Protocol of the Session on February 5, 2015

Habe ich Sie richtig verstanden, dass die ganze Diskussion so, wie sie jetzt ausgelöst wurde, die Aktuelle Debatte so, wie sie benannt wurde, auch nicht in Ihrem Interesse ist?

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Herr Abg. Glück, führende Politiker – Ministerpräsident Tillich, aber auch der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Kauder – ha ben das nun einmal infrage gestellt.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: So ist es!)

Das löst diese Debatte aus.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Genau!)

Ich bin zunächst einmal froh darüber, dass die Töne stimmen, möchte ich einmal sagen. Das gilt aber nicht für alle Zwi schentöne.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Gerade in solchen Debatten, in denen es um religiöse und weltanschauliche Fragen geht, kommt es auch sehr auf die Zwischentöne an.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Sagen Sie das bit te einmal Frau Aras, die mit Klischees arbeitet! – Un ruhe)

Das muss man einfach noch einmal festhalten. Das ist der Grund für diese Debatte, und darum müssen wir sie leider so führen, wie wir sie führen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Welche Zwi schentöne meinen Sie?)

Ich habe vorhin das Bundesverfassungsgericht zitiert, das, wie gesagt, vom Staat „eine offene und übergreifende, die Glau bensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung“ fordert. Das heißt, Überzeugungen, Weltanschauun gen, Philosophien oder Religionen müssen diskutiert werden, dürfen aber nach dem weltanschaulichen Neutralitätsgebot vom Staat nicht bewertet werden.

Die Frage der Zugehörigkeit einer Religionsgemeinschaft zur Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist also durch unsere Verfassung entschieden. Es herrscht Religionsfreiheit, und jede Religionsgemeinschaft und ihre Anhänger gehören dazu. Jede Religionsgemeinschaft kann sich entfalten, und je

de Religionsgemeinschaft kann auch die Gesellschaft prägen, aber nur – auch das sei ganz klar gesagt – im Rahmen unse rer Verfassungsordnung – nicht neben, hinter oder gar über ihr.

(Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sehr gut! Jawohl! Bravo!)

Religionsgemeinschaften müssen sich einbinden, müssen sich im säkularen Kontext bewähren und erklären. Die Akzeptanz von Muslimen in Deutschland hängt zunächst von uns ab, die wir die Mehrheit der Gesellschaft bilden. Sie hängt aber auch von der Dialogfähigkeit und der Bereitschaft der Muslime ab. Die Muslime in Deutschland zeigen sie.

Die Wahrung von Menschenrechten, die Grundlagen der Auf klärung, die Toleranz anderen Lebensstilen gegenüber sowie die Gleichberechtigung der Frau sind Erwartungen, die wir an den Islam richten müssen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Dass der überwiegende Teil der Muslime in Deutschland dies auch so sieht, davon bin ich überzeugt, weil ich es ständig er fahre.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Abg. Claus Paal CDU)

Unsere freiheitliche Grundordnung ermöglicht es dem Islam wie allen anderen Religionen, sich zu entwickeln und zu re formieren. Die freiheitliche Grundordnung ist gerade der Ga rant auch für Binnenpluralität in Religionsgemeinschaften. Darum schätzen es eben auch viele Muslime außerordentlich, hier in einer freien Gesellschaft zu leben, wo sie ihren Glau ben so leben können, wie es ihrer eigenen persönlichen Über zeugung entspricht. Genau das schützt die Glaubensfreiheit des Grundgesetzes.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Der Islam kennt zahlreiche unterschiedliche Strömungen. Es ist zu hoffen, dass solche an der europäischen Moderne ori entierten Strömungen an Boden gewinnen. Denn die arabi sche Welt, also die Kernländer des Islam, befindet sich offen sichtlich in einer schweren politischen, gesellschaftlichen und religiösen Krise.

Interreligiöse und innerreligiöse Dialoge, aber vor allem der Dialog der Religionen mit der säkularen Gesellschaft sind na türlich auch nicht immer Harmonieveranstaltungen. Es gibt dabei verstörende Dissonanzen. Es gibt Differenzen und Kon flikte, die in Demokratien, in unseren Kommunen, aber auch bei den Religionsgemeinschaften ausgehalten werden müs sen. Und dass sie ausgehalten werden können, dafür ist unse re freiheitliche Ordnung gerade der Garant.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Menschenrechtsverletzungen, die im Namen des Islam in al ler Welt begangen werden, prangern wir energisch an, und das hilft den islamischen Reformkräften. So ist der Menschen rechtler und Muslim Raif Badawi in Saudi-Arabien zu zehn

Jahren Haft und 1 000 Peitschenhieben verurteilt worden, weil er Juden, Christen, Muslime und Atheisten als gleichwertig bezeichnet hat. Die Peitschenhiebe, die ihm noch drohen, wer den ihn töten, wenn der internationale Protest diese Exekuti on auf Raten nicht verhindert.

Man kann alle religiösen Texte der großen Weltreligionen missbrauchen, ideologisch missbrauchen. Aber dass der Ko ran kein Drehbuch für Terror, für die Ermordung von Geiseln, die Verschleppung von Frauen oder die Unterdrückung Op positioneller ist, darin wissen wir uns gemein mit der über wältigenden Anzahl der Muslime auf der Welt.

(Beifall bei den Grünen, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU)

Deswegen müssen wir gemeinsam alles tun, um mit der fried fertigen Mehrheit der Muslime den Extremisten die Stirn zu bieten und Kinder und Jugendliche vor solchen Auslegungen zu schützen. Da wissen wir ebenfalls den allergrößten Teil der Muslime hinter uns.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unser säkularer Staat muss die einzelnen und unterschiedli chen Religionsgemeinschaften nicht nur schützen, sondern geradezu ermuntern, ihre Religionsfreiheit aktiv wahrzuneh men. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, dass sich Reli gionsgemeinschaften in das Gemeinwesen einbringen und in der Zivilgesellschaft präsent sind. Er muss Orte, Institutionen und Zeiträume der Religionsausübung schützen und auch er möglichen.

Der Staat muss, wie die Philosophin Jeanne Hersch sagte, „für jedes menschliche Wesen einen Leerraum... wahren, der ihm erlaubt, zu denken, zu glauben, zu hoffen und zu handeln, wie es ihm sein inneres Gewissen eingibt“.

Integration heißt ja, die Möglichkeiten zu geben, dass sich Einzelne und Institutionen mit ihren besonderen Fähigkeiten einbringen können. Sich einzubringen und offen zu artikulie ren ist natürlich auch Sache der Muslime selbst.

Aber auch wir waren und sind in der Pflicht. So haben wir zu Beginn unserer Regierungszeit ein Integrationsministerium geschaffen. Schon 2011 hat Integrationsministerin Öney ei nen runden Tisch „Islam“ gegründet.

Wir suchen gemeinsam mit den muslimischen Verbänden Möglichkeiten, wie wir den islamischen Religionsunterricht deutlich ausbauen können. Wir haben deshalb das Modellpro jekt eines Unterrichtsangebots um zusätzlich 20 Schulen jähr lich ausgebaut und um weitere vier Jahre verlängert. Kultus minister Stoch arbeitet mit Nachdruck daran, das Projekt zü gig auszubauen und in die Fläche auszuweiten.

Auch das Zentrum für Islamische Theologie in Tübingen ist in diesem Zusammenhang zu loben; seine Eröffnung 2012 war bundesweit die erste eines solchen Zentrums. Wie ich selbst sehen konnte, ist es schon in dieser kurzen Zeit zu einer wich tigen und weithin beachteten Quelle islamisch-theologischer Reflexion und Bildung geworden, sodass auch gewährleistet ist, dass wir in Zukunft die Geistlichen und Religionslehrer dort auf universitärem Niveau ausbilden können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich möchte aber auch sagen: Das größte Problem bei dem Be streben, schneller voranzukommen, ist das Fehlen eines ver bindlichen Ansprechpartners,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

die Zersplitterung in verschiedene islamische Verbände.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Die gleichberechtigte Teilhabe am kooperativen Modell der Trennung von Staat und Religion in Deutschland setzt eben ein Minimum an Institutionalisierung voraus, wie es z. B. die Muslime in Österreich längst haben.

Die Landesregierung wird nach einem Treffen im letzten Jahr daher zeitnah ihren Dialog mit den islamischen Verbänden weiterführen. Wir werden ihnen einen Vorschlag unterbreiten, wie man zügig die Frage eines Ansprechpartners angehen und lösen könnte. Denn wir brauchen tragfähige Übergangslösun gen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

um den islamischen Religionsunterricht schnell in die Fläche zu bringen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist sehr wichtig, nochmals zu betonen: Muslime und gewaltbereite Islamisten dürfen wir nie in einen Topf werfen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die beste Antwort der „offenen Gesellschaft“ an ihre Feinde ist – nach Karl Popper – das strikte Festhalten an ihren Wer ten nach innen und nach außen, zum einen am Wert der Tole ranz und Anerkennung anderer Lebensstile und Überzeugun gen, zum anderen an der menschenfreundlichen Aufnahme von Fremden und Flüchtlingen.

Der muslimische Schriftsteller und Orientalist Navid Kerma ni sagte nach den Attentaten in Paris:

Nicht weniger, sondern mehr Freiheit! Nicht Ausgren zung, sondern gerade jetzt Gleichheit! Und vor allem: Nicht Feindschaft, sondern Brüderlichkeit!