Protocol of the Session on June 10, 2010

Deswegen: Stützen Sie die europäische Idee, wann immer Sie das können, dann kommen wir wieder voran. Ich möchte noch einmal betonen: Das ist nicht nur wichtig, weil wir die euro päische Idee hochhalten müssen, sondern weil wir in Deutsch land wie kein anderes Land von dieser EU profitieren. Wenn Ihnen kein anderes Argument genügt: Dieses müsste Ihnen doch ausreichen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Blenke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal freut mich als gebürtigen Og gersheimer, dass der geschätzte Kollege Walter den ehemali gen Bundeskanzler Helmut Kohl so intensiv gewürdigt und gelobt hat.

(Abg. Wolfgang Stehmer SPD: Das ist aber keine Empfehlung! – Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das hätte der sich vorher gewünscht!)

Der Antrag der Grünen, der heute zu beraten ist, ist schon ein paar Tage alt. Das ist nicht als Vorwurf gemeint, sondern da mit will ich nur sagen: Es hat sich in der Sache inzwischen ei niges bewegt und geändert. Er ist daher in vielen Punkten auch erledigt. Im Juni des vergangenen Jahres hat das Bundesver fassungsgericht dieses für uns so wichtige Lissabon-Urteil verkündet. Es hat erforderlich gemacht, dass der Bundestag seine Begleitgesetzgebung zur Mitwirkung an europäischen Regelungen neu gefasst hat.

Damit wurde auch die Position der Länder gestärkt. Unser Mi nister Reinhart hat sich in den damaligen Beratungen dankens werterweise sehr für die Interessen der Länder und der Land tage eingesetzt.

Der Lissabon-Vertrag ist Ende letzten Jahres in Kraft getre ten. Damit sind – der Kollege hat es eben schon gesagt – wich tige Reformen vorangebracht bzw. ist für sie eine Grundlage geschaffen worden.

Die in Ihrem Antrag geforderte Anhörung im Landtag haben wir mittlerweile bereits faktisch durchgeführt. Wir werden in den nächsten Wochen – das ist im Europaausschuss gemein sam zwischen den Fraktionen vereinbart – über die Frage der Konsequenzen für die Beteiligung des Landtags an europa rechtlichen Fragen, die unsere Gesetzgebungskompetenz be treffen, beraten. Wir werden hier einvernehmlich zu einer Lö sung kommen.

Zum Thema Subsidiarität – das ist der Punkt, an dem Kolle ge Walter und ich öfter auseinander liegen – ein paar Worte aus unserer Sicht: Der Lissabon-Vertrag erkennt ausdrücklich die zentrale Bedeutung nationaler Parlamente im System der EU an. Er stärkt die Rechte der nationalen Parlamente und auch der nationalen Ebene. Durch das Frühwarnsystem und die Subsidiaritätskontrolle können die regionalen Parlamente Widerspruch gegen nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip in Ein klang stehende Rechtsvorschriften einlegen.

Damit ist klargemacht, dass dieses Prinzip auch auf der euro päischen Ebene anerkannt ist. Deswegen halten wir es für wichtig und für richtig, uns mit dieser Thematik hier im Aus schuss zu beschäftigen und darüber zu beraten, ob Vorlagen, die wir von der Europäischen Union bekommen, jeweils mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sind.

Hier möchte ich noch einmal sagen: Wir machen eben, Kol lege Walter, immer wieder die Erfahrung, dass Maßnahmen, die die Europäische Kommission vorschlägt – unabhängig vom Inhalt –, gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen.

(Beifall des Abg. Albrecht Fischer CDU – Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Wir können mit dem Inhalt einverstanden sein. Aber unabhän gig vom Inhalt können die Vorschriften gegen das Subsidia ritätsprinzip verstoßen. Deshalb werden wir im Land – auch im Interesse der Kommunen, auf die ich gleich zu sprechen komme – weiterhin über diese Einhaltung wachen.

Ich sage Ihnen ein Beispiel, das wir vor einiger Zeit in der De batte hatten. Dabei geht es um die kommunale Verkehrspoli tik.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Ich wusste das!)

Sie wussten das. Ich wusste auch, dass der Bodenschutz kommt.

Da hat die Kommission ihre Zuständigkeit damit begründen wollen, dass es in allen größeren Städten Europas Verkehrs probleme gibt. Das ist aber kein europäischer Mehrwert, und das begründet keine europäische Zuständigkeit. Damit könn te ich auch den Erlass von Friedhofssatzungen auf europäi scher Ebene begründen.

Vielmehr müsste ich begründen können, warum es auf der na tionalen Ebene oder in diesem Fall auf der kommunalen Ebe ne nicht regelbar ist. Deswegen ist genau in diesem Fall aus unserer Sicht ein Subsidiaritätsverstoß gegeben. Deswegen werden wir Ihnen auch weiterhin nicht den Gefallen tun, in unserer Kontrolldichte nachzulassen.

(Zuruf des Abg. Jürgen Walter GRÜNE)

Vielmehr werden wir weiterhin das alles beobachten und alle Maßnahmen daraufhin überprüfen – auch im Interesse der eu ropäischen Ebene, die wir anerkennen. Wir wollen hier nicht abwehren oder eine Blockadehaltung einnehmen. Vielmehr wollen wir das ausdrücklich anerkennen. Wir sind der Über zeugung, dass Europa dann stark ist, wenn es sich auf seine Kernkompetenzen beschränkt und diese auch intensiv gestal terisch ausübt. In diesem Sinn kommen wir zu einem positi ven Ergebnis auch für die europäische Ebene.

Kollege Walter, wir hatten, glaube ich, vereinbart, dass über die Beschlussanträge heute nicht abgestimmt werden muss.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Genau! Das hatte ich vergessen!)

Ja, dann sage ich es. Ich tue Ihnen den Gefallen. Wir müs sen hier nicht darüber abstimmen, sondern werden das in den entsprechenden Beratungen im Ausschuss tun.

(Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Sehr gut! Danke!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Ho felich.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich war vor ca. fünf Wo chen aus alter sozialliberaler Sentimentalität bei einem Kon gress der Theodor-Heuss-Stiftung in der Alten Reithalle in Stuttgart. Da ist der Theodor-Heuss-Preis an Berthold Leibin ger

(Zuruf des Abg. Hagen Kluck FDP/DVP)

und an Michael Otto verliehen worden. Michael Otto vom Ot to-Versand hat den Preis dafür bekommen, dass er mit seinem Versandhandel weltweite Einkaufsstandards durchgesetzt hat, die z. B. darauf beruhen, dass Baumwolle, die er verwendet, nicht durch giftige Substanzen gezogen wird, dass keine Pro dukte aus Kinderarbeit angeboten werden usw.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Ganz klar, lieber Kollege Zimmermann. Aber es wird gleich noch ein bisschen ernsthafter.

Er hat es geschafft, europäische Mitbewerber im Versandhan del zu überzeugen – vor allem diejenigen, die auf das Internet setzen. Nicht jeder Deutsche hat die Internetphase erkannt; manche haben sie verschlafen. Aber er hat mit denen, die in Europa seine Mitbewerber sind, diese Standards gemeinsam gemacht und damit bewiesen – so viel zum Thema Ökonomie –, dass das Erbe von Europa immer von starker Ökonomie, aber auch von starker humaner und humanistischer Gesinnung geprägt ist. Das war möglich, weil er diese Überzeugung hat te.

Es wird in der Welt der Wirtschaft oft so sein – vielleicht ein bisschen anders als in der Welt der Politik –, dass es nicht um Zuständigkeiten und um Grenzen, sondern um Überzeugun gen geht, die man vom starken Boden Europas aus in der Welt durchsetzen kann.

Da muss man sich immer fragen, mit welchen Begriffen man operiert und ob der Begriff der Subsidiarität als ein abweh render Begriff in jedem Fall angemessen ist. Das ist auch für das starke Wirtschaftsland Baden-Württemberg, für unsere ei gene Haltung in dieser Sache entscheidend.

Ich bin dankbar, dass der Antrag der Grünen, auch wenn sei ne Einbringung lange zurückliegt, heute aufgerufen ist. Na

türlich können wir das Thema heute nicht erschöpfend disku tieren. Ich will das angesichts des heutigen Tagesablaufs auch nicht tun.

Es geht aber nicht um die Frage „Subsidiarität: Ja oder Nein?“. Es geht um die Frage „Mitgestaltung oder Abwehr europäi scher Politik?“, und es geht um ein offensives oder ein defen sives Europaverständnis unseres Landes. Letztlich geht es um die mentale Einstellung Baden-Württembergs zu Europa. Das muss dieses Haus beschäftigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Noll FDP/DVP)

Es gibt dazu Eindrücke. Die kann man hier im Parlament ha ben. Ich nehme da keine Zuweisungen vor, welchen Eindruck man von wem haben mag. Aber Tatsache ist auf jeden Fall, dass es dazu im Haus ganz offenbar noch immer unterschied liche Haltungen gibt. Das bedauere ich.

Ich glaube nicht, dass wir mit Subsidiaritätsprüfungen in un serer Rolle in Europa wirklich weiterkommen. Ich glaube, dass eine andere Haltung, nämlich die des Mitargumentierens, des Mitgestaltens, viel wichtiger geworden ist, dass wir dies auch als Parlament leben müssen und uns nicht allein auf die Exekutive verlassen dürfen. Das ist meine Überzeugung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Jür gen Walter GRÜNE – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Sehr gut!)

Ich will das einmal an ein paar Beispielen, die eine Rolle ge spielt haben, verdeutlichen. Thema „Mobilität in der Stadt“: Lieber Kollege Blenke, natürlich kann man es leicht ins Lä cherliche ziehen, indem man sagt, jedes Kommunalparlament beschließe selbst. Aber ich sage Ihnen, was real passieren wird.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist nicht lächerlich!)

Gut, dann kann man es so skizzieren. Ich sage es einmal neutral. Es soll ja keine Schärfe in die Debatte kommen.

Ich sage Ihnen einmal, was ich als ehemaliger Vizepräsident der Region Stuttgart ehrenamtlich zum Thema Mobilität ge macht habe. Wir haben uns natürlich an Wettbewerben betei ligt, bei denen klar war: Wir werden unsere Stadtmobilitäts konzepte vielleicht mit denen von London, Paris oder Barce lona vergleichen müssen. Das wird passieren.

Die Rhein-Neckar-Region wird sich mit Rotterdam verglei chen und wird fragen: „Wie macht ihr es?“ Es geht um Best Practice. „Wie machen wir es?“ Das wird ganz normal pas sieren, egal, ob wir durchsetzen wollen, dass jemand nichts damit zu tun hat oder etwas damit zu tun hat. Vergessen wir es. Es passiert einfach. Die Kommunen werden auch in diese Richtung gehen. Herr Schuster hier in Stuttgart freut sich doch, dass er viele internationale Aufgaben hat.

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Woran liegt das?)

Das weiß ich auch nicht. Ich zerbreche mir nicht auch noch seinen Kopf.

Bei den Bildungszielen werden wir heute Folgendes erleben: Wir haben zwei parallel laufende Entwicklungen. Zunächst