Sie werden nicht alle sozialen Probleme in diesem Land mit Mindestlöhnen lösen. Sie hängen einer Illusion nach. Deshalb werden wir auch weiterhin staatliche Aufstockungen brau chen. Die etwa 1,4 Millionen Aufstocker in Deutschland ma chen nur ein Viertel aller Leistungsempfänger aus.
Es ist auch, meine Damen und Herren von der CDU, noch nicht so ganz klar, was Sie eigentlich bei dieser Diskussion bezwecken. Man hört unterschiedliche Stimmen. Man hört Stimmen, die sagen, wir brauchen einen gesetzlichen Min destlohn auf dem Niveau der Zeitarbeit, und man hört ande re, die sagen, wir brauchen Kommissionen, die dann bran chenspezifisch Mindestlöhne festlegen. Da gibt es also unter schiedliche Positionen. Insofern, glaube ich, werden auch Sie von SPD und Grünen, wenn Sie jetzt mit der CDU diese Dis kussion führen wollen, erst einmal abwarten müssen, was der CDU-Parteitag überhaupt beschließt.
Wir wollen durchaus Lohnuntergrenzen bei Tarifpartnern. Das ist schon jetzt möglich. Wir begrüßen es, wenn Lohnunter grenzen festgelegt werden. Wir können uns durchaus auch po litische Mindestlöhne in bestimmten Branchen vorstellen; Kollege Paal hat schon einiges angesprochen: Zeitarbeit, Ent senderichtlinie und dergleichen mehr. Dort, wo politischer Handlungsbedarf erkennbar ist, verweigern wir uns nicht ei nem Eingreifen der Politik und des Staates. Aber was wir eben nicht wollen, sind branchenübergreifende gesetzliche Min destlöhne.
Wir können gern auch über die sogenannten Kommissions modelle diskutieren. Diese haben aber nur dann einen Sinn, wenn sich die Tarifpartner nicht einigen können. Denn wenn sie sich einig werden, legen sie einen Mindestlohn fest. Also wäre die Frage, was die neutrale Instanz ist. Wollen Sie dann einen Schlichter einsetzen, z. B. Herrn Geißler, der dann ei nen Mindestlohn festlegt?
Was wir wollen, ist natürlich, Chancen für Geringqualifizier te offenzuhalten. Wenn Sie jedoch Chancen für Geringquali fizierte offenhalten wollen, können Sie nicht einen flächende ckenden einheitlichen Mindestlohn festlegen.
Wir wollen den Missbrauch branchenspezifisch bekämpfen. Deshalb verweigern wir uns nicht einem branchenspezifischen politischen Mindestlohn dort, wo er notwendig ist. Wir wol len Geringverdienern helfen, und deshalb brauchen wir auch weiterhin die Möglichkeit eines Mindesteinkommens neben der Möglichkeit eines Mindestlohns. Wir werden also ohne Sozialtransfers nicht auskommen.
Im Übrigen wollen wir die Tarifautonomie erhalten und sie nicht politisch aushebeln. Deshalb ein Bekenntnis zum Min desteinkommen und ein Bekenntnis zu branchenspezifischen gesetzlichen Mindestlöhnen dort, wo sie notwendig sind, aber auch ein Bekenntnis dazu, dass Tarifpartner weiterhin die Möglichkeit bekommen, selbst die Lohnuntergrenzen zu be schließen.
Einen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn – das sage ich in aller Deutlichkeit – lehnen wir ab.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Was glauben Sie, von wem folgendes Zitat stammt? Es lautet sinn gemäß:
Ein Mensch muss von seiner Arbeit leben können, und sein Lohn muss wenigstens existenzsichernd sein, ja, in der Regel etwas höher sein, andernfalls wäre es nicht möglich, eine Familie zu ernähren.
oder einem der anderen üblichen Verdächtigen. Nein, dieses Zitat stammt von Adam Smith, dem Säulenheiligen der libe ralen Wirtschaftstheorie. Aber anders, als er vor über 200 Jah ren dachte, bietet allein der Markt nicht die Gewähr, dass ein Lohn gezahlt wird, von dem man anständig leben kann. Auch auf die Gefahr hin, dass die FDP/DVP wieder ihre ideologi sche Keule herausholt: Inzwischen ist völlig klar, dass es die unsichtbare Hand des Marktes nicht gibt und nie geben wird.
(Abg. Volker Schebesta CDU: Wenn es um Lohn geht, sollte doch die Sozialministerin sprechen! Aber es geht um die Auswirkungen für die Wirtschaft! – Gegenruf der Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE)
Übrigens sind von diesen Niedriglöhnen besonders stark Frau en, junge Menschen, Geringqualifizierte und ausländische Be schäftigte betroffen. Aber, um mit einem weiteren Klischee aufzuräumen: 80 % aller Beschäftigten,
(Abg. Volker Schebesta CDU: Noch einmal Beschäf tigung! Kommt jetzt einmal Wirtschaftspolitik, Herr Minister?)
die für einen Niedriglohn arbeiten, haben eine abgeschlosse ne Berufsausbildung oder sogar einen Hochschulabschluss.
Obwohl wir seit Jahren über dieses Problem reden, ist die Niedriglohnquote in Deutschland eine der höchsten in ganz Europa. Das kostet nicht nur die öffentliche Hand Milliarden Euro. Auch der Steuerzahler subventioniert dieses Lohndum ping über die Aufstockerregelung. Die öffentliche Hand ist mit 7 Milliarden € beteiligt.
Übrigens ist es auch ein Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die jeden Morgen früh aufstehen, hart arbeiten und am Mo natsende nicht mit ihrem Lohn auskommen, die ihre Familie nicht ernähren können. Das muss in Deutschland, in BadenWürttemberg aufhören.
Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Das ist eine Fra ge der persönlichen Würde. Vor allem aber ist es eine Frage der Wertschätzung von Arbeit. Als Wirtschaftsminister werde ich mich in diesem Land dafür einsetzen, dass Arbeit eine ho he Wertschätzung erfährt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Beim Konzept der sozialen Marktwirtschaft wird davon aus gegangen, dass sich Leistung für alle in diesem Land lohnen muss, und zwar für Unternehmer wie für Beschäftigte. Des wegen mache ich auch nicht das Spiel mit, die Unternehmer
gegen die Beschäftigten auszuspielen. Wir brauchen beide. Beide sind stark. Gerade die baden-württembergischen Un ternehmerinnen und Unternehmer wissen, wie wichtig die Be legschaften für den Erfolg der mittelständischen Betriebe, der Handwerksbetriebe und natürlich auch der Großkonzerne sind.
Deshalb fordern die SPD und die Grünen einen gesetzlich fest geschriebenen Mindestlohn. Es gibt viele Argumente dafür: Mindestlohn führt – das hat eine aktuelle Studie von Prognos noch einmal zusammengefasst – zu steigenden Erwerbsein kommen, steigenden Einnahmen für den Fiskus und die So zialversicherung, einer stärkeren Binnennachfrage und – ganz wichtig – sinkenden Sozialausgaben.
Es wurde mehrfach errechnet, dass ein gesetzlicher Mindest lohn von 8,50 € pro Stunde die öffentlichen Haushalte in Deutschland um 7 Milliarden € entlasten würde. Die Aussa ge, dass die Mindestlöhne Jobs kosten, ist bereits vielfach wi derlegt worden, nicht nur in Amerika. Auch Erfahrungen aus europäischen Staaten zeigen, dass dies ein Mythos ist. Lassen wir doch einmal ein bisschen praktische Vernunft walten. Le diglich deshalb, weil ein Mindestlohn eingeführt wird, wird ein Friseur aus Reutlingen nicht plötzlich nach China auswan dern.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Claus Schmiedel SPD: So ist es! Der Friseur bleibt in Reutlingen!)
Gerade wir in Baden-Württemberg wissen, dass die Unterneh men in unserem Land hoch innovativ sind. Sie sind leistungs fähig, erfolgreich im Export, sie sind einfach besser als ihre Konkurrenz. Das liegt nicht an den niedrigen Löhnen, son dern an der Qualität ihrer Produkte und ihrer Dienstleistun gen, die bestens ist. Deshalb setzen wir uns international durch – nicht deshalb, weil wir Dumpinglöhne zahlen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Gute Löhne, faire Löhne schützen nicht nur die Beschäftig ten. Sie schützen auch den seriösen Unternehmer und den ehr baren Kaufmann vor illoyaler Konkurrenz, vor Anbietern, die mit Dumpinglöhnen den Wettbewerb verzerren. Gerade Un ternehmer, die wissen, dass sie für Spitzenleistungen auch Spitzenleute brauchen, wissen um den Wert von Arbeit und wollen sich nicht durch diejenigen, die sich nicht an Tarifver träge oder gar an gesetzliche Lohnuntergrenzen halten, aus dem Wettbewerb drängen lassen.
Deshalb ist der Einsatz von Mindestlöhnen ein Einsatz für den Wert von Arbeit. Er schützt Beschäftigte, unterstützt aber auch die Unternehmerinnen und Unternehmer im Land. Aus diesen Gründen ist die Regierung in der gesamten Bandbreite bis hin zum Wirtschaftsminister für Mindestlöhne.
Robert Bosch, einer der großen Unternehmer unseres Landes, hat schon 1910 die Argumente zusammengefasst. Ich zitiere:
Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, son dern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne zahle!
Er hat schon damals erkannt, dass Fairness am Arbeitsmarkt eine Gewinnstrategie gerade auch für Unternehmen ist. Das ist heute genauso richtig, wie es damals richtig war.
Wirtschaftliches Wachstum und soziale Sicherheit sind zwei Seiten einer Medaille. Gerade der Wirtschaftsstandort BadenWürttemberg lebt davon, dass er Recht und Ordnung am Ar beitsmarkt schafft. Mit dem Weg, den wir in Baden-Württem berg gehen wollen, setzen wir auf starke Unternehmen, auf gerechte Löhne und auf Fairness im Umgang zwischen Un ternehmen und Arbeitnehmern.
Deshalb freue ich mich, dass sich zumindest in Teilen der CDU diese Erkenntnis durchgesetzt hat. Heute hat man das nicht so richtig herausgehört.