Der Gipfel der Diskussion ist, wenn hier behauptet wird, die baden-württembergische Wirtschaft müsse ein Eigeninteres se an diesem Gesetz haben, weil die baden-württembergische Wirtschaft nicht von selbst auf die Idee komme, ihre Beschäf tigten zu qualifizieren; da brauche es eine grün-rote Landes regierung dazu, um das der Wirtschaft zu erklären.
Nein, meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist von Anfang bis Ende verfehlt, und im Falle eines Regierungswechsels muss dieses Gesetz wieder weg, und zwar vollständig.
(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Manfred Lucha GRÜNE: Katholisches Bil dungswerk! Wo sitzen die Freunde?)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Beschäftigten im Land BadenWürttemberg.
Auch wenn sie auf diesen Tag lange warten mussten, steht fest: Das Warten hat sich gelohnt. Denn heute können wir ein zeitgemäßes
und ausgewogenes Bildungszeitgesetz beschließen, das unse rem modernen Standort im 21. Jahrhundert gerecht wird. Wir setzen neue Maßstäbe für gute Arbeit, für lebenslanges Ler nen und für die Fachkräftesicherung in unserem Land. Wir stärken so den sozialen Zusammenhalt in Baden-Württem berg.
Wir kommen unserer völkerrechtlichen Verpflichtung nach. Ich kann an dieser Stelle allen verfassungsrechtlich interes sierten Kollegen der Opposition zurufen: Es gibt keinen Kom petenzirrtum bei der Gesetzgebung. Diesen Vorwurf haben Sie inzwischen zurückgenommen. Es ist Sache der Länder, diesen völkerrechtlichen Anspruch in ein eigenes Landesge setz umzusetzen. Genau das haben wir getan. Wir haben auch einen entsprechenden Ausgestaltungsspielraum, den wir durch aus auch im Sinne der Wirtschaft genutzt haben. Tatsache ist aber: Wir wollten nicht noch einmal 40 Jahre auf die Bundes gesetzgebung in Berlin warten.
Denn Abwarten bringt unser Land nicht voran. Deswegen ha ben wir gehandelt und sorgen für frischen Wind in der Wei terbildung.
Weiterbildung hat in unserem Land – das ist zu Recht von al len Rednern festgehalten worden – Tradition. Das stellt auch niemand hier infrage, ebenso wenig, dass die Arbeitnehmer in Baden-Württemberg bereits sehr viel für Weiterbildung tun. Diese große Leistung unserer Wirtschaft erkennen wir an und sagen herzlich Danke schön.
Wir wissen aber auch, dass wir noch mehr für Weiterbildung tun müssen. Deshalb haben wir – Kollege Fritz hat zu Recht darauf hingewiesen – die Landesmittel für Weiterbildung deut lich erhöht. Deshalb haben wir die ESF-Mittel für Weiterbil dung eingesetzt, für sogenannte Fachkurse.
Wir machen genau das Gleiche wie Bayern. Wir nehmen ESFMittel so in Anspruch, wie sie uns zustehen, und setzen sie auch für Weiterbildung ein. Die Fachkursteilnehmer in Ba den-Württemberg danken es uns.
Wir müssen noch mehr für Weiterbildung tun, indem wir das Bildungszeitgesetz verabschieden. Denn es ergänzt die beste henden Weiterbildungsmöglichkeiten absolut sinnvoll. Es sorgt dafür, dass unser Standort stark und attraktiv bleibt. Ich sage ganz bewusst: Jawohl, es stärkt auch die Sozialpartner schaft in unserem Land, die Grundlage für den wirtschaftli chen Erfolg und den sozialen Zusammenhalt in Baden-Würt temberg.
Ohne fitte Fachkräfte wird uns all dies nicht gelingen. Des halb geht es nicht nur darum, fachlich fit zu bleiben, sondern auch darum, leistungsfähig zu bleiben. Untersuchungen be stätigen: Wer sich neben dem Job engagiert, kann auch in der Arbeit mehr leisten und ist weniger anfällig für Stress und für Krankheiten. Deswegen ist mehr Weiterbildung ein Gewinn für jeden Einzelnen, ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft und vor allem ein Gewinn für den Standort Baden-Württem berg.
Die Beschäftigten bekommen die Chance, sich über ihre be triebliche Tätigkeit hinaus auch beruflich und politisch wei terzubilden. Sie bekommen die Chance, sich für ehrenamtli che Tätigkeiten zu qualifizieren – eine Forderung aller großen ehrenamtlichen Organisationen in Baden-Württemberg, ange fangen beim Sport über die Musikvereine bis hin zu den Land frauen. Wir wollen auch in Zukunft Ehrenamtsland Nummer 1 bleiben, und dazu brauchen wir gerade die Qualifizierung von Ehrenamtlichen in Baden-Württemberg.
Fortbildung im Sinne dieses Bildungszeitgesetzes ist gerade nicht auf den konkreten Arbeitsplatz beschränkt. Beschäftig te bekommen die Möglichkeit, über den Tellerrand hinauszu schauen. Das erweitert ihren Horizont und stärkt ihre Leis tungsfähigkeit – die Leistungsfähigkeit, die Baden-Württem berg zu dem starken Standort macht, die Leistungsfähigkeit, die dafür sorgt, dass wir Meister aller Klassen sein können.
(Abg. Konrad Epple CDU: Meister aller Kassen! – Gegenruf des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Kas sen, ja!)
Wir, die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen, sind uns bewusst, dass die Freistellung von Beschäftigten ei ne Herausforderung für die Arbeitgeber ist. Deshalb haben wir sehr viel Mühe darauf verwendet, das Gesetz so auszugestal ten, dass auch die Belange der Arbeitgeber berücksichtigt wer den. Natürlich verstehe ich, dass Interessenverbände im Ge setzgebungsverfahren ihre Interessen bis zum Schluss deut lich vorbringen. Aber wenn Sie einmal das Gesamtbild an schauen, muss man doch festhalten: Diese Landesregierung geht mit den Anliegen der Wirtschaft verantwortungsbewusst um.
Dass Sie von den Oppositionsbänken aus die Wirtschafts freundlichkeit so hochhalten, sei Ihnen gegönnt. Aber gerade bei der Erbschaftsteuer sieht man, wer wirklich die Interessen des Mittelstands in Baden-Württemberg vertritt.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Schon wieder so ein schwacher Beifall! – Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Da sind wir noch gar nicht fertig in der Dis kussion!)
Es ist sicher auch richtig, dass die Bildungszeit nicht ohne Verwaltungsaufwand umzusetzen ist. Deshalb wurden für die Startphase des Gesetzes begrenzt drei Stellen eingeplant und natürlich auch im Haushaltsplan etatisiert.
Die dort eingesetzten Personen werden das Anerkennungsver fahren durchführen und für Informationen und Auskünfte rund um das Bildungszeitgesetz sorgen. Deshalb haben wir auch, um dem Anliegen der Arbeitgeberseite gerecht zu werden, in den vorliegenden Gesetzentwurf Regelungen aufgenommen, die dafür sorgen, dass aus einer Herausforderung keine Über forderung wird. Ein Arbeitgeber kann z. B. auch dann den An spruch auf Bildungszeit ablehnen, wenn bereits 10 % der zur Verfügung stehenden Bildungszeit in einem Betrieb bean sprucht wurden. Ebenso werden Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Personen durch ein Ablehnungsrecht vor Überforde rung geschützt.
Werden in einem Betrieb bereits Bildungsmaßnahmen ange boten, die den Zielen des Bildungszeitgesetzes entsprechen, so werden diese auf den Freistellungsanspruch des Einzelnen angerechnet. Die Betriebe, die bereits Weiterbildung im Sin ne des Gesetzes anbieten, werden somit nicht zusätzlich be lastet.
Auch aufgrund der Diskussion im Ausschuss und der Zu schriften von Wirtschaftsverbänden habe ich wahrgenommen, dass es – sehr unwahrscheinliche – Konstellationen geben könnte, die Fragezeichen aufwerfen. Da bin ich sehr ge sprächsbereit und völlig leidenschaftslos. Wir werden einen Leitfaden herausgeben. Wir werden Informationsveranstal tungen und Informationsmöglichkeiten auch für die direkt be troffenen Arbeitgeber anbieten. Wir werden im Zweifel auch untergesetzlich nachsteuern, wenn wir Präzisierungen brau chen, die in einer abstrakt-generellen Regelung wie einem Ge setz keinen Raum finden. All das ist okay.
Wir sollten alles dafür tun, dass dieses Bildungszeitgesetz ein Erfolg wird und dass sich die faire und gute Balance, die wir zwischen dem Weiterbildungsinteresse der Beschäftigten und dem Interesse der Arbeitgeber an einem reibungslosen Ar beitsablauf gefunden haben, in der Umsetzung bewähren kann. Da sind wir, wie gesagt, zu Gesprächen bereit, und ich werde Herrn MD Rebstock bitten, sie zeitnah zu führen. Das steht für mich völlig außer Frage.
Wenn wir uns aber einig sind, dass die bundesweit einmalige Ausgestaltung des Gesetzes mit dem Vorrang für die betrieb liche Weiterbildung gut ist, dann sollten wir auch den Grund satzkonflikt zu dem Gesetz einstellen und alles dafür tun, da mit das, was dem Gesetz als Funktionsweise zugrunde liegt, auch in der Umsetzung funktioniert. Ich glaube, dann können wir sehr entspannt in die Phase der Umsetzung dieses Geset zes gehen.
Meine Damen und Herren, es stimmt, Bildungszeit verlangt den Unternehmen in unserem Land etwas ab. Aber sie inves tieren damit auch in den wichtigsten Erfolgsfaktor ihres Un ternehmens, nämlich leistungsfähige Beschäftigte. Ich bin überzeugt, dieses Investment zahlt sich doppelt und dreifach aus.
Das unterstreicht, von der Bildungszeit profitieren alle: die Unternehmen im Land, die Beschäftigten im Land, unsere Ge sellschaft.
Ich appelliere auch noch einmal an die Opposition: Reden Sie diese Chance nicht pausenlos klein! Hören Sie auf, zu behaup ten, Bildungszeit würde für Tauchurlaub auf Mallorca genutzt. Hören Sie auf, den tüchtigen Beschäftigten, die unser Land zum starken Standort machen, zu unterstellen, sie würden sich auf Kosten der Arbeitgeber einen faulen Lenz machen.
Die Beispiele, die Sie, Herr Dr. Rülke, genannt haben, treffen alle nicht auf die Rechtslage in Baden-Württemberg zu. Wir haben kein Ansparen von Freistellungsansprüchen vorgese hen. Darauf haben wir im Gesetzentwurf ausdrücklich ver zichtet. Das könnten Sie feststellen, wenn Sie es einmal nach lesen würden. Wir haben auch die Weiterbildungszwecke prä zise definiert, weil wir in der Verantwortung sind, dass das Gesetz auch breite gesellschaftliche Akzeptanz findet. Des halb: Hören Sie auf mit diesen Monsterbeispielen, und wen den Sie sich dem Gesetz selbst zu. Sie werden sehen: Es ist sehr ausgewogen und hebt sich deshalb von bestehenden an deren Landesgesetzen zu diesem Thema ab.