Protocol of the Session on June 9, 2010

Entschlossenes Handeln zugunsten inklusiver Bildung sieht anders aus! Mit ihrem Vorstoß zur Abschaffung der Sonderschulpflicht erweckt die politische Führung in Ba den-Württemberg zwar geschickt den Eindruck, zuguns ten der inklusiven Bildung aktiv werden zu wollen. Der SoVD hat jedoch große Zweifel an der Ernsthaftigkeit des politischen Willens zur Inklusion.

(Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Kein Vertrauen!)

Sagen Sie das einmal dem Sozialverband. Die haben ganz andere Erfahrungen als Sie.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Frau Palzer, eine Vertreterin der betroffenen Eltern, sagt:

Wir Eltern sind durchaus bereit, uns von Fachleuten wie Ärzten, Erzieherinnen, Lehrern und Therapeuten, die uns und unsere Kinder kennen und begleiten, beraten zu las sen. Aber wir haben genug davon, uns von Leuten, die un sere Kinder oft noch nicht mal gesehen haben, sagen zu lassen, dass sie genau wissen, was gut für die kleinen Menschen ist, dass wir doch sicher nur das Beste für un sere Kinder wollen, dass wir Mütter die Behinderung un seres Kindes nicht verarbeitet haben, dass die Gesell schaft nicht bereit wäre für unsere Vorstellungen von In klusion, dass kein Geld da sei.

In der Tat sind dies alles immer wieder Gründe, warum Inklu sion doch nicht so ganz stattfinden kann, obwohl es, wie ge sagt, einen klaren Rechtsauftrag gibt.

Die aktuelle Situation unseres Schulsystems ist hier klar: Sie orientieren sich nach wie vor an der Homogenität, Sie orien tieren sich an der Selektion, und Sie orientieren sich an Leis tung in Konkurrenz.

(Zuruf des Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP)

Die angebliche Homogenität, die es aber eigentlich gar nicht gibt, ist Leitprinzip im baden-württembergischen Schulwe sen. Herr Baumert selbst, den Sie sonst bei jeder Gelegenheit so gern zitieren, kritisiert die Segregation in Baden-Württem berg.

Zu der in der Antwort der Landesregierung getroffenen Aus sage, dass das baden-württembergische System das gemein same Lernen zur Grundlage habe, verweise ich auf das Schul gesetz, in dem es nach wie vor heißt, dass die in § 15 Abs. 1 genannten Schüler zum Besuch der für sie geeigneten Son derschule verpflichtet sind. Dieser Satz ist nach der UN-Kon vention verfassungswidrig und muss deshalb schleunigst ge ändert werden, meine Damen und Herren.

(Abg. Andreas Hoffmann CDU: So ein Quatsch!)

Deswegen haben wir gesagt, wir begnügen uns nicht mit ei ner weiteren Versuchs- und Erprobungsphase, sondern wol len dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode geändert haben. Im Schulgesetz heißt es auch:

Darüber,... welcher Typ der Sonderschule... für den Son derschulpflichtigen geeignet ist, entscheidet die Schulauf sichtsbehörde...

Das ist geltendes Recht.

Wenn es nun sogar eine Bewegung gibt, die ich durchaus po sitiv bemerke und auch anerkenne, bei der die Schulverwal tung, Frau Schick, sogar bereit ist, im Sinne der Inklusion tä tig zu sein, dann gelingt dies deswegen nicht, weil z. B. eine GLK nach geltender Rechtslage noch immer verhindern kann, dass diese Schule einen solchen Ansatz verfolgt. Deswegen werden Eltern nach wie vor letztlich zu Bittstellern degradiert. Das ist noch immer die Praxis – trotz mancher Bemühungen, die ich durchaus anerkenne.

Ich will noch deutlich machen, dass zahlreiche Untersuchun gen und Studien klar erweisen, dass bei heterogenen Leis tungs- und Lerngruppen Leistungsschwächere stärker moti viert werden und hiervon auch profitieren. Dies ist, wie ge sagt, in Studien mehrfach nachgewiesen.

Bildungskonferenzen, wie Sie sie nun vorschlagen, sind zu bürokratisch. Sie sind so angelegt, dass das Elternwahlrecht letztlich auch unterlaufen werden kann. Nicht Außenklassen sind die Lösung, wie ja auch Sie immer wieder betont haben; vielmehr brauchen wir tatsächlich Inklusionsschulen, das heißt, alle Regelschulen werden zu Inklusionsschulen.

Solche Schulen haben wir zum Teil auch schon in BadenWürttemberg. Ich kann Ihnen nur empfehlen, in Stuttgart ein mal die Torwiesenschule zu besuchen, eine Schule, die sehr kompetent und in einer hervorragenden Art und Weise Kin der gemeinsam lernen lässt. Interessant ist, dass die Anzahl derjenigen Eltern, die ihre Kinder auf diese Schule schicken wollen, die Zahl der dort bestehenden Plätze um das Dreifa che übersteigt. Das heißt, wir haben einen riesigen Bedarf und eine große Nachfrage.

Uns geht es darum, allen Sonderschulen Weiterentwicklungs möglichkeiten zu geben und sie sich zu sonderpädagogischen Kompetenz- und Beratungszentren weiterentwickeln zu las sen und die Arbeit der Sonderpädagogik an die Regelschule zu verlagern. Jetzt ist verantwortungsvolles Handeln angesagt, meine Damen und Herren, und zwar sofort. Wir wollen nicht warten. Beispiele aus anderen Ländern gibt es zur Genüge, die uns zeigen, dass all dies funktioniert und sehr erfolgreich ist. Deswegen werden wir nach der Sommerpause auch einen eigenen Gesetzentwurf in den Landtag einbringen, und wir hoffen hierfür auf Ihre Unterstützung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hoffmann für die Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, wie die Op position mit dem Thema Inklusion umgeht. Ich glaube, das ist nun die vierte Plenardebatte in Folge, in der dieses Thema hochgezogen wird. Wir haben inzwischen eine interessante Arbeitsteilung zwischen Opposition und Regierungsfraktio nen bzw. Regierung: Wir setzen die Vorschläge des Experten rats bereits vor Ort um, und Sie halten hier noch Reden und beschäftigen den Landtag immer wieder mit den gleichen The men.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/ DVP – Abg. Norbert Zeller SPD: Das stimmt doch gar nicht! Das ist doch gar nicht der Fall!)

Es muss, lieber Herr Zeller, geradezu unerträglich für Sie sein, dass wir mit der Umsetzung ernst machen, dass es draußen schon läuft

(Abg. Norbert Zeller SPD: Soll ich Ihnen Gegenbei spiele nennen?)

und dass sich unsere Kultusministerin an die Spitze der Be wegung gesetzt hat. Sie aber machen hier immer wieder das gleiche Fass auf.

(Vereinzelt Beifall – Abg. Norbert Zeller SPD: Das ist falsch, was Sie sagen!)

Ich erinnere an die letzte Regierungsbefragung. Sie versuchen immer wieder, zu unterstellen, wir würden auf Zeit spielen und wollten, beispielsweise mit der Beauftragung der fünf Schwerpunktschulämter, einen Zeitgewinn herausschlagen, weil wir die Sache eigentlich nicht umsetzen wollten.

Jetzt möchte ich einmal Klartext reden. Der Expertenrat hat uns allen vorgeschlagen,

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Wessen Experten rat?)

zunächst in Modellen die Fragen der inklusiven Bildungswe ge auszutesten

(Abg. Norbert Zeller SPD: Das haben Sie im Schul ausschuss zurückgewiesen!)

und dann in die Fläche zu gehen. Das war der Vorschlag des Expertenrats. Heute zeigt sich, dass wir aufgrund unserer lang jährig erprobten Modelle wie ISEPs, Außenklassen und Au ßenstellen eine gute Grundlage für Entscheidungen haben. Wir wissen durch diese Modelle – die Sie wieder kritisieren, weil sie zu lange gedauert hätten – sehr viel; wir kennen den Weg, wie inklusive Bildungswege künftig aussehen sollen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Genau so ist es!)

Wir wissen auch, dass es sich gelohnt hat, diese Modelle aus zuprobieren und nicht gleich etwas Neues zu machen oder ins kalte Wasser zu springen.

Zurück zum Expertenrat. Der einzige Punkt, in dem wir uns vom Expertenrat unterscheiden, ist ein Punkt, bei dem wir über den Vorschlag des Expertenrats sogar noch hinausgegan gen sind: Wir haben in fünf Schwerpunktschulämtern die Um setzung begleiten lassen bzw. lassen sie noch begleiten. Aber in allen anderen Schulamtsbezirken – in allen anderen! – kann ebenfalls mit inklusiven Bildungswegen gestartet werden, wenn dort die gleichen Voraussetzungen vorliegen. Dazu ge hört insbesondere die Einigung mit den Schulträgern und den Trägern der Eingliederungs- und Jugendhilfe.

Jetzt will ich Ihnen, liebe Frau Rastätter und lieber Herr Zel ler, einmal als Sozialpolitiker in aller Deutlichkeit etwas sa gen: Was Sie hier machen, ist eine Schuldiskussion, der im mer der zweite Teil fehlt, der Teil der Schulträger. Was ist ei gentlich mit denen, die im Moment Sonderschulen haben, die neue Schulen einrichten? Die werden bei Ihnen gar nicht be rücksichtigt.

(Abg. Norbert Zeller SPD: Seien Sie doch nicht so primitiv!)

Viel schlimmer ist – ich das sage immer und immer wieder, bis es Ihnen zu den Ohren herauskommt –: Behinderte Kin der sind 24 Stunden am Tag behindert. Sie beide reden immer über sechs oder acht Stunden Schule. Was ist mit dem Rest? Wer klärt die Eingliederungshilfe, wer klärt die Jugendhilfe, wer spricht mit den Kommunen über die Schulen, wer baut Schulräume? Sie unterstellen, dass das alles ganz normal lau fen wird – nein, Sie unterstellen es nicht, Sie nehmen diese Sachverhalte gar nicht zur Kenntnis. Das zeigt, dass Sie das

Thema „Behindertes Kind“ nicht in Gänze bearbeiten, son dern immer nur das Thema „Unterricht und Schulgesetz“ im Auge haben. Wir versuchen, es insgesamt zu sehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Ur sula Haußmann SPD: Sie kommen aber nicht vom Fleck!)

Lassen Sie es bitte bleiben. Sie versuchen, in der Öffentlich keit den Eindruck zu erwecken, es gäbe eine halbherzige Um stellung. Die gibt es nicht. Wir haben Vollgas gegeben. Das stört Sie möglicherweise beim Thema Inklusion. Wir wissen, dass Eltern ein Interesse an einem inklusiven Bildungsweg haben. Sie können sich bereits heute an jedes Schulamt wen den; das wissen sie auch selbst. Es sind alle darauf angewie sen, gemeinsam mit den Beteiligten einen Weg zu suchen, und zwar einen Weg für die Kinder und einen Weg weg von einer Inklusionsideologie, wie Sie sie verfolgen.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Sehr richtig! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Jetzt bekommen wir aber Angst!)

Es ist klar, dass Lösungen vor Ort sinnvoll sind, diese aber auch ein wenig Zeit brauchen. Ich will Ihnen auch sagen, wa rum wir – im Gegensatz zu Ihnen – ein bisschen Zeit brau chen. Sie wollen alle Schulen verpflichten, Inklusion anzubie ten. Das kann am Ende der richtige Weg sein. Wenn man aber behinderte Kinder inkludieren will, dann muss man jetzt bei Schulen, die noch keine Kinder im integrativen Unterricht ha ben, Werbung dafür machen.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Wenn sie die ent sprechenden Rahmenbedingungen bekommen, ma chen die alle mit!)

Ich möchte, dass wir Schulen auswählen, dass Schulen sich selbst dazu bekennen, dass sie Inklusionsschulen sind. Wir wollen keine Schule zwingen, Inklusion zu machen. Gerade behinderte Kinder müssen willkommen sein.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Die sind willkom men! Was für ein Bild haben Sie von unserer Schu le?)

Sie wissen wahrscheinlich wie ich, dass es Vorbehalte an Schulen und Vorbehalte von Eltern gibt.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Wegen der Rahmen bedingungen!)