Protocol of the Session on June 10, 2010

Zum Zweiten will ich Ihnen sagen, ohne Geheimnisse zu ver raten: Es gab unter den 16 Bundesländern einen weiten Ab stand zwischen den Meinungen, um überhaupt in die Nähe der Mehrheitsfähigkeit bei diesem Anrufungsgrund zu kommen. Deshalb will ich hier nicht den Eindruck vermitteln, dass selbst durch Baden-Württemberg allein eine Mehrheitsfähig keit bei den Ländern herbeigeführt werden könnte. Das sehe ich nicht.

Zum Dritten muss ich darauf hinweisen, dass bei der Tatsa che eines Einspruchsgesetzes die Überwindung der ohnehin noch viel höheren Hürde, dass nämlich die Kanzlermehrheit im Bundestag einem solchen Vorschlag zustimmen würde, im Moment ebenfalls nicht ersichtlich ist. Das ist mit ein Grund dafür, dass so bald terminiert wurde.

Vielen Dank, Herr Mi nister.

Damit ist Tagesordnungspunkt 6 erledigt.

Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des

Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum – Tierversuche in Baden-Württemberg – Drucksache 14/4342

b) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des

Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst – Tierversuche an nicht menschlichen Primaten in Ba den-Württemberg – Drucksache 14/4346

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Be gründung zu den Buchstaben a und b fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion, wobei gestaffelte Re dezeiten gelten.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE betritt den Plenar saal.)

Frau Abg. Rastätter, schön, dass Sie da sind.

(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall – Abg. Dr. Klaus Schüle CDU: Das wird sich gleich herausstellen!)

Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Im deutschen Tierschutzgesetz ist ge regelt, dass Tierversuche nur durchgeführt werden dürfen, wenn die zu erwartenden Leiden und Schäden an Versuchs tieren ethisch vertretbar sind. Tierversuche, die mit länger an dauernden Schmerzen bzw. mit erheblichen Schmerzen oder Leiden verbunden sind, dürfen sogar nur dann zugelassen wer den, wenn sie für die Lösung von wissenschaftlichen Proble men von erheblicher Bedeutung sind. Der Schwerpunkt liegt hierbei also auf „erheblich“.

Es hat sich aber gezeigt, dass die vom Gesetzgeber ausdrück lich gewollte Begrenzung der Möglichkeit von Tierversuchen faktisch durch übergeordnete Grundrechte wie z. B. die For schungsfreiheit ausgehebelt wird. Das war der Grund dafür,

dass alle Fraktionen des Bundestags – ich betone: alle vier Fraktionen – in einer gemeinsamen Gesetzesinitiative im Jahr 2002 den Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenom men haben. Die Notwendigkeit für die Aufnahme des Tier schutzes als Staatsziel wurde in dem Gesetzentwurf der vier Fraktionen wie folgt begründet:

Der Schutz des Tieres als Lebewesen... ist in der Rechts ordnung der Bundesrepublik Deutschland noch immer un zulänglich.

Weiter stand in dem Gesetzentwurf – ich zitiere –:

Für die gebotene Abwägung zwischen den Interessen der Tiernutzung und dem Anspruch der Tiere auf Schutz vor Leiden, Schäden oder Schmerzen ist es notwendig, die Rechtsebenen anzugleichen, das heißt, dem Tierschutz Verfassungsrang zu geben.

Das heißt konkret: Erst durch das Staatsziel Tierschutz wur de überhaupt die Möglichkeit einer Güterabwägung zwischen den Interessen z. B. der Forschung und den Bedürfnissen der Tiere nach Vermeidung von Leiden oder Schäden geschaffen.

Positiv ist – hier möchte ich insbesondere Frau Staatssekretä rin Gurr-Hirsch ansprechen –, dass in Baden-Württemberg in den letzten Jahren wieder Forschungsmittel – 300 000 € im Jahr – in den Haushalt eingestellt worden sind, um Alternati ven zu Tierversuchen zu fördern. Dazu wurde auch ein For schungspreis ausgeschrieben. Ferner wurde in Konstanz eine Stiftungsprofessur zur Entwicklung von Alternativmethoden eingerichtet. Hinzuzufügen ist: Diese Stiftungsprofessur wird weitgehend aus Mitteln der Doerenkamp-Zbinden Stiftung und daneben noch aus Mitteln der Landesstiftung finanziert.

Trotz des Staatsziels Tierschutz, trotz dieser Forschungsmit tel haben die Zahlen der Tiere, die in Tierversuchen verwen det werden, im Bund, aber auch in Baden-Württemberg von Jahr zu Jahr wieder deutlich zugenommen. Ich möchte das an hand einiger Zahlen aus den letzten drei Jahren aufzeigen:

Im Bund werden jährlich rund drei Millionen Tiere in Tier versuchen „verbraucht“. In Baden-Württemberg ist die Zahl der verwendeten Tiere von 483 327 im Jahr 2005 auf 587 426 im Jahr 2007 gestiegen.

Ganz bemerkenswert ist, dass vor allem in der Grundlagen forschung die Zahl der Tierversuche zunimmt. Die Zahl der Tierversuche in Privatbetrieben nimmt dagegen ab, weil dort sehr viel Wert darauf gelegt wird, Alternativen einzusetzen und damit auch Kosten zu vermeiden. Aber gerade in der Grundlagenforschung an unseren Hochschulen finden immer mehr Tierversuche statt.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Auch bei der Herstellung von gentechnisch veränderten Tie ren, also transgenen Tieren, findet ein deutlicher Anstieg statt.

Meine Damen und Herren, das heißt: Trotz der einfachgesetz lichen Vorgabe der ethischen Begrenzung bei der Genehmi gung, trotz des Staatsziels Tierschutz ist in Baden-Württem berg – das ist den Stellungnahmen zu unseren Anträgen zu entnehmen – kein einziger Antrag auf Genehmigung von Tier versuchen abgelehnt worden. Bei einigen Anträgen seien von

den Regierungspräsidien einige Nachbesserungen gefordert worden, aber kein Antrag ist abgelehnt worden. Das zeigt, dass wir noch immer einen riesigen Handlungsbedarf haben.

Der Handlungsbedarf ist für uns in Baden-Württemberg so gar besonders deutlich. Wir haben auch im Landtag von Ba den-Württemberg den Tierschutz in die Landesverfassung auf genommen. Dennoch werden in 53 Einrichtungen des Landes Tierversuche durchgeführt, aber nur in 22 privaten Einrich tungen. Das heißt, die absolute und große Mehrzahl aller Tier versuche finden an den Hochschulen und den staatlichen Ein richtungen wie staatlichen Instituten statt. Daher haben wir eine besonders große Herausforderung, alles zu tun, um die Zahl der Tierversuche, und hier vor allem derer mit erhebli chen Leiden, zu senken.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Ich möchte das am Beispiel der Affenversuche aufzeigen. Da zu liegt Ihnen ein Antrag vor. Affenversuche werden in Tü bingen im Bereich der Hirnforschung durchgeführt. Ich möch te ganz klar sagen: Bei der Genehmigung von solchen Tier versuchen an hoch entwickelten, sozialen, intelligenten und sensiblen Wildtieren müssen ganz besondere Maßstäbe ange legt werden. Hier muss eine besondere Prüfung auf ethische Vertretbarkeit und auf Unerlässlichkeit durchgeführt werden. Die Behörden anderer Länder, z. B. in Bayern, Berlin und Bre men, haben vergleichbare Tierversuche nicht genehmigt. Ich weiß, dass in Bremen jetzt gerade in einem Fall das Verbot der Durchführung von Tierversuchen gerichtlich aufgehoben wurde und der Fall an die Genehmigungsbehörde zurückver wiesen wurde. Dem Antrag auf Durchführung der Versuche ist damit aber nicht stattgegeben worden; die Genehmigungs behörde muss noch einmal prüfen.

Meine Damen und Herren, solange Sie in Baden-Württem berg nicht bereit sind, mit den Behörden ähnliche Wege zu ge hen, sollte zumindest ein überregionales Fachgremium auf Bundesebene eingerichtet werden. Wir verlangen, dass Sie sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass zumindest eine für Tierversuche an Primaten spezialisierte Kommission ein gerichtet wird, die dann ähnlich wie in der Schweiz wenigs tens die ethische Vertretbarkeit und die Unerlässlichkeit noch einmal umfassend überprüfen kann.

(Beifall bei den Grünen – Zuruf des Abg. Karl Zim mermann CDU)

Jetzt komme ich allerdings zur unrühmlichen Rolle, die Ba den-Württemberg beim Novellierungsvorschlag der neuen EU-Richtlinie zum Schutz für in wissenschaftlichen Versu chen verwendete Tiere gespielt hat.

Erstmals hat die EU in einer geradezu bahnbrechenden Wei se einen Novellierungsvorschlag vorgelegt, der in ganz Euro pa deutliche Verbesserungen für den Tierschutz im Bereich von Tierversuchen eingeleitet hätte. Nun haben ausgerechnet die Bundesebene, nämlich die Bundesregierung, und die Län der, allen voran Baden-Württemberg, mit einer Stellungnah me vom 10. Februar 2009 massive Verschlechterungen dieser EU-Richtlinie in die Wege geleitet. Diese EU-Richtlinie, die tatsächlich für ganz Europa Verbesserungen gebracht hätte, wurde auf Ihr Betreiben hin maßgeblich verschlechtert.

Für uns Grüne ist dieses Verhalten absolut inakzeptabel. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Immer dann, wenn wir Fort schritte beim Tierschutz hier in Baden-Württemberg und in Deutschland verlangt haben, haben Sie gesagt: Wir machen keine nationalen Alleingänge, aber wir setzen uns vehement dafür ein, dass auf EU-Ebene Verbesserungen erreicht wer den. Nun geschieht genau das Gegenteil: Die EU-Kommissi on, die sonst sehr konservativ ist, macht eine Verbesserung,

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Was heißt „Verbes serung“?)

und Sie haben nichts Besseres zu tun, als hier eine Verschlech terung herbeizuführen.

(Abg. Ingo Rust SPD: Unglaublich ist das! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Ihre Probleme möchte ich haben!)

Deshalb sage ich: Sie haben dem Tierschutz, den Tieren und dem ethischen Bewusstsein der Bevölkerung in unserem Land einen schweren Schaden zugefügt.

(Beifall bei den Grünen)

Jetzt möchte ich noch kurz auf das eingehen, was ich beson ders perfide daran finde. Der Landestierschutzbeirat, ein sehr breit zusammengesetztes Gremium, hat sich in drei Sitzungen mit dieser EU-Richtlinie befasst und hat Vorschläge erarbei tet. Sie haben Ihre Stellungnahme bereits vorher in das Gre mium der Länder eingebracht. Sie haben den Tierschutzbei rat nicht darüber informiert. Sie haben ihn beraten und eine Stellungnahme abgeben lassen.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Unmöglich!)

Sie sind laut Satzung des Tierschutzbeirats verpflichtet, die sem alle wesentlichen Stellungnahmen der Landesregierung zum Tierschutz vorzulegen.

Damit haben Sie letztlich auch den von Ihnen berufenen Lan destierschutzbeirat vor den Kopf gestoßen. Sie haben dort den Eindruck vermittelt – dieser Eindruck trügt nicht –, dass Sie ihn für eine Alibiveranstaltung halten. Auch das schadet dem Tierschutz in unserem Land.

Deshalb liegt heute ein Änderungsvorschlag vor, der die Punk te des Landestierschutzbeirats beinhaltet. Sie, die Regierungs fraktionen, haben heute Gelegenheit, diesem Antrag zuzustim men, um den Schaden abzuwenden, den die Landesregierung hier angerichtet hat.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Sehr schön! – Abg. Winfried Kretschmann GRÜNE: Bravo! – Abg. Thomas Blenke CDU: Ist das echtes Leopardenleder?)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Rombach für die CDU-Fraktion.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Jetzt kommt Sach lichkeit in die Diskussion!)