Protocol of the Session on December 8, 2011

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Kollege Dr. Kern.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Das Thema der Aktuellen Debatte lau tet: „Pakt mit den Kommunen – ein Meilenstein für die Klein kindbetreuung“. Ein Meilenstein also! Was charakterisiert ei nen Meilenstein eigentlich, was ist seine Aufgabe? Meilen steine wurden im Römischen Reich entlang der Straßen auf gestellt – jeweils nach dem Bau eines Straßenabschnitts mit der Länge von einer Meile.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Was der alles weiß! – Gegenruf des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Wi kipedia!)

Auch in unserem Fall markiert der Meilenstein einen Straßen abschnitt: einen Abschnitt auf dem Weg zum Ausbau der Kleinkindbetreuung.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Welche Anforderungen muss dieser Straßenabschnitt erfül len?

Erstens ist es immer interessant zu wissen, wer den Bau des Abschnitts überhaupt ermöglicht hat bzw. wessen Schweiß darin steckt.

Zweitens sollte das Pflaster handwerklich gut gemacht sein, sonst hält die Straße nicht besonders lang.

Drittens muss der Straßenabschnitt in die richtige Richtung weisen, denn sonst besteht die Gefahr, dass man an einem an deren Ort ankommt als ursprünglich geplant.

Schauen wir uns also einmal den mit einem Meilenstein ver sehenen Straßenabschnitt zur Kleinkindbetreuung an.

Der Pakt mit den Kommunen bezweckt eine verbesserte Mit finanzierung des Ausbaus der Kleinkindbetreuung durch das Land. Konkret heißt das: 2012 gibt es 315 Millionen € mehr, 2013 gibt es 325 Millionen € mehr, und ab 2014 werden 68 % der Betriebskosten für die Kleinkindbetreuung vom Land übernommen.

Für die Kommunen ist das zunächst einmal in einem doppel ten Sinn erfreulich:

Erstens ist es erfreulich für diejenigen Gemeinden, die schon bisher Plätze für bis zu 30 % der unter dreijährigen Kinder ge schaffen haben, weil eben der Bedarf entsprechend vorhan den ist. Das betrifft vor allem die klassischen Universitäts städte wie Tübingen, Freiburg und Heidelberg. Denn für die se Städte stellt dieser bereits erreichte Ausbaustand eine sehr schwer zu bewältigende Belastung des Haushalts dar.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Zweitens ist es erfreulich für diejenigen Gemeinden, die bis her eher zögerlich an den Ausbau der Betreuungsplätze her angegangen sind, gleichwohl aber einen deutlich höheren Be darf sehen, als mit dem momentanen Platzangebot abgedeckt werden kann.

Der gesetzlichen Verankerung des sogenannten Pakts mit den Kommunen im Finanzausgleichsgesetz wird die FDP/DVPFraktion zustimmen. Denn dass die Kommunen diese Mittel brauchen, um die Voraussetzungen für die Erfüllung des Rechts anspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem 1. August 2013 zu schaffen, steht außer Frage.

So weit die Grundlagen.

Doch mit wessen Schweiß wurde nun dieser „Straßenab schnitt“ errichtet? In unserem Fall mit dem der baden-würt tembergischen Familien. Es zeigt sich nämlich, dass die Lan desregierung es sich sehr einfach macht. Die zusätzlichen Mit tel aus der Erhöhung des Grunderwerbsteuersatzes abzüglich der 25 Millionen € für die Wohnraumförderung werden schlicht in den Pakt mit den Kommunen gesteckt. Die hohe Kunst der Politik ist das nicht. Denn es ist ebenso einfach wie falsch, für neue Schwerpunkte einer grün-roten Politik Steu ern zu erhöhen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Claus Schmiedel SPD: Steuern senken ist hohe Kunst, gell?)

Hohe Kunst wäre es dagegen gewesen, den Kommunen die entsprechenden Mittel zukommen zu lassen und diese dann an anderer Stelle einzusparen, also durch Umschichtung vor handener Mittel neue Schwerpunkte zu setzen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Dass dies sogar praktisch möglich ist, zeigt der Bund, der den Kommunen in drei Schritten die finanzielle Last der Grund sicherung im Alter vollständig abnimmt.

(Zurufe von der SPD)

Das ist wahrhaft kommunalfreundliche Politik. Aber darüber sprechen Sie von Grün-Rot natürlich nicht. Gleichzeitig hal ten Sie es jedoch offenbar für eine Heldentat – um im Bild zu bleiben: eine Heldentat des Straßenbaus –, den Kommunen das Aufkommen aus Steuererhöhungen zulasten junger Fami lien für Leistungen zugunsten junger Familien zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Genau so ist es!)

Kommen wir zur handwerklichen Arbeit. Dass sich das Land ab 2014 mit 68 % an den Betriebskosten für die Kleinkindbe treuung beteiligt, klingt gut. Es ist aber keineswegs einfach zu bemessen, was denn 100 % sind.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Dr. Kern, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, jetzt nicht.

(Oh-Rufe von den Grünen)

Personalausstattung, Einstufung, Verfügungszeiten, Leitungs zuschläge, Springerreserven, Qualifikationsstrukturen und Einsatz von Teilnehmern aus freiwilligen Diensten spielen ge nauso eine Rolle wie die anzurechnenden Sach- und Ausstat tungskosten. Je nachdem werden diese 68 % für den einen dann schließlich nur 55 %, für den anderen 65 % und für den Dritten vielleicht sogar 80 % seiner realen Kosten sein. In un serem Bild heißt das: Der Straßenabschnitt wird sehr uneben.

Der Vorteil des Verfahrens ist lediglich, dass die Förderung mitwächst, auch wenn die landesweit zu erreichende Quote von 34 % deutlich überschritten wird. Für die Jahre 2012/2013 ist absehbar, dass die Fördersummen in Kombination mit ei nem noch unzureichenden Ausbau sehr hoch sind und in ein zelnen Fällen sogar zu einer Überförderung führen werden. Der Eckwert von 12 500 € je Kind bei einer Betreuungszeit in Einrichtungen von mehr als 35 Stunden pro Woche belegt dies sehr deutlich.

Im nächsten Jahr wird dieser Betrag dann bei absehbar stei genden Zahlen von Betreuungsplätzen zurückgehen, wenn die Zahl der Plätze stärker steigt als die zur Verfügung stehenden Mittel. Dies bedeutet in unserem Bild Schlaglöcher.

Stellt man die Frage, ob die Richtung stimmt, muss man fra gen: Was umfasst der Pakt insgesamt? Immerhin gibt es wei tere wichtige Großbaustellen zu bearbeiten.

Erstens: Eine Drittelförderung der Schulsozialarbeit ist vor gesehen. Das ist aus unserer Sicht in Ordnung.

(Zuruf des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Zweitens finden sich etwas mehr Sprachfördermaßnahmen, die jedoch vor dem Hintergrund dessen, was nötig wäre, eher unzureichend ausfallen. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, durch aus noch ausbaufähig.

Drittens hätten wir uns einen Beitrag zur Umsetzung eines verbindlichen Orientierungsplans gewünscht, verknüpft mit einer in den Alltag der Kinderbetreuungseinrichtungen integ rierten Sprachförderung. Das muss unser Ziel bleiben, und zwar über das hinaus, was jetzt mit dem ersten Teil des Pakts mit den Kommunen vorgelegt worden ist.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Das war noch nie Ihr Ziel!)

Daran werden wir sozusagen Ihre Baukunst messen.

Die Modellvorhaben des Bundes zur Sprachförderung, die jetzt auch in einer ganzen Reihe baden-württembergischer Kommunen anlaufen, zeigen den Aufwand, den man hier wird betreiben müssen. Hier werden erhebliche zusätzliche An strengungen notwendig sein, und hier ist dann auch Straßen baukunst gefragt, die dies gewährleisten kann, vielleicht so gar ohne eine Steuer zu erhöhen. Erst wenn das geschafft ist, können wir für uns in Anspruch nehmen, dass eine gute Straße gebaut wurde.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregierung spricht Herr Staatssekretär Dr. Mentrup.

Herr Präsident, Kolle ginnen und Kollegen! Die neue Landesregierung hat sich vor genommen, wichtige gesellschaftliche Aufgaben fachlich und finanziell grundlegend zu klären und sich von alten Strategi en abzuwenden, die immer nur ein Stückwerk, eine Teillö sung, ein Verschieben der eigentlichen Problemlösung in die Zukunft vorgesehen haben. Daher lässt sich sagen: Mit dieser Vereinbarung mit den Kommunen ist es gelungen, ein weite res gesellschaftlich wichtiges Thema einen enormen Schritt voranzubringen, es nachhaltig zu sichern, es finanziell solide zu gestalten und damit diesen Versprechungen einen wichti gen Schritt nachzukommen.

Das Kultusministerium als fachlich zuständige Behörde ist den Regierungsfraktionen für ihren Mut außerordentlich dank bar, ebenso wie der Regierung, die hier verhandelt hat, Herrn Finanzminister Dr. Schmid und dem Herrn Ministerpräsiden ten. Herzlichen Dank, dass es gelungen ist, diese epochale Vereinbarung zu schließen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Es geht hier um Familienpolitik; so hätte man das vor zehn Jahren diskutiert. Es geht hier um Sozialpolitik; so hätte man das vor acht Jahren diskutiert. Es geht hier um Bildungspoli

tik; so diskutiert man das seit vier Jahren. Es geht um Wirt schaftspolitik und die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Ba den-Württemberg; so diskutiert man aktuell auch heute darü ber.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Daher wird hier sehr deutlich, dass es sich um eine umfassen de gesellschaftliche Aufgabenstellung handelt, die in sehr vie le andere Politikbereiche abstrahlt. Auch das unterstreicht noch einmal, wie epochal die Vereinbarung auch von ihrer Wirkung her sein wird.