Protocol of the Session on May 11, 2011

Für mich steht hinter alldem die Frage: Wie können wir die Vertrauensgrundlage der Politik festigen und gegebenenfalls erneuern? Darüber möchte ich mit Praktikern und Wissen schaftlern, jüngeren und älteren Mitbürgern landesweit in ei nen qualifizierten Dialog treten. Auftakt könnte ein öffentli ches Kolloquium hier im Landtag sein.

Bei unserem fünfjährigen Mandat, liebe Kolleginnen und Kol legen, handelt es sich quasi um ein demokratisches Lehen, das uns, auch in höherem Sinn, anvertraut ist. Wir sind keine Mildtätigen, und Potentaten sowieso nicht. Wir sind Beauf tragte. Wir haben Vollmachten, und zu unseren Pflichten ge hört, diese Vollmachten auch zu nutzen.

Technisch gesprochen: Wir sind die zentralen Akteure des Systems „Parlamentarische Demokratie“. Unser gemeinsames Interesse muss deshalb sein, dass dieses System tatsächlich das leistet, was es zu leisten hat, nämlich die Entwicklung un seres Landes mit schlüssigen Konzepten zu steuern, mit Kon zepten, die über das Vertreten ökonomischer, sozialer und öko logischer Einzelinteressen hinausgehen.

Diese Koordinationsleistung wird immer wichtiger. Denn die Summe aller Wünsche und aller Egoismen mündet im Chaos, speziell in einer Zeit, in der die Gegensätze wachsen: die Ge gensätze zwischen Familien und Kinderlosen, zwischen Alt und Jung, zwischen finanziell Stärkeren und finanziell Schwä cheren.

Auch auf die Gefahr hin, dass es provokant klingt: Die inten sivste Form der Bürgerbeteiligung sind nach wie vor wir ge wählten Abgeordneten mit unserer ständigen Präsenz vor Ort, mit unserer permanenten Ansprechbarkeit, mit dem, was wir an Informationen, an Informationsaustausch anbieten, mit un serer Funktion als Transmissionsriemen hierher nach Stutt gart, mit unserer ständigen Diskussionsbereitschaft, aber auch mit unserer Bereitschaft, uns immer wieder dem „TÜV“ der Wählerinnen und Wähler zu stellen.

Eine Tageszeitung bei uns im Südwesten titelte in diesen Wo chen: „Die Bürgerregierung tritt an!“ Ganz selbstbewusst für uns alle ergänze ich: „Das Bürgerparlament ist schon da!“

(Vereinzelt Heiterkeit)

Um jeglichen Missverständnissen vorzubeugen: Ich verken ne nicht, dass mehr Menschen – fallweise – Entscheidungen intensiver und direkter beeinflussen wollen. Wir müssen da her erwägen, wie unsere parlamentarische Demokratie durch zusätzliche Schnittstellen hin zu den Bürgerinnen und Bür gern modernisiert werden kann. Der 14. Landtag hat uns emp fohlen, dazu eine Enquetekommission einzurichten. Vielleicht sollten wir rasch ans Werk gehen.

Eine rundum gelungene Innovation in der zurückliegenden Wahlperiode ist unser Europaausschuss gewesen. Der Land tagspräsident von Sachsen hat dieser Tage gesagt, das, was an Mitwirkungsmöglichkeiten für die Parlamentarier im Land Baden-Württemberg geschaffen worden ist, sei beispielge

bend für alle anderen 15 Bundesländer. Wir konnten unsere parlamentarische Mitsprache erweitern. Wir sollten auch die ses Feld intensiv beackern. Gerade der Landtag von BadenWürttemberg soll weiter Handelnder bei der weiteren Integ ration Europas sein, und zwar nicht nur in der Sacharbeit, son dern auch bei der Meinungsbildung.

Ein Beispiel: In diesen Tagen hat der Chefredakteur des „Fo cus“ einen Kommentar zum Stabilitätspakt mit „Wie Ver sailles – nur ohne Krieg“ überschrieben. Das erschreckt. Ich meine: Solchen vordergründigen Versuchen, Stimmungen zu erzeugen, sollten wir uns ganz entschieden widersetzen – je der Einzelne vor Ort im Gespräch mit den Menschen.

Gerade wir in Baden-Württemberg müssen die Menschen jetzt mitnehmen, wenn es darum geht, zu einer abgestimmten Wäh rungs-, Finanz- und Sozialpolitik – die Energiepolitik nicht zu vergessen – in Europa zu kommen. Wir sind in der Pflicht.

Unser Kontinent ist vielfältig. Im Grunde spüren wir schon dort, wo unsere Außengrenzen zur Schweiz und zu Frankreich verlaufen, unterschiedliche Prägungen und Erfahrungen. Ich will dafür Sorge tragen, dass wir diese Nachbarschaft als ei ne kommunikative Daueraufgabe begreifen und nicht nur die Regierung, sondern auch das Parlament in Sachen Europa in den ständigen Dialog mit den Bürgern, aber gleichermaßen mit europäischen Nachbarn eintreten kann.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, heute also hat sich der Landtag konstituiert und den Landtagspräsidenten gewählt, bei dem man unschwer erkennen kann – obwohl er sich heu te angestrengt hat –, dass er in Baden zu Hause ist.

Morgen findet die Wahl des Ministerpräsidenten statt. Wenn die Einschätzungen zutreffen, könnte es dann merklich schwä bisch klingen. Sie haben jetzt der Einheit des Landes sicher schon klug Vorschub geleistet. Aber auch der neue Landtags präsident ist, wie viele hier im Haus, Mitglied des Förderver eins „Schwäbischer Dialekt“.

(Heiterkeit – Beifall der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU und Dr. Markus Rösler GRÜNE)

Aber nun wieder im Ernst: Ein ganz wichtiger Grundsatz von mir ist in der Tat „Leben und leben lassen“. Damit ist für mich im Grunde die Aufforderung zum aktiven Respekt vor den re gionalen Eigenheiten verbunden, die unser Land so erfolg reich und so reich machen.

Ich denke an das Jahr 1986 zurück. Da hat man einmal mit Gewalt oder mit Fürsorge versucht, eine Einheitsmelodie an zustimmen – mein Vorvorgänger Erich Schneider wird es be stätigen –, als man zu einem Wettbewerb für ein Landeslied aufgerufen hat. Es gab 360 Bewerbungen, einen Preisträger, aber weiterhin stolze Regionalhymnen wie Justinus Kerners „Preisend mit viel schönen Reden“ oder das Hohenzollernlied oder die heimliche badische Nationalhymne, das Badnerlied.

Eine Tageszeitung hat mich jüngst als „Fachmann für gute Laune“ beschrieben. Ich empfinde das als Kompliment, denn verbiesterte Menschen produzieren Verbiesterung. Frohsinn, Fleiß und Einsatzbereitschaft sind keine Widersprüche. Es braucht beides: Bedachtsamkeit und Daseinsfreude. Manches kann in der Tat nur gestemmt werden, wenn man ein gesun des Maß an natürlichem Humor mitbringt.

Doch machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich da keine falschen Hoffnungen: Die Parlamentsdisziplin wird von mir mit aller Strenge eingefordert und auch durchgesetzt. Nach 19 Jahren kenne ich mich aus und weiß, was sich da ab spielt. Und von hier oben sehe ich alles.

(Heiterkeit)

Aber jetzt zurück in allem Ernst: Ich möchte Sie auffordern – vielleicht ganz im Sinne des Liedes, das wir heute Morgen ge sungen haben –: „Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist.“ Ich sage es in meinen Worten: Gehen wir ans Werk mit Tatkraft, Zuversicht und Gottvertrauen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall im ganzen Haus)

Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Wahl der stellvertretenden Präsidentinnen/Präsidenten

Meine Damen und Herren, nach § 4 Abs. 6 der Geschäftsord nung werden die stellvertretenden Präsidenten in getrennten Wahlgängen nach demselben Verfahren wie der Präsident ge wählt. Dabei steht nach parlamentarischem Gewohnheitsrecht das Vorschlagsrecht den Fraktionen in der weiteren Reihen folge ihres Stärkeverhältnisses zu, wobei allerdings andere Vorschläge aus der Mitte des Hauses gemacht werden kön nen.

Ich bitte um Vorschläge für die Wahl des zunächst zu wählen den stellvertretenden Präsidenten oder der zunächst zu wäh lenden stellvertretenden Präsidentin und wende mich deshalb an die Fraktion GRÜNE.

Bitte, Frau Abg. Sitzmann.

Herr Präsident, meine Da men und Herren! Für die Landtagsfraktion GRÜNE schlage ich für das Amt der stellvertretenden Landtagspräsidentin Frau Abg. Brigitte Lösch vor.

Danke schön. – Sie haben den Vor schlag gehört. Werden weitere Vorschläge gemacht? – Dies ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren, für diese Wahlhandlung gilt das selbe wie bei der Wahl des Präsidenten. Begeben Sie sich bit te nach dem Aufruf Ihres Namens auf die rechte Seite des Ple narsaals. Sie erhalten dort den amtlichen Stimmzettel. Den Wahlumschlag sollten Sie bitte, wie Sie gehört haben, nicht zukleben. Das würde das Verfahren erschweren. Füllen Sie den Stimmzettel bitte in der Wahlkabine aus, und werfen Sie ihn im Wahlumschlag – Sie alle kennen das – in die hier beim Rednerpult bereitstehende Wahlurne. Der Stimmzettel darf nur einen Namen enthalten.

Wir treten in die Wahlhandlung ein. Herr Abg. Lusche, ich darf Sie bitten, den Namensaufruf vorzunehmen.

(Namensaufruf und Wahlhandlung)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist jemand im Saal, der noch nicht gewählt hat? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Wahl

handlung und bitte die Wahlkommission, das Ergebnis fest zustellen.

(Auszählen der Stimmen)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich gebe nun das Er gebnis der Wahl der stellvertretenden Präsidentin bekannt:

An der Wahl haben sich 137 Abgeordnete beteiligt.

Auf Frau Abg. Lösch entfielen 114 Stimmen.

(Beifall im ganzen Haus – Abg. Brigitte Lösch GRÜ NE nimmt Glückwünsche entgegen.)

Ich darf weiter verlesen:

Mit Nein haben 15 Abgeordnete gestimmt. Fünf Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten.

Im Sinne eines weiteren zügigen Ablaufs darf ich Sie fragen, Frau Kollegin Lösch:

(Unruhe)

Nehmen Sie die Wahl an?

Ja. Ich danke für das Vertrau en.

(Anhaltende Unruhe)

Frau Abg. Lösch nimmt die Wahl an. Sie ist damit gewählt.

(Abg. Dr. Nils Schmid SPD: Da fehlen drei Stimmen! – Zuruf von der CDU: Zählt noch einmal zusammen!)

Ich ergänze: