Protocol of the Session on April 29, 2015

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Hermann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her ren! Ich bin gerade für die letzten beiden Redebeiträge sehr dankbar, weil die Debatte damit auch differenziert geführt worden ist.

(Zuruf des Abg. Thaddäus Kunzmann CDU)

Ja, und zwar ganz eindeutig und mit Argumenten. Ich will einige Punkte, die vonseiten der Opposition gerade vorgetra gen worden sind, noch einmal deutlich relativieren.

Ich musste die Verwaltung des Landesverkehrsministeriums Baden-Württemberg nicht vom Gigaliner abbringen. Vielmehr waren die Bedenken im Haus, bei den Experten im Verkehrs ministerium, gegen die Gigaliner vorhanden – eben aus Grün den der Verkehrssicherheit und der Infrastrukturbelastung. Sie tun jetzt so, als wären Sie dem Feldversuch damals mit Feu er und Flamme beigetreten und hätten keine Bedenken dage gen gehabt.

Richtig ist – das hat Herr Haller sehr gut ausgeführt –, dass innerhalb des Speditionsbereichs, innerhalb der Branchen und übrigens auch innerhalb der Wirtschaft seit Jahren hochum stritten ist: Mit welchen Gefäßen transportiert man die Waren, und sind Gigaliner dafür eine richtige Antwort?

Wenn eine Debatte so strittig geführt wird, dann finde ich es ziemlich lernunfähig, würde ich einmal sagen, wenn man so tut, als gäbe es nur eine Meinung, nie verschiedene Positio nen. Ich finde es auch überhaupt nicht anrüchig, wenn Politik bei Vorliegen neuer Informationen nachdenkt und gegebenen falls auch die Positionierung ändert. Das zählt für mich zum Wesen guter Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Ich sage ganz deutlich: Ja, wir nehmen an diesem Feldversuch jetzt teil – unter sehr begrenzten Bedingungen und auch nur auf sehr begrenzten Strecken. Wir haben eine klare Vereinba rung: Wir öffnen nicht das ganze Netz. Vielmehr sind wir, nachdem die Debatte anlässlich des Zwischenberichts noch mals aufgekommen ist, nachdem die Wirtschaft auch mit uns das Gespräch gesucht und deutlich gemacht hat: „Es sind doch neue Erkenntnisse vorhanden. Warum macht ihr das nicht?“, zusammengekommen und haben gesagt: Wir sind weiterhin skeptisch, ob das zutrifft.

Weiterhin haben wir die Frage: Wird das Ganze einen positi ven oder einen negativen Klimaschutzeffekt haben? Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Klimaschutz so einfach wä re, dass Sie den Effekt über einen Dreisatz ausrechnen könn ten, brauchten wir keine Wissenschaft. Wenn es so einfach wäre, dass man nur Lkws zählen müsste und dann schon wüss te, was herauskommt, brauchten wir keine Wissenschaft.

Sie brauchen hier nicht immer wissenschaftliche Beratung ir gendwie lächerlich zu machen. Es täte Ihnen gut, wenn Sie sich ab und zu solcher Ratschläge bedienen würden.

(Abg. Jörg Fritz GRÜNE: Ob das was hilft?)

Denn es ist doch ganz offenkundig, dass man mehr wissen muss als die Antwort auf die Frage, wie viele Lkws fahren. Ich muss wissen: Wie ist die Auslastung, wie sind die Wege, wie sind die Verlagerungseffekte, wie ändert sich die Logis tikkette, hat das Ganze einen langfristigen Verlagerungseffekt weg von der umweltfreundlichen Schiene hin zur Straße? All das sind Fragen, die man klären muss, die man auch wissen schaftlich klären muss.

Ich möchte Ihnen einmal eines sagen: Wenn ich als Minister meinem Haus den Auftrag geben würde, das einmal zu beur teilen, würden Sie nur lachen, weil Sie sagen würden: „Das ist doch eine interessengeleitete Beurteilung.“

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Umgekehrt: Wenn die Wirtschaft ihrerseits käme und sagen würde: „Wir haben aber wissenschaftlich bewiesen, dass al les gut ist“, würde das auch niemand glauben.

Jetzt sind wir einen Schritt weiter. Denn zum ersten Mal hat sich ein Unternehmen, nämlich Daimler, bereit erklärt – als Hersteller dieser Lkws –, auf einem definierten Feld, wissen schaftlich begleitet, untersuchen zu lassen, ob tatsächlich CO2

eingespart wird, wie die Auslastung dieser langen Lkws ist, ob sie z. B. leer zurückfahren oder nicht leer zurückfahren, ob sie zu 70 oder zu 80 % beladen sind. All dies sind Fragen, die wir bisher nicht klären konnten und die übrigens auch die BASt mit ihrer Studie nicht klären konnte. Da sind wir wirk lich einen Schritt weiter.

Insofern glaube ich, dass unsere Vereinbarung, das Ganze wis senschaftlich untersuchen zu lassen, ein Beitrag zur Versach lichung dieser Debatte ist, die seit Langem ziemlich unsach lich abgelaufen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr richtig!)

Kommen wir einmal zu der BASt-Untersuchung. In sie ist vie les hineininterpretiert worden. Aber ich muss schon einmal sagen: Der Versuch läuft erstens über fünf Jahre, und wir ha ben nur einen Zwischenbericht. Es handelt sich also nicht um einen Endbericht, und es kann noch kein abschließendes Ur teil gefällt werden.

(Abg. Marcel Schwehr CDU: Ich habe nichts ande res gesagt!)

Zweitens hat die BASt in ihrem Zwischenbericht eine Reihe von Punkten aufgelistet, die eher besser sind als erwartet, und andere Punkte dargestellt, die noch gar nicht geklärt sind. Bei spielsweise steht ganz eindeutig darin: Die ursprünglich er warteten großen verkehrstechnischen Probleme – etwa dass die Kreisverkehre nicht ausreichend breit sind, dass die Stra ßen nicht breit genug sind oder dass die Lkws die Kurven nicht kriegen – scheinen nicht so schwierig zu sein. Es wur de bewusst hineingeschrieben, dass man es noch nicht sicher weiß, es aber leichter als gedacht sein könnte.

Andere Punkte – auch das haben sie gesagt – sind nicht ge löst und vermutlich auch nicht ohne Weiteres und ohne Inves titionen lösbar, weil Infrastruktur – z. B. Straßen, Tunnel, Nothaltebuchten oder Raststättenparkplätze – gar nicht auf dieses Format ausgelegt sind. Das heißt, wenn diese Lkws dauerhaft ein sicheres Transportmittel sein sollen, müssten all diese Investitionen getätigt werden. Das sind Beispiele für of fene Fragen.

Jetzt komme ich noch einmal zur CO2-Bilanz. Die BASt sagt dazu ganz eindeutig: „Wir untersuchen diese Frage nicht mit sehr viel Tiefe.“ Übrigens ist die Frage der Verlagerung nicht Teil des Gutachtens. Damit ist völlig klar, dass unser Ansatz, solche Fragen zu bearbeiten, völlig berechtigt ist. Denn die BASt bildet das so nicht ab.

Wenn ich Ihnen Folgendes sagen darf: Der Herr, der zuständig ist und dieses Projekt leitet, hat mich dazu beglückwünscht, dass Baden-Württemberg diesen Modellversuch macht. Er hat gesagt: „Es ist gut, dass Sie diese Lücke schließen. Wir erklä ren uns bereit, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Denn auch wir haben ein Interesse daran, dass diese Fragen endlich eindeu tig geklärt werden.“

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Kommen wir zu der Behauptung, wir würden damit nur für Daimler etwas machen und hätten die anderen nicht gefragt. Tatsache ist: Nachdem die Debatte öffentlich geworden ist,

haben sich unglaublich viele gemeldet. Wenn wir dem nach gegangen wären, hätten wir das ganze Netz in Baden-Würt temberg freigeben können. Dies wäre jedoch verantwortungs los gewesen, weil man sich die Infrastruktur natürlich genau daraufhin ansehen muss, wo es überhaupt geht. Es geht näm lich nicht überall. Man muss die Umsetzbarkeit vorher mit der Polizei, dem Regierungspräsidium usw. überprüfen.

Eindeutig ist: Nicht wir haben gesagt, sondern der Bund hat gesagt: „Bis zum 10. April müssen Strecken für die nächste Änderungsverordnung angemeldet werden.“ Daher war es uns nicht mehr möglich, ein umfassendes Beteiligungsverfahren durchzuführen. Ich hätte einmal hören wollen, was Sie, wenn wir ein umfassendes Beteiligungsverfahren durchgeführt hät ten und die Frist abgelaufen wäre, zu uns gesagt hätten.

Es war also richtig, dass wir unter Zeitdruck gehandelt haben. Wir haben gegenüber der Wirtschaft gesagt: „Es bleibt nicht viel Zeit.“ Wir haben auch gesagt: „Wir können nur eine kur ze Liste und nicht eine lange Liste vorlegen.“

Die kurze Liste, die wir gemeldet haben, sieht nun so aus: Wir melden beim Bund erstens die A 81 von der bayerischen Gren ze bis Herrenberg, zweitens die A 8 von der bayerischen Lan desgrenze bis Karlsruhe, drittens die A 5 von Karlsruhe bis Rastatt und einige kürzere Zuliefererstrecken an.

Außer Daimler sind auch ein anderes Großunternehmen und eine Spedition beteiligt. Es ist also nicht ausschließlich Daim ler beteiligt, und die Strecken sind genau definiert.

Nun zu der Frage der FDP/DVP, wie glaubwürdig ich bin. Ob Sie es glauben oder nicht: Wir haben die Liste mit den Anmel dungen am 10. April eingereicht. Es ist Ihre Frage, ob Sie sich der Wirklichkeit stellen oder nicht. Tatsache ist: Wir haben das angemeldet.

Ich will auch einige Gedanken aufgreifen, die von verschie denen Seiten angesprochen worden sind. Die eigentliche He rausforderung dieser Debatte liegt nicht in der Frage, wie lang Lkws sein dürfen, die bei uns auf die Straße gebracht werden. Die gesamte Branche und alle Leute, die sich in diesem Be reich auskennen, wissen ganz genau, dass man, selbst wenn die Gigaliner am Ende dieser Untersuchung positiv bewertet würden, vielleicht 5 % der Lkw-Verkehre im Land damit ab wickeln könnte. Man könnte damit also nicht wirklich die Transportprobleme auf unseren Straßen und nicht wirklich die Klimaschutzfragen lösen. Dazu brauchen wir eigentlich mehr.

Die Frage lautet im Grunde genommen: Wie schaffen wir es, das ständig wachsende Transportaufkommen auf unseren Stra ßen, das auch durch unser Konsumverhalten und unser Wirt schaften ausgelöst wird, dauerhaft nachhaltig zu organisieren – ohne Umweltschaden, ohne Klimaschaden? Es sollte doch wenigstens darüber ein Konsens möglich sein, dass das die Herausforderung ist. Dabei kann ein längerer Lkw nur ein kleiner Beitrag sein.

Viel entscheidender ist doch die Beantwortung der Frage, wie wir es schaffen, dass mehr Verkehr auf die Schiene verlagert wird, dass mehr Verkehr auf die Binnenschiffe verlagert wird, und wie wir das Ziel, wenigstens 30 % des Güterverkehrs auf die Schiene zu bringen, erreichen können. Dieser Anteil liegt in Baden-Württemberg deutlich unter 20 %. Das 30-%-Ziel

ist nicht nur das Ziel dieser Regierung, sondern auch das Ziel der Bundesregierung und auch das Ziel der Europäischen Kommission. Am Erreichen dieses Ziels müssen wir doch ar beiten.

Ich will auch den Punkt aufgreifen, den Herr Schwarz ange sprochen hat. Mich besorgt es – – Sie haben mich anfangs im mer damit angegriffen, dass ich mich nicht um den Neckar schleusenausbau kümmern würde. Inzwischen schreibt uns der Bund, dass er erstens die Schleusen nicht verlängert und es zweitens mit der Sanierung ohne die Verlängerung wahr scheinlich bis 2045 dauert. Dies ist ein glatter Bruch der Ver waltungsvereinbarung, die übrigens Sie vor vielen Jahren mit dem Bund getroffen haben. Nichts passiert. Ich höre auf Bun desebene keine Kritik. Ich habe noch keinen Brief gelesen, in dem einer von Ihnen einmal den Bundesverkehrsminister oder den Bundesfinanzminister in dieser Sache angegriffen hätte.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Wir pflegen einen ande ren Stil, Herr Minister! – Weitere Zurufe von der CDU)

Die Herausforderungen sind doch: Verlagerung auf die Was serstraße, Verlagerung auf die Schiene.

(Beifall bei den Grünen)

Wir müssen uns auch einmal darüber Gedanken machen, wie es eigentlich kommt, dass seit vielen Jahren jeder Verkehrs minister – egal, welcher Partei er angehört, welcher politi schen Couleur er ist – für sich den Anspruch hat: „Wir müs sen mehr Verkehr auf die Schiene und auf die Wasserstraße verlagern“, der Trend aber seit Jahrzehnten genau andersher um ist. Warum ist das so? Darüber muss man sich doch ein mal Gedanken machen.

Eine wesentliche Ursache ist, dass der Güterverkehr auf der Straße in den letzten Jahrzehnten im Vergleich zu dem auf der Schiene deutlich verbilligt worden ist. Übrigens ist der Güter verkehr auf der Straße auch besser, flexibler als der auf der Schiene geworden. Der Schienengüterverkehr ist von der Deutschen Bahn systematisch vernachlässigt worden. Viele Terminals sind abgebaut worden. Das sind doch die Ursachen: Verbilligung des Güterverkehrs auf der Straße, schlechte An gebote für den Güterverkehr auf der Schiene. Wenn wir das nicht ändern, wird uns eine umweltfreundliche Verlagerung nicht gelingen.

Ich erwarte von der Bundesregierung eine Offensive in Sa chen Schienengüterverkehr und Ausbau des Schienengüter verkehrs.

Das Umweltbundesamt hat vor einigen Jahren einmal aufge listet, was man mit vergleichsweise wenig Geld erreichen könnte, um den Schienengüterverkehr deutlich leistungsfähi ger zu machen, als er heute ist.

Wir bräuchten übrigens auf europäischer Ebene auch endlich Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von Lkws. Wir brauchen auch faire Kostenbedingungen. Heute zahlt man auf der Schie ne – egal, auf welcher Strecke man fährt, und sei es eine noch so kleine Nebenbahn – Schienenmaut. Aber für den Lkw zahlt man nur auf der Bundesautobahn Maut, jetzt auch etwas auf einigen Bundesstraßen und vielleicht langfristig auf mehr

Bundesstraßen. Notwendig wäre es, für Lkws auf allen Stra ßen zahlen zu müssen. Dann wären die Rahmenbedingungen ungefähr gleich,

(Zurufe der Abg. Nicole Razavi und Winfried Mack CDU)

und dann wäre auch eine Voraussetzung für eine Verlagerung geschaffen.