Protocol of the Session on June 9, 2010

Lieber Herr Zeller, dann zu Ihnen.

(Abg. Jörg Döpper CDU: Herr Zeller kommt auch noch dran!)

Ich finde es spannend, was Sie gesagt haben. Aber ich will gar nicht näher darauf eingehen. Das Thema Verfassungswidrig keit im Zusammenhang mit dem Schulgesetz von BadenWürttemberg zu nennen ist ein hoher Anspruch, den Sie hier erheben.

(Abg. Winfried Scheuermann CDU: Das ist Unsinn!)

Wenn Sie die Gutachten gelesen haben – ich habe auch die Gutachten der Nichtfreunde unseres Weges gelesen –, dann haben Sie erfahren, dass die Umsetzung eine Sache der Län der ist, dass auch das Wie eine Sache der Länder ist und dass von keinem Land, das dafür zuständig ist – weder in Deutsch land noch innerhalb der Bundesländer, noch außerhalb der Bundesländer –, ein Zeitplan vorgegeben ist, der eine sofor

tige hundertprozentige Umsetzung vorsieht. Auch das RiedelGutachten sagt das nicht. Das Riedel-Gutachten sagt aus drücklich nichts zu einem Zeitplan. Damit ist das Thema Ver fassungswidrigkeit wohl ein bisschen daneben.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Liebe Frau Rastätter, ein letzter Satz – ich möchte Erhard Blanck zitieren –:

Die meisten Holzwege enden in einer Sackgasse.

Ich verstehe Sie ehrlich gesagt nicht. Eigentlich sind Sie eine ganz vernünftige Pädagogin. Wenn Sie aber an diesem Punkt sind, sind Sie Ideologin. Das finde ich schlimm. Ich finde, wenn man in einer Sackgasse steht – und Sie stehen in einer Sackgasse, weil Sie nicht die Kinder im Auge haben, sondern Ihre Ideologie –, dann sollte man umdrehen.

(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Reinhold Gall SPD: Das ist unglaublich! Oh liebe Leutʼ! Sie sollten anderen Leuten nicht Dinge unterstellen, die Sie gern so se hen würden!)

Machen Sie einen Schritt zurück, drehen Sie in der Sackgas se um, lassen Sie es bleiben. Wir diskutieren in jeder Plenar sitzung gern mit Ihnen über dieses Thema. Es geht aber nicht, dass Sie von Sitzung zu Sitzung Sachen behaupten, die nicht stimmen. Sie tun den Kindern keinen Gefallen und den Eltern auch nicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Sehr gut! – Zuruf von der CDU: So ist es!)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Dr. Arnold.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Rastätter, warum ist gemein samer Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung so wichtig? Weil Hänschen hier lernt, was auch Hans in seinem späteren Leben beherzigen wird: Menschen mit Behinderung sind Teil der Vielfalt des menschlichen Lebens. Sie gehören zu uns und in die Mitte unserer Gesellschaft. Sie sollen ihr Le ben so selbstbestimmt und frei leben können, wie es irgend wie möglich ist. Dazu muss auch unser Bildungssystem sei nen Teil beitragen. Darin sind wir uns alle einig. In dieser Fra ge sind wir in den letzten eineinhalb Jahren einen großen Schritt vorangekommen.

Ich habe die Debatten von 2008 noch einmal gelesen. Wie ha ben wir damals darum gerungen – auch vonseiten der FDP/ DVP-Fraktion –, dass die Waldorfschule in Emmendingen ih re integrative – heute würden wir sagen: ihre inklusive – Ar beit fortsetzen kann. Damals war die herrschende Meinung, im Schulgesetz von Baden-Württemberg sei eine integrative Schule nicht vorgesehen, und deshalb gebe es auch keine ge setzliche Grundlage für eine Genehmigung als Ersatzschule.

(Abg. Reinhold Gall SPD: So viel zum Thema Ideo logie!)

Mittlerweile hat sich das Blickfeld hier offensichtlich gewei tet.

(Zuruf von der SPD: Bei manchen!)

Aber wir müssen aufpassen – das ist mir in einigen Stellung nahmen aufgefallen –, dass wir die Begriffe nicht miteinan der verwechseln. Gemeinsam, kooperativ, integrativ bedeutet nicht automatisch inklusiv. Inklusive Beschulung heißt: Ein Kind mit Behinderung ist Schüler der Regelschule.

(Abg. Norbert Zeller SPD: So ist es!)

Es nimmt am Unterricht der Regelschule teil, auch wenn es dem allgemeinen Bildungsgang nicht folgen kann.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Deswegen zieldifferenter Unterricht!)

Das, meine Damen und Herren, gibt es im derzeitigen Schul system von Baden-Württemberg, abgesehen von noch laufen den Schulversuchen, eben nicht.

(Abg. Norbert Zeller SPD: So ist es!)

Genau darum geht es bei unseren jetzigen Bemühungen. Die echte inklusive Beschulung soll ermöglicht und ausgebaut werden, wo immer es geht und wo immer das von den Eltern gewünscht wird.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Zieldifferenter Unterricht, genau darum geht es!)

Die Fraktion der FDP/DVP hat schon im März 2009 wichti ge Fragen gestellt: Wie kann dieser inklusive Unterricht, der seiner Natur nach immer zieldifferent ist, auch in Baden-Würt temberg ermöglicht werden? Wie können wir den Eltern ein echtes Wahlrecht für die Auswahl der Schule geben? Was be deutet die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung für unser Bildungssystem? Deshalb haben wir es sehr begrüßt, dass der damalige Kultusminister Rau zur Be antwortung genau dieser Fragen einen Expertenrat eingesetzt hat. Der Expertenrat hat seine Beratungen abgeschlossen und seine Vorschläge vorgelegt. Die Vorschläge dieses Gremiums begrüßen wir.

Besonders wichtig ist für uns der Paradigmenwechsel, der hier stattfindet: Gemeinsamer Unterricht von Kindern mit und oh ne Behinderung soll in Zukunft die Regel und nicht mehr wie bisher die Ausnahme sein, und zwar auch in Form eines ech ten inklusiven Unterrichts.

Wichtig ist uns auch, dass das einzelne Kind in den Mittel punkt gestellt wird. Für das einzelne behinderte Kind soll durch die neuen Bildungswegekonferenzen eine passgenaue Lösung entwickelt werden. An dieser Stelle werden wir uns mit Nachdruck dafür einsetzen, dass Eltern in diese Bildungs wegekonferenzen auch Berater ihres Vertrauens mit hinein nehmen können. Dann wird nämlich der Elternwille nicht un terlaufen, wie Sie das unterstellt haben, Herr Zeller.

Wichtig ist uns auch, dass die Eltern die Schule frei wählen können. Das bedeutet für uns: Wir wollen die Sonderschulen beibehalten und wollen sie nicht abschaffen, so wie Sie, Frau Rastätter, das zumindest teilweise wollen. Denn das würde ja genau dieses Elternwahlrecht einschränken.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Ich bitte Sie, die Unterhaltungen nach außerhalb des Plenarsaals zu verlegen.

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Dann ist aber nie mand mehr da! – Heiterkeit)

Dieses Elternwahlrecht kann aus unserer Sicht und auch aus Sicht des Expertenrats nur durch zwingende Gründe eingeschränkt werden, die ich noch einmal benennen möchte. Es ist uns wichtig, dass wir diese Gründe wirklich auch im Auge haben. Die Gründe lie gen zum einen im Bildungsrecht des behinderten Kindes selbst. Sie können im Bildungsrecht anderer beteiligter Kin der liegen, oder sie können darin liegen, dass die Eltern eine Lösung wünschen, die mit einem unbilligen Kostenaufwand bzw. einem unverhältnismäßigen Mehraufwand verbunden wäre.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Das widerspricht aber der UN-Konvention!)

Ich betone hier die Worte „unbillig“ und „unverhältnismä ßig“, Herr Zeller.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Wer legt das fest? Legen Sie das fest?)

Das heißt nämlich im Umkehrschluss: Wenn wir mehr ge meinsamen Unterricht wünschen, dann müssen wir dafür an unseren Schulen in einem vertretbaren Rahmen die nötigen sächlichen und personellen Voraussetzungen schaffen. Das darf nicht länger ein Hinderungsgrund sein –

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

nur eben dann, wenn der erforderliche Aufwand, wie schon betont, unverhältnismäßig ist. Wir sind auch damit einverstan den, dass das an einigen Schwerpunktschulämtern zunächst einmal ausprobiert werden soll.

Was bedeutet es, wenn Kinder mit Behinderung an normalen Regelschulen unterrichtet werden? Welche finanziellen, päd agogischen und organisatorischen Konsequenzen hat das? Welche Lehrerressourcen brauchen wir dafür? Wie soll der Unterricht für diese Kinder aussehen?

An dieser Stelle gehen wir davon aus, dass bezüglich der Aus wahl der Schwerpunktschulämter noch nicht das allerletzte Wort gesprochen ist. Denn wir möchten hier gern auch Schu len mitnehmen, die auf diesem Weg schon weit fortgeschrit ten sind, die aber nicht zu den genannten Schwerpunktschul ämtern gehören.

Über all dies hinaus wollen wir noch mehr erreichen. Wir wol len auch die Eltern mitnehmen, die sich schon jetzt sicher sind, dass sie ihr behindertes Kind an einer normalen Regelschule unterrichten lassen wollen. Wo es solche Initiativen gibt, wo Eltern schon die Schule gefunden haben, die diesen Weg mit gehen will, sollen diese Eltern schon jetzt und nicht erst in drei Jahren die nötige Unterstützung bekommen. In diesen Fällen sollen auch schon jetzt die Schulen die nötigen Res sourcen dafür bekommen. All das – ich denke, da sind wir uns einig – kann sowieso nur von unten herauf wachsen. Herr Hoffmann hat das noch einmal mit Nachdruck betont.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Herr Hoffmann sagt, das geht nicht!)

Es kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten mit der neuen Si tuation, mit dem neuen Weg einverstanden sind. Wir haben uns in der Koalition deshalb ursprünglich darauf verständigt, dass hier auch im Zuge von Ausnahmegenehmigungen schon – ich darf es einmal salopp ausdrücken – losgelegt werden kann.

Herr Hoffmann hat gesagt, dass der, der inklusiv arbeiten will, das punktuell auch andernorts schon tun kann. Ich bin ge spannt, auf welcher Grundlage das umgesetzt wird und wie die einzelnen Maßnahmen aussehen, um das zu realisieren. Frau Professorin Dr. Schick wird es uns jetzt sicher sagen. Wir freuen uns sehr, dass sie sich an die Spitze der Bewegung ge stellt hat. Wir gehen den Weg, den Frau Dr. Schick entschlos sen weitergehen will, gern mit. Sie hat uns dabei auf jeden Fall an ihrer Seite.

Die Mühen der Vergangenheit haben sich gelohnt, meine Da men und Herren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Professorin Dr. Schick.