Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 143. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.
Meine Damen und Herren, unter den Punkten 3 a, b und c un serer Tagesordnung sind die Zweiten und Dritten Beratungen von Gesetzentwürfen zur Änderung der Landesverfassung, Drucksachen 15/7178, 15/7378 und 15/7412, vorgesehen. Sind Sie gemäß § 50 unserer Geschäftsordnung mit dieser Fristverkürzung zwischen Zweiter und Dritter Beratung des Gesetzentwurfs einverstanden? – Es erhebt sich kein Wider spruch. Dann ist es so beschlossen.
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Vor exakt einer Woche haben wir, al le vier Fraktionen gemeinsam, hier an dieser Stelle der schrecklichen Terroranschläge in Paris gedacht. Es war klar, dass diese Anschläge etwas mit uns machen werden, auch mit unserer Gesellschaft, auch was das Sicherheitsgefühl der Men schen in Baden-Württemberg angeht.
Ich habe heute Morgen die Zeitung aufgeschlagen. Das „Hal ler Tagblatt“ hat eine Onlineumfrage durchgeführt und die Le ser gefragt: Wie sicher fühlen Sie sich? Wie sicher fühlen Sie
sich in Baden-Württemberg? Das Ergebnis war, dass 41 % der Befragten bei dieser nicht repräsentativen Umfrage – über 280 Leute haben sich beteiligt – gesagt haben, sie wollten sich in naher Zukunft nicht innerhalb größerer Menschenmengen auf halten. 48 % haben gesagt, sie wollten sich zwar auch zukünf tig unter die Leute mischen, hätten dabei aber ein mulmiges Gefühl. Nur 11 % haben gesagt: „Ich habe keine Angst. Ich lasse mich durch diese Situation nicht verunsichern.“ Das heißt, auch eine Woche nach diesen Anschlägen ist das eine Herausforderung.
Gestern wurde ein Flugzeug abgeschossen. Heute Morgen steht in der „Stuttgarter Zeitung“ eine interessante Abhand lung zur Typologie des Krieges. Das alles sind Gedanken, die einen im Moment beschäftigen, die einen in diesen Tagen um treiben. Da tut es gut, sich einmal an die Anfänge der Staats theorie, an den Gesellschaftsvertrag zurückzuerinnern, wo sich die Menschen quasi unter das Regime des Staates, unter das Gewaltmonopol begeben haben, um im Gegenzug dafür Sicherheit zu bekommen, um die Urzustände der Unsicher heit, des Krieges aller gegen alle, zu beseitigen, und deswe gen die Macht an den Staat abgegeben haben.
Das war die Theorie vor 500 Jahren. Heute haben wir das im Grunde umgesetzt. Ich möchte einmal das Bundesverfas sungsgericht zitieren, das die Frage der Bedeutung der Sicher heit für unser Staatsgefühl, wie ich meine, wunderbar auf den Punkt gebracht hat. Ich zitiere das Bundesverfassungsgericht wörtlich:
Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Si cherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet.
Damit ist auf den Punkt gebracht, was sich in der Staatstheo rie bis zum heutigen Tag entwickelt hat und was der Status quo unseres Selbstverständnisses ist: Die Garantie der Sicher heit an die Bürger ist der Rechtfertigungsgrund für diesen Staat.
Jetzt kommt es natürlich darauf an, die Balance zwischen den bürgerlichen Freiheiten und diesem Sicherheitsanspruch zu halten. Das ist eine zentrale Anforderung, der wir uns stellen, indem wir einmal die Staatsgewalt formal an Gesetze binden, aber auch materiell binden, bestimmte Grenzen nicht zu über schreiten, und das vor dem Hintergrund, dass der Terror, dem wir mit dieser Sicherheitsgesetzgebung begegnen wollen, ganz neue Züge hat.
Wenn man sich den Linksterrorismus und den Rechtsterroris mus anschaut, sieht man: Es waren immer konkrete Täter, konkrete Opfer. Da ging es um politischen Mord, da ging es darum, bestimmte Eliten, bestimmte Leistungsträger zu töten und zu vernichten. Auch hinter den Tätern waren immer Ge sichter. Jetzt haben wir – das ist eine neue Herausforderung – quasi komplett entindividualisierte Gruppen, Netzwerke, die nicht mehr als Personen gegen Personen, sondern im Gegen teil wahllos handeln, die sich natürlich von keinerlei Strafan drohung beeindrucken lassen. Denn jemand, dem sein eige nes Leben nichts wert ist, lässt sich doch nicht von einer Straf androhung in irgendeiner Form irritieren.
Das Bemerkenswerteste ist aber, dass diese Täter, die im Na men des Islamischen Staates massenhaft töten, Leute sind, die von hier kommen. Sieben der neun Angreifer in Paris waren europäische Staatsbürger, von denen einige hier geboren wur den. Im Grunde waren es quasi Einheimische, die in ihre ur sprünglichen Heimatländer zurückgegangen sind, weil sie ih re Heimat so hassen, dass sie sich dort zu Terroristen haben ausbilden lassen. Das sind die Rahmenbedingungen.
Das sieht man allein schon, wenn man sich die Entwicklung dieses Jahres anschaut. Bei den Anschlägen im Januar auf „Charlie Hebdo“ ging es gegen eine Karikaturen-Zeitschrift, da ging es gegen einen jüdischen Einkaufsladen. Da waren bei den Tätern noch Symbole gefragt. Was jetzt in der vergan genen Woche passiert ist, war ein wahlloses „Herummorden“ mit dem Ziel, dass sich jeder betroffen fühlen musste und je der betroffen fühlen sollte. Das Ziel dieser Menschen war es, wahllos, absolut – –
Die Opfer waren aber wahllos ausgewählt worden. Ich woll te damit sagen: Nicht ein Symbol war das Ziel, sondern es wa ren Menschen, die einer gewissen Lebensform nachgegangen sind.
Wir haben damals im Februar mit einem Antiterrorpaket mit 130 zusätzlichen Stellen bei der Polizei und beim Verfassungs schutz reagiert, um eben genau diesem Personenkreis entge genzutreten, der ja jetzt inzwischen auch planvoll vorgeht, der solche schrecklichen Taten organisieren muss, wo Absprachen erforderlich sind. Deshalb muss man natürlich auch hinein schauen und braucht eine Auswertung von Telekommunika tion und Internetnutzung sowie ein spezielles Kompetenzzen trum.
Es ist natürlich auch so, dass die Anschläge der vergangenen Woche auch jetzt wieder dazu führen, dass wir uns neue Maß nahmen anschauen müssen und prüfen müssen: Was ist unter Umständen noch hinzuzufügen? Was brauchen wir konkret an zusätzlichem Personal, an Menschen? Klar ist aber, dass eine Forderung, die in den Raum geworfen wurde – 1 500 zusätz liche Polizisten –, nicht erfüllbar ist, weil es keinen Arbeits markt für Polizisten gibt und wir diese Forderung deswegen auch nicht umsetzen können. Aber es soll wahrscheinlich der
um die Verbesserung der Sicherheitslage im entsprechenden Umfang zu unterstützen. Ich muss Sie bei dieser Gelegenheit natürlich schon noch einmal daran erinnern, dass es diese Lan desregierung war, die konsequent seit dem Regierungsantritt jedes Jahr 170 Millionen € zusätzlich verlässlich in den Si cherheitsapparat gelenkt hat. Jedes Jahr 170 Millionen € zu sätzlich!
Diese Landesregierung war es, die in den letzten viereinhalb Jahren 5 600 neue Polizeibeamte eingestellt hat,
Denn es hat in den letzten 20 Jahren keine einzige Regierung gegeben, die so viele Polizeibeamte zusätzlich eingestellt hat, ohne dass es eine Terrorwarnung gab.
Da muss man schon daran erinnern, dass, wer mehr als 1 000 Polizeistellen abgebaut hat und jetzt die Wiedereinrichtung von 1 500 fordert, sich natürlich ein bisschen ins Abseits stellt.
Denn wir haben nicht nur von diesen 1 000 Stellen 500 sofort wieder zurückgegeben, sondern wir haben endlich auch zeit gemäße Strukturen geschaffen.
Aber ich möchte Sie daran erinnern: Gerade beim Thema Brüssel – das wissen Sie, wenn Sie die Presse aufmerksam verfolgt haben – lag das Problem hinsichtlich der Sicherheits lage genau in der fehlerhaften Struktur der Sicherheitsbehör den und der Polizei. In Brüssel mit 1,2 Millionen Einwohnern gibt es sechs Polizeibehörden und 19 Bezirksverwaltungen, die für die Sicherheit zuständig sind. 19 Bezirksverwaltungen für eine Stadt! Dieses Chaos war der Grund. In New York mit elf Millionen Einwohnern gibt es lediglich eine Polizeibehör de.
Deswegen kommt es gerade auf die Strukturen an, wenn man eine vernünftige Lösung schaffen will. Deswegen war auch die Polizeistrukturreform ein Beitrag zu mehr Sicherheit in Baden-Württemberg. Die Landesregierung hat sich in dieser Beziehung nichts vorzuwerfen.
(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Thomas Blenke CDU: Der Anfang war heute sehr gut! Die Rede hat so gut angefangen! – Abg. Karl Zimmer mann CDU: Haben Sie überhaupt etwas zum Verfas sungsschutz gesagt? Kein Wort! – Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank an die SPDFraktion, dass sie diese heutige Debatte beantragt hat und da mit auch eine Debatte über die Sicherheit im Land ermöglicht. Das, was wir durch die Anschläge in Paris erlebt haben, hat natürlich eine neue Dimension von Terror, auch eine völlig neue Dimension von Gefahr und Brutalität mit hochgerüste ten Kriegswaffen verdeutlicht. Darauf muss es Antworten ge ben.
Darauf muss es zunächst einmal die Antwort geben, die wir in der letzten Plenardebatte über alle Fraktionsgrenzen hin weg gegeben haben: dass wir gemeinsam, parteiübergreifend gegen solchen Terrorismus zusammenstehen. Aber es muss natürlich auch die Frage beantwortet werden, wie wir uns im Land richtig aufstellen, um auf die Sicherheitslage reagieren zu können. Wo besteht Handlungsbedarf?