Protocol of the Session on December 7, 2011

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Alfred Wink ler SPD)

Notwendig ist in jedem Fall eine Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus. In diese Gesamtstrategie gehört das The ma NPD-Verbot zweifelsohne hinein. Aber ein NPD-Verbot darf keine Alibifunktion übernehmen. Es ist nicht damit ge tan, zu sagen: „Wir verbieten die NPD, dann haben wir etwas Gutes getan und das Problem mit dem Rechtsextremismus ist gelöst.“ Das wird nicht funktionieren, meine Damen und Her ren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass rechtsextre mistisches Gedankengut weiter verbreitet ist, als wir das mög licherweise bislang wahrgenommen haben. Es gibt dazu eine interessante Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2010, aus der ich nur drei Zahlen nennen möchte: 10 % der Bundesbürger verfügen über ein geschlossenes antisemiti sches Weltbild. 24,7 %, also ein Viertel, sind offen ausländer feindlich eingestellt. Der antimuslimische Rassismus – ein Begriff, den diese Studie verwendet – ist stark im Ansteigen begriffen.

Wir beobachten ohnehin das Phänomen, dass sich im Vorfeld des offenen Bekenntnisses zum Rechtsextremismus, nämlich beim Rechtspopulismus, derzeit negative Veränderungen zei gen.

All das macht deutlich, dass die Entwicklung einer Ge samtstrategie eine Aufgabe ist, die sich uns ganz dringend stellt.

Zum Thema NPD-Verbot ist das Wesentliche schon gesagt worden. Für uns ist das Wichtigste, dass ein solches Verbot diesmal erfolgreich sein muss. Es darf kein Scheitern geben. Die notwendigen Voraussetzungen müssen tatsächlich ge schaffen werden. Die V-Leute, zumindest die V-Leute in Füh rungspositionen, müssen abgezogen sein.

Wir sind sehr gespannt – das ist für die abschließende Beur teilung der Verbotsfrage auch enorm wichtig –, was bei den laufenden Ermittlungen gegen den jetzt verhafteten NPDFunktionär herauskommt. Meine Damen und Herren, es sieht so aus, als hätten ein Funktionär der NPD und unter Umstän den auch weitere Strukturen dieser Partei ein terroristisches Umfeld, das Morde begangen hat, logistisch, finanziell und in anderer Weise unterstützt. Wenn sich dies bewahrheitete, dann hätte das natürlich eine ganz erhebliche Bedeutung.

Wenn das Verbotsverfahren erfolgreich ist, dann geht es na türlich weiter. Es darf keine Ausweichmöglichkeiten für Neo nazis in andere Strukturen geben. Wir müssen die Aussteiger programme deutlich stärken, wir müssen den jungen Leuten – es gibt in diesen Strukturen zum Teil erschreckend viele jun ge Leute – Wege und Perspektiven jenseits der Neonaziszene aufzeigen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Damit sind wir beim Thema „Initiativen gegen Rechtsextre mismus“. Herr Kollege Mack, ich glaube, hier sind Sie einem kleinen Irrtum aufgesessen. Diese Landesregierung wird die Mittel für die Landeszentrale für politische Bildung im Jahr 2012 nicht kürzen. Im Gegenteil, die Landeszentrale wird über 200 000 € mehr verfügen als noch im Jahr 2011. Die Mittel werden lediglich mit einer anderen Schwerpunktsetzung ver geben.

Ich zeige Ihnen das an drei Beispielen: Die Landeszentrale für politische Bildung wird für ihre erfolgreichen Programme ge gen Rechtsextremismus Mittel in ungeschmälerter Höhe zur Verfügung haben, und zwar im vollen Umfang finanziert über die Baden-Württemberg Stiftung.

(Abg. Winfried Mack CDU: Davon weiß sie noch gar nichts! – Abg. Volker Schebesta CDU: Es gibt aber vorher noch Haushaltsberatungen!)

Sie wird deutliche Mittelzuwächse anlässlich des Landesju biläums verzeichnen können, um im nächsten Jahr gerade in diesem Zusammenhang politische Aufklärungsarbeit betrei ben zu können.

Darüber hinaus wird sie so ausgestattet sein, dass sie ihre we sentlichen Aufgaben erfüllen kann. Ich nenne nur das Stich wort Erinnerungskultur: Gerade für die Gedenkstättenarbeit packt diese Regierung noch 100 000 € obendrauf, sodass – wir werden das bei den Haushaltsberatungen sehen – die Ge samtausstattung so ist, dass die Landeszentrale für politische Bildung ihre Aufgaben auch im Kampf gegen Rechtsextre mismus erfüllen kann.

Wir werden überlegen, diese Förderung auch auf andere Be reiche zu übertragen. Es gibt im Land eine ganze Reihe von Initiativen, die würdig sind, gefördert und unterstützt zu wer den. Im Ergebnis kommt es darauf an, ein breites Bündnis ge

gen Rechtsextremismus aus der Gesellschaft heraus zu schaf fen. Wir sind bereit und willens, daran mitzuarbeiten.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Herr Kollege Professor Dr. Goll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit unserer letzten Debatte zu diesem Thema, die nicht lange zurückliegt, hat sich manches nicht verändert – das muss man sagen –; anderes hat sich aber durchaus verändert. Es gibt neue Erkenntnisse zum fraglichen Geschehen, aus denen entsprechende Schlüsse zu ziehen sind. Darauf darf ich auch gleich zu sprechen kommen.

Aber zuvor muss man sich in Bezug auf die Ausgangslage Folgendes klarmachen: Wenn man über ein Verbotsverfahren redet, muss man sagen: Die Risiken eines solchen Verfahrens sind momentan – verglichen mit dem letzten Verfahren – un verändert hoch. Wenn man so in das Verfahren hineinginge, wäre dies aufgrund der V-Leute-Problematik hoch riskant.

Viele sind inzwischen mit der gesamten Thematik vertraut, andere sind damit vielleicht nicht ganz so vertraut. Aber man muss es hier klar ansprechen: Wenn man in ein Verbotsver fahren geht, muss man deutlich machen, von wem belasten de Äußerungen kommen und ob sie von einem V-Mann kom men oder nicht. Das wird in jedem Fall dazu führen, dass man die V-Leute aufdecken muss. Das geht nicht anders.

Damit sind wir natürlich in folgendem Dilemma: Wir können die Aussichten eines Verfahrens verbessern, indem wir die V-Leute herausziehen. Aber dann haben wir natürlich keine V-Leute mehr, um die Szene zu beobachten. Aus diesem Di lemma kommen wir letzten Endes auch nicht heraus.

Außerdem – das gestehe ich – ist bei mir nach wie vor eine Aversion gegen eine Politik vorhanden, die bei einem Gesche hen, und mag es noch so schlimm sein, gleich den großen Hammer herausholt und sagt: „Wir erlassen ein Verbot, und damit ist der Fall geregelt.“ Sie, Herr Sckerl, haben meiner Ansicht nach gerade sehr zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Gefahr darin liegt, wenn man sagt: „Das NPD-Verbot ist jetzt unsere heroische Leistung, und im Übrigen ist der Fisch gegessen.“ So wird es sicher nicht sein. Wir brauchen die an deren Mittel genauso.

Es hat mich und meine Fraktion beruhigt, zu hören, dass bei der Landeszentrale für politische Bildung nicht gespart wird. Bei uns war allerdings ebenfalls die Botschaft angekommen, dass es 200 000 € weniger für die politische Bildung geben soll. Wenn das schnell korrigiert wurde, dann ist es umso bes ser. Es sind zudem die Aussteigerprogramme genannt worden, die wichtig sind.

Bei einem Verbot darf man schon fragen, ob der große Ham mer trifft oder nicht. Das ist aber mehr als fraglich. Traurig ist die Erkenntnis, dass ein NPD-Verbot dieses Geschehen, mit dem wir es jetzt zu tun haben, wahrscheinlich nicht verhin dert hätte. Diese Leute hätten sich wahrscheinlich am aller wenigsten von einem Verbot beeindrucken lassen.

Es geht insofern vielleicht eher um einen symbolischen Akt, um einen Warnschuss an die rechte Szene. Darüber muss man gerade in der jetzigen Situation diskutieren.

Ich sage Ihnen eines deutlich, auch im Namen meiner Frakti on – deswegen habe ich vorhin von neueren Erkenntnissen zum Geschehen gesprochen –: Wenn sich weitere Zusammen hänge zwischen der NPD und gewalttätigen oder gar terroris tischen Strukturen finden und nachweisen ließen, dann, mei ne Damen und Herren, bliebe überhaupt nichts anderes übrig als ein Verbotsverfahren. Dann bliebe dem Rechtsstaat über haupt keine Alternative zum Verbotsverfahren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

In diesem Fall müsste man alle berechtigten Bedenken, die ich geschildert habe, zurückstellen. Denn dann geht es nicht anders; das kann man sich in einem Rechtsstaat nicht bieten lassen.

Allerdings sitzt bis jetzt ein Mann in U-Haft, dem vorgewor fen wird und bei dem wir davon ausgehen, dass eine Verbin dung zwischen der NPD und blutigem Terrorismus besteht. Ich persönlich möchte dringend dafür plädieren, dass man die Ermittlungsarbeit in diesem Bereich weiter verstärkt, dass man sich jetzt auf die Ermittlungen konzentriert und schaut, ob diese Spur weiterführt. Sollten sich Zusammenhänge sys tematischer, struktureller Art zwischen der NPD und dem ter roristischen Untergrund ergeben, wird meine Fraktion ein Ver botsverfahren ohne Weiteres mittragen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Regierung spricht Herr In nenminister Gall.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie wissen – das wur de heute auch schon angesprochen –, tagt heute und in den kommenden zwei Tagen die Innenministerkonferenz in Wies baden. Sie wird sich zwangsläufig mit den Vorfällen von Zwi ckau und Eisenach, ebenso aber natürlich auch mit der Frage eines eventuellen erneuten NPD-Verbotsverfahrens beschäf tigen.

Meine Damen und Herren, das Ergebnis kann ich noch nicht vorwegnehmen. In der einen oder anderen Zeitung stand, das NPD-Verbotsverfahren werde kommen. Ich wage eher die Be hauptung, dass dies noch nicht das Ergebnis der Innenminis terkonferenz sein wird. Ich möchte auch begründen, warum es das wahrscheinlich nicht sein wird.

Unabhängig davon bin ich der Überzeugung – da will ich aus meinem Herzen keine Mördergrube machen –: Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Meine Damen und Herren, deshalb müsste sie von der Sache her meines Erachtens verboten werden. Denn ich bin tief da von überzeugt: Sie bietet die ideologische Plattform für viele rechtsextremistische Entwicklungen in unserem Land. An dem Beifall hier im Haus sehe ich, dass dieses Haus darüber wohl einig ist.

Meine Damen und Herren und lieber Uli Sckerl, natürlich ist auch mir bewusst, dass ein NPD-Verbot das Problem an sich

nicht löst. Aber ich glaube schon daran, dass eine solche Ent scheidung tatsächlich, Herr Professor Goll, eine hohe Sym bolwirkung im Ausland, aber auch in das Innere unseres Lan des hinein hätte und deutlich machen könnte, dass wir in un serem Land, in Deutschland, eine wirklich breite und feste de mokratische Basis haben, die für ihre Werte einsteht und die sich diese Werte auch nicht nehmen lassen will.

Nicht zuletzt aus diesen Gründen halte ich ein Verbotsverfah ren grundsätzlich für anzustreben, und zwar ausdrücklich dann, wenn es tatsächlich Aussicht auf Erfolg haben wird. Nicht leisten – darin bin ich mit Ihnen völlig einig – könnten wir uns das nochmalige Scheitern eines solchen Verfahrens. Deshalb muss wie gefordert sehr genau geprüft und auch ab gewogen werden, ob und unter welchen tatsächlichen Voraus setzungen ein Verbotsantrag gestellt werden kann, damit er erfolgreich ist. Die Chancen hierfür – das will ich schon sa gen – erachte ich gegenwärtig als deutlich besser als im Jahr 2003. Denn die zehn Morde, die Auslöser dieser ganzen Dis kussion gewesen sind, stellen für mich und, wie ich glaube, für uns insgesamt schon einen Extremfall dar.

Die Hürden für ein Verbotsverfahren, die das Bundesverfas sungsgericht im Jahr 2003 definiert und formuliert hat, sind bekanntermaßen extrem hoch. Ich meine damit nicht nur die materielle Hürde, dass der NPD als Partei ein aggressives, ein kämpferisches Handeln nachgewiesen werden muss, sondern es geht tatsächlich auch um die Frage – auch das haben Sie jetzt teilweise andiskutiert – der Gewinnung von Informatio nen, also um die Frage, ob wir für die Antragsbegründung nur auf offene Erkenntnisse zurückgreifen dürfen oder ob und in welchem Umfang wir in der Begründung auch Informationen, die wir über V-Leute gewonnen haben, verwenden dürfen.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2003 im Zusam menhang mit diesen Fragen von Staatsfreiheit und Transpa renz gesprochen. Dies erschwert schlicht und ergreifend die Begründung.

Meine Damen und Herren, auch wenn sich mit den Erkennt nissen der letzten Wochen – da hat sich tatsächlich schon ei niges verändert – die Anhaltspunkte für eine Verbindung von Mitgliedern der NPD und auch der Partei NPD selbst zu ge waltbereiten Neonazis verdichtet haben, wird ein erneutes Ver botsverfahren kein Selbstläufer werden. Das ist überhaupt kei ne Frage. Ich sage aber: Wir – das Bundesland Baden-Würt temberg – werden keinen Anlass bieten, dass ein Verfahren deshalb scheitert, weil die damalige Minderheitsmeinung – das war es im Zweiten Senat; das sollte man schon sagen – außer Acht gelassen wird. Wir werden uns sorgfältig an das halten, was seinerzeit argumentiert wurde, um einem Verfah ren zum Erfolg zu verhelfen.

Bei einer Abschaltung der V-Leute, meine Damen und Her ren – das sollten wir auch zur Kenntnis nehmen –, müssen wir uns der Tatsache stellen, dass wir dann keine oder jedenfalls keine nennenswerten Informationen mehr über das Innenle ben dieser Partei erhalten. Es fehlen dann erfolgversprechen de Ansatzpunkte für andere polizeiliche und verfassungs schutzrechtliche Maßnahmen,

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist der Punkt!)

die uns in die Lage versetzen würden, wie auch schon bislang sehr repressiv tätig zu werden und – um es einmal ein biss

chen platt auszudrücken – den Herrschaften entsprechend auf den Füßen zu stehen. Diese Erkenntnisse werden uns dann fehlen, zumindest für einen gewissen Zeitraum.

Meine Damen und Herren, unter dem Vorsitz von SachsenAnhalt haben wir vor einer Woche eine Bund-Länder-Arbeits gruppe eingerichtet, die sich inzwischen konstituiert und auch schon einmal getagt hat. Durch sie sollen die Erfolgsaussich ten eines NPD-Verbots noch einmal sehr genau eruiert wer den. Ich erwarte von dieser Arbeitsgruppe – wir sind dort selbstverständlich auch vertreten –, dass uns Handlungsopti onen aufgezeigt werden, damit wir über einen Verbotsantrag entsprechend entscheiden können. Ich will damit sagen: Sorg fältige Prüfung hat jetzt Vorrang vor einem vorschnellen Han deln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)