Wer dagegen nur blind die Inklusionsquote erhöhen will, ver sagt gerade den Schwächsten diese Hilfe.
Wir dürfen die Sonderschulen nicht ausbluten lassen, sondern müssen sie mit all ihren Stärken und ihrer Differenzierung er halten. In den Erprobungsregionen haben sich rund drei Vier tel der Eltern für eine Sonderschule entschieden. Auch die Au ßenklassen an den Regelschulen sind bei den Eltern und Leh rern in den letzten Jahren immer beliebter geworden, weil hier in der Tat Räume zur gemeinsamen Begegnung geschaffen werden, die für alle Schüler von großem Wert sind.
Die CDU-Fraktion tritt für zwei gleichberechtigte Wege ein: die Inklusion an den Regelschulen oder den Besuch einer Son derschule, demnächst eines sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums. Aber nicht die Ideologie, sondern das Wohl des Kindes muss dabei im Mittelpunkt stehen.
Wie kann die Umsetzung gelingen? Der Gesetzentwurf, der jetzt überall in der Presse diskutiert wird, bleibt in zentralen Punkten unklar, und die Gefahr des Scheiterns ist groß.
Erstens: Der Gesetzentwurf, wie er jetzt diskutiert wird, weckt unerfüllbare Erwartungen und lädt die Konflikte vor Ort ab. Auf der einen Seite verspricht er, dass Eltern das Wahlrecht zwischen Sonder- und Regelschule haben, dass es keine Schwer punktschulen gibt, dass Inklusion Aufgabe aller Schulen ist, und zwar für alle Arten von Behinderungen. So weit, so gut. Auf der anderen Seite können Eltern nicht eine Schulart, ge schweige denn eine bestimmte Schule wählen. Es sollen Grup penlösungen anstatt Einzelinklusion erreicht werden. De fac to, beschwichtigt der Minister die Kommunen, gebe es zu nächst also doch Schwerpunktschulen, aber davon rede man nicht so.
Damit weckt der Gesetzentwurf einerseits Erwartungen, die Sie aber andererseits – so sieht es aus – gar nicht erfüllen wol len. Die Kluft zwischen Wünschenswertem und Machbarem wird zu Enttäuschungen, schlimmstenfalls zu Rechtsstreitig keiten führen, und am Ende werden die Konflikte in den Bil dungswegekonferenzen, an den Schulen und in den Kommu nen aufbrechen. Gerichte werden dann gefordert sein, den Rahmen zu definieren.
Also: Seien Sie doch ehrlich, werden Sie Ihrer politischen Ver antwortung gerecht, und laden Sie Konflikte nicht vor Ort ab! Wir brauchen eine verlässliche, transparente Steuerung der Inklusionslösung. Regeln Sie also klar, wann und wie Schu len ausgewählt und wie Gruppenlösungen erreicht werden sol len. Ermöglichen Sie eine aktive Steuerung im Rahmen der
regionalen Schulentwicklung, und schaffen Sie vor allem Planbarkeit und Verlässlichkeit für Schulen und Schulträger.
Zweitens: Ehrlichkeit ist natürlich auch in einem weiteren Punkt notwendig. Die Regelschulen sind nicht in dem Maß vorbereitet, wie es notwendig wäre. Trotz unserer zahlreichen parlamentarischen Anfragen ist nach wie vor unklar, wie die Lehrerinnen und Lehrer an den Regelschulen fortgebildet wer den sollen – dafür gibt es noch kein Konzept –, wie angehen de Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Ausbildung vorbereitet werden sollen, wann wie viele neu ausgebildete und fortge bildete Lehrkräfte überhaupt zur Verfügung stehen, wie Sie die Attraktivität des Berufs Sonderschullehrer erhöhen wol len, um mehr Berufseinsteiger zu gewinnen, und in welchem Umfang Sonderpädagogen nach dem Zwei-Pädagogen-Prin zip tatsächlich in den Klassen zum Einsatz kommen.
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Wir wollen keine Inklusionsopfer durch schlecht vorbereitete oder überforder te Lehrer produzieren. Das haben weder die Lehrer noch die Kinder verdient.
Durch die massiven Verzögerungen bei der Umsetzung läuft Ihnen die Zeit weg. In nicht einmal einem halben Jahr soll die Inklusion an den Schulen Wirklichkeit werden. Obwohl das Gesetz zur Inklusion bereits um ein Jahr verschoben wurde, werden die Schulen ins kalte Wasser geworfen. Dafür tragen Sie die Verantwortung. Ihr Vorgehen ist fahrlässig und geht zulasten der Kinder mit und ohne Behinderung.
Drittens: Auch beim lieben Geld sind viele Fragen offen und Konflikte nur vertagt. Warum sollen nun 1 350 zusätzliche Sonderpädagogen ausreichen? Im letzten Mai waren noch 4 000 geplant. Was passiert eigentlich, wenn sich die Inklusi onsquote ganz anders entwickelt als prognostiziert? Reicht dann das zur Verfügung gestellte Geld?
Und wie weit trägt die Vereinbarung mit den Kommunen? Al lein der Streit um die Konnexität bei der Eingliederungshilfe wurde nur vorläufig zugekleistert. Kurz: Auch im Hinblick auf die Finanzierung sind wir von einer dauerhaft tragfähigen Lösung der Inklusion noch weit entfernt.
und eine Entscheidung zum Wohl des Kindes. Wir begrüßen, dass die Landesregierung sich gegen die Ideologen in den ei genen Reihen durchgesetzt hat und diese Auffassung teilt.
Doch viele Fragen sind ungelöst: bei der Regelung der Schul wahl, bei der Vorbereitung der Lehrerinnen und Lehrer sowie bei der Finanzierung der Inklusion.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Es ist immer wieder eine besondere Erfahrung, wenn sich die Opposition zu Themen äußert, die sie in den vergangenen Wahlperioden gründlich in den Sand gesetzt hat.
Das steigert sich noch, wenn dies von ehemals Verantwortli chen erfolgt wie der ehemaligen Sozialministerin, die wirk lich nichts dazu beigetragen hat, dass Baden-Württemberg auf dem Feld der Inklusion vorankommt.
Sie unterstellen uns Dinge, die wir gar nicht gefordert haben. Sie lamentieren, es passiere viel zu wenig, lehnen aber fast al les ab, was Grün-Rot konkret unternimmt. Das ist inhaltslee rer Populismus. Ich sage nur: So tickt das Wolfsrudel.
In einem Punkt liegt Ihr vorliegender Antrag richtig: GrünRot hat große Erwartungen geweckt. Das war aber angesichts dessen, was Sie hinterlassen haben – nämlich fast nichts –, kein Kunststück.
Sie wundern sich heute, warum so wenige Zahlen vorliegen. Diese Verwunderung ist wiederum verwunderlich. Schauen Sie sich die schwarz-gelben Modellregionen an:
Dort wurden inklusiv beschulte Schülerinnen und Schüler weiterhin als Angehörige einer Sonderschule gezählt. Sie wa ren statistisch gesehen in der Regelschule, in der sie unterrich tet wurden, überhaupt nicht existent, und sie zählten auch nicht bei der Berechnung des Klassenteilers. Woher sollen bei solchen Weichenstellungen valide Zahlen kommen?
Valide Zahlen gibt es hauptsächlich über die sogenannten Au ßenklassen. Wir werden diese weiterhin ermöglichen, wenn sie im Rahmen der regionalen Schulentwicklung Sinn machen und vor Ort gewollt sind. Aber die Außenklassen bedeuten nicht Inklusion, sondern Integration, stellen also nur einen Zwischenschritt – oft ist es ein sinnvoller Zwischenschritt – auf dem Weg zur inklusiven Beschulung dar.
So, wie die von Ihnen eingerichteten Modellregionen in kei ner Weise modellhaft ausgestaltet waren, gibt es daraus auch
keine validen Erfahrungen zum Ressourcenbedarf. Auch Ih re Verwunderung darüber verwundert. Wir haben uns daher an anderen Erfahrungen orientiert, an gelungenen Beispielen und Modellen innerhalb und außerhalb Ihrer sogenannten Mo dellregionen, auch in anderen Bundesländern sowie interna tional. Wir haben uns orientiert an Regionen wie meinem Schulamtsbezirk, in dem heute schon eine Inklusionsquote er reicht wird, die wir im Landesschnitt vermutlich erst in einer Reihe von Jahren erreichen werden.
Ihre Erwartungen an die Ressourcenberechnung folgen wei terhin einem dirigistischen und zentralistischen Denken. Das hat Ihre Rede nur zu deutlich gezeigt. Grün-Rot verfolgt da gegen einen systemischen Ansatz. Wir orientieren uns am Be darf und stellen die dafür nötigen zusätzlichen Ressourcen zur Verfügung, damit die Schulverwaltung inklusive Angebote gestalten kann. Die Ressourcen werden wir anhand der kon kreten Erfahrungen dynamisch bereitstellen, statt mit rigiden Deckeln oder mit der Gießkanne zu hantieren.
Deshalb haben wir keine Planwirtschaft, sondern Modellrech nungen. Wir führen ein Wunsch- und Wahlrecht auf inklusi ve Beschulung ein – aber nicht zwingend auf eine ganz be stimmte Schule. Denn wir wollen der Schulverwaltung ermög lichen, mit den Akteuren vor Ort regional sinnvolle Angebo te einzurichten und zu gestalten.
Das ist etwas völlig anderes als die in Ihrem Antrag angespro chenen Schwerpunktschulen, die Inklusion rundum für alle Bedarfe leisten müssten. Das würde diese massiv überfordern und dafür die meisten anderen Schulen außen vor halten. Dies wäre Exklusion unter dem Etikett der Inklusion – weder er folgversprechend noch pädagogisch sinnvoll noch ressour ceneffizient. Und es wäre schon gar nicht im Sinn der UN-Be hindertenrechtskonvention – bei der immer wieder daran er innert werden muss, dass es sich nicht um eine bürokratische Verordnung, sondern um eine Menschenrechtskonvention han delt. Und das nehmen wir ernst.
Wir setzen auf eine fachlich stimmige, regional gestaltete und organische Entwicklung unter der Regie der Schulverwaltung. Dieser Weg führt über politisch ermöglichte Verständigungs prozesse, nicht über Zwang. Wir gestalten diese Prozesse of fen und nicht besserwisserisch. Dies schließt ein, im Dialog mit den Betroffenen dazuzulernen. Denn nur so gewinnt Po litik auch Qualität.
Deswegen werden wir den Sonderpädagoginnen und Sonder pädagogen bezüglich ihrer künftigen Verortung ein Wunsch- und Wahlrecht einräumen. Es muss pädagogisch, aber auch für sie persönlich Sinn machen, welcher Schule sie zugehö ren.
Ihr Antrag, sehr viel mehr aber noch Ihr Redebeitrag zeigen, dass Ihnen systemisches Denken und eine dialogisch gestal tete Entwicklung von unten fremd sind. Mein Eindruck ist, dass das auch damit zusammenhängt, dass Sie immer noch in einer Rechtfertigungsschleife sind, wenn es um das Thema In klusion geht, und dabei übersehen, dass in Baden-Württem berg in den vergangenen knapp vier Jahren eine Vielzahl von
zukunftweisenden Erfahrungen gemacht wurden – von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Schulträgern, der Wissenschaft und nicht zuletzt den Schülerinnen und Schülern. Daran, und nicht an irgendwelchen Denkschablonen, orientieren wir uns.