Protocol of the Session on December 21, 2011

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für Baden-Würt temberg und anderer Gesetze – Drucksache 15/941

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultus, Jugend und Sport – Drucksache 15/1017

Berichterstatter: Abg. Volker Schebesta

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat für die Allgemeine Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.

In der Allgemeinen Aussprache erteile ich Frau Abg. Kurtz für die CDU-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, mei ne sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Änderung des Schulgesetzes, die wir heute zum zweiten Mal beraten, hat weitreichende Folgen für die Schul landschaft in Baden-Württemberg und für alle Menschen, die davon betroffen sind. Solche Änderungen müssen gut durch dacht sein, sie müssen sauber vorbereitet werden, und sie müs sen – so meinen wir – mit den Betroffenen gründlich vorbe raten worden sein.

Nichts von alldem scheint mir hier der Fall zu sein. Im Ge genteil, die Regierung hat es ausgesprochen eilig. Die Geset zesänderung soll ja schon zum nächsten Schuljahr wirksam werden. Die Regierung möchte sich hier nämlich einen alten Wunsch von Grün und Rot erfüllen und Hauptschüler zehn Jahre lang beschulen. Der Hauptschulabschluss soll zwar wei terhin nach Klasse 9 möglich sein. Aber man kann sich auch Zeit lassen und ihn erst nach Klasse 10 machen.

In der Praxis bedeutet das, dass in Klasse 10 einer Werkreal schule ein bunter Mix von Schülerinnen und Schülern zusam mentrifft: solche, die den Hauptschulabschluss nach Klasse 9 nicht geschafft haben und einen zweiten Anlauf in Klasse 10 unternehmen, solche, die von Anfang an den mittleren Bil dungsabschluss ins Auge fassen können, ehemalige Förder schüler, die den Hauptschulabschluss jetzt ins Visier nehmen, und voraussichtlich auch Schülerinnen und Schüler mit Be hinderungen, denn wir wollen ja die Inklusion umsetzen.

(Zuruf des Abg. Jörg Fritz GRÜNE)

Ursprünglich war im Gesetzentwurf vorgesehen, dass diese Schülerschaft in Gruppen und differenziert je nach ihren Be fähigungen unterrichtet werden sollte. Dafür waren 486 De putate vorgesehen.

Frau Ministerin, ich war dann wirklich bass erstaunt, als Sie im Ausschuss berichteten, im Laufe der Anhörungsphase hät ten Sie es sich anders überlegt. Die Verbände gehen in ihren Stellungnahmen noch davon aus, dass in Klasse 10 der Werk realschule differenzierter Gruppenunterricht erteilt werden soll. Aber Pustekuchen! Plötzlich können oder wollen Sie nur noch die Hälfte, also nur noch 250 Deputate, zur Verfügung stellen. Niemand weiß, wie es dazu gekommen ist. Ich neh me an, der Finanzminister hat Ihnen einfach die Hälfte gestri chen.

Uns ist völlig unklar, wie Sie diese breite Palette von unter schiedlichen jungen Menschen mit unterschiedlichen Schul abschlusszielen mit einer nur um die Hälfte der ursprünglich vorgesehenen zusätzlichen Deputate erweiterten Lehrerschaft unterrichten wollen. Man fragt sich: Wie soll das gehen? Ihr Zaubermittel heißt integrierter Unterricht. Da fragt man sich schon: integrierter Unterricht als Sparmodell? Das kann es ja wohl nicht sein. Das ist unglaublich. Das können Sie draußen im Land niemandem vermitteln.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Ulrich Goll FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, ich finde, das ist rücksichtslos. Das ist rücksichtslos gegenüber den Schülerinnen und Schülern, und das ist rücksichtslos vor allem auch gegenüber den Leh rerinnen und Lehrern.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Genau!)

Sie haben zwar selbst gesagt, da könne ein Fortbildungsbe darf bestehen. Aber seien Sie einmal ehrlich: In der Kürze der Zeit ist das überhaupt nicht zu leisten.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: So ein Sammel surium zu unterrichten ist doch unmöglich!)

Ich finde, man darf von Lehrern, die dafür nicht ausgebildet sind, die das im Laufe ihres Berufslebens überhaupt nicht trai niert haben, nicht plötzlich erwarten, dass sie Hauptschüler, potenzielle Realschüler, Förderschüler und noch ganz andere Kinder einfach einmal geschwind gemeinsam unterrichten – und das bei einem Klassenteiler von 31; denn den Klassentei ler wollen Sie auch nicht absenken. Zusätzlich wollen Sie – wenn auch in abgespeckter Form – die Wahlpflichtfächer bei behalten. Das alles soll die Lehrerschaft von einem Jahr auf das andere irgendwie schaffen.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Da kommt Freu de auf!)

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion hält dies für un verantwortlich; das muss man wirklich sagen.

(Beifall bei der CDU)

Wir stehen mit dieser Ansicht nicht allein da. Als Kronzeugen muss ich die GEW aufrufen. Mit ihr sind wir sonst nicht im mer ganz einig. Aber deren Mahnung, man müsse den Wei terbildungsbedarf der Lehrerschaft ernst nehmen und man dür

fe die Neuerungen nicht übereilt einführen, nehmen wir sehr ernst.

Ich kann es mir auch nicht verkneifen, die GEW weiter zu zi tieren. In ihrer Stellungnahme zur Schulgesetzänderung be mängelt die GEW die Art und Weise, wie der Gesetzentwurf zustande kam. Ich zitiere:

Er entstand hinter dem Rücken und unter Ausschluss der Betroffenen.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Unglaublich!)

Weiter heißt es, von der versprochenen neuen Kommunikati onskultur der neuen Landesregierung sei nicht ein Hauch zu verspüren gewesen.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Politik des Ge hörtwerdens!)

Politik des Gehörtwerdens: Fehlanzeige auf der ganzen Li nie, zumindest beim Kultusministerium.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Wenn ich mir weiter die Stellungnahmen von Gemeindetag, Städtetag und Landkreistag zu dem Gesetzentwurf anschaue, dann stelle ich fest, dass sich dort überall die gleichen Vor würfe wiederholen: Der Gesetzentwurf sei nicht durchdacht; es fehle ein klares, durchgängiges Konzept, aus dem hervor gehe, wie sich die Regierung die Schullandschaft in Zukunft vorstelle; es werde ein Gesamtkonzept gefordert, aber statt dessen komme jetzt alles scheibchenweise.

Eines jedenfalls wird ganz klar: Von der Werkrealschule, wie sie die CDU eingeführt hat, bleibt nur noch der Name übrig. Das, was Sie vorhaben, hat überhaupt nichts mehr mit dem zu tun, was die frühere Landesregierung auf den Weg gebracht hat. Das fängt damit an, dass Sie die Kooperation mit der zweijährigen Berufsfachschule abschaffen. Sie nehmen damit den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit, ihren Hori zont zu erweitern, Berufsschulluft zu schnuppern und einen praxisorientierten Unterricht zu erleben, wie er nur in dieser Kombination möglich gewesen wäre.

Es geht damit weiter, dass Sie sagen, Haupt- und Werkreal schule dürften keine Wahlschulen mehr sein. Sie zwingen die Schüler wieder, die Schule vor ihrer eigenen Haustür zu be suchen, egal, ob sie ihnen gefällt oder nicht. Es gibt keine Wahlfreiheit mehr. Sie nehmen dieser Schülergruppe ein Stück Selbstbestimmung. Sie nehmen diesen Jugendlichen einen Teil von Freiheit.

(Beifall bei der CDU – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Und hemmen den Wettbewerb!)

Und Sie hemmen den Wettbewerb der Schulen untereinan der.

Für uns ist ganz klar: Die Werkrealschule gehört zu Ihren Stiefkindern. Für Sie zählt nur Ihr Lieblingskind, nämlich die Gemeinschaftsschule.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Die Einheits schule!)

In der Werkrealschule sehen Sie nur eine Übergangsphase. Der vorschnell eingeführte integrierte Unterricht in Klasse 10 ist für uns absolut der Beweis dafür.

Sie wollen es noch nicht ehrlich sagen: In Wirklichkeit wol len Sie die Gemeinschaftsschule flächendeckend und ver pflichtend für alle einrichten.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, klar! Logisch! – Zuruf des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Sie reden noch viel von Freiheit. Aber mit Ihrer Politik, bei der alles scheibchenweise kommt, bereiten Sie den Boden für die Gemeinschaftsschule,

(Beifall des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie haben nur nicht den Mut dazu!)

in die Sie dann alle, aber wirklich alle zwingen wollen, und zwar nicht nur die Schülerinnen und Schüler. Auch die Leh rer werden gezwungen, und auch die Schulträger werden im Endeffekt gezwungen, diese Schulart einzuführen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! – Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Das ist doch alles falsch! – Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Sie haben es noch immer nicht verstanden!)

Das, was Sie hier von sich geben, sind alles nur Lippenbe kenntnisse.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Sie streuen den Menschen Sand in die Augen. Genauso wie die „Politik des Gehörtwerdens“ ein Lippenbekenntnis ist, ist auch die Behauptung, die Schulträger könnten noch irgendet was frei entscheiden, ein reines Lippenbekenntnis. Sie wol len diese Gemeinschaftsschule auf Teufel komm raus. Dieser Gesetzentwurf zeigt das einmal mehr.

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Die CDU-Fraktion lehnt den Gesetzentwurf ab. Wir haben im Ausschuss nur denjenigen Passagen zugestimmt, in denen es nicht um die Werkrealschule, sondern um die Privatschulen und die Schulen in freier Trägerschaft geht. Wir machen uns wirklich Sorgen um die Schullandschaft in diesem Land.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sehr gut!)