Protocol of the Session on November 18, 2015

Aber gleichzeitig stellt sich die Frage: Wo bleibt unsere Frei heit? Müssen wir bald auf Weihnachtsmärkte, Open-Air-Kon zerte und andere Großveranstaltungen verzichten? Die Ant wort ist ein klares Nein. Wir dürfen unser freies Leben nicht von Terroristen, deren Geschäft die Angst ist, infrage stellen oder gar zerstören lassen. Wenn wir uns von der Angst beherr

schen lassen, lassen wir uns am Ende auch vom Terror beherr schen. Dann haben die Mörder und Menschenhasser des IS gewonnen.

Für Baden-Württemberg gibt es keine konkreten Anhaltspunk te für mögliche Terroranschläge. Dennoch gehen unsere Si cherheitsbehörden von einer hohen abstrakten Gefahr aus. Deshalb gilt es, wachsam zu sein. Das sind wir. Denn ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit.

Wir tragen Verantwortung für die Sicherheit von über zehn Millionen Baden-Württembergerinnen und Baden-Württem bergern. Diese Verantwortung nehmen wir sehr ernst. Sicher heit hat für die Landesregierung höchste Priorität. Es ist die erste Aufgabe des Staates, für die Sicherheit seiner Bürgerin nen und Bürger zu sorgen. Wir sind eine wehrhafte Demokra tie. Wir gehen entschlossen und mit allen Mitteln des Rechts gegen Gewalttäter vor.

Wir haben schnell gehandelt. So hat die Landesregierung be reits Anfang des Jahres kurz nach dem Terroranschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ ein umfassendes Antiterror paket beschlossen, um mögliche Feinde der Freiheit noch in tensiver ins Visier nehmen zu können:

Wir haben damit die Polizei um über 100 Stellen speziell für die Terrorbekämpfung verstärkt, um mögliche terroristische Anschläge zu verhindern. Auch Verfassungsschutz und Justiz haben zusätzliches Personal erhalten.

Zudem haben wir über 11 Millionen € in bessere Ermittlungs- und Operationstechnik der Sicherheitsbehörden investiert. So können wir gewaltbereite Islamisten und die salafistische Sze ne noch gezielter beobachten.

Mit besserer Präventionsarbeit wollen wir das Abdriften jun ger Menschen in die islamistische Szene verhindern. So ha ben wir etwa ein Kompetenzzentrum zur Koordinierung des Präventionsnetzes gegen islamistischen Extremismus in Ba den-Württemberg eingerichtet.

Wir haben also in Baden-Württemberg bei der Terrorbekämp fung schnellstmöglich reagiert. Deswegen können wir beson nen mit der aktuellen Situation umgehen. Dennoch überprü fen wir vor dem Hintergrund der jüngsten Anschläge durch den IS auch in der Türkei oder im Libanon noch einmal, ob es weiteren Nachsteuerungsbedarf gibt. Der Ministerrat hat dem Innenminister gestern einen entsprechenden Auftrag er teilt.

Drei Fehler dürfen wir alle gemeinsam in der derzeitigen La ge nicht machen:

Erstens: Wir dürfen nicht mit Aktionismus und reflexhaften Schnellschüssen reagieren, die nachher in der Sache nichts bringen. Das schafft nur zusätzliche Verunsicherung. Sicher heit und Freiheit in eine gute Balance zu bringen ist die Auf gabe, der wir uns immer wieder neu stellen müssen. Das müs sen wir jetzt mit Bedacht und Besonnenheit, aber auch mit Klarheit angehen.

Zweitens: Wir dürfen die Terroranschläge nicht mit der Flücht lingsdebatte vermengen. Sehr viele – darauf haben alle mei ne Vorredner hingewiesen –, die bei uns Schutz suchen, sind

ja gerade vor dem Terror des IS geflohen, dessen barbarisches Tun wir gerade erlebt haben. Diese Opfer des IS unter Terror verdacht zu stellen wäre perfide und würde sie ein zweites Mal zu Opfern machen.

Schutz für Flüchtlinge zu gewährleisten und Ordnung in die Dinge zu bringen, das ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Drittens: Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Die Menschen feinde vom IS richten ihre Angriffe gegen Muslime, gegen Christen, gegen Konfessionslose. Sie greifen in europäischen wie in muslimischen Ländern an. Die Menschenfeinde vom IS haben Menschen mit Terror und Gewalt aus ihrer syrischen Heimat vertrieben und richten ihren Terror nun auch gegen uns.

Wir müssen geschlossen sein und gemeinsam entschieden ge gen jede Form von Fanatismus und Gewalt eintreten, egal, ob dieser Fanatismus politisch, religiös oder sonst wie begründet wird, und egal, gegen wen er sich richtet. Das ist unsere Auf gabe.

In Krisensituationen wie dieser ist es wichtig, dass unsere Ge sellschaft, dass alle Demokraten zusammenstehen. In Situati onen wie dieser ist es wichtig, dass wir Einigkeit demonstrie ren und nicht kurzfristige parteipolitische Profilierung im Blick haben. Daher möchte ich allen Fraktionsvorsitzenden ausdrücklich herzlich für ihre klaren Worte hierzu in den ver gangenen Tagen und auch heute danken.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Stärke unserer Demo kratie und unserer freien Gesellschaft zeigt sich gerade in Kri sensituationen. Wir sind klar und entschlossen. Wir stehen in dieser schweren Zeit an der Seite unserer französischen Nach barn und Freunde. Wir lassen uns unsere Freiheit nicht neh men. Unsere Antwort auf Terror, Fanatismus und Hass heißt Rechtsstaat und wehrhafte Demokratie, Freiheit und Solida rität.

Lassen Sie mich deshalb mit einem Zitat des früheren norwe gischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg schließen, das mich zutiefst beeindruckt hat. Er hat bei der Trauerfeier für die Opfer der Terroranschläge von Utoya und Oslo folgenden Satz gesagt, den auch wir uns zum Vorbild nehmen können:

Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet: mehr Demokra tie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen und auf der Regierungs bank)

Frau Fraktionsvorsitzende Sitz mann, meine Herren Fraktionsvorsitzenden, wünscht jemand von Ihnen das Wort nach § 82 Absatz 4 der Geschäftsordnung? – Das ist nicht der Fall.

Es liegen auch sonst keine weiteren Wortmeldungen vor. Da mit ist die Debatte beendet und Punkt 1 der Tagesordnung er ledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, des Geset zes über die kommunale Zusammenarbeit und anderer Gesetze – Drucksache 15/7610

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Minister Gall.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen, werte Kollegen! Kommunen – ich denke, da sind wir uns in diesem Haus einig – sind das Fundament unseres Gemeinwesens. Unsere Kommunen nehmen vielfäl tige Aufgaben vor Ort wahr. Die Kommunen entscheiden vor Ort, wie diese Aufgaben am besten wahrgenommen werden können.

Unsere Aufgabe, Aufgabe des Landes ist es, den Kommunen hierfür einen rechtlichen Rahmen zu bieten, der ihnen wei testmögliche Entscheidungsspielräume bei dieser Aufgaben erledigung lässt. Diese Erweiterung der Handlungsspielräu me der Kommunen ist der Kerngedanke unseres Gesetzent wurfs zur Änderung der Gemeindeordnung, des Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit und anderer Gesetze.

(Unruhe – Zuruf: Pst!)

Die beiden zentralen Aspekte des Gesetzentwurf sind zum ei nen die Einführung einer selbstständigen Kommunalanstalt als neue Organisationsform für unsere Kommunen und zum anderen natürlich die Fortentwicklung der Grundlagen der schon bisher bestehenden Möglichkeiten der interkommuna len Zusammenarbeit.

Zunächst aber zur selbstständigen Kommunalanstalt: Diese neue Organisationsform ist, wenn man so will, zwischen ei nem Eigenbetrieb und einem privatrechtlich organisierten Un ternehmen anzusiedeln. Im Vergleich zum Eigenbetrieb ist die selbstständige Kommunalanstalt als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts durch eine weiter gehende Selbstständig keit gekennzeichnet. Im Vergleich zu Unternehmen in Privat rechtsform wird durch die öffentlich-rechtliche Form eine en gere Bindung an die Gemeinde und auch an die Rechtsauf sicht gewährleistet. Zudem bestehen durch die öffentliche Rechtsform die Dienstherrenfähigkeit und die Möglichkeit des Anschluss- und Benutzungszwangs.

Die Kommunen, meine Damen und Herren, liebe Kollegin nen und Kollegen, können somit zukünftig nicht nur wählen, ob eine Aufgabe am sinnvollsten – darauf kommt es letztend lich an – innerhalb der Kernverwaltung, in einem Eigenbe trieb oder z. B. in einer GmbH erledigt wird, sondern haben dann auch noch die selbstständige Kommunalanstalt als Op tion.

Nach allem, was wir wissen und was wir hören, warten die Kommunen – jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil der Kom munen – auf genau diese neue Option.

(Beifall des Abg. Walter Heiler SPD)

Um Ihnen ein konkretes Bild dafür zu geben, wo diese neue Organisationsform in die Lebenswirklichkeit umgesetzt wer den könnte: Vielfach hören wir aus dem kommunalen Bereich, dass die Abfallwirtschaft hierfür ein geeignetes Beispiel wä re. Wir haben in Baden-Württemberg nicht selten gerade im

Bereich der Abfallwirtschaft eine zweigeteilte Organisation; künftig könnte es einheitlich organisiert werden. So könnte nämlich beispielsweise die Abfallentsorgung im klassischen Sinn mit den Aufgaben, die mit den Abfallgebühren zusam menhängen, zusammengeführt werden.

Wir haben starke Kommunen – wer möchte dies bezweifeln? –, aber es kann – da sind wir uns, hoffe ich jedenfalls, auch einig – nicht jede Kommune alle Aufgaben am besten allein erledigen. Interkommunale Zusammenarbeit ist deshalb in Ba den-Württemberg durchaus gute Tradition und Gepflogenheit. Denn es wurde längst erkannt, dass hierin Chancen liegen, Aufgaben der Kommunen durch überörtliche Konzepte, durch bessere Abstimmungen erfolgreicher, bürgernäher und natür lich auch wirtschaftlicher erledigen zu können.

Aber auch die allgemeine Entwicklung, meine Damen und Herren, spricht für die interkommunale Zusammenarbeit, ge rade in Zeiten von Globalisierung, wenn es darum geht, har te Standortwettbewerbe auch auf der kommunalen Ebene zu bestehen. Das Zusammenwachsen Europas mit immer neuen Herausforderungen für die einzelnen Kommunen, den demo grafischen Wandel, auch die Flüchtlingskrise und die Flücht lingslage will ich in diesem Zusammenhang nennen. Notwen digkeiten in den Bereichen Bildung, Verkehr, Wohnungsbau, Infrastruktur insgesamt erfordern hier einfach, dass wir diese bisherigen Möglichkeiten optionieren, ausbauen und verbes sern.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Wir passen daher das Gesetz über kommunale Zusammenar beit, welches in über 40 Jahren nur geringfügig verändert wor den ist, an die heutigen Herausforderungen an. Dazu werden die bewährten Formen der öffentlich-rechtlichen Zusammen arbeit fortentwickelt, aber auch neue Formen ermöglicht.

Die bewährten Formen – beispielsweise der Zweckverband, die öffentlich-rechtliche Vereinbarung – sind für die Beteilig ten bisher nur für die Erfüllung von bestimmten Aufgaben zu lässig, nicht jedoch zur bloßen Durchführung von Aufgaben unter Belassung der Zuständigkeit in der einzelne Kommune, unter Belassung der Verantwortung bei den ursprünglichen Aufgabenträgern.

Das ändern wir jetzt durch das im Entwurf vorliegende Ge setz. Das heißt, beim Zweckverband dürfen auch zukünftig die Durchführungsaufgaben natürlich kein Übergewicht er langen, um die Rechtsnatur des Zweckverbands nicht unzu lässig zu verändern, aber es ist, wie gesagt, zukünftig in Teil bereichen machbar.

Ferner werden künftig die Vereinigung von Zweckverbänden sowie die Eingliederung eines Zweckverbands in einen ande ren ermöglicht. Damit haben wir ebenfalls einem Wunsch der kommunalen Seite entsprochen.

Mit der Einführung einer gemeinsamen Dienststelle wird schließlich ein Rechtsinstitut eingeführt, das den Gemeinden, aber auch den Landkreisen für die gemeinsame Aufgabendurch führung einen verlässlichen Rahmen gibt. Dies steht den unte ren Verwaltungsbehörden bereits seit dem Jahr 2005 nach dem Landesverwaltungsgesetz für diesen Zweck zur Verfügung.

In konsequenter Folge der Einführung der selbstständigen Kommunalanstalt für die einzelne Kommune wird die gemein

same selbstständige Kommunalanstalt das Spektrum der öf fentlich-rechtlichen Formen der interkommunalen Zusammen arbeit noch mehr erweitern.

Wie eingangs angeführt, meine Damen und Herren, ist es Auf gabe des Landes, ist es Aufgabe von uns, den rechtlichen Rah men zu schaffen, damit die Kommunen im Sinne der kommu nalen Selbstverwaltung über die geeignete Art ihrer Aufga benwahrnehmung vor Ort entscheiden können. Sowohl durch die Einführung der selbstständigen Kommunalanstalt wie auch durch die Modernisierung der interkommunalen Zusammen arbeit schaffen wir für die Kommunen einen geeigneten und vor allem einen zeitgemäßen Rahmen.

Abschließend möchte ich Sie noch auf die in diesem Gesetz entwurf ebenfalls enthaltene Änderung des Landtagswahlge setzes aufmerksam machen. Nachdem zwischenzeitlich zwei Landesverfassungsgerichte Regelungen zur Reihenfolge der Wahlvorschläge in den Wahlbekanntmachungen und auf den Stimmzetteln, wie sie auch in unserem Landtagswahlgesetz bestehen, für verfassungswidrig erklärt haben, werden diese Regelungen jetzt zur Vermeidung jeglichen verfassungsrecht lichen Risikos für die Landtagswahl am 13. März des kom menden Jahres mit dem Bundestagswahlrecht harmonisiert. Diese Änderung muss noch in diesem Jahr in Kraft treten, da bereits ab dem 9. Januar 2016 Bekanntmachungen und der Druck der Stimmzettel erfolgen. Eine danach erfolgende Rechtsänderung würde die Rechtmäßigkeit der gesamten Landtagswahl aufs Spiel setzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade aus den von mir angesprochenen Gründen bitte ich Sie nach der Beratung um Zustimmung zu den beabsichtigten Änderungen. Es wäre schön, wenn wir im Innenausschuss und in der Zweiten Be ratung hier im Plenum dieses Gesetz in großer Einmütigkeit verabschieden könnten.