Protocol of the Session on December 7, 2011

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE meldet sich. – Glo cke des Präsidenten)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich lasse jetzt noch keine Zwischenfrage zu. Ich möchte zunächst in der Gesamtheit meine Bemerkungen machen.

Ich zitiere einen weiteren wichtigen Befund, nämlich aus dem Expertenrat „Herkunft und Bildungserfolg“ unter der Leitung von Professor Baumert, dem übrigens auch Helmut Fend an gehörte, der über viele Jahrzehnte ein Verfechter der Gesamt schulen war und dementsprechend verschiedene Studien auf den Weg gebracht hat.

Aus den Veröffentlichungen des Expertenrats geht hervor, dass das unterschiedliche Entscheidungsverhalten der Eltern als Disparitätsquelle beim Übergang der Kinder auf eine weiter führende Schule festgestellt wird. Ein Beleg dafür ist, dass die 17 % Kinder, die trotz Gymnasialempfehlung nach der Jahrgangsstufe 4 nicht das Gymnasium besuchen, nicht, wie behauptet, eine Scheu vor dem folgenden achtjährigen Gym nasium haben. Vielmehr sind es vorrangig Kinder aus bil dungsfernen Schichten, deren Eltern nicht den Mut haben, ihr Kind auf das Gymnasium zu schicken.

Gleiche Befunde hat die Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung aus dem Jahr 2010 ergeben, in der es so gar sehr deutliche Formulierungen gibt. Ich darf daraus zitie ren:

Zweitens könnten Maßnahmen ergriffen werden, die den Einfluss der Elternschaft auf den tatsächlichen Übergang in die Sekundarstufe I ausschalten.

So steht es in der Studie der Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Baumert. Hier wird im Zusammenhang mit an deren Ergebnissen eine sehr deutliche Formulierung verwen det. So deutlich wird das in dieser Studie formuliert. Das ist eine harte Formulierung, die wir so nicht in den Mund neh men würden.

Vor dem Hintergrund dieser verschiedenen Studien muss ich schon sagen: Sie kritisieren bisher nicht die Befunde, die vor gelegt wurden. Auch in der Beratung des Bildungsausschus ses haben Sie diese Befunde nicht infrage gestellt. Sogar der Vorsitzende des Bildungsausschusses, Lehmann, hat dies auch ganz klar bestätigt, wobei er persönlich natürlich am Ende zu einer anderen Schlussfolgerung kommt. Aber das ist ein Be leg dafür, dass im Grunde eine Verbindlichkeit gegenüber den Eltern tatsächlich eine entscheidende Stellschraube im Über gangsverhalten ist, um die Schere zwischen Bildungserfolg und sozialer Herkunft zu minimieren und nicht noch mehr aus einanderzubewegen.

Deswegen gibt es, meine Damen und Herren, zwei Möglich keiten: Entweder behalten Sie, da Sie keine anderen Befunde

in dieser Debatte anführen können, die verbindliche Grund schulempfehlung bei, oder Sie zeigen klare Alternativen auf. Wo ist denn das Beratungskonzept, Frau Ministerin, das Sie mehrfach angekündigt haben? In einer Publikation eines gro ßen Lehrerverbands war erst vor wenigen Tagen zu lesen, dass eine Verwaltungsvorschrift in Planung sei, mit der Sie ein sehr intensives Beratungskonzept mit der Etablierung von Koope rationslehrkräften und der Möglichkeit, Kooperationsverbün de abzuschließen, vorbereiten wollten. Sie haben diese Ver waltungsvorschrift offensichtlich wieder zurückgenommen.

Wir fordern Sie auf: Wenn Sie schon die verbindliche Grund schulempfehlung abschaffen, dann legen Sie doch zumindest eine tragfähige Alternative vor. Lassen Sie die Eltern nicht al lein mit ihrer Entscheidung. Wichtig ist, dass dann zumindest das Beratungssystem weiterentwickelt wird, frühzeitiger an setzt und die Lehrkräfte die entsprechende Unterstützung hier für erhalten. Wir fordern Sie auf, dass Sie heute hier ein kla res Bekenntnis dazu abgeben.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Siegfried Leh mann GRÜNE)

Meine Damen und Herren, Sie lassen auch die Schulträger al lein. Wir haben bereits heute in den Gymnasien und den Re alschulen viele Eingangsklassen, deren Schülerzahl sich na hezu am Klassenteiler befindet. Was machen Sie denn, wenn bei den Realschulen und bei den Gymnasien die Anmeldezah len so stark steigen, dass die Klassenteiler überschritten wer den? Haben Sie denn die zusätzlichen Ressourcen, um auch zusätzliche Eingangsklassen zu schaffen? Haben Sie mit den Schulträgern auch die Frage besprochen, ob denn bei Bedarf auch die erforderlichen zusätzlichen Räumlichkeiten zur Ver fügung stehen? Oder lassen Sie die Schulen dahin gehend al lein, dass es letztlich auch zu Schülerabweisungen kommen muss, wenn die erforderlichen Räumlichkeiten vor Ort tat sächlich nicht zur Verfügung stehen?

Meine Damen und Herren: Fragen, Fragen, Fragen. Das ist ein Schnellschuss, der offensichtlich das Ziel hat, den System wandel in unserem Schulsystem, zu dem Sie sich bekennen, vorzubereiten. Das ist der erste Schritt, um die Rahmenbedin gungen Ihrer sogenannten Gemeinschaftsschule zu ermögli chen. Deswegen schließen wir von der CDU-Fraktion

(Glocke des Präsidenten)

uns dem Expertenrat von Professor Baumert an, der in seinem Abschlussbericht ganz klar sagt, dass es keine Veranlassung gibt, an der bisherigen Regelung zu rütteln.

In diesem Sinn vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Diese empirischen Befunde sind der Grund, weshalb wir...

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege – –

... – diesen Satz möchte ich noch zu Ende sagen – diesen Gesetzentwurf von Ihnen ablehnen.

Jetzt lasse ich gern abschließend eine Nachfrage zu, Herr Prä sident.

Ich weiß aber nicht, ob ich sie zulasse. Denn sonst geraten wir im weiteren Verlauf immer mehr in Verzug. Normalerweise macht man das wäh rend der Redezeit.

Das überlasse ich Ihnen, Herr Prä sident.

Gut. – Stellen Sie die Zwischenfrage bitte noch. Aber dann, Herr Kollege, bitte auch eine kurze Antwort.

Dann darf ich auch antworten?

(Heiterkeit)

Aber nur kurz.

(Heiterkeit)

Bitte.

Werter Herr Kollege, Sie schreiben in Ihrem Änderungsantrag zusammen mit den Kol legen Hauk, Dr. Rülke und Dr. Kern,

(Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE: Doktor, Doktor, Doktor!)

dass Eltern beim Übergang ihrer Kinder von der Grundschu le in eine weiterführende Schulart völlig unangemessen al leingelassen würden.

Ich möchte zunächst einmal in den Raum stellen, dass ich eventuell das einzige Elternteil hier bin, das ein Kind in der vierten Klasse hat. Ich weiß nicht, wer sonst noch in dieser Situation ist. Ich habe eines. Deshalb bin ich persönlich sehr wohl mit diesem Thema befasst. Ich muss sagen: Ich fühle mich nicht alleingelassen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ich schon!)

Ich weiß auch nicht, woher Sie diese Behauptung nehmen. Wenn ich die Lehrerinnen und Lehrer sowie Rektorinnen und Rektoren der Grundschulen bei mir im Raum Vaihingen fra ge, dann äußern sie sich zufrieden mit dieser Regelung. Sie stimmen dieser Regelung zu. Es gibt ein Konzept, wie die El tern weiterbegleitet werden.

Deshalb will ich von Ihnen wissen: Wie begründen Sie, dass jemand völlig und unangemessen alleingelassen wäre, wenn doch die Eltern, die Lehrer und die Grundschulrektoren in meinem Raum – diejenigen, die betroffen sind – mir alle spie geln, das sei so in Ordnung?

Bitte.

Lieber Herr Kollege, offensicht lich werben Sie für das bisherige Verfahren.

(Zuruf von den Grünen: Nein!)

Doch. – Sie haben doch im Grunde gesagt: Es funktioniert bisher ganz gut. Das entnehme ich jetzt Ihren Ausführungen.

Ich möchte deutlich sagen: Wir haben bisher ein dreistufiges Verfahren, bei dem die Eltern gerade im Beratungsverfahren sehr intensiv eingebunden werden, bei dem es am Ende des sogenannten Beratungsverfahrens auch Korrekturen der Ent scheidung durch die Lehrkräfte geben kann. Das hat auch die Vergangenheit gezeigt. Das heißt, wir erleben bisher unter Einbindung der Eltern selbstverständlicherweise ein wichti ges Entscheidungsrecht der Lehrkräfte.

Wenn es aber am Ende nur noch ein Beratungsverfahren gibt, bei dem die fachliche Autorität einer Lehrkraft infrage gestellt wird, indem sie überhaupt nicht mehr entscheiden kann, wie der weitere Bildungsweg gestaltet werden kann,

(Zurufe von der Grünen)

dann stehen die Eltern am Ende allein, weil sie ein Entschei dungsrecht wahrzunehmen haben.

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Das ist an der Re alität vorbei, was Sie da erzählen!)

Nein, Herr Kollege. Reden Sie mit den Schulen, reden Sie mit den Grundschullehrkräften.