ruhig noch abwarten können, bevor man über Än derungen diskutiert.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

Deswegen kann ich jetzt nicht aus aktuellem Anlass zu die sem Programm sprechen, wohl aber das eine oder andere grundsätzlich sagen. Aber dabei handelt es sich nicht um po litische Aufreger. Sie haben es gesagt: Wir können weitestge hend – bis auf Dinge, auf die ich gleich kommen werde – Ge meinsamkeiten feststellen. Das Jugendbegleiterprogramm ist von der Modellphase in die Regelphase übergegangen. Das ist gut so. Auch wir sagen: Gut so. Wir haben die Fortführung dieses Programms ausdrücklich im Koalitionsvertrag verein bart. Gut so – das müssten wir alle so sehen.

Zur Stärkung dieses Programms und seines Budgets wurde die Zahl der Stunden so weit erhöht, dass es inzwischen 30 000 oder sogar bis zu 40 000 Stunden pro Woche sind. Auch hier sagen wir: Gut so. Das Unterstützungspotenzial ist enorm. Es reicht vom Sport über Kultur, Medien, Sprache etc. bis hin zu Bewerbertrainings. Auch das ist gut so.

Aber jetzt möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, sa gen, warum es auch Sinn macht, vor Veränderungen noch ein mal ein bisschen über die Grundintention nachzudenken,

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

um nicht einfach nur die „Version 2.0“ aufzulegen. Ich bezie he mich in dieser Hinsicht auch auf kritische Anmerkungen aus der vergangenen Legislaturperiode. Diese Anmerkungen waren damals richtig, und sie sind jetzt richtig. Das Jugend begleiterprogramm ist ein gutes, ein wichtiges und ein richti ges Programm, wenn es als Ergänzung zum Schulbetrieb ge sehen wird. Es ist eine falsche Weichenstellung, wenn man so tut, als könnte man damit eine tragende Säule der Ganztags bildung etablieren.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Dieses Jugendbegleiterprogramm ist – das habe ich immer wieder gesagt – dann ein gutes Programm, wenn es quasi die ehrenamtliche Kür darstellt, also sozusagen das pädagogische Sahnehäubchen draufsetzt. Es ist eine falsche Weichenstel lung, wenn man meint, Kernbereiche von Erziehung und Bil dung dadurch möglichst kostengünstig irgendwie abdecken zu können.

Es ist also alles in allem ein gutes Programm, wenn das Eh renamt die Professionalität ergänzt, aber es ist eine falsche Weichenstellung, wenn Professionalität durch Ehrenamt er setzt wird.

Die Grundintention – auch darüber sind wir uns, denke ich, in diesem Haus einig –, nämlich die zivilgesellschaftliche Öff nung, die Öffnung der Schulen in die Zivilgesellschaft hinein, ist richtig. Aber schon in der ersten Evaluation, im ersten Eva luationsbericht, wurde deutlich, dass nur 19 % der Jugendbe gleiterinnen und Jugendbegleiter aus Vereinen, Verbänden und Organisationen kamen und dass 80 % von ihnen bereits einen unmittelbaren oder mittelbaren Schulbezug haben. Es kommt also nur ein relativ kleiner Teil von außen; das Ganze wird im Grunde relativ schulintern organisiert.

Professor Dr. Rauschenbach, der für die Landesregierung be kanntlich den Bereich der Kinder- und Jugendarbeit unter sucht hat, kommt in Bezug zum Jugendbegleiterprogramm denn auch zu einigen kritischen Fragen bzw. Einschätzungen. Er sagt nämlich, dass sich durch die Struktur dieses Pro gramms ein – ich zitiere – „höchst situatives, jedes Schulhalb jahr neu auszuhandelndes Ganztagsangebot“ ergebe, „das von (einigen) Ehrenamtlichen und (vielen) Honorarkräften getra gen wird“.

Weiter hinten heißt es in dieser Untersuchung – ich zitiere weiter mit Genehmigung des Präsidenten –:

Ein Dilemma des Jugend-Begleiterprogramms ist, dass es die Entscheidung zur Kooperation und auch zu den Ko operationspartnern „individualisiert“ und dadurch ein sehr heterogenes und vielfach zufälliges, personengebun denes Angebot erwarten lässt.

Abschließend steht dort:

Und schließlich scheint sich bislang mit Blick auf die In halte des Angebots doch eher ein Übergewicht zugunsten von Betreuung und zulasten von Bildung und Erziehung anzudeuten.

So äußert sich Professor Dr. Rauschenbach in seinem Gutach ten, das 2010 veröffentlicht wurde.

Meine Damen und Herren, es sind gerade solche Analysen, die uns auch ein klein wenig zum Nachdenken bringen soll ten, wenn es um die Weiterentwicklung und die Nachjustie rung eines solchen Programms geht.

Das einfache, pure „Weiter so!“ mit allerlei Programmen und Projekten, meine Damen und Herren, wird es mit uns nicht mehr geben.

(Glocke des Präsidenten)

Kollege Bayer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Röhm?