Protocol of the Session on January 27, 2016

Die Enquetekommission empfiehlt, sich beim Bundesgesetz geber für die Aufhebung der Trennung in „ambulant“ und „sta tionär“ im Pflegebereich einzusetzen. Dies ist wichtig, da Sek torengrenzen Versorgungsbrüche, Bürokratie und unnötige Kosten verursachen.

Meine Damen und Herren, der Mensch mit Pflegebedarf muss im Mittelpunkt stehen – und nicht die zwanghafte Einhaltung einer vorgegebenen Systematik.

Die Zielsetzung, dass Menschen mit Pflegebedarf möglichst lange in ihrer gewohnten oder gewollten Lebenswelt in Wür de und selbstbestimmt altern können, zog sich wie ein roter Faden durch die Arbeit der Enquetekommission. Dies wird insbesondere an der großen Anzahl von Handlungsempfeh lungen deutlich, die diese Thematik betreffen. So beziehen sich allein 168 Handlungsempfehlungen auf das Kapitel „Le bensgestaltung bei Pflege- und Unterstützungsbedarf“.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir können uns nicht einfach darauf verlassen, dass – so wie bisher – 70 % der Men schen mit Pflegebedarf ausschließlich durch Familienangehö rige gepflegt werden. Die familiären, die gesellschaftlichen und nicht zuletzt die beruflichen Rahmenumstände haben sich geändert. Darauf müssen wir reagieren, und zwar sehr schnell.

Um den Verbleib in der gewohnten Lebenswelt zu ermögli chen, sind eine engere Vernetzung der unterschiedlichen Ak teure und eine koordinierte Quartiersentwicklung dringend notwendig. Wir brauchen aber auch dringend Entlastungsan gebote für pflegende Angehörige, wir brauchen Unterstüt zungsangebote. Informationsveranstaltungen, Kurse, Entspan nungswochenenden und Kuren müssen angeboten und auch finanziert werden, damit aus Pflegenden nicht ganz schnell Pflegefälle werden, meine Damen und Herren. Auch muss das Antragswesen vereinfacht und die Möglichkeit der Betreuung ausgebaut werden. Wir müssen die Potenziale des bürger schaftlichen Engagements viel stärker nutzen. Aber ich sage: Auch für die Begleitung und Steuerung brauchen wir profes sionelle Koordination.

Meine Damen und Herren, Sie finden im Bericht Lösungs möglichkeiten, um die pflegerische Versorgung in unserem Land zu verbessern und vor allem auch dauerhaft zu gewähr leisten. Jetzt liegt es an Ihnen, an uns allen, die Empfehlun gen umzusetzen.

Ich werde immer wieder gefragt: Was kostet denn die Umset zung der Handlungsempfehlungen der Enquetekommission? Meine Damen und Herren, gute Pflege lässt sich nicht in Eu ro und Cent bemessen, und auch Menschlichkeit und Würde im Alter lassen sich nicht in Euro und Cent berechnen. Die Kosten für eine zukunftsfähige menschliche und professionel le Pflege werden aber sicherlich den Umfang dessen, was wir in den letzten Jahren für die Kinderbetreuung ausgegeben ha ben, finanziell nicht unterschreiten – vielleicht sogar überstei gen. Aber dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe müssen wir uns stellen. Pflegende und zu Pflegende erwarten dies zu Recht von uns.

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir wissen heute noch nicht, wer ab Mai die Landesregierung stellen wird. Jeder hat da so seine Hoffnungen, auch ich. Wir wissen auch nicht, wel

che Mitglieder der Enquetekommission „Pflege“ dem 17. Land tag von Baden-Württemberg angehören werden.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Dem 16.!)

Aber ich weiß eines: Es wird immer Abgeordnete geben, die diesen Bericht – –

(Der Redner hebt den Bericht hoch und stößt dabei an ein Mikrofon. – Zurufe)

Ja, wir waren eine ruhige Enquetekommission. Jetzt lassen Sie mich am letzten Tag ein bisschen auf die Pauke hauen.

(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall)

Es wird immer Abgeordnete geben, die die Regierungen, die den Landtag an die Umsetzung erinnern werden.

Zuletzt möchte ich mich bei allen bedanken, die zum Gelin gen der Enquetekommission beigetragen haben, zunächst bei den Obleuten – Frau Mielich, Herr Kunzmann, Herr Hinde rer und Herr Haußmann – und auch beim stellvertretenden Vorsitzenden Manne Lucha. Ich danke allen weiteren Mitglie dern der Enquetekommission, die ihre große Bandbreite an Lebenserfahrung eingebracht haben.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Jawohl, das ist einen Applaus wert.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Sich selbst beklatscht!)

Vor allem danke ich auch den externen Mitgliedern und de ren Stellvertretern – einige sind heute da –, die mit hoher Fachkompetenz und Praxisnähe wertvolle Beiträge geleistet haben: Herr Landrat Thomas Reumann, Herr Professor Dr. Klie, Herr Weisbrod-Frey, Herr Wipp, Herr Kontermann, Herr Dr. Schirmer, Frau Sabine Seifert und Herr Kommerell.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Ein ganz besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mit arbeitern der Geschäftsstelle der Enquetekommission, Herrn Holzke, Herrn Mattes, Frau Mühleisen und Frau Thannhei mer.

Erwähnen möchte ich auch Frau Möller, die das Protokoll prä zise geführt und schnell erstellt hat, und alle weiteren betei ligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landtags sowie die parlamentarischen Beraterinnen und Berater.

Ganz besonders danke ich meiner CDU-Fraktion dafür, dass sie meine Idee zur Einsetzung der Enquetekommission auf gegriffen und die Einsetzung beantragt hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe eingangs gesagt: Heute kann ein guter Tag für die Pflege in Baden-Württem berg werden. Der erste Schritt dazu ist, dass Sie dem Bericht und den Empfehlungen der Enquetekommission zustimmen. Ich bitte Sie heute ganz herzlich darum.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ich danke auch für Ihre Geduld. Mein Auftrag als Vorsitzender der Enquetekom

mission geht heute zu Ende. Wenn Sie, Frau Präsidentin, ge statten, dann möchte ich Ihnen den Bericht jetzt offiziell über geben. Der Landtag hat uns dazu beauftragt; in die Hände des Landtags gebe ich den Bericht zurück.

(Der Redner übergibt Stellv. Präsidentin Brigitte Lösch ein Exemplar des Berichts. – Beifall bei Ab geordneten aller Fraktionen)

Danke schön. Das ist das wichtigste Dokument. – Herzlichen Dank.

Halt, ich bin noch nicht fertig. – Ein weiteres Exemplar möchte ich der Sozialminis terin – stellvertretend für die Landesregierung – überreichen.

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Genau!)

Dafür brauche ich jetzt aber eine Minute, wenn ich sie bekom me.

Sie können dieses Exem plar nehmen.

(Stellv. Präsidentin Brigitte Lösch gibt das ihr ausge händigte Exemplar des Berichts an den Redner zu rück.)

Ich darf dieses Exemplar nehmen.

(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: So wird geschummelt! – Der Red ner übergibt das Exemplar des Berichts an Ministe rin Katrin Altpeter. – Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen – Ministerin Katrin Altpeter: Die Präsi dentin und ich lesen zusammen!)

Wir lesen es gemeinsam, genau. Danke schön.

Es sollte dann aber auch etwas Ganzes daraus werden. – Jetzt bin ich fertig.

Okay, gut. Herzlichen Dank.

In der Aussprache erteile ich das Wort für die CDU-Fraktion Herrn Abg. Kunzmann.

Frau Präsidentin, verehr te Kolleginnen und Kollegen, verehrte Zuhörer! 21 Monate intensiver Arbeit liegen nun hinter uns. Heute wird der Be richt der Enquetekommission zur Zukunft der Pflege offiziell dem Landtag übergeben. Ein Dokument mit rund 1 000 Sei ten und rund 600 Handlungsempfehlungen, das ist der Beleg für eine gründliche Arbeit.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Die Enquetekommission ist auf Initiative der CDU-Landtags fraktion, aber dann auf gemeinsame Antragstellung aller Frak tionen entstanden. Die Resonanz, die unsere Arbeit in den Ver bänden und vor Ort in den Pflegeheimen, bei den ambulanten Diensten und natürlich auch bei den Pflegekräften selbst ge funden hat, war spürbar, und sie hat gezeigt: Unsere Arbeit war überfällig.

Was sind die Herausforderungen? Eine Herausforderung ist der demografische Wandel. In den nächsten 15 Jahren steigt die Zahl der Menschen mit Pflegebedarf allein in Baden-Würt temberg um rund 100 000. Gleichzeitig erleben wir, dass die Pflege in der Familie immer schwieriger wird. Die Menschen werden älter und auch gebrechlicher. Oftmals sind die pfle genden Angehörigen – das sind ja in der Regel die Ehefrau, die Tochter oder die Schwiegertochter; denn Pflege ist noch vor allem ein Frauenthema – überfordert. Der gesellschaftli che Umbruch hin zur Individualisierung und die zunehmen de Kinderlosigkeit in den Familien, aber auch die steigende Mobilität der Jüngeren tun ein Übriges. Um die Herausforde rungen zu bewältigen, brauchen wir in den nächsten 15 Jah ren rund 50 000 weitere gut ausgebildete Pflegekräfte.

Wenn sich Menschen mit Pflegebedarf und Angehörige bei konkreten Anlässen mit der professionellen Pflege auseinan dersetzen, dann stehen in der Regel zwei Fragen im Mittel punkt: die Frage, was es kostet, und die Frage nach der Qua lität. Die Frage nach der Qualität der Pflege zog sich wie ein roter Faden durch unsere Arbeit. Im Ergebnis brauchen wir ein Mehr an bestehender Infrastruktur, aber genauso ein Mehr an neuen Konzepten, etwa an Konzepten für Wohngemein schaften und an Quartierskonzepten, und mehr Unterstützung für die Familien und das Ehrenamt.

Die stationäre Pflege steht neuen Herausforderungen gegen über. Die Zahl der Demenzerkrankungen unter den Bewoh nern nimmt zu. Die erste Gastarbeitergeneration wird nun ebenfalls pflegebedürftig. Es stellen sich verstärkt psychische Krankheiten ein, und die Einrichtungen haben es vermehrt mit schwer- und mehrfachbehinderten Menschen zu tun. All die se Entwicklungen wurden bisher nicht im Personalschlüssel der Pflegeheime abgebildet – ein Umstand, den wir ändern müssen.

Wir brauchen auch die Sensibilisierung der Pflegekräfte für diese Herausforderungen. Wir müssen die Heime von Regle mentierung und Bürokratie befreien.

Wir unterstützen das sogenannte Beikirch-Modell, das im Auf trag des Pflegebeauftragten der Bundesregierung, Staatssekre tär Karl-Josef Laumann, entwickelt wurde.

Die ermessenslenkenden Richtlinien zur Landesheimbauver ordnung, die im vergangenen Jahr von Sozialministerin Alt peter veröffentlicht wurden, stellen die stationäre Pflege vor große Hindernisse. Insbesondere viele kleine Häuser bewe gen sich am Rande der Wirtschaftlichkeit. Es ist nicht gut, dass auf diese Weise ein wichtiges Standbein zerschlagen wird. Wir hätten uns gewünscht, dass die Übergangszeiträume großzü giger und die Kriterien zur Feststellung der Unwirtschaftlich keit weiter gefasst worden wären. Hier besteht nach der Wahl Handlungsbedarf.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der Grünen und der FDP/DVP)