Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Förderung der Weiterbildung während Kurzarbeit aus Mitteln des Europäischen Sozi alfonds – Drucksache 14/4117
Das Präsidium hat für die Begründung eine Redezeit von fünf Minuten und für die Aussprache eine Grundredezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt, wobei gestaffelte Redezeiten gelten.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über einen An trag, der vor einem Jahr entstanden ist, nachdem der Wirt schaftsminister im Februar 2009 angekündigt hatte, ein eige nes Baden-Württemberg-Programm aus ESF-Mitteln zur För derung der Weiterbildung während der Wirtschafts- und Fi nanzkrise bzw. der Kurzarbeit aufzulegen.
Der Antrag stellt sich durch Zeitablauf heute anders dar, weil die Bundesagentur für Arbeit ein solches Programm aufgelegt und das Wirtschaftsministerium das Vorhaben zurückgezogen hat. Deshalb könnte man fast meinen, der Antrag sei erledigt. Leider ist er es nicht, weil wir noch mitten in der Wirtschafts- und Finanzkrise stecken und das Thema Weiterbildung für uns weiterhin ein Thema bleiben wird.
Wir hatten im letzten Jahr, in einer Zeit der Kurzarbeit, einen Höchststand von 1,5 Millionen Betroffenen.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Unterhaltungen außerhalb des Plenarsaals zu führen. Es ist sehr unruhig hier im Raum.
Als Höchststand hatten wir 1,5 Millionen Menschen, die in Kurzarbeit waren. Nach den Schätzungen wurden dadurch 500 000 Arbeitsplätze gerettet. Ich glaube, das ist in allen Parteien unbestritten.
Spannend ist, zu erfahren, wer das Kurzarbeitergeld in An spruch genommen hat: Im Bereich der Metallindustrie wurde für 25 % der Beschäftigten, im Maschinenbau für 22 %, im Textilbereich für 18 % und in der Automobilindustrie für 17,5 % der Beschäftigten Kurzarbeitergeld in Anspruch ge nommen. Damit sind wir in Baden-Württemberg angekom men; denn dies sind genau die Industriebranchen, in denen Baden-Württemberg insgesamt sehr stark ist. Weil wir so stark davon betroffen sind, bleibt die Frage, wie wir mit Weiterbil dung umgehen, für uns weiterhin ein Thema.
Dieses Thema ist auch deswegen so wichtig, weil wir in Ba den-Württemberg, was den Strukturwandel anbelangt, in der Zukunft noch einiges vor uns haben, was andere Bundeslän der bereits hinter sich haben. Wir haben nämlich beim Ver gleich zwischen Produktion und Dienstleistung im Vergleich zu anderen Bundesländern den höchsten Anteil von Beschäf tigten in der Produktion. Das heißt, da wird insgesamt ein Strukturwandel auf uns zukommen. Es geht nicht nur um Wei terbildung in der Kurzarbeit, sondern auch über die Zeit der Kurzarbeit hinaus.
Olaf Scholz hat in der Großen Koalition die Regeln für die Kurzarbeit modifiziert und das konjunkturelle Kurzarbeiter geld eingeführt. Zum konjunkturellen Kurzarbeitergeld hat er gesagt: Wir verändern das SGB III und erleichtern etliche Po sitionen. Zum einen ist der Förderzeitraum verlängert worden, zum anderen gab es die 100-prozentige Übernahme der Sozi alversicherungsbeiträge ab dem siebten Monat oder sogar gleich von Anfang an, sofern Weiterbildung damit verbunden war.
Das ganze Programm – Gott sei Dank von der CDU in der Großen Koalition unterstützt – ist europa- und weltweit sehr anerkannt, weil sich die Arbeitsmarktzahlen in Deutschland insgesamt als so stabil erwiesen, dass wir im Vergleich zu al len anderen Ländern ein Vorzeigemodell hatten. Ich denke, deswegen müssen wir entsprechend weiter damit umgehen.
Gleichzeitig kam hinzu, dass die Unternehmen in Deutsch land – so sehen wir das – ebenfalls umgedacht haben. Vor 15 Jahren hätte es mit Sicherheit Massenentlassungen gegeben. Heute haben ganz viele Unternehmen gesagt: Wir wollen die Kernbelegschaften halten, wenn es irgendwie möglich ist. Ich glaube, auch diese Veränderung der Haltung in Bezug auf die Beschäftigten, die man auch in Zukunft braucht, hat dazu bei getragen, dass die Lage insgesamt relativ stabil war.
Die Weiterbildung war eine Chance in der Krise. Sie wurde nicht genügend genutzt – um auch das einmal zu bewerten. Knapp 180 000 Menschen haben irgendeine Weiterbildungs
maßnahme durchlaufen. Bemerkenswert ist, dass davon nur 15 % Frauen waren; 85 % davon waren Männer. Da gibt es wirklich noch Lücken, die man gezielt betrachten muss. Ich denke, insgesamt war und ist der Einsatz richtig, aber es ist noch nicht so gut umgesetzt, wie man es sich vorstellen könn te.
Baden-Württemberg ist besonders betroffen. Wenn man sich die Arbeitslosenzahlen ansieht, die die Bundesagentur für Ap ril 2010 ausgegeben hat, und diese mit den Zahlen des Vor jahresmonats – April 2009 – vergleicht, dann stellt man fest, dass Baden-Württemberg an letzter Stelle aller Bundesländer steht, und zwar nicht gemessen an der absoluten Arbeitslosen quote – da steht es mit 5,2 % und Platz 2 noch relativ gut da –, sondern gemessen an der Entwicklung. Dabei steht es näm lich an allerletzter Stelle. Alle Bundesländer außer BadenWürttemberg haben die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahresmonat reduziert. Das muss einem zu denken geben.
Ich will es gar nicht so stark werten. Ich will einfach sagen: Wir sind mittendrin. Wichtige Branchen bei uns sind beson ders betroffen. Aber wir haben besondere Aufgaben, damit umzugehen. Sowohl Arbeitgebervertreter – ob das Gesamt metall oder der Bundesverband der Arbeitgeber ist – als auch Arbeitnehmervertreter – ob das die IG Metall oder der DGB ist – sagen: Für viele Unternehmen wird die Krise erst in die sem Jahr oder im Jahr 2011 ankommen. Das bedeutet für un seren Umgang mit Kurzarbeit, dass wir politisch entsprechend flankieren müssen.
Da läuft auf Bundesebene eine Diskussion. Die CDU will kür zen bzw. will es jedenfalls nicht ausreichend verlängern. Die SPD hingegen fordert, 36 Monate lang müsse die Sache funk tionieren, sodass die Unternehmen, die in diesem Jahr betrof fen sein werden, zumindest in die gleiche Situation kommen wie die Unternehmen, die im letzten Jahr betroffen waren, und nicht schlechtergestellt werden.
Wir brauchen weiterhin die Sozialversicherungsbeitragsbe freiung – das ist nicht synchronisiert, auch nicht bei den ak tuellen CDU-Vorschlägen –, und es ist auch zukünftig erfor derlich, dass die Weiterbildung entsprechend gefördert wird.
Die Argumente – dies kommt vor allem von der FDP –, da gä be es Mitnahmeeffekte und eine Verlängerung der Kurzarbeit würde den Strukturwandel, also sozusagen die Innovation, be hindern, sind völlig daneben. Denn die Remanenzkosten, al so die Kosten, die beim Arbeitgeber bleiben, selbst dann, wenn er Kurzarbeit mit Unterstützung macht, sind so hoch, dass kein Arbeitgeber freiwillig Kurzarbeit macht, wenn es nicht insgesamt notwendig ist.
Ich denke also, man muss einiges tun. Erstens brauchen wir die Verlängerung der Kurzarbeitsregelung, und zweitens brau chen wir eine Vereinfachung, wenn es darum geht, an Weiter bildung zu kommen.
Auf eine Anfrage auf Bundesebene hin ist von fast allen, die dort gesprochen haben, ganz deutlich zum Ausdruck gekom men: Es ist zu kompliziert, es ist mit zu viel administrativem Aufwand verbunden. Also muss man versuchen, diesen Auf wand abzubauen.
Unser Vorschlag lautet: Wir wollen eine Regelung, mit der wir denjenigen Arbeitgebern den administrativen Aufwand kom
plett abnehmen, die sich insgesamt anständig mit Finanzmit teln an Weiterbildungsmaßnahmen beteiligen. Wir wollen ei ne bessere Verknüpfung zwischen den Anbietern von Weiter bildung auf der einen Seite und den Unternehmen auf der an deren Seite. Wir wollen einen Rechtsanspruch auf individuel le Weiterbildung für von Kurzarbeit Betroffene. Insgesamt wollen wir Überlegungen dazu anstellen, wie wir in BadenWürttemberg landesspezifisch mit der Situation umgehen kön nen, die uns in der Entwicklung von einer guten Ausgangspo sition aus gegenüber anderen Bundesländern ins Hintertref fen geraten lässt. Da, denke ich, lohnt es sich, etwas Gehirn schmalz einzusetzen.
Wir wollen über den Antrag, den wir Ihnen vorgelegt haben, heute nicht abstimmen lassen, werden aber beantragen, die sen Antrag an den Ausschuss zu überweisen, damit wir uns dort weiter mit diesem Thema beschäftigen können.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle wissen, dass die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise derzeit noch keineswegs überwunden sind. Wir haben aber bis zum heutigen Tag viele der damit verbundenen Herausforderungen hervorragend gemeistert. Gerade in Baden-Württemberg sind wir auch weiterhin darauf eingestellt, den Fragestellungen ins Auge zu blicken und lösungsorientiert zu handeln.
Eine der bedeutsamen Konsequenzen, die viele Betriebe aus der Krise gezogen haben, ist die Einführung der Kurzarbeit. Unser Land ist hiervon leider besonders stark betroffen. Der erfreuliche Aspekt dieser Maßnahme ist jedoch zweifellos, dass Fachkräfte auch in diesen konjunkturell schwierigen Zei ten in den Betrieben gehalten werden.
Das Wirtschaftsministerium hat darüber hinaus schon sehr früh und rechtzeitig darüber nachgedacht, wie die Arbeitszeit verkürzungen für weiterbildende, qualifizierende Maßnahmen genutzt werden können,
damit die Krise wenigstens zum Teil auch als Chance genutzt werden kann und aus der Not eine Tugend gemacht wird.
Die Bundesregierung hat mit der Ausweitung des Konjunk turprogramms II weitreichende Regelungen getroffen, um die Kurzarbeit für die Abfederung der Wirtschaftskrise zu nutzen. Zeitgleich hat sie Förderprogramme aufgelegt, die es Betrie ben ermöglichen, die Krise zur beruflichen Weiterbildung ih rer Mitarbeiter zu nutzen. Hierbei übernimmt die Bundesagen tur für Arbeit während der Zeit der Kurzarbeit einen Teil der Weiterbildungskosten sowie die gesamten Sozialversiche rungsbeiträge, die auf das Kurzarbeitergeld entfallen.
Zeitlich zunächst bis 2010 befristet können für Maßnahmen zur Qualifizierung von Beschäftigten im Rahmen von Kurz arbeit im Wesentlichen zwei Förderprogramme der Arbeits verwaltung in Anspruch genommen werden. Das sind zum ei nen berufsqualifizierende Maßnahmen mit Facharbeiterab schluss für gering qualifizierte Beschäftigte oder Teilqualifi zierungen. Finanziert werden diese aus eigenen Mitteln der Bundesagentur. 2009 wurden hierfür in Baden-Württemberg 3,7 Millionen € aufgewendet.
Zum anderen gibt es Qualifizierungsmaßnahmen für Fach kräfte, die die Bundesagentur für Arbeit aus Mitteln des Eu ropäischen Sozialfonds finanziert. Hierunter fallen für die Be zieher von saisonalem Kurzarbeitergeld die berufliche Wei terbildung für die Arbeit in ihren Betrieben selbst sowie für die Bezieher von Transferkurzarbeitergeld die Teilnahme an sinnvollen und arbeitsmarktpolitisch zweckmäßigen Maßnah men, die ihnen als Arbeitnehmern den Übergang in eine an dere Beschäftigung erleichtern und Arbeitslosigkeit vermei den. Aus diesen Mitteln des Europäischen Sozialfonds flos sen 2009 in Baden-Württemberg 5,8 Millionen € in entspre chende Weiterbildungsmaßnahmen.
Laut der aktuellen Statistik haben in Baden-Württemberg die Eintritte in Qualifizierungen gegenüber dem Vorjahr allerdings teilweise zugenommen. Beim konjunkturellen saisonalen Kurz arbeitergeld waren es 1 827 Eintritte im ersten Quartal 2010 gegenüber 144 Eintritten im ersten Quartal 2009. Beim Trans ferkurzarbeitergeld liegt die Anzahl der Eintritte bei 277 im ersten Quartal 2010 gegenüber 218 im ersten Quartal 2009.
Zunächst waren im Frühjahr 2009 die Reaktionen aus der be trieblichen Praxis auf die Neuregelungen unter dem Konjunk turpaket II sehr verhalten. Allerdings haben die Erfahrungen im letzten Jahr gezeigt, dass es für die erfolgreiche praktische Umsetzung von Qualifizierungsmaßnahmen bei Kurzarbeit mehrerer Faktoren bedarf. Es bedarf einer Weiterbildungsstra tegie, die betrieblich verankert ist, gekoppelt mit Vorstellun gen vom Qualifizierungsbedarf, den ein Betrieb hat. Es bedarf flexibler Weiterbildungsträger, die in Abstimmung mit den Partnern passgenaue Angebote machen, und es bedarf eigen verantwortlicher, bildungswilliger Mitarbeiter.
Das ist uns wichtig: Wir wollen die betriebliche Weiterbildung nicht dem Ideenreichtum der Unternehmer und der Weiterbil dungsträger allein überlassen. Die Initiative muss auch vom Arbeitnehmer ausgehen. Wir brauchen Beschäftigte, die ak tiv an einer Verbesserung ihrer Beschäftigungsvoraussetzun gen im Sinne eines lebenslangen Lernens interessiert sind.
Denn nur so können Zukunftsaufgaben gemeistert werden. Ei ne Gießkanne mit Weiterbildungsmaßnahmen hilft hier nicht viel weiter.
Neben der Weiterqualifizierung der Beschäftigten brauchen wir in unserer Wirtschaft die Konzentration auf die Entwick lung neuer Produkte, und wir brauchen zugleich auch die Kon zentration auf die Dienstleistungen von morgen. Hierfür müs sen wir politisch die entsprechenden Impulse setzen, wie dies
Die Qualifizierung während der Kurzarbeit ist eine wichtige Maßnahme zur Überbrückung der derzeitigen arbeitspoliti schen Situation. Aber Weiterbildung muss generell viel mehr zur Normalität im beruflichen Alltag werden und im Gedan kengut jedes Bürgers verhaftet sein.
Die Maßnahmen der Arbeitsagenturen zur Förderung der Qua lifizierungsmaßnahmen bei Kurzarbeit in der Krise greifen gut und sind momentan hinreichend. In der Stellungnahme zum Antrag wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine Installa tion parallel laufender und konkurrierender Förderstrukturen nicht zielführend ist. Die CDU-Fraktion schließt sich dieser Einschätzung an.