Protocol of the Session on December 17, 2014

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Leistungsfähigkeit des Rettungsdienstes kommt nicht von ungefähr, sondern muss durch Gesetze, Vorgaben und die entsprechenden politischen Rahmenbedingungen gefördert und ermöglicht werden. Ein guter und effizienter Rettungsdienst vor Ort ist für alle Bür gerinnen und Bürger keine Kür, sondern unser aller Pflicht. Ich möchte an dieser Stelle explizit darauf hinweisen, dass die schnelle und zuverlässige Hilfe, die jeden Tag in Einsätzen geleistet wird, nur dank der vielen haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer des Rettungsdienstes möglich ist.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Sie nehmen es vorweg: Sie alle leisten einen wichtigen Bei trag für unsere Gesellschaft, und dafür gebührt ihnen unser Dank.

Meine Damen und Herren, Baden-Württemberg ist eines von drei Bundesländern, das nicht nur eine Hilfsfrist für den soge nannten RTW, also den Rettungstransportwagen, festschreibt, sondern auch eine für den Notarzt. In Baden-Württemberg gilt also die sogenannte doppelte Hilfsfrist. Beide müssen in min destens 95 % aller Fälle nach zehn bzw. spätestens 15 Minu ten am Unfallort eintreffen, damit die Hilfsfrist eingehalten ist. Das sind strenge Vorgaben, deren Einhaltung letztlich über Leben und Tod entscheidet und allen Verantwortlichen eini ges abverlangt. Sie sehen, das Anforderungsprofil in der Not fallversorgung ist in Baden-Württemberg hoch, und darauf können wir zu Recht stolz sein.

Leider wird diese doppelte Hilfsfrist häufig nicht eingehalten. Die von der Landesregierung zu Beginn dieses Jahres veröf fentlichten Zahlen zeigen, dass es im Jahr 2012 in nur fünf der 37 Rettungsdienstbereiche gelungen ist, die notärztliche Hilfs frist einzuhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, alle Unfallopfer und Hilfsbedürftigen, die auf den Rettungsdienst angewiesen sind, hoffen auf ein möglichst zeitnahes Eintreffen. Durch den fest gesetzten zeitlichen Korridor ist es bei den Rettungsdiensten nicht unüblich, mit 15 Minuten zu kalkulieren. Eine Absen kung der Hilfsfrist für das erste Rettungsmittel – im Normal fall ist das der RTW – auf zwölf Minuten würde folglich vor dergründig zu einer Verbesserung führen – aber nur vorder gründig. Das Ausweiten der Hilfsfrist für das zweite Rettungs mittel – in der Regel der Notarzt – auf 18 Minuten würde hin gegen zu einer deutlichen Verschlechterung der Qualitätsstan dards führen. Dabei hätten insbesondere jene Menschen das Nachsehen, die auf eine Reanimation angewiesen sind. Denn laut dem bereits zitierten Landesvorsitzenden der Arbeitsge meinschaft Südwestdeutscher Notärzte, Dr. Eduard Kehrber ger, ist es nach 18 Minuten viel zu spät.

Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, lehnen wir eine Aufweichung der geltenden Hilfsfristen entschieden ab

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

und fordern stattdessen die Landesregierung – Sie, Herr In nenminister Gall – auf, den Druck auf die Kassen zu erhöhen, um den Rettungsdiensten die Mittel zukommen zu lassen, die diese tatsächlich benötigen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Bei allen Reformüberlegungen, liebe Kolleginnen und Kolle gen, müssen die medizinischen Aspekte im Vordergrund ste hen. Die Einführung der doppelten Hilfsfrist erfolgte keines wegs in der Absicht, die Anforderungen an beide Rettungs mittel voneinander abzugrenzen, sondern mit dem Selbstver ständnis, hohe Qualitätsanforderungen für den gesamten Ret tungsdienst zu schaffen. Das sieht übrigens auch der von mir überaus geschätzte Präsident des DRK-Landesverbands Ba den-Württemberg, Dr. Lorenz Menz, so. In einer Pressemit teilung vom 8. Dezember warnte er vor einer Aufweichung der Hilfsfristen, und er weiß, wovon er spricht. 80 % der Not fallrettungen in Baden-Württemberg werden vom DRK durch geführt.

Die Zahl der Einsätze bei den Rettungswagen und den Not ärzten ist in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg

stark gestiegen. 2012 waren es rund 640 000 Einsätze, 2013 rund 680 000 Einsätze; das ist eine Zunahme um knapp 40 000 Einsätze. Das sind gute Gründe, darüber nachzudenken, wie wir statt einer Absenkung der bestehenden Qualitätsstandards die Leistungsfähigkeit unserer Rettungsdienste auch in Zu kunft erhalten und weiter ausbauen können.

Unser Bundesland ist geprägt von Ballungsräumen und von ländlichen Gebieten. Um auch in ländlichen Gebieten eine flä chendeckende Notfallversorgung sicherzustellen

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

und die Einhaltung der Hilfsfristen zu erreichen, sollte auch einmal darüber nachgedacht werden, die Anzahl und Lage der Rettungswachen zu überprüfen, gegebenenfalls nach oben zu entwickeln sowie die Zahl der RTWs und die Zahl der Not ärzte zu erhöhen. Für eine Optimierung der Notfallversorgung sind die Minimierung der Anfahrtswege, die Erhöhung der Zahl der Einsatzfahrzeuge sowie die Stärkung des hoch qua lifizierten Humankapitals entscheidende Faktoren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein gut funktionie render Rettungsdienst muss sowohl technisch als auch perso nell gut ausgestattet sein. Das setzt voraus, dass die Einsatz kräfte gut ausgebildet sind. Das neue Notfallsanitätergesetz schreibt vor, anstelle der bisherigen Rettungsassistenten aus schließlich Notfallsanitäter in einer dreijährigen Ausbildung zu qualifizieren. Dies führt zweifelsfrei mittelfristig zu einer Verbesserung der medizinischen Ausbildung des Rettungs dienstpersonals und erhöht dadurch die Flexibilität und Qua lität des gesamten Rettungsdienstes.

Dies sollte jedoch, meine Damen und Herren, nicht zum An lass genommen werden, eine Ausweitung der Hilfsfrist für den Notarzt zu begründen, sondern sollte vielmehr Beweggrund dafür sein, weitere Verbesserungen im Rettungsdienst anzu streben. Sich mit dem Istzustand zufriedenzugeben oder die sen gar zu lockern, kann nicht der Anspruch Baden-Württem bergs sein,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

insbesondere dann nicht, wenn es wie beim Rettungsdienst um Leben und um die Gesundheit von Bürgerinnen und Bür gern geht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Thema ist zu bedeutend, als dass man es parteipolitischen Zwecken unter werfen sollte. Unser aller Anliegen muss es sein, auch in Zu kunft gemeinsam das hohe Niveau des Rettungsdienstes zu bewahren und weiter auszubauen. Lassen Sie uns deshalb den Gesetzentwurf abwarten – auch wenn ich der festen Überzeu gung bin, dass es an den von mir genannten Eckpunkten nichts zu rütteln gibt. Wenn es um die Gesundheit und die Notfall rettung unserer Mitbürger geht, können wir nur gemeinsam erfolgreich sein.

Lassen Sie uns aus diesem Grund Hand in Hand eine Politik mit den Verantwortlichen beim Rettungsdienst und bei den Kassen machen. Denn nichts ist so gut, als dass es nicht noch verbessert werden könnte.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Filius.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Es freut mich, dass Sie, Herr Hillebrand, auch gesagt haben, es solle hier nicht um Parteipolitik gehen. Es geht hier um Menschen, es geht tatsächlich um Rettungsdienstbereiche, und wir wis sen: Jede Minute, die man schneller am Einsatzort sein kann, kann Menschenleben retten. Das ist selbstverständlich.

Die im Rettungswesen Beschäftigten in Baden-Württemberg machen einen guten Job; es sind über 5 000, die hier tagtäg lich – gerade auch in der Zeit um Weihnachten und Neujahr herum – präsent sind. Diese Menschen sind immer für uns da. Ich denke, das sollte man sich nochmals ins Bewusstsein ru fen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Für diese Menschen wollen wir gute Politik machen, und da bei sollten wir gemeinsam an einem Strang ziehen.

Was den Titel der Aktuellen Debatte – „Falsche Weichenstel lung in Sachen Rettungsdienst?! Verlängert die Regierung die Hilfsfristen für Rettungskräfte, statt den Rettungsdienst struk turell zu stärken?!“ – betrifft, so konnte ich damit nicht allzu viel anfangen. Sie haben, Herr Dr. Goll, bestimmte Überle gungen angestellt. Sie sagten: „Ich habe etwas gehört, und ich möchte an dieser Stelle einmal den parlamentarischen Weg beschreiten und eine entsprechende Anfrage an die Landesre gierung stellen.“

Wir haben hier in Baden-Württemberg eine Sondersituation. Hier gibt es die doppelte Hilfsfrist. Dies ist bei dieser Sache einmalig; das muss man auch noch einmal konstatieren. Ich sage nochmals: Das ist eine Sollvorschrift. Man sagt: „Man sollte innerhalb von zehn Minuten da sein.“ Die gesetzliche Frist hingegen beträgt 15 Minuten; dabei ist nach Möglich keit sicherzustellen, dass sie in 95 % aller Fälle eingehalten wird.

Nun muss man doch Folgendes konstatieren: Legt man die durchschnittliche Dauer bis zum Eintreffen am Einsatzort zu grunde, so zeigen sich für Baden-Württemberg positive Wer te. Hier im Land dauert es im Landesdurchschnitt acht Minu ten und neun Sekunden, bis ein Rettungswagen eingetroffen ist. Für Notarztwagen – meist ist ja der Rettungswagen als ers tes Fahrzeug da – beträgt die durchschnittliche Dauer acht Mi nuten und 54 Sekunden. Natürlich kann man auch dabei im mer sagen: Alles, was noch schneller geht, wäre wünschens wert. Aber wir haben hier in Baden-Württemberg durchaus bestimmte Bereiche mit einer stark steigenden Zahl der Ein sätze.

Ein Vergleich der Jahre von 2004 bis 2013 zeigt, dass die Zahl der Einsätze extrem gestiegen ist. Man muss es sich einmal vor Augen führen: Von 2009 bis 2013 betrug die entsprechen de Steigerungsrate 42 %, und von 2004 bis 2013 betrug sie gar 74 %. Ich denke, die demografische Entwicklung ist eine der Ursachen hierfür. Fakt ist jedoch, dass den Mitarbeiten

den viel abverlangt wird. Wenn man auch diese Zahlen be rücksichtigt, kann man nicht sagen, wir seien vom Soll weit entfernt; vielmehr liegen wir im Durchschnitt sogar unterhalb der festgelegten Fristen, die als Sollvorschrift gelten.

Zum Thema „Bereichsausschüsse, Selbstverwaltung“: Hier haben die Kassen sowie die Rettungsdienste das Sagen. Na türlich kann man immer wieder Überlegungen anstellen und darüber diskutieren, wie stark man dabei die Kommunen ein binden kann. Was ist notwendig? Vorhin wurde bereits gesagt, dass man bezüglich der Selbstverwaltung bestimmte Gedan ken in den Raum stellen kann. Das eine ist die Frage, was die Kassen beitragen können. Aber es geht nicht nur darum, wer die Rechtsaufsicht hat, sondern auch um die Frage der finan ziellen Zuständigkeit.

Was die Hilfsfristen angeht, greifen wir meines Erachtens zu kurz, wenn wir nur die Hilfsfristen als einen der Parameter im Blick haben. Wir müssen vielmehr den Gesamtbereich sehen: Wann kommt es zum Anruf? Wie lange dauert jeweils die An nahme von Notrufanrufen? Wie steht es um die Dauer der Alarmierung, und wie lange dauert es, bis das Fahrzeug dann ausrückt? Wie lange dauert die Behandlung am Einsatzort, und wie geht der Transport zum Krankenhaus vonstatten?

Eine oft gehörte Forderung lautet: Um die Hilfsfristen zu er fassen, soll nicht der Zeitpunkt entscheidend sein, wann das Fahrzeug jeweils ausrückt – das ist die bisherige Bewertung –, sondern die Hilfsfrist soll bereits dann zu laufen beginnen, wenn der Anruf eingeht. Ich halte dies für richtig; denn zum Zeitpunkt des Anrufs ist die Not ja schon gegeben, und dann muss es tatsächlich losgehen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Dies berührt einen sensiblen Bereich; es betrifft Bereichsaus schüsse und Bereichspläne sowie die Frage: Was ist alles vor Ort notwendig? Die Strukturen vor Ort werden jährlich über prüft. Hier ist immer auch ein rasches Justieren notwendig, wenn man etwa feststellt, dass in dem einen oder anderen Be reich die Zahl der Fahrzeuge nicht ausreicht oder die Ressour cen nicht ausreichen, um alle Einsätze den Erfordernissen ent sprechend fristgemäß abzuwickeln.

All die Überlegungen, die jetzt anstehen, hängen jedoch auch mit dem geplanten Notfallsanitätergesetz zusammen.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Das kommt ja erst!)

Darauf zielen die Überlegungen. Dabei steht die Frage im Vor dergrund: Was kann ein Notfallsanitäter leisten? Ein Notfall sanitäter hat aufgrund seiner dreijährigen Ausbildung mehr Kompetenzen als ein Rettungssanitäter. Er bzw. sie – oft ist es ja auch eine Sanitäterin – darf reanimieren

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Das ist noch nicht auf dem Markt! Das ist doch das Problem!)

sowie intravenös behandeln. Mit all diesen Maßnahmen könn te die Situation insgesamt tatsächlich verbessert werden, an statt dass sie sich verschlechtert. Diese Personen, die dann vor Ort anwesend sind, haben in einem stärkeren Umfang als bis lang auch ärztliche Befugnisse.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Filius, ge statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Glück?

Bitte, Herr Abgeordne ter.

Herr Kollege Filius, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gerade eben mit Zahlen argumentiert und haben dabei auch die Hilfsfrist definiert, und zwar insofern, als diese Frist derzeit beginnt, sobald das Rettungsfahrzeug die Garage verlässt.

Ist Ihnen bewusst, dass diese Definition so nicht stimmt, son dern dass die Hilfsfrist in Baden-Württemberg zu dem Zeit punkt einsetzt, zu dem der Leitstellendisponent den gemelde ten Fall als Notfalleinsatz wertet? Ich weise darauf hin, dass in Ihrer Argumentation möglicherweise aus diesem Grund von kürzeren Fristen die Rede ist, als sie in der Realität gegeben sind.

Herr Glück, genau das habe ich vorhin ja gesagt: Bislang geht die Berechnung von dem Zeit punkt aus, zu dem das Fahrzeug ausrückt. Ich halte es jedoch für richtig und sachgerecht, die Frist dann beginnen zu lassen, wenn der Anruf eingeht.