Salomon warnte davor, die Flüchtlingsfrage zum Gegen stand von parteipolitischen Auseinandersetzungen mit Blick auf die Landtagswahl zu machen.
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Die Flüchtlingsbewegungen in Europa, Deutschland, auch in Baden-Württemberg lassen sich nur ge meinsam lösen oder gar nicht. Das ist deutlich geworden durch die Besprechungen der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin bzw. der Bundesregierung. Das ist auch durch die Resolution deutlich geworden, die wir in der letz ten Woche gemeinsam verabschiedet haben, und es wird deut lich, wenn auf Landesebene die Landesregierung mit den Kommunen und allen Akteuren, die mit diesem Thema be fasst sind, zusammenarbeitet.
Deshalb ist es zunächst einmal gut, festzuhalten, dass alle Fraktionen in diesem Haus hinter den gemeinsam getroffenen Beschlüssen dieser Ministerpräsidentenkonferenz stehen.
Ich bin dem Ministerpräsidenten dankbar, dass seine Regie rungserklärung von dem Gedanken getragen war, dass die Lö sungen, die wir brauchen, nur gemeinsam gefunden, entwi ckelt und umgesetzt werden können. Demgegenüber, muss ich sagen, hat sich die Diskussion jetzt ein bisschen sehr ins Kleinkarierte, ins kleine Karo verstrickt. Ich frage mich, ob die Menschen, die uns jetzt im Fernsehen zuschauen, wirk lich den Eindruck haben, dass wir an der Lösung dieser gro ßen Herausforderungen interessiert sind, oder ob sie den Ein druck gewinnen, wir seien eher interessiert an dem Versuch, dem anderen irgendetwas ans Bein zu binden – und wenn es noch das Kleinste ist.
Ich will einmal ein Beispiel nennen. Sie haben uns vorgewor fen, Herr Kollege Wolf, wir hätten im Jahr 2011 in der Koa litionsvereinbarung bei der Versorgung der Asylbewerber und Flüchtlinge das Geldleistungsprinzip vor das Sachleistungs prinzip gestellt. Ja, das ist richtig. Sie haben aber nicht dazu gesagt, dass wir 2011 4 000 Flüchtlinge und Asylbewerber pro Jahr in Baden-Württemberg hatten
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist eine prin zipielle Frage! – Zuruf von der SPD: Ganz andere Vo raussetzung!)
und dass wir damals mit 600 belegten Erstunterbringungsplät zen ausgekommen sind. Das war eine ganz andere Welt. Des halb war es natürlich auch richtig, dass unsere gemeinsame Regierung in Berlin im Jahr 2013 die Zahlung von 140 € Ta schengeld in das Asylbewerberleistungsgesetz hineingeschrie ben hat. Das war auch noch eine andere Welt. Jetzt können Sie doch nicht so tun, als sei die damalige Entscheidung – 2011 oder 2013 – eine Antwort auf die Fragen, die wir heute beantworten müssen. Deshalb ist es untauglich und unsäglich, zu versuchen, den anderen mit irgendetwas ranzukriegen, nur um einen kleinen taktischen Vorteil zu bekommen.
Das war jetzt nur ein Beispiel. Ich will mich jetzt gar nicht in anderes verstricken, sonst würde ich ja das fortsetzen, was ich beklage – dass wir uns im Kleinkarierten verzetteln.
Ich möchte eine Vorbemerkung machen und dann drei Gedan ken aufgreifen, von denen ich glaube, dass wir sie gemeinsam weiterdiskutieren müssen.
Der erste Gedanke – der Ministerpräsident ist gerade nicht da, aber ich muss es vorweg sagen; ich habe aber auch Verständ nis, wenn man nach ein paar Stunden mal rausmuss; da darf man auch nichts sagen –: Ich habe gesagt, ich bin sehr einver standen mit der Regierungserklärung. Aber es gibt einen Punkt, in dem ich entschieden widersprechen möchte: Nicht gelungene Integration in ein linkes oder rechtes Lager zu schieben scheint mir ein bisschen kurz gesprungen. Wenn man die Frage stellt, weshalb nach dem Krieg die Integration von zwölf Millionen Heimatvertriebenen und Flüchtlingen gelun gen ist – da gab es am Anfang auch große Aufnahmeproble me, aber es ist nach relativ kurzer Zeit gut gelungen –, dann gibt es eine ganz klare Antwort: Es war klar, dass diese Per sonen bei uns bleiben und zu uns gehören.
Diese Grundlage hat dafür gesorgt, dass die Integration der Heimatvertriebenen und der Flüchtlinge nach dem Krieg aus gesprochen gut gelungen ist. Wie wir alle wissen, haben die Flüchtlinge und die Heimatvertriebenen ihren großen Anteil am Wirtschaftswachstum, am Aufbau unserer Republik und an dem Wohlstand, den wir heute genießen.
Im Gegensatz dazu steht die Frage der Integration der soge nannten Gastarbeiter. Die Integration in die Arbeitswelt ist zwar gelungen, aber über viele Jahrzehnte nicht die Integrati on in die Gesellschaft – jedoch nicht deswegen, Herr Minis terpräsident, weil irgendein linkes Lager meinte, man müsste da Laisser-faire machen, sondern weil es ein beiderseitiges Missverständnis gab.
Zum einen bestand ein Missverständnis aufseiten der Gastar beiter. Sie dachten, dass sie nur für eine vorübergehende Zeit hier sind und dann wieder heimkehren. Man muss sich ein mal die Filme dazu anschauen. Als nach dem Anwerbeabkom men die türkischen Gastarbeiter kamen und gefragt wurden, was sie nun vorhätten, haben die meisten – natürlich auf Tür kisch – gesagt: „Ich schaffe hier zwei Jahre, dann nehme ich das Gewonnene und mache eine Werkstatt in der Türkei auf.“ Als wir in Ludwigsburg das Jubiläum gefeiert haben, saßen viele von denen am Tisch, die das vor 50 Jahren gesagt haben.
Zum anderen bestand aber auch das Missverständnis auf der Seite der deutschen Gesellschaft und der deutschen Politik, dass es sich hierbei nicht um Einwanderung handelt, sondern um einen vorübergehenden Aufenthalt, und man deshalb auch keine großen Integrationsanstrengungen machen müsse. Die ses doppelseitige Missverständnis hat sozusagen die Integra tion der Gastarbeitergeneration über Jahre verzögert. Wir sind heute in großen Schritten dabei, das aufzuholen. Deshalb ha ben wir auch ein Integrationsministerium. Wir sind noch nicht am Ende, aber wir sind auf einer „Gelingensspur“.
Die Schlussfolgerung, die wir daraus gezogen haben, ist doch genau die, dass wir bei den Flüchtlingen und Asylbewerbern, bei denen wir davon ausgehen müssen und wollen, dass sie auf lange Zeit oder auf Dauer hier bleiben, dass ihre Kinder hier geboren werden und dass sie auch bis ins Rentenalter hier bleiben, die Integrationsanstrengungen von Anfang an ganz
Dies geschieht aus der Erfahrung heraus, dass damals entspre chende Anstrengungen unterlassen wurden, als man irrtüm lich davon ausging, die Gastarbeiter blieben nur vorüberge hend hier.
Deshalb ist es gut, wenn wir uns alle hinter dieses Thema stel len. Ich habe auch den Eindruck – das möchte ich an dieser Stelle unterstreichen –, dass wir alle Anstrengungen auf Bun des-, Landes- und Kommunalebene, in der Gesellschaft, mit den Akteuren der Gesellschaft unternehmen, um diejenigen, bei denen wir davon ausgehen, dass sie auf Dauer hier blei ben, bei uns zu integrieren.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie der Abg. Guido Wolf und Karl-Wilhelm Röhm CDU)
Jetzt möchte ich zwei Themen herausgreifen. Das eine ist das Thema Wohnen. Herr Kollege Wolf, Sie haben das Beispiel angesprochen: Der Gemeinderat der Gemeinde Eschbach hat beschlossen, einer Mieterin, die seit 23 Jahren in einer Ge meindewohnung wohnt, zu kündigen mit dem Hinweis, dass diese Wohnung jetzt für Flüchtlinge gebraucht wird. Ich möchte an dieser Stelle sagen – ich hoffe, das ganze Haus un terstreicht das –: Es geht gar nicht, dass man einheimischen Mietern die Wohnung kündigt mit der Begründung, man brau che diese Wohnung für Flüchtlinge. Das geht gar nicht!
Deshalb hoffe ich, dass die kommunalen Landesverbände mit ihren Gemeinden, den Gemeinderäten und den Bürgermeis tern darüber sprechen, dass solche Signale, die ja genau der Befürchtung Nahrung geben, dass es jetzt den Einheimischen schlechter gehe – weil man nicht nur eine Wohnung, die man anstrebt, vielleicht nicht bekommt, sondern vielleicht sogar die eigene Wohnung gefährdet ist –, falsch sind.
Ich habe tatsächlich E-Mails von Mietern von Gemeindewoh nungen aus der Stadt Ludwigsburg bekommen, die fragen, ob das auch dort möglich sei. Das heißt, da werden Ängste ge schürt und verbreitet. Deshalb eine ganz klare Absage an ei ne Gemeindepolitik, bei der man das Problem damit lösen will, dass man die einheimischen Mieter aus den gemeinde eigenen Wohnungen verdrängt. Das geht überhaupt nicht!
Ich bin sehr froh, dass wir schon seit Jahren die Mittel für die Wohnungsbauförderung des Landes, für die Sozialmietwoh nungsförderung erhöht haben, sodass deutlich wird: Wir kom men nicht erst jetzt – weil die Flüchtlinge vor der Tür stehen – darauf, dass wir mehr sozialen Wohnungsbau brauchen.
Wir können jetzt bei den vermehrten Anstrengungen, die not wendig sind, auf ein Sozialwohnungsbauprogramm mit stark gestiegenem Volumen aufsetzen, das schon für die einheimi sche Bevölkerung notwendig war, aber mit Blick auf die Flüchtlinge und Asylbewerber, die jetzt zu uns kommen, noch einmal deutlich ausgeweitet werden muss. Wir werden natür lich die Bundesmittel on top 1 : 1 in den Haushalt einstellen, um deutlich zu machen, dass wir diese auch dazu verwenden, mehr Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Es ist natürlich ein Scheinproblem, das da aufgeworfen wur de, wenn es heißt, man müsse auch die Privaten aktivieren. Ja, selbstverständlich. Im letzten Regierungsjahr von SchwarzGelb wurden in Baden-Württemberg 25 000 Wohnungen fer tiggestellt. Das war eine permanente Abwärtsbewegung. Von Jahr zu Jahr wurden es weniger, und in Ihrem letzten Regie rungsjahr waren es 25 000 Wohnungen.
Wir sind in der Zwischenzeit bei 35 000 Wohnungen ange kommen. Das ist natürlich zu einem Teil auch der stärkeren Mietwohnungsförderung des Landes geschuldet, auch der Mietwohnungsförderung unserer Förderbank, der L-Bank. Aber es ist natürlich in viel stärkerem Maß den privaten In vestoren zu verdanken,
die erkennen: Wenn es Wohnungsbedarf gibt, dann ist die In vestition in Wohnungen natürlich auch eine ausgezeichnete Anlageform. Deshalb werden aktuell 35 000 Wohnungen pro Jahr fertiggestellt. Unser Ziel ist es, in allerkürzester Zeit auf 45 000 Wohnungen in Baden-Württemberg zu kommen
und dieses Niveau auf Dauer zu halten, damit wir jedem ei nen angemessenen Wohnraum verschaffen können, Einheimi schen wie Flüchtlingen und Asylbewerbern, die zu uns kom men.
(Beifall bei der SPD und der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Zinsmarkt!)
Herr Kollege Wolf, Sie haben kritisiert, da gebe es jetzt auch einen Wohnungsbaugipfel. Natürlich gibt es den Wohnungs baugipfel. Denn für den Wohnungsbau sind zwei Dinge not wendig: Notwendig ist zum einen ein Finanzvolumen vom Staat, ein Finanzvolumen von Privaten, der Einsatz unserer Förderbank, der L-Bank. Aber zum anderen muss auch gebaut werden, und zwar nicht erst in fünf Jahren, sondern im nächs ten und im übernächsten Jahr. Das heißt, wir brauchen eine Beschleunigung, und deshalb brauchen wir natürlich Woh nungsbauflächen. Daher muss sich der Wohnungsbaugipfel auf Flächen konzentrieren,
die einerseits verfügbar sind, andererseits aber von den poli tisch Verantwortlichen gewollt sind. Es macht doch keinen Sinn, Wohnungsbauschwerpunkte auszuweisen, die dann kommunalpolitisch auf Widerstand stoßen; denn dann passiert überhaupt nichts. Es macht aber auch keinen Sinn, Wohnungs bauschwerpunkte auszuweisen, bei denen die Eigentümer nicht mitmachen, bei denen das Gelände gar nicht verfügbar ist. Um diese beiden Punkte zu identifizieren und mit den Ak teuren zu erörtern, wo wir in den nächsten Jahren wirklich die Flächen bebauen können, um auf 45 000 Wohnungen zu kom men, dazu dient der Wohnungsbaugipfel.
Dann reden wir einmal darüber, ob wirklich jeder Laufkäfer ein Projekt noch einmal um ein oder zwei Jahre verzögern muss oder ob man da nicht zu schnelleren Verfahren kommen kann.