Protocol of the Session on March 11, 2015

Vielleicht ist der Inhalt des heutigen Bildungszeitgesetzes der damaligen Zeit geschuldet: Die Arbeitszeit war länger – mein

Haar auch –, niemand hatte Zugang zur universell vernetzten Welt des Informationszeitalters.

Die Welt heute ist eine andere: Interaktive Weiterbildung im Netz steht jedermann jederzeit offen. Mit Crowdworking, Crowdsourcing und Web 2.0 werden neue, virtuelle Wert schöpfungsprozesse und neue Arbeitsplattformen erschlossen, die unsere Arbeitswelt grundlegend verändern werden. Diese Regierung hat keine Antwort darauf, wie wir damit umgehen.

Was Frau Nahles zur Telearbeitszeit – aber nicht nur dazu – in ihrem Entwurf zum Arbeitsstättengesetz auspackt, könnte auch von Reichskanzler Friedrich Ebert stammen.

(Zuruf von der SPD: Reichspräsident, wenn schon!)

SPD: Steinzeitpartei Deutschlands. Nur gut, dass die CDU im Bund das Arbeitsstättengesetz von Frau Nahles gestoppt hat.

(Zuruf des Abg. Claus Schmiedel SPD)

Dieses Bildungszeitgesetz unterstellt, unser Mittelstand täte nichts für die Weiterbildung seiner Arbeitnehmer. „Meister al ler Klassen“ – ich erinnere an Ihre Aktuelle Debatte – wirst du nicht durchs Nichtstun. Bundesweit haben wir in BadenWürttemberg die höchste Weiterbildungsrate. Waren es 2010 noch 44 % aller Unternehmen, sind es 2012 61 % der Unter nehmen, die in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investie ren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Claus Schmiedel SPD: Das war nach dem Regierungswech sel! Der Applaus gilt uns! – Gegenruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Das ist eine Steigerung um fast 50 % in zwei Jahren. Damit liegen wir vor Bayern und Hessen. Dafür braucht unser Mit telstand nicht den Rat von Grün-Rot.

Es wäre zielführend, den Bildungszeitanspruch auf die be triebliche Weiterbildung anzurechnen. Damit käme noch mehr Dynamik in unsere Weiterbildungskultur. Hatten Sie das nicht versprochen, Herr Minister? Stattdessen schaffen Sie Büro kratie, und wenn die Unternehmen im Land dagegen aufbe gehren, werden sie von der SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi als „Gauner“ und als „doof“ bezeichnet und abgekan zelt. Das ist der Umgangston der Genossen mit unserer Wirt schaft.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Das alte klassenkämpferische Umverteilungsdenken wird mit diesem Bildungszeitgesetz neu belebt. Wenn die Mittelständ ler in Baden-Württemberg ihren Arbeitnehmern ohne jegli chen betrieblichen Bezug Weiterbildung bezahlen müssen, kostet das richtig Geld. Bei einer Lohnsumme von 175 Milli arden € in Baden-Württemberg und 222 effektiven Arbeitsta gen entsprächen fünf Bildungszeittage 2,25 % der Lohnsum me; das sind knapp 4 Milliarden €.

Der Einwand, nicht alle Arbeitnehmer werden Bildungszeit in Anspruch nehmen, ist kalkulatorisch irrelevant, denn ein solider Kaufmann muss diesen Betrag in seine Preise einbin den, weil sich die Produktionskosten erhöhen. Im globalen Wettbewerb wirkt sich das nachteilig aus.

Bei Lohnkosten von 11 Milliarden € für unsere Landesbe diensteten muss das Land bei gleicher Rechnung 247 Millio nen € aufbringen. Kalkulatorisch sind das weit über 5 000 Be schäftigte. Da schon das neue Landespersonalvertretungsge setz zu Engpässen führt, müssen rechnerisch immer weniger Beschäftigte der öffentlichen Hand die gleiche Leistung er bringen. So demotiviert man nicht nur Mitarbeiter, auch Ihr Haushalt wird damit immer unseriöser.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Sie sollten sich einen Rechner mit Wahrscheinlichkeitsrechnung anschaf fen!)

Dieses Gesetz ist auch keine Stärkung des Ehrenamts. Denn dafür hat 2007 die Vorgängerregierung bereits ein Gesetz zur Freistellung für ehrenamtliche Tätigkeit verabschiedet. Auch da ist das Land Baden-Württemberg bundesweit Spitze: Zehn Arbeitstage kann jeder Arbeitnehmer für die ehrenamtliche Weiterbildung beanspruchen.

Noch etwas: Hören Sie mit der Mär auf, kleine Unternehmen seien freigestellt. Das ist falsch und widerspräche auch dem völkerrechtlichen Vertrag. Dies wäre sonst – da sind wir uns mittlerweile einig – eine Vertragsverletzung, für die der Bund einstehen müsste. Vielmehr haben alle Arbeitnehmer An spruch auf Bildungsurlaub. Aber nach Ihrem Gesetz können Arbeitgeber von kleinen Unternehmen widersprechen. Damit streuen Sie unnötig Konflikte in unseren Mittelstand. Das braucht wirklich niemand.

Dabei wäre das Geld für kleine Unternehmen doch wirklich da. Dafür müsste die Landesregierung in Brüssel nur ESFMittel für Weiterbildungsmaßnahmen beantragen und abho len. Bayern, das kein Bildungszeitgesetz hat und auch keines braucht, hat diese Mittel in Anspruch genommen. Es gibt in Bayern ein Programm für die Qualifizierung von Erwerbstä tigen, finanziert aus ESF-Mitteln. Aber das ist eine Holschuld. Juncker wird das Geld nicht in einem Schubkarren zur Villa Reitzenstein karren. Wie auch in anderen Fällen tut sich die Landesregierung schwer, Geld aus Europa oder vom Bund ab zuholen – eigentlich vermeidbare Anfängerfehler.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Ich kann es ja nachvollziehen: Die Landesregierung will Druck aus dem Kessel nehmen. Kleine Handwerker und Mittelständ ler murren, sind aber gewerkschaftlich nicht organisiert. Es ist so offensichtlich: Dieses Gesetz ist ein Konjunkturförder programm für klamme gewerkschaftliche Schulungsunterneh men. Herr Minister, Sie sind dem Land und seinen Bürgerin nen und Bürgern verpflichtet und nicht ver.di und deren Mit gliedern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Aber von denen wollen Sie ja für dieses Gesetz morgen Abend im Weißen Saal des Neuen Schlosses Streicheleinheiten ab holen.

Eine CDU-geführte Regierung will die Zukunft der Unterneh men in unserem Land gestalten und nicht die Asche der Ver gangenheit ausstreuen. Wir, die CDU, werden die Unterneh

men in Baden-Württemberg, wie es auch unsere bayerischen Nachbarn tun, bei ihrer betrieblichen Weiterbildung unterstüt zen. Aber eines ist klar: Ein Willy-Brandt-Gedächtnis-Gesetz braucht niemand.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Fritz.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wir befinden uns in einer Zeit rasanter technologischer Entwicklungen. Der struk turelle und industrielle Wandel in unserer gesamten Wirtschaft und Gesellschaft – ich nenne nur das Stichwort Industrie 4.0 – erfordert stetige Weiterbildung, stetige Fortbildung und ste tige Qualifizierung einer jeden und eines jeden in den Betrie ben, in der Industrie in Baden-Württemberg, im Handel und im gesamten Dienstleistungsbereich.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Ohne stetige Bildung und Qualifizierung werden wir nicht in der Lage sein, uns den Herausforderungen der globalisierten Wirtschaft und der Digitalisierung zu stellen und diese so zu bewältigen, dass wir weiterhin Wohlstand und Prosperität un serer Gesellschaft erhalten und vermehren können.

Damit lebenslanges Lernen nicht nur bloß ein Schlagwort für Sonntagsreden bleibt, hat die grün-rote Landesregierung be reits einiges unternommen. Wir haben die schmerzlichen Kür zungen für die Weiterbildungsträger, die Sie von SchwarzGelb über Jahre hinweg vorgenommen haben, zurückgenom men. Wir haben den Landeszuschuss für die Weiterbildungs träger, für die Volkshochschulen und für die kirchlichen Wei terbildungsträger deutlich erhöht, nahezu verdoppelt. Wir ha ben die Weiterbildung gestärkt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Diese Landesregierung hat eine Initiative zur Alphabetisie rung gestartet und diese auch finanziell hinterlegt. Meine Da men und Herren, in diesem Kontext steht auch das Bildungs zeitgesetz, das heute zur Beschlussfassung ansteht. Wir öff nen damit die Tür für betriebliche und außerbetriebliche Qua lifizierungen.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Herr Rülke, ich weiß, dass Sie laut reden können, klug aber weniger.

Wer länger im Beschäftigungsprozess bleibt, muss die Mög lichkeit haben, sich weiterzubilden. Dies nutzt den Beschäf tigten, weil sie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten erweitern, aus bauen und auf den neuesten Stand bringen können. Dies nutzt den Unternehmen im Land, weil sie die Talente und Fähigkei ten ihrer Belegschaften brauchen, um auf dem Weltmarkt kon kurrieren zu können.

Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis 67 arbeiten sollen, dann spielen Gesundheitsvorsorge und Prävention am Arbeits

platz eine zunehmend wichtigere Rolle. All dem trägt das Bil dungszeitgesetz Rechnung.

Meine Damen und Herren von der CDU, hören Sie einmal, was Ihre eigenen Leute dazu sagen. Mit Genehmigung des Präsidenten zitiere ich den Landesvorsitzenden der CDU-So zialausschüsse Bäumler:

Ich bin für berufliche, politische und gesundheitliche Bil dung. Dafür sollen die Arbeitnehmer fünf Tage von den Betrieben freigestellt werden.... Gerade der gesundheit lichen Bildung kommt eine besondere Bedeutung zu, weil wir die Rente mit 67 bekommen.

Recht hat der Mann.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Claus Paal CDU: Aber er lehnt das Gesetz ab!)

Das Gesetz schließt Missbrauch aus. Es gibt keine touristi schen Veranstaltungen. Es gibt keine Erholungsmaßnahmen. Es gibt keine Freizeitveranstaltungen. Es gibt auch keinen Tauchkurs auf Mallorca. Was Sie da immer wieder behaup ten, ist doch eine reine Schimäre. Sie bauen einen Popanz auf, auf dem sich dann genüsslich herumtrampeln lässt.

Bildungsmaßnahmen müssen von zertifizierten Trägern durch geführt werden, gerade weil es um qualifizierte Bildung geht. Es gibt keine Halbtagsveranstaltungen, sondern es müssen mindestens acht Unterrichtseinheiten am Tag sein, weil wir eine Konzentration auf Bildung wollen.

Kollege Löffler, nun zu Ihnen. Die Unternehmen werden nicht überfordert.

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Habe ich auch nicht behauptet!)

Wir haben hier im Land verständige Arbeitnehmer, verstän dige Betriebsräte und vernünftige Unternehmensführungen. Wir schaffen heute den Rahmen. Die Tarifpartner werden die sen Rahmen im Sinne vernünftiger Lösungen auszufüllen wis sen. Oder haben Sie von den zwölf Bundesländern, in denen es bereits ein Bildungszeitgesetz gibt, je Klagen wegen Über forderung der Unternehmen gehört? Ich jedenfalls nicht.

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

Nein, meine Damen und Herren, die Unternehmen werden nicht überfordert. Sie werden aber gefordert. Für den Fall, dass es Probleme gibt – ich will dem Minister jetzt nicht vor greifen –, haben wir den Unternehmen zugesagt, dass wir sol che Probleme untergesetzlich regeln können, wenn sie auftau chen – wovon ich aber nicht ausgehe.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Macht ihr da wieder eine Verordnung wie beim Jagdgesetz?)