Das ist eine Menge. Die dafür bereitgestellten Ressourcen nennen die einen „viel zu wenig“, und andere bezeichnen sie als „Privilegierung“.
Richtig ist: Es ist ein Beginn, und manches bleibt noch zu tun: Lehreraus- und -fortbildung, Neukonzeption der Schulbauför derrichtlinien, die Notwendigkeit regionaler Schulentwick lung und auch die Angleichung der Lehrerbesoldung. Aber: Die Gemeinschaftsschulen, die im nächsten Schuljahr an den Start gehen, und alle Schulen, die bereit und in der Lage sind, sich aufgrund der neuen gesetzlichen Grundlage auf den Weg zu einer Gemeinschaftsschule zu machen, all diese Schulen sind nicht „sogenannte Gemeinschaftsschulen“, es sind auch keine Versuchsschulen. Sie haben Zuversicht und Unterstüt zung verdient und nicht sprachliche Verballhornung und rück wärtsgewandte Debatten.
(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Wolf gang Drexler SPD: Sehr gut! – Abg. Claus Schmie del SPD: Christoph, prima!)
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Frau Ministerin, es war gut, dass Sie heute einmal zu Beginn gesprochen haben. Denn wenn man als Lehrer so etwas hört, bekommt man schon die richtige Be triebstemperatur für die Debatte.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Da stehen einem die Haare zu Berge!)
In der Zielsetzung sind sich die FDP/DVP und die Landesre gierung einig: Jede Schülerin und jeder Schüler in BadenWürttemberg soll individuell und bestmöglich gefördert wer den und so einen möglichst hohen Bildungsabschluss errei chen können. Außerdem wollen wir in unserem Land dafür sorgen, dass die jeweilige Herkunft der Schüler so wenig wie irgend möglich über den individuellen Bildungserfolg ent scheidet.
Sie werden aber genau das Gegenteil erreichen, wenn Sie mit Ihrer parlamentarischen Mehrheit die Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg einführen.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo! – Abg. Claus Schmiedel SPD: Wie kann man nur so depressiv eingestellt sein? – Gegenruf der Abg. Muh terem Aras GRÜNE: Und das als Lehrer!)
Nach meiner festen Überzeugung ist das der Gemeinschafts schule zugrunde liegende Konzept untauglich für die Fläche, u. a. auch deshalb, weil gerade die besonders förderbedürfti gen Schüler unter die Räder kommen werden.
Starke Schüler werden mit der hoch individualisierten Lern form in der Gemeinschaftsschule zurechtkommen und sich auch durchsetzen. Schwächere Schüler aber brauchen sehr klare Strukturen, brauchen klare Anweisungen des Lehrers, brauchen gegebenenfalls auch eine enge Führung, um zum Erfolg zu kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Grün-Rot, lesen Sie doch einmal die Hattie-Studie aus dem Jahr 2009,
In dieser Studie wurden zentrale Einflussgrößen für den Lern erfolg von Schülern untersucht. Ein wesentliches Ergebnis dieser Metastudie war, wie wenig wirksam offene Lernformen sind.
Professor Dr. Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für In ternationale Pädagogische Forschung meinte 2010 zu dieser Studie – Zitat –:
Empirisch gibt es nur geringe Bestätigung für die Lern wirksamkeit von „individualisiertem Unterricht“ per se, aber starke Belege für bestimmte wohlstrukturierte Maß nahmen.
Nehmen Sie doch diese aktuellen wissenschaftlichen Erkennt nisse zur Kenntnis. Verabschieden Sie sich von Ihrer einsei tig idealisierten Pädagogik, die im Übrigen überhaupt nicht neu oder modern ist,
ohne aber jeden überzeugenden Beweis geliefert zu haben, dass schwächere Schüler davon profitieren können.
Im Gegenteil: Ihre pädagogisch einseitig ausgerichtete Ge meinschaftsschule kommt vor allem den Starken zugute.
Grundsätzlich habe ich natürlich überhaupt nichts gegen of fene Lernformen. Ich habe sie selbst oft genug in meinem ei genen Unterricht eingesetzt. Die FDP setzt sich deshalb lei denschaftlich dafür ein, dass gerade Schüler mit erhöhtem Förderbedarf durch eine praxistaugliche, leistungsbejahende und leistungsfördernde Pädagogik Chancen für einen echten Bildungsaufstieg haben. Dieser Anspruch gewährleistet wah re soziale Gerechtigkeit und ist daher mehr als nur ein leeres Schlagwort, wie Sie dies für Ihre Gemeinschaftsschule ver wenden.
Ministerpräsident Kretschmann versucht nun, die Gemüter im Land zu beruhigen, und verkündet sinngemäß: Mit der Ge meinschaftsschule tun wir nichts, was nicht irgendwo anders auch schon getan wird.
Herr Ministerpräsident, mit Verlaub: Seit wann nehmen wir in Baden-Württemberg denn das zum Maßstab, was irgend wo anders auch getan wird? Für uns Liberale sind ganz ande re Maßstäbe entscheidend. Herr Ministerpräsident, wir im Südwesten messen uns mit den Besten.
Die Besten sind außer uns Bayern und Sachsen. Diese Län der haben aus gutem Grund keine Gemeinschaftsschulen ein geführt.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Wir fallen zurück auf Platz 16!)
Wir sind es unseren Schülern, den Eltern und den Lehrern und nicht zuletzt auch der baden-württembergischen Wirtschaft schuldig, dass wir uns nicht mit dem Mittelmaß vergleichen. Die FDP jedenfalls hat höhere Ansprüche und Ziele in der Bil dungspolitik als der grüne Ministerpräsident.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Lachen des Abg. Claus Schmiedel SPD – Abg. Claus Schmiedel SPD: 1,2 %! Hohe Ansprü che!)
Dass Sie im Übrigen selbst erhebliche Zweifel haben, ob Ihr pädagogisches Konzept die Menschen in unserem Land über zeugt, beweisen Sie durch Ihre Vorgehensweise, wie Sie Ihr Modell der Gemeinschaftsschule im Land durchdrücken wol len. Denn wären Grüne und SPD von der Überzeugungskraft ihrer Schule tatsächlich überzeugt, könnten sie es doch dem freien Spiel der Kräfte und dem Wettbewerb überlassen, ob sich die Gemeinschaftsschule durchsetzt.
Dass Sie dies aber nicht zulassen, sondern die Gemeinschafts schule durch zahlreiche Maßnahmen privilegieren, zeigt, dass Sie sich Ihrer Sache wohl doch nicht so sicher sind.